Das Netz der Marken
Sie prägen Strassenzüge, Ghettoquartiere und Schulhöfe, sind omnipräsent in den Medien, machen Rock-Ikonen zu Litfasssäulen und degradieren die Güter, auf denen sie prangen, zur puren Staffage: Die Marken der Global Players entfernen sich seit Jahren immer mehr von den Gütern, für deren PR sie eigentlich entwickelt wurden. Heute machen Logos in vielen Fällen die Produkte zum Nebenprodukt. Verkauft werden stattdessen Gefühle, Emotionen, Lifestyle.
Schrecksekunde der Markenboom-Ära: der „Marlboro Friday“ im April 1993
Die „Logo-Mania“ des zurückliegenden Jahrzehnts wurde nur einmal jäh unterbrochen und die Marketingszene auf eine, wenn auch nicht ganz ernsthafte Probe gestellt: Am so genannten „Marlboro Friday“, dem 2. April 1993, kündigte der Tabakkonzern Philip Morris an, den Preis für Marlboro-Zigaretten um 20 % zu senken, um Billigmarken das Wasser abzugraben. Für viele PR-Experten war damit das Ende unternehmerischer Markenpolitik eingeläutet, weil damit der Beweis erbracht zu sein schien, dass selbst ein milliardenschwer aufgebauter Super-Brand wie Marlboro sich offenbar nur noch mit Preissenkungen gegen „No Names“ zu helfen wusste. Das Ende der viel umjubelten Logo-Ära schien gekommen.
„Selbst Branding-Guru Tom Peters räumt ein, dass es auch zu viel Marke geben kann.“
Entgegen der Horror-Visionen vieler Auguren konnten sich allerdings gerade die Konzerne am Markt behaupten, die Marketing und Label weiterhin über die Preispolitik stellten: Nike, Apple, Calvin Klein, Disney oder Levi’s. Ihre Logos verloren im Unterschied zu klassischen Haushaltsmarken wie Marlboro nicht so sehr an Wert, weil sie zu Bestandteilen der Lifestyle-Philosophie wurden und sich zu kulturellen Accessoires entwickelten. Sie waren markenorientiert „bis auf die Knochen“ und ihr Image lief zur Hochform auf, während andere Marken dahinvegetierten. Damit hat der Marlboro Friday letztlich einen Einschnitt markiert: Fortan wurde zwischen den „gemeinen Preisbrechern und den hochherzigen Markenpolitikern“ eine scharfe Trennlinie gezogen. Und damit florierten die Produkte, die nicht mehr als Güter daherkamen, sondern als Ideen: „Die Marke als Erfahrung, als Lifestyle.“
Markenerweiterung
Der Siegeszug des Logos begann endgültig vor etwa 15 Jahren, als man mit dem Alligator von Lacoste und dem Polospieler von Ralph Lauren auch ausserhalb von Golf- und Tennisplätzen Wohlstand und Markenbewusstsein zur Schau stellte. Die nächste Phase läuteten dann Unternehmen wie Nike, Polo und Tommy Hilfiger ein. Sie drückten die Markenzeichen auf ihren Produkten auch den Sphären auf, die mit den Waren im eigentlichen Sinne nichts zu tun hatten: dem kulturellen, gesellschaftlichen und sportlichen Leben. Auf diese Weise werden Marken und ihre Logos selbst zu einer Art von Kultur, statt nur als Sponsoren oder „Abziehbilder“ in Erscheinung zu treten. Nackte Zahlen belegen die Rasanz dieser Entwicklung: Zwischen 1991 und 1999 explodierten die weltweiten Sponsoring-Ausgaben der Privatindustrie von jährlich 7 Mrd. auf 19,2 Mrd. US-Dollar.
No Space
Es sind ganz unterschiedliche Lebensräume, die von den Marken und ihren Symbolen bis auf den heutigen Tag erobert und vereinnahmt werden. Dass PR-Symbole ganze Städte oder Stadtteile prägen können, haben Kampagnen von Modezar Yves Saint Laurent (London 1997) und Jeans-Hersteller Levi Strauss (Toronto 1996) bewiesen. Nicht mehr abwegig erscheint vor diesem Hintergrund der Gedanke an eine voll privatisierte Stadt oder einzelne Stadtviertel, „die das Warenzeichen eines Unternehmens tragen“.
„Eine Generation qualifizierter Arbeiter, die sich nicht mehr lebenslang an ein Unternehmen gebunden fühlt, könnte zu einer Renaissance an Kreativität und zu einer Wiederbelebung der Zivilgesellschaft führen, zwei sehr verheissungsvolle Aussichten.“
Auch die Medien drohen vom Wildwuchs der Marken ausgehöhlt zu werden. So verlangt der Diamantenhersteller De Beers, dass seine Anzeigen nicht in der Nähe von Artikeln stehen, die „schlechte Nachrichten enthalten oder im Gegensatz zur romantischen Liebe“ stehen. Viele Zeitschriften, Fernsehshows und die Filmindustrie sind inzwischen fester Bestandteil im Vermarktungsalltag.
Zielgruppe Jugend, die Vermarktung der Coolness und der globale Teenager
Anfang der Neunzigerjahre, etwa um die Zeit des Marlboro Friday, kühlte das Babyboom-Konsumklima ab, eine neue Positionierung im Jugendmarkt wurde für einige Unternehmen zur Überlebensfrage. Dazu mussten Markenidentitäten geschaffen werden, die auf die Teenager der neuen Generation zugeschnitten waren. Es galt, das coole Image für Allerweltsgüter zu erfinden, das „mit der richtigen Musik, dem richtigen Stil und der richtigen Politik“ den jungen Leuten das Geld aus der Tasche zog. In den US-Highschools legten sich deshalb Coolness-Jäger auf die Lauer, um aufzuspüren, was als hip, alternativ, jung und cool empfunden wurde und für PR-Aktionen einsetzbar war. Auf diese Weise entdeckten Nike und Tommy Hilfiger sehr früh den Hip-Hop-Stil der schwarzen US-Boys für ihre Vermarktung und surften auf dieser Welle von Erfolg zu Erfolg.
„Konzerne, die sich traditionell mit einem Preisaufschlag von 100 Prozent zwischen Fabrikpreis und Einzelhandel begnügten, suchen nun den ganzen Erdball nach Fabriken ab, die ihre Produkte so preiswert herstellen, dass der Preisaufschlag fast 400 Prozent betragen kann.“
Für viele Supermarken bedeutet die Jagd nach Coolness heute schlicht die Jagd nach schwarzer Kultur. Dies ist nicht ohne Folgen geblieben. Die gnadenlose Gier, mit der Konzerne der jugendlichen Coolness nachjagen und sie für eigene Zwecke vereinnahmen, hat viel zur Entstehung eines „gegen die Marken gerichteten Aktivismus“ beigetragen. Jugendliche, die heute „adbusting“ (kreative Veränderung von Werbeplakaten) betreiben, Hacker-Angriffe auf Computersysteme starten oder illegale Strassenfeste feiern, fordern von den Konzernen wieder den Raum zurück. Nicht zuletzt auch in den Schulen und Universitäten, die vielfach aufgrund staatlicher Sparpolitik gezwungen waren, Fastfood-Ketten, Sportartikelhersteller und Computerkonzerne als Sponsoren oder Mäzene zu gewinnen.
„Bei Synergie und Branding geht es jedes Mal darum, wechselseitige verkaufsfördernde, auf Marken basierende Erfahrungen zu schaffen, bei denen der Einkauf mit Elementen aus den Bereichen Medien, Unterhaltung und Profisport verbunden wird und eine Markenspirale entsteht.“
Heute versorgen Firmen wie McDonald’s, Burger King oder Pizza Hut tausende von Schulkantinen mit schnellen Happen, Nike und Reebok sichern sich mit Millionen-Dollar-Verträgen das Wohlwollen ganzer Hochschulen, um damit Kritiker auf dem Campus zum Schweigen bringen. Die grosse globale Hoffnung für die PR-Strategen sind die Teenager der entwickelten und halb entwickelten Länder. Denn ihr Anteil an der Weltbevölkerung ist enorm: Auf der Welt wimmelt es von Teenagern, besonders in südlichen Ländern, wo nach UN-Schätzungen etwa 507 Mio. Menschen noch vor ihrem 40. Lebensjahr sterben werden. Zwei Drittel der asiatischen Bevölkerung sind unter 30, in Vietnam wurden aufgrund des jahrelangen Krieges etwa 50 % der Bevölkerung nach 1975 geboren. Eine Teenagerpopulation von etwa 1 Mrd.!
No Choice
Multinationale Markenkonzerne sprechen nach aussen zwar von angestrebter Vielfalt, sichtbares Zeichen ihres Wirkens sind jedoch Armeen geklonter Teenager, die in Uniform, wie es die Markenmacher selber formulieren, ins „globale Einkaufszentrum marschieren“. Um weltweit verkaufen zu können, müssen Marken penetriert, die Logos im Welt(en)bewusstsein verankert werden – landestypische Gewohnheiten, lokale Marken und unverwechselbare regionale Vorlieben stören da nur, weil sie dem Konsumenten Auswahlmöglichkeiten bieten. Daneben verläuft in den Führungsetagen der Unterhaltungsindustrie, der Medien und des Einzelhandels fast unbemerkt eine Konsolidierungs- und Fusionswelle, die weiteren Verlust wirklicher Auswahlmöglichkeiten zur Folge hat.
„Stil und Haltung von Jugendlichen gehören zu den besten Verdienstquellen in unserer Unterhaltungsgesellschaft, aber real existierende Jugendliche werden rund um den Erdball als eine neue Art von Wegwerf-Arbeitskräften missbraucht.“
Kleine Anbieter und Betriebe werden mehr und mehr verdrängt und die juristische Jagd nach jenen Kleinbetrieben, die einem Produkt einen ureigenen Stempel aufdrücken möchten, hat längst begonnen. Da mehr und mehr Unternehmen die allein selig machende Marke sein wollen, in deren Schatten wir konsumieren, Kunst schaffen und sogar wohnen, wird das Konzept des öffentlichen Raums völlig neu definiert. Innerhalb dieses realen und virtuellen Markengefüges stossen die Möglichkeiten für markenlose Alternativen, offene Diskussionen, Kritik und unzensierte Kunst – kurz, für die freie Auswahl – auf neue und verhängnisvolle Beschränkungen – eben „no choice“.
No Jobs
Parallel zum rasanten Anstieg der Ausgaben für Marketing, Fusionen und Markenerweiterung gingen im vergangenen Jahrzehnt die Investitionen der Konzerne in Produktionseinrichtungen und Arbeitskräfte kräftig zurück. Man entledigte sich der Maschinen und Fabriken, weil sie unnötige Belastungen für Management und Bilanzen darstellten. Fortan wurde die eigentliche Warenherstellung in so genannte Billiglohnländer verlagert. Herstellungskosten wurden gedrückt, aggressives Weltmarketing mit globaler Logo-Strategie liess die Gewinne weiter anwachsen. Darin liegt ein wesentlicher Grund dafür, dass das Gesamtvermögen der 100 grössten Weltkonzerne zwischen 1990 und 1997 um 288 % stieg, während die Zahl ihrer Beschäftigten nur um 9 % zulegte. Demgegenüber nahm die Zahl der Exportproduktionszonen (EPZs) u. a. in südostasiatische Regionen, in die die Produktion der Markenprodukte mehr und mehr verlagert wurde, exponentiell zu. Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge, existieren heute weltweit mindestens 850 EPZs in 70 Ländern mit rund 27 Mio. Beschäftigten. Diese Einheiten erhalten Stoffstücke für Bekleidung oder Einzelteile für Computer, die nicht mit Einfuhrsteuern belastet werden, und billige, nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeiter fertigen das Endprodukt.
„Zweifellos kompensieren viele junge Leute ihr verlorenes Vertrauen in Politiker und Konzerne, indem sie die sozialdarwinistischen Werte des Systems übernehmen, das für ihre soziale Unsicherheit verantwortlich ist. Sie werden härter, gieriger, zielbewusster.“
Schliesslich werden auch die Endprodukte wieder unversteuert ausgeführt: „Globalisierung ohne Risiko“ für die Markenkonzerne. In den Industrienationen geht gleichzeitig der Abbau von Langzeitarbeitsstellen weiter. Allein 1998, als die US-Volkswirtschaft immer neue Erfolge vermeldete, gingen 677 000 nordamerikanische Dauerarbeitsplätze verloren. Die Bindung der Mitarbeiter an ein Unternehmen wird gelöst, ihre Loyalität geht gegen Null. Wirtschaften im Logo-Zeitalter führt letztlich zu harten Brüchen im gesamten sozialen Gefüge.
No Logo
Das Parodieren von Werbung und die drastische Veränderung von Reklametafeln und ihren Botschaften wird als Culture-Jamming bezeichnet. Die wachsende Zahl der Culture-Jamming-Aktivisten wendet sich damit gegen passive Akzeptanz einseitiger Werbebotschaften des Marketings und versucht, öffentliche Räume für die Öffentlichkeit zurückzugewinnen. Teilweise werden auf diese Art Anzeigen durch Adbuster so umgestaltet, dass Gegenbotschaften entstehen. Parallel zur Markeneuphorie in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre entstanden rund um den Erdball immer mehr Bewegungen, die den Einfluss der weltumspannenden Logo-Politik kritisch unter die Lupe nehmen. Der Triumph der Globalisierung hat demzufolge eine wachsende Zahl versierter Aktivisten hervorgebracht, die international denken und handeln wie die Konzerne, denen sie auf die Finger schauen.
„Auch das Buch, das Sie in den Händen halten, beweist, wie ich hoffe, dass es innerhalb der Mediengiganten noch Raum für Kritik an den Konzernen gibt.“
Das Schlüsseljahr dieser Bewegungen war 1996, als Medien darüber berichteten, dass schlecht bezahlte pakistanische Kinder für Nike, Reebok oder Adidas arbeiteten und dass Wal-Mart Kleidung verkaufte, die in illegalen Sweatshops produziert worden war. Die konzernkritische Bewegung zog immer weitere Kreise.
„Es zeichnet sich eine stillschweigende Übereinkunft ab, dass Modeschöpfer, Turnschuh- und Medienkonzerne, Zeichentrickfiguren und alle Arten von Prominenten allesamt mehr oder weniger im gleichen Geschäftsbereich tätig sind: in der Vermarktung ihrer Marken.“
Das wachsende Misstrauen gegenüber der Markenkultur der Konzerne wird am deutlichsten durch die internationale Anti-Nike-Kampagne repräsentiert, die wohl grösste Kampagne dieser Art. Dabei steht der konzernkritische Aktivismus heute an einer Wegegabelung zwischen reinem Verbraucherschutz und engagiertem politischen Handeln. Die Gefahr besteht, dass einige Initiativen zu ethischen Einkaufsführern degenerieren – auch wenn diese Gebrauchsanweisungen für kritische Verbraucher verdienstvoll sind, dürfen sie die gewaltigen Probleme des globalen Arbeitsmarktes nicht auf unsere Interessen als Konsumenten in den Industrienationen reduzieren.