Der unsichtbare Kontinent

Buch Der unsichtbare Kontinent

Vier strategische Imperative für die New Economy

Ueberreuter,


Rezension

Kenichi Ohmae beschreibt die Auswirkun­gen der New Economy und leitet daraus die Strategien für die Zukunft ab. Die Regeln der Old Economy sind seiner Meinung nach zwar (noch) nicht aufgehoben, aber neue Tech­nolo­gien wie Internet und Mo­bilkom­mu­nika­tion fordern von den heutigen Un­ternehmensführern neue Denkweisen. Die Grenzen der Na­tion­al­staaten verlieren an Bedeutung, Märkte werden nur noch global betrachtet. Die Unternehmen, die sich diese Denkweise aggressiv zu Eigen machen, die so den un­sicht­baren Kontinent besiedeln und sich auf ihm ausbreiten, nennt Ohmae "Godzillas". Im Gegensatz zu den "Titanen" (Konzerne der alten Welt) handeln sie extrem flexibel und ver­schlin­gen alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Diese Unternehmen werden die Wirtschaft der Zukunft bilden. Und wer auf dem neuen Kontinent überleben will, muss alte Denkweisen ablegen und die Strategien der Godzillas übernehmen. BooksInShort.​com empfiehlt das Werk allen Führungskräften aus Wirtschaft und Politik, die erst ihre Ansichten überprüfen möchten, bevor sie weitere Entschei­dun­gen treffen. Es sei ebenso allen empfohlen, die sich mit den neuen Dimensionen und dem ver­flocht­e­nen globalen System befassen möchten, das die Wirtschaft des alten Kontinents grundlegend verwandeln wird.

Take-aways

  • Der unsichtbare Kontinent ist ein noch in Entstehung begriffenes System - ein System, das gerade seine spezifische Form annimmt und seine künftige Richtung vorgibt.
  • Der neue Kontinent erstreckt sich über die vier Dimensionen: reale Volk­swirtschaft, Gren­zen­losigkeit, Cyber-Welt und "hohe Multiples".
  • Der Vermögensfluss auf dem un­sicht­baren Kontinent übertrifft die normalen "Geldflüsse" der key­ne­sian­is­chen Ökonomie um ein Vielfaches.
  • In der alten Welt dominieren die Produzenten die Wirtschaft - in der neuen Wirtschaft sind es die Konsumenten, die alle Macht in den Händen haben.
  • Die englische Sprache ist längst zur De-facto-Sprache des Internets geworden und verschafft allen en­glis­chsprachi­gen Regionen der Welt einen Vorsprung im E-Commerce.
  • "Godzillas" stellen eine neue Gattung von Unternehmen dar, die durch ihre aggressive Inanspruch­nahme des neuen Kontinents in ungeahntem Ausmass horten, wachsen und konsumieren.
  • Die "Titanen", d. h. die exzellenten kon­ven­tionellen Unternehmen, müssen ihre alten Denkweisen und Strategien ablegen, um im Land der Godzillas konkurrenzfähig zu bleiben.
  • Wer noch nicht zum Club der Godzillas gehört und auf den Erfolg aus ist, muss Fähigkeiten und Qualitäten der Godzillas nachahmen.
  • Der Zugang zur globalen Wirtschaft ist für jedermann möglich, gleichgültig was seine nationalen Grenzen ihm vorschreiben.
  • Die Bemühungen vieler Regierungen, einzelne Nationen vor den Auswirkun­gen der globalen Wirtschaft abzuschir­men, werden durch die Net­zw­erkverbindun­gen zunichte gemacht.
 

Zusammenfassung

Die vier Dimensionen des un­sicht­baren Kontinents

Der "unsichtbare" Kontinent ist in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht ebenso greifbar und vital, als könnte man ihn in jedem Atlas nach­schla­gen. Dieser Kontinent ist Neuland, er wurde erst vor ca. 50 Jahren entdeckt und erst vor 15 Jahren hat man begonnen, ihn zu besiedeln. Der neue Kontinent erstreckt sich über vier Dimensionen und kann nur im Span­nungs­feld zwischen diesen verstanden werden:

  1. Die sichtbare Dimension: Der Wert eines Un­ternehmens ("Net­tozeitwert") oder eines Produktes bleibt wie in der alten auch in der neuen Welt bestehen. Diese sichtbare Dimension (Handel, Güter, Di­en­stleis­tun­gen) hat weiterhin Bestand, aber isoliert betrachtet entspricht diese Dimension immer seltener der Realität.
  2. Die grenzenlose Dimension: Die wirtschaftlichen Grenzen zwischen Staaten, Regionen, Unternehmen und Or­gan­i­sa­tio­nen haben durch die globale Sichtweise immer mehr an Bedeutung verloren, die Menschen leben in einem in­ter­na­tionalen "In­for­ma­tion­sklima". Die Wirtschaft ist nicht mehr an Na­tion­al­staaten gebunden.
  3. Die Cy­ber-Di­men­sion: Computer- und Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gien haben das gesamte Umfeld der Konsumenten, Produzenten und Bürger tief greifend und un­wider­ru­flich verändert. Auf dem Boden des neuen Kontinents gedeihen die Unternehmen, die auf die Flexibilität der Konsumenten mit einer "angeborenen" Flexibilität reagieren, die nur durch die Vielzahl neuer Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gien möglich ist.
  4. Die Dimension der "hohen Multiples": Ein Unternehmen kann auf dem Aktienmarkt ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 500 oder sogar mehr erzielen, d. h. der Kurs der Aktien ist 500 Mal so hoch wie der reale Gewinn. Bei richtiger Anwendung ist es einem Unternehmen dank dieser Mul­ti­ple-Werte aufgrund der Börsenkap­i­tal­isierung möglich, zum "realen" Blue­ship-Wert aufzusteigen.
„Heute erleben wir, wie eine echte Revolution über unser aller Leben, Arbeit, Einkauf­s­ge­wohn­heiten, Denken, Kämpfen, über unsere Kom­mu­nika­tion und Vermögensbildung hinwegfegt.“

In Zukunft werden gerade jene Unternehmen und Staaten besonders erfolgreich sein, die es schaffen, alle vier Dimensionen zu integrieren und zu beherrschen. Die Kenntnis aller vier Dimensionen wird zweifellos künftig eine un­ab­d­ing­bare Vorbe­din­gung für den Erfolg von Führungskräften in Wirtschaft und Politik sein. Vier Charak­ter­is­tika des neuen Kontinents sind für Entschei­dungsträger besonders wichtig. Sie erklären auch, warum manche auf dem neuen Kontinent so erfolgreich sind, während andere nie Fuss fassen:

  1. In­for­ma­tio­nen werden problemlos über alle Arten von Grenzen befördert. Somit kann es kein Nachricht­en­monopol mehr geben. Der freie In­for­ma­tions­fluss macht es für Länder und Unternehmen schwieriger, ihre Märkte zu kon­trol­lieren, d. h. die Konsumenten kon­trol­lieren die Nachfrage- und Ange­bots­kette und damit die Produzenten.
  2. Es gibt keine Zutritts­beschränkungen für den neuen Kontinent. Aber er ist nur für diejenigen leicht zu bereisen, die bereit sind, ihre alten Denkweisen aufzugeben; belohnt werden daher nur jene, die den Nutzen des neuen Kontinents erkennen.
  3. Die In­fra­struk­tur des un­sicht­baren Kontinents ist noch in Entwicklung begriffen. Wer das erkennt und sich ein Stück Terrain sichert, kann praktisch nicht mehr verdrängt werden. Beispiel: AOL hat als einer der ersten On­line-An­bi­eter Eckpfeiler gesetzt und hat heute über 20 Millionen Kunden weltweit.
  4. Der neue Kontinent verkörpert stark in­di­vid­u­al­is­tis­che Werte. Es gibt keine to­nangebende Elite, die Ansichten über Qualitäten vorgibt. Die roh und ungezügelt herrschen­den wirtschaftlichen Kräfte fördern allerdings auch die Exzesse und Unzulänglichkeiten eines ungezügelten Kap­i­tal­is­mus zutage.

Grundlagen der neuen Wirtschaft

Standards, die eine weithin gemeinsame Grundlage bilden und somit eine Schlüsselrolle in der globalen Welt spielen, nennt man "Plattformen". Dies können alle Arten von Standards sein: finanzielle, tech­nol­o­gis­che und kulturelle Grundlagen für ein gemeinsames Handeln. So stellen z. B. Visa und MasterCard eine gemeinsame Plattform für E-Commerce und Fi­nanz­transak­tio­nen dar, sie sind uni­verselles Medium für On­line-Zahlun­gen von jedem beliebigen Punkt der Erde aus. Plattformen sind De-facto-Stan­dards - von keiner Regierung verordnet, sondern entstanden durch stillschweigende Übereinkunft unter den Pionieren und Siedlern des un­sicht­baren Kontinents. So ist die englische Sprache ebenfalls eine Plattform, eine De-facto-Sprache im Internet und verschafft allen en­glis­chsprachi­gen Regionen riesige Vorteile auf dem neuen Kontinent. Auf dem un­sicht­baren Kontinent fliessen, wandern und ver­schwinden Vermögenswerte in nie gekanntem Ausmass - und das ohne direkten Zusam­men­hang mit den diversen Waren­be­we­gun­gen. Die vier Kräfte, die diesem Wandel zugrunde liegen und die in ihren Aktivitäten allesamt globaler und flexibler geworden sind, heissen In­vesti­tio­nen, Industrie, In­for­ma­tion­stech­nolo­gie und das Individuum als Konsument. Diese Kräfte sind die wichtigsten Grundsteine des heutigen Vermögens. Auf dem un­sicht­baren Kontinent sind es die Konsumenten, die alle Macht in den Händen haben, da sie als Verbraucher besser informiert agieren und ihren Konsum besser kon­trol­lieren können als jemals zuvor. Auf dem un­sicht­baren Kontinent können Arbeitsplätze überall sein - und Arbeitsplätze werden überall dort besonders benötigt, wo sie besonders effektiv für qualitativ hochw­er­ti­gen Kun­denkon­takt sorgen. Daher folgen in der New Economy die Jobs dem Markt.

Godzillas und Titanen - Un­ternehmensstrate­gien der neuen Wirtschaft

Zwischen 1975 und 1987 entstand in den USA eine neue Gattung von Unternehmen: Diese Godzillas der Wirtschaft ver­schlin­gen in ungeahntem Ausmass Märkte und Ressourcen. Die gefrässigen Monster saugen das In­vest­men­tkap­i­tal der Welt auf - sie horten, wachsen und konsumieren unglaublich schnell. Allen Godzillas gemeinsam ist ihre aggressive Inanspruch­nahme der drei "un­sicht­baren" Dimensionen des neuen Kontinents:

  1. Die Cy­ber-Di­men­sion garantiert ein rasches Wachstum ganz ohne Koste­neskala­tion und Stress in der Or­gan­i­sa­tion.
  2. Hohe Multiples: Durch ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis und ihre Marktmacht sind Grösse und Einfluss dieser Unternehmen weit grösser, als Umsätze und Erträge vermuten lassen.
  3. Grenzenlose Dimension: Unmittelbar nach Gründung erreichen diese Unternehmen globale Reichweiten.
„Wir kennen die gesamte bewohnbare Welt. ... Es scheint, als sei wieder einmal ein neuer Kontinent entdeckt worden - diesmal ein Kontinent ohne Land.“

Die tra­di­tionellen grossen Unternehmen ("Titanen"), müssen ihre alten Denkweisen und einge­fahre­nen Vorstel­lun­gen über Un­ternehmensstrate­gie ablegen, um auf dem neuen Kontinent konkur­ri­eren zu können. Ansonsten werden sie un­weiger­lich unterliegen und von den Godzillas geschluckt (wie z. B. Time Warner von AOL) oder sie müssen mit kleineren Nischen vorlieb nehmen, als ihnen einst gehört haben (z. B. Nokia). Wer zum Club der Godzillas gehören möchte, wer also auf deren Erfolg aus ist, muss Fähigkeiten und Qualitäten nachahmen, die diese Godzillas offenbar instinktiv erworben haben:

  • Klarer Schwerpunkt: Godzillas konzen­tri­eren sich fast immer auf ein Produkt oder haben zumindest einen klar definierten Schwerpunkt.
  • Abstecken des Terrains anhand des Kun­den­pri­mats: Die Unternehmen müssen sich selbst eigene Grenzen auferlegen und Selb­st­diszi­plin besitzen.
  • Or­gan­i­sa­tio­nen von null aufbauen: Somit geht man Schwierigkeiten, die wegen eines unseligen Erbes auftreten können (z. B. Anlagen, Ar­beit­sprak­tiken), aus dem Weg.
  • Standort: Die Zentralen der Godzillas findet man praktisch nie in den Metropolen oder Pro­duk­tion­szen­tren.
  • Von der Giesskanne zur Tr­e­ff­sicher­heit: Punk­t­ge­naues Marketing durch Kun­denseg­men­tierung führt zu einer viel höheren Tr­e­f­fer­quote als tra­di­tionelles Marketing für ein Massen­pub­likum.
  • Netzförmige Or­gan­i­sa­tion: Die gesamte Or­gan­i­sa­tion ist auf die An­forderun­gen der Cy­ber-Di­men­sion aus­gerichtet.
  • Globale Reichweite: Sprin­kler­mod­ell der Glob­al­isierung, d. h. überall zugleich verkaufen, anstatt die Welt Markt für Markt zu erobern.
  • Akquisition durch Beziehungen: Er­fol­gre­iche Fusionen durch gemeinsame Visionen und Vernetzung der Unternehmen.
  • Langsam auf schnellen Märkten: Da die extremen Ausschläge der Kurse auf den Aktien- und Devisenmärkten meist kurzfristiger Natur sind, sollten Unternehmen in langfristi­gen Zeitrahmen denken und sich nicht von diesen Schwankun­gen treiben lassen.
  • Zerstörung von Werten: Man wird laufend von neuen Mark­t­teil­nehmern her­aus­ge­fordert.

Regionale Gewinner - nationale Verlierer

Die Chance für viele Länder, der chronischen Armut zu entkommen, besteht nicht im Nachahmen der tra­di­tionellen In­dus­tries­trate­gien, sondern im Überspringen der gesamten in­dus­triellen Revolution. Neue Strategien bieten Ländern und Regionen die Möglichkeit, sich auf den neuen, cyber-gestützten, un­sicht­baren und globalen Kontinent zu kat­a­pul­tieren. So konnte z. B. der "Multimedia Super Corridor" in Malaysia das Interesse von über 900 Firmen wecken. Da die Wirtschaft des un­sicht­baren Kontinents nicht mehr auf die Vermittlung durch nationale Regierungsap­pa­rate angewiesen ist, haben die Na­tion­al­staaten der Welt aufgehört, die globale Wirtschaft zu dominieren. Und selbst die Bemühungen einzelner Nationen, sich vor den Auswirkun­gen der globalen Wirtschaft abzuschir­men, werden im globalen System zunichte gemacht. Die globalen Plattformen ermöglichen jedem den Zugang zum un­sicht­baren Kontinent, gleichgültig was seine nationalen Grenzen ihm vorschreiben. Die Weltwirtschaft erlebt derzeit eine gle­ichzeit­ige Ver­schiebung der Macht von den tra­di­tionellen na­tion­al­staatlichen Regierungen hinunter zu den Re­gion­al­staaten und hinauf zu supra­na­tionalen Wirtschaftsblöcken. Staaten, die sich auf diese Entwicklung einlassen, gelangen mit Hilfe der grossen Wirtschaftsblöcke zu mehr Stabilität, während sie über ihre Re­gion­al­struk­turen Wohlstand generieren.

Blick in die Zukunft

Die Wirtschaft der Zukunft wird eine Welt der Cy­ber-Verbindun­gen, der volk­swirtschaftlichen Multiples und gren­zen­loser, länderübergreifender Aktivitäten sein. In­sti­tu­tio­nen und Individuen müssen diese Kräfte kennen lernen, die auf dem neuen Kontinent herrschen. Und wir alle müssen auch mit ihnen umgehen lernen. Dazu müssen wir zwei Schritte beachten:

  1. Befreien wir uns von dem unerwünschten Erbe der alten Welt! Konkret bedeutet das Dereg­ulierun­gen und Übergangsstrate­gien für Länder und Regionen. Des Weiteren muss die nationale Souveränität durch die Souveränität der Konsumenten und Bürger ersetzt werden.
„Es ist heute Mode geworden, China als den potenziell grössten Ver­braucher­markt der Welt zu betrachten, doch nur wenige machen sich eine Vorstellung davon, welche Veränderungen dazu er­forder­lich wären.“

Bereiten wir uns auf das Leben auf dem neuen Kontinent vor! Konkret bedeutet das für ein Land, den Schwerpunkt auf Bildung und cy­ber-kom­pat­i­ble In­fra­struk­tur zu legen. Für die Unternehmen bedeutet es den Aufbau einer vernetzten und netzförmigen Or­gan­i­sa­tion. Und für den Einzelnen bedeutet es, sich mit all den benötigten Fähigkeiten und Sprachen auf die neue Welt vorzu­bere­iten.

Über den Autor

Kenichi Ohmae war Leiter der Japan-Nieder­las­sung von McKinsey und arbeitet heute als in­ter­na­tionaler Un­ternehmensstratege und Regierungs­ber­ater. Er schreibt u. a. häufig für das Wall Street Journal, die New York Times und Newsweek und ist Autor von mit­tler­weile über 30 Büchern. Seine bekan­ntesten Werke sind: Die neue Logik der Weltwirtschaft: Zukun­ftsstrate­gien der in­ter­na­tionalen Konzerne (1994) und Der neue Weltmarkt: Das Ende der Na­tion­al­staaten und der Aufstieg der regionalen Wirtschaft­szo­nen (1996).