Start als Familienunternehmen
Ferdinand Porsche, geboren am 3. September 1875, stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Schon früh zeigte sich sein technisches Talent: Mit 21 Jahren meldete er sein erstes Patent für einen Radnabenmotor an. Nach mehreren Stationen als Angestellter machte er sich 1931 selbstständig: mit einem Konstruktionsbüro, das Fahrzeuge im Kundenauftrag entwickelte. Sein wichtigster Auftrag wurde 1934 die Entwicklung eines Volkswagens, der nach dem Krieg als VW Käfer eine beispiellose Erfolgsgeschichte hinlegte. Ferdinand Porsche war zwar eher unpolitisch, arbeitete aber eng mit den Nazis zusammen und beschäftigte auch Zwangsarbeiter.
„Der VW war Motor und Sinnbild des Wirtschaftswunders – der Wunsch vom Motorrad ins Auto aufzusteigen, zog sich durch alle Schichten.“
Nach dem Krieg übernahm Sohn Ferdinand, genannt Ferry, zunehmend die Verantwortung bei Porsche, während Tochter Louise, verheiratete Piëch, nach dem Tod des Gründers 1951 eine Handelsgesellschaft in Österreich erbte, die den Exklusivvertrieb für Volkswagen innehatte. Ferry Porsche, technisch ebenso talentiert wie sein Vater, entwickelte das Unternehmen zu einem international agierenden Sportwagenhersteller. Sein erstes Modell war der Porsche 356, dessen Design bis heute die Form der Porsche-Fahrzeuge prägt. 1953 präsentierte er den Porsche 550 Spyder. Dieser fuhr zahlreiche Rennsiege ein und sollte als Unfallfahrzeug von James Dean zur Legende werden. Der größte Coup des Unternehmens war der Porsche 911, der von Ferry Porsches Sohn Ferdinand Alexander Porsche, genannt Butzi, konstruiert wurde. Der Nachfolger des 356 hatte mehr Platz, größere Fenster und einen Sechszylinder-Boxermotor. Zudem entwickelte Porsche Ende der 60er Jahre das Einsteigermodell 914, das zeitweise das bestverkaufte Porsche-Modell war.
„Die Clan-Chefs Ferry Porsche und Louise Piëch entschieden, dass fortan kein Mitglied der Familie operative Führungspositionen übernehmen durfte.“
Die Ölkrise Mitte der 70er Jahre führte zu einem massiven Absatzeinbruch: 1975 verkauften die Zuffenhausener nur noch 9000 Fahrzeuge. Der Porsche 924 sollte als neues Einsteigermodell die Wende bringen. Das erste Modell mit wassergekühltem Frontmotor erreichte Spitzengeschwindigkeiten von über 200 km/h und wurde mit mehr als 150 000 verkauften Exemplaren zum Verkaufsschlager. 1981 folgte der Porsche 944, der sich ebenfalls schon im ersten Jahr zum Bestseller entwickelte und zahlreiche Rennen gewann. Der Motorsport war von Anfang an eine wesentliche Grundlage des Erfolgs: Nicht nur wegen der Werbeeffekte, sondern auch wegen der technischen Erkenntnisse beteiligte sich Porsche regelmäßig an renommierten Rennen und fuhr unzählige Siege ein. Der Plan, einen eigenen Formel-1-Rennstall aufzubauen, wurde allerdings aus Kostengründen aufgegeben. \\
Schwierige Familienverhältnisse
Ferry Porsche war extrem technikbegeistert, doch auch sozial eingestellt: Porsche-Mitarbeiter profitierten bereits früh von Wohltaten wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder betrieblicher Altersvorsorge. Der große Fehler des Konstruktionsgenies und seiner Schwester Louise war die unsorgfältige Nachfolgeregelung: Die beiden Gründerkinder sowie die insgesamt acht Enkel hielten jeweils 10 % der Anteile und waren schnell heillos zerstritten.
„Die Flitzerfirma galt mehrere Jahre als profitabelster Autobauer der Welt.“
Da man sich nicht auf eine Nachfolge einigen konnte, wurde Anfang der 70er Jahre beschlossen, dass kein Familienmitglied mehr operative Führungspositionen bei Porsche übernehmen durfte. Ferry Porsche wechselte deshalb von der Geschäftsführung in den Aufsichtsrat, und seitdem lenken angestellte Manager die Geschicke des Unternehmens. Der erste von ihnen, Ernst Fuhrmann, verzettelte sich jedoch: zu viele Modelle, zu hohe Produktionskosten, zu teuer für den Endkunden. 1981 kam Peter W. Schutz ans Ruder, der eine erfolgreiche Cabrioversion des 911 herausbrachte und zunächst vom starken Dollarkurs profitierte, was nach massiven Wechselkursverlusten zwischen 1985 und 1988 jedoch zu Gewinneinbrüchen führte. Der Börsencrash 1987 hatte die Lage noch verschlimmert. Neue Vorstände versuchten die Situation in den Griff zu bekommen. Trotz gewisser Teilerfolge wurden 1991 aber nur noch 6112 Porsches verkauft. Das Unternehmen wurde als Übernahmekandidat gehandelt.
„Wenn es nicht gerade um Motoren und Technik geht, gibt sich Ferdinand Piëch wortkarg.“
Eine neue Ära
1992 kam der Sanierer Wendelin Wiedeking an die Macht. Er setzte harte Sparmaßnahmen durch und präsentierte 1993 den Boxter, dessen Design an die Porsche-Legenden 356 und 550 Spyder erinnerte. 1995 gelang Wiedeking der Turnaround und in den folgenden Jahren war das Unternehmen vom Erfolg verwöhnt. 1996 lief der millionste Porsche vom Band, 1997 kam eine Neuauflage des 911 mit wassergekühltem Motor und verändertem Design auf den Markt, das Geschäftsjahr 1997/98 brachte neue Umsatz- und Ertragsrekorde, 1998/99 verdoppelte Porsche den Ertrag auf fast 700 Millionen Deutsche Mark.
„Bei Piëch laufen die Fäden von VW und Porsche zusammen.“
2002 wurde der Cayenne präsentiert, der erste Geländewagen des Unternehmens. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von 280 km/h war er 2003/04 das bestverkaufte Modell. Porsche konnte es sich sogar leisten, 2002 beim Bau eines neuen Werks in Leipzig auf Ostförderung in Höhe von 50 Millionen Euro zu verzichten. Im Jahr 2005 wurde mit dem Cayman eine Coupé-Ausführung des Boxter präsentiert sowie die Entwicklung einer neuen Modellreihe bekannt gegeben: des Gran Turismo Panamera, einer Mischung aus Sportwagen, Familienfahrzeug und Luxuslimousine. Porsche galt bald als profitabelster Autobauer der Welt. Niemand konnte ahnen, dass dieses traditionsreiche Erfolgsunternehmen schon wenige Jahre später von VW geschluckt und dem Konzern als zehnte Marke einverleibt werden sollte.
„Kaum ein Unternehmenslenker in der deutschen Wirtschaftsgeschichte hat eine solche Erfolgsstory hingelegt wie Wiedeking.“
Die Kontrahenten
Die beiden Hauptakteure in dem gut vierjährigen Übernahmekrimi waren Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und der VW-Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch, der als Sohn der Porsche-Gründertochter Louise Piëch auch Porsche-Anteile hielt. Piëch, von seiner Mutter extrem streng erzogen, gilt als technikverliebter, leistungsorientierter Perfektionist. Der hervorragende Stratege und Strippenzieher duldet keinen Widerspruch und lässt gnadenlos Köpfe rollen, wenn es seinen Zwecken dient. Aus einer Affäre um Schmiergeldzahlungen und Lustreisen für Manager und Betriebsräte ging der wortkarge VW-Chef unbeschadet hervor. Seine Laufbahn begann bei seinem Onkel Ferry bei Porsche, dort konnte er aber als Familienmitglied keine Karriere machen. Nach mehreren Zwischenstationen wurde der Porsche-Enkel 1993 VW-Chef und machte das Unternehmen, das damals rote Zahlen schrieb, zu einem der erfolgreichsten Autokonzerne.
„Im Geschäftsjahr 2007/08 machte Porsche mehr Gewinn als Umsatz.“
Wendelin Wiedeking dagegen kommt aus bescheidenen Verhältnissen. Obwohl ein harter Sanierer, war er wegen seiner bodenständigen, zurückhaltenden Art bei der Belegschaft beliebt. Der ausgebuffte Verhandler war der bestbezahlte Vorstandschef Europas, forderte aber immer wieder die soziale Verantwortung der Führungseliten ein und unterstützte zahlreiche soziale Projekte. Seine Erfolge bei Porsche basierten vor allem auf den japanischen Prinzipien des Kaizen und des Lean Managements und brachten ihm zahlreiche Preise und Auszeichnungen ein.
„Die geplante Übernahme des um ein Vielfaches größeren VW-Konzerns lief jahrelang wie nach Drehbuch.“
Die Übernahmeschlacht
Im Jahr 2005 präsentierten Wendelin Wiedeking und sein Finanzchef Holger Härter den Familien Porsche und Piëch eine waghalsige Strategie: Porsche sollte den Volkswagenkonzern übernehmen, der 14-mal mehr Umsatz und 60-mal mehr Autos produzierte als Porsche, und zwar so, dass es die beiden mächtigen Familien keinen Cent kostete. VW-Chef Ferdinand Piëch unterstützte offiziell die Strategie, sägte aber gleichzeitig an Wiedekings Stuhl, weil dessen Pläne seine Position und seinen Machtanspruch bedrohten.
„Was folgte, war ein auf dem deutschen Aktienmarkt bis dahin nie da gewesener Börsenirrsinn.“
Offiziell diente der geplante Einstieg Porsches beim Entwicklungspartner VW dazu, die Zusammenarbeit für die Zukunft abzusichern. Ausländischen Investoren sollte damit der Einstieg bei VW erschwert werden, ein Szenario, das wegen des niedrigen Aktienkurses von VW nicht unwahrscheinlich war. Zwar war der Konzern durch das VW-Gesetz geschützt, dem zufolge kein Aktionär mehr als 20 % Stimmrechte geltend machen konnte. Es war aber abzusehen, dass der Europäische Gerichtshof das Gesetz bald kippen würde. Allerdings hatte Porsche die Rechnung ohne den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff gemacht. Der sorgte nämlich für ein neues VW-Gesetz, das dem Land Niedersachsen eine Sperrminorität, also praktisch ein Vetorecht bei allen wichtigen Entscheidungen, einräumte.
„Porsche-Lenker Wiedeking hatte die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise unterschätzt.“
Die finanziellen Details
Finanziert wurden die Aktienkäufe durch so genannte Cash Settled Options, die nicht an den Börsen gehandelt werden und bei denen keine Meldepflicht gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht besteht. Das sind keine normalen Optionsgeschäfte; zum Fälligkeitstag wird lediglich der Differenzbetrag zwischen dem tatsächlichen Kurs und dem vorher vereinbarten Ausübungskurs ausgezahlt. Dabei spekulierte Porsche auf steigende Kurse, während seine Vertragspartner – mehrere renommierte Banken – wie die Mehrheit der Marktteilnehmer auf fallende Kurse bei den als überbewertet geltenden VW-Papieren setzten. Der Plan ging meistens auf, also mussten die Vertragspartner an Porsche zahlen. Allerdings trug Porsche mit seiner Informationspolitik dazu bei, dass die VW-Aktien immer weiter stiegen. Die Gewinne wurden sofort in neue Aktien und Optionsgeschäfte investiert. Im Ergebnis konnte Porsche so seine VW-Anteile unauffällig aufstocken und zahlte nie mehr als den vereinbarten Basiskurs von rund 100 € pro Aktie. Das Ganze war so lukrativ, dass Porsche im Geschäftsjahr 2007/08 mehr Ertrag als Umsatz ausweisen konnte.
„Nach 17 Jahren auf der Überholspur wurde Porsche-Lenker Wiedeking von rechts überholt – vom wohl einflussreichsten Automanager aller Zeiten: Ferdinand Piëch.“
Bis 2007 stockte Porsche seinen Anteil auf über 30 % auf, danach musste die Firma den VW-Aktionären aufgrund der Vorschriften im Wertpapiergesetz ein Pflichtangebot machen. Das war aber derartig unattraktiv, dass nur 0,06 % annahmen. Am 26. Oktober 2008 teilte Porsche mit, dass man Zugriff auf 42,6 % der Stammaktien sowie Optionen auf weitere 31,5 % VW-Papiere habe. Da auch das Land Niedersachsen gut 20 % VW-Anteile hielt, waren plötzlich nur noch etwa 5 % der Aktien auf dem Markt. Darauf folgten Panikkäufe von Leerverkäufern. Sie trieben den Kurs innerhalb kürzester Zeit auf bis zu 1005 €, machten VW zum teuersten Unternehmen der Welt und beeinflussten den Dax massiv.
„Porsche, die Perle Baden-Württembergs und verehrt in der ganzen Welt, wurde von Niedersachsens Massenautobauer Volkswagen geschluckt.“
Goliath gewinnt
Der kurz darauf folgende Absturz war umso heftiger: Die Spekulationsblase platzte, zum einen weil die Deutsche Börse VW außerplanmäßig im Dax neu gewichtete, zum anderen weil Porsche mitteilte, Kurssicherungsgeschäfte auflösen zu wollen. Parallel dazu ging dem bislang erfolgsverwöhnten Sportwagenbauer finanziell die Puste aus: Die krisengeschüttelte Wertwirtschaft sorgte für massiv sinkende Umsätze, Porsche suchte händeringend Kreditgeber für rund 12,5 Milliarden Euro. Man verhandelte mit Geldgebern in Katar, eine kleine Finanzspritze der Landesbank Baden-Württemberg verschaffte nur kurzfristig etwas Luft, ein Antrag auf einen Kredit der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau scheiterte.
Das Ergebnis ist bekannt: Am Ende siegte Goliath, und Porsche wurde die zehnte Marke im Portfolio des VW-Konzerns unter der Leitung von Porsche-Enkel Ferdinand Piëch. Wendelin Wiedeking und Holger Härter mussten gehen, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Insiderhandels und Marktmanipulationen. VW beteiligte sich kurz danach mit knapp 20 % am Kleinwagenhersteller Suzuki, was als Eintrittskarte zu den boomenden Märkten Chinas und Indiens gilt. Für spätestens 2011 ist die Aufstockung der Anteile am Münchner Lastwagenhersteller MAN avisiert. Damit deckt der Konzern die gesamte Fahrzeugpalette – vom Kleinwagen bis zum Lkw – ab. Für Ferdinand Piëch war die Übernahme von Porsche nur ein Schritt zur Verwirklichung seines großen Traums: Zusammenzufügen, was zusammengehört, und VW zum größten Automobilkonzern der Welt zu machen.