Spielarten des Krisenmanagements
Als das Imperium von Lehman Brothers zusammenbrach, war das Unternehmen mit einem Mal ein Fall für den Insolvenzverwalter. Vorherige Anzeichen für eine Unternehmenskrise wurden nicht erkannt oder gar ignoriert. Dabei kommt eine Krise selten ganz plötzlich; sie ist vielmehr ein Prozess, in den die Unternehmensführung aktiv oder reaktiv eingreifen kann.
„Unternehmenskrisen sind in der Lage, den Fortbestand des Unternehmens substanziell und nachhaltig zu gefährden.“
Antizipatives Krisenmanagement greift aktiv in den Prozess ein. Potenziellen Krisen, die also noch nicht existieren, können durch gedankliche Vorwegnahme – z. B. durch Prognosen oder Szenarien – Alternativpläne entgegengestellt werden. Eine präventive Form des aktiven Krisenmanagements besteht darin, im Unternehmen Frühwarn- und Früherkennungsmaßnahmen zu implementieren, mit deren Hilfe man rechtzeitig latent vorhandene Krisen aufdeckt. Wer diese Maßnahmen versäumt, kann leicht von einer Krise überrascht werden – und dann nur noch reaktiv handeln. Das frisst Ressourcen, und auch die Zeit wird nun knapp. Solange die Krise noch „zurückgeschlagen“ werden kann, spricht man von repulsivem Krisenmanagement; Sanierungsmaßnahmen stehen hierbei im Vordergrund. Zwingt die Krise ein Unternehmen in die Knie, bleibt nur das liquidative Krisenmanagement: Die Firma wird aufgelöst; alle beteiligten Gruppen (Anteilseigner, Kapitalgeber, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten) werden so vor weiteren Verlusten geschützt und offene Verbindlichkeiten aus den Verkaufserlösen getilgt.
„Krisenmanagement als Prozess bezieht sich auf die Identifikation überlebenskritischer Prozesse.“
Auch wenn im Kontext der aktuellen Wirtschaftskrise die Begriffe der Restrukturierung und Sanierung oft synonym benutzt werden, unterscheiden sie sich: Restrukturierung bedeutet die Anpassung von Unternehmensstrukturen an Marktgegebenheiten, meist in frühen Phasen einer Krise oder gar krisenunabhängig. Mithilfe der Sanierung hingegen, die reaktiv ist, sollen akute Krisen bewältigt und Firmen gerettet werden. Getragen werden diese Prozesse intern vom Topmanagement, den Mitarbeitern und dem Betriebsrat; externe Träger sind Banken, Berater und Krisenmanager. Unabdingbar ist eine fehlerfreie interne und externe Kommunikation – das Vertrauen aller Stakeholder mit ihren unterschiedlichen Zielen darf nicht verspielt werden.
Mit Controlling aus der Krise
Laut Studien sind 80 % aller Insolvenzen auf unzureichendes oder gänzlich fehlendes Controlling zurückzuführen. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen sind betroffen. Warum ist Controlling so wichtig? Controller informieren die Führungsebene über Risiken, Kennzahlen und die aktuelle Lage – und entlasten sie dadurch bei der Planung, Kontrolle und Koordination von Entscheidungen. Da eine Krise meist eine Ausnahmesituation für Mitarbeiter und Führungskräfte ist, neigen beide Seiten leicht dazu, irrational zu entscheiden und falsche Rückschlüsse zu ziehen, die in Fehlentscheidungen münden. Gutes Controlling liefert die Informationen, die Manager für rationale und richtige Entscheidungen benötigen. Dabei sollte das Controlling ganzheitlich wirken: auf strategischer, operativer und Projektebene. Es geht nicht darum, die Entscheider mit noch mehr Zahlen zuzuschütten, sondern sie mit zukunftsorientierten, auch nichtfinanziellen Daten zu versorgen.
„Basis der Analysephase ist neben dem durch das Unternehmen erstellten Unternehmenskonzept häufig ein Sanierungsgutachten durch einen unabhängigen Dritten.“
Bei der Restrukturierung und Sanierung sorgt das Controlling neben der Absicherung des laufenden Geschäfts für Transparenz im Hinblick auf die wirtschaftliche und organisatorische Situation des Unternehmens und zeigt die Ursachen einer kommenden oder aktuellen Krise auf. Controlling hilft außerdem bei der Suche nach Alternativen, es unterstützt bei deren Beurteilung und letztlich bei der Entscheidung für oder gegen sie. Auch die Umsetzung von Antikrisenmaßnahmen ist ohne Controlling nicht denkbar: Sofortmaßnahmen müssen aus den Unternehmensdaten abgeleitet und Konzeptdetails erstellt werden; daraus ergeben sich später konkrete Projekte, die wiederum ein Projektcontrolling erfordern. Aber Vorsicht: Sofortmaßnahmen sichern zwar das kurzfristige Überleben, doch können sie auch in Konflikt mit Sanierungszielen oder Unternehmensstrategien geraten. Neben den Steuerungsfunktionen vergleicht das Controlling Soll- und Ist-Zustand des Fortschritts – das kann monatlich, wöchentlich oder täglich passieren. Damit kann auf Abweichungen schnell reagiert werden.
Der Prozess der Refinanzierung
Ein Unternehmen aus der Krise zu holen kostet Geld. Die benötigten Finanzen sollten im Zusammenspiel aller – der Gesellschafter, Kapitalgeber und der anderen Stakeholder – beschafft werden. Der Prozess der Refinanzierung beinhaltet drei Phasen:
- In der Analysephase wird das gesamte Unternehmenskonzept unter die Lupe genommen: Wie ist die Ausgangsposition? Wie sieht der Businessplan aus? Welche Maßnahmen sind vorgesehen? Was sind mögliche Zukunftsszenarien? Was erwarten die Stakeholder? Wie ist das Unternehmen am Markt positioniert und aufgestellt? Alle an der Restrukturierung Beteiligten müssen vom gleichen Unternehmenskonzept ausgehen. Ein unabhängiges Sanierungsgutachten schafft Transparenz und Vertrauen bei möglichen Kapitalgebern. Das Ergebnis der Analyse ist der „Restructuring Case“, der die Sanierungserfordernisse beschreibt und dessen Ziele alle Stakeholder zufriedenstellen sollten. Ein gutes Managementteam wirkt überzeugend – und da Qualität ihren Preis hat, sollten auch entsprechende Gehälter eingeplant werden.
- Nun kann die Konzeption der finanziellen Restrukturierung erfolgen – idealerweise als Konsenslösung. Alle Beteiligten sollen ihren Beitrag leisten und auch an zukünftigen Wertsteigerungen partizipieren. Doch woher kommen die Finanzspritzen? Entweder die Gesellschafter selbst stellen Geld bereit, oder Banken und Finanziers leihen welches; der Einstieg eines neuen Investors als Gesellschafter kann ebenso interessant sein wie die Beteiligung eines solchen bzw. der Verkauf an ihn. In letzterem Fall kann der Investor mit dem Erwerb in neue Märkte einsteigen und darf sich sogar die Rosinen herauspicken: Er kann nur einzelne, für ihn interessante Geschäftsbereiche kaufen. Wenn sich kein Investor findet, bleibt als letztes Mittel die Insolvenz oder Liquidation.
- Anschließend muss das Konzept implementiert werden. Dazu werden Verträge mit Gläubigern, Geldgebern und Stakeholdern zur finanziellen Restrukturierung ausgehandelt, in denen operative (auf eine bessere Ertragslage abzielende) und strategische (die Positionierung betreffende) Maßnahmen und deren Überwachung festgelegt werden. Letzteres kann durch direkte Eigentümerstellung erfolgen: Gläubiger übernehmen Eigenkapital, werden am Unternehmen beteiligt und erhalten so einen Überblick. Oder aber ein weisungsunabhängiger Treuhänder übernimmt die Geschäfte. So wird gegenüber den Gläubigern sichergestellt, dass die Eigentümer die Situation nicht noch verschlimmern – das strahlt Sicherheit aus und baut Vertrauen auf.
Verkaufsargument: Unternehmenswert
Im Zuge der jüngsten Finanzkrise hat der Verkauf von finanziell angeschlagenen Unternehmen stark zugenommen. In der Automobilzulieferbranche waren im zweiten Halbjahr 2009 über 90 % aller Transaktionen so genannte Distressed Mergers and Aquisitions. Obwohl der Kauf eines krisengeschüttelten Unternehmens durchaus Vorteile hat – z. B. das oben erwähnte „Cherry Picking“ oder einen günstigen Kaufpreis –, gibt es auch Risiken: hohe Planungsunsicherheit, eine schlechte Ertragslage oder ein hoher Verschuldungsgrad des potenziellen Neuerwerbs. Die Bewertung des Zielunternehmens ist vor einem Kauf daher besonders wichtig.
„Die strategische Früherkennung überwindet das Prinzip der gerichteten Suche. Vielmehr erfolgt hier die Suche nach Früherkennungsinformationen überall und zu jeder Zeit.“
Wenn das Unternehmen am Markt bestehen bleiben soll, erfolgt die Bewertung anhand der künftig zu erwartenden Überschüsse – z. B. mithilfe der Discounted-Cashflow-Methode (DCF), bei der die ausschüttungsfähigen Einnahmeüberschüsse nach Abzug aller Steuern und Nettoinvestitionsauszahlungen ermittelt werden und durch diverse Berechnungen letztlich der Unternehmenswert bestimmt wird. Soll das Unternehmen dagegen aufgelöst werden (stille Liquidation), wird der Liquidationswert berechnet. Dieser entspricht dem Barwert aller Nettoerlöse, wenn sämtliche Vermögensgegenstände verkauft werden – unter der Prämisse, dass alle Verbindlichkeiten und Verpflichtungen gegenüber Dritten befriedigt sind. Bei einer Insolvenz, der dritten Alternative, fließen zusätzlich noch Anfechtungsansprüche der Gesellschaft, Sonderrechte und Insolvenzforderungen in die Bewertung ein. Dieses Szenario ist jedoch schlecht für das Image eines Unternehmens: Wenn beispielsweise Tochtergesellschaften eines Konzerns insolvent werden, sind schlechte Liefer- oder Finanzierungskonditionen sowie ein Kundenboykott für die Mutter mögliche Folgen. Steht eine Unternehmensbewertung an, sollten alle drei Varianten betrachtet werden. Jene mit dem maximalen Unternehmenswert ist in der Regel die Methode der Wahl.
Staatsbürgschaft und Steuern
Der Staat ist bestrebt, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und damit Arbeitsplätze zu sichern. Volkswirtschaftlich förderungswürdige Vorhaben – wie den Erhalt eines renommierten Unternehmens – unterstützt der Staat in Form von Bürgschaften für Kredite. Staatliche Bürgen können Bürgschaftsbanken, der Bund oder die Länder sein. Damit der Staat als Bürge einspringt, müssen diverse Rahmenbedingungen erfüllt sein, die in Leitlinien und Verordnungen des EU-Beihilferechts verankert sind. In einem aufwändigen Antragsverfahren muss das Unternehmen nachweisen, dass die Sanierung volkswirtschaftlich förderungswürdig und eine staatliche Bürgschaft alternativlos ist. Eine Bürgschaft gewährt der Staat nur in Risikopartnerschaft mit dem Kreditgeber.
„Es ist von entscheidender Bedeutung, in der Krise jede Maßnahme daraufhin zu überprüfen, ob sie die Handlungsspielräume der IT zukünftig einschränkt.“
Ein anderes wichtiges Thema sind Steuern. Bei jeder Restrukturierung und Sanierung gehört ein sanierungserfahrener Steuerberater ins Managementteam. Denn nicht nur die wirtschaftlichen Bedingungen müssen beachtet werden, auch steuerliche Implikationen der Sanierungsmaßnahmen können für Entscheidungen relevant sein – seien es Rangrücktrittserklärungen, Forderungsverzichte, das Zinslosstellen von Darlehen oder Stakeholder-Maßnahmen, die allesamt Verlust- und Zinsvorträge und mögliche zu bilanzierende Gewinne beeinflussen.
Faktoren für den Erfolg
Empirische Studien von PricewaterhouseCoopers haben eine Reihe von Faktoren identifiziert, die für den Erfolg einer Restrukturierung entscheidend sind:
- Führen Sie Früherkennungssysteme ein und seien Sie schnell – maximal zwölf Monate nach Krisenerkennung sollte die Restrukturierung beginnen, Sofortmaßnahmen ausgenommen.
- Sorgen Sie für eine veränderungsbereite Unternehmenskultur und eine straffe operative Umsetzung. Vergessen Sie nicht, ein Projektcontrolling zu etablieren.
- Bilden Sie effiziente, interdisziplinäre Projektteams. Kaufen Sie gerade in Krisenzeiten kompetente Mitarbeiter ein. Integrieren Sie erfahrene externe Berater ins Management.
- Etablieren Sie eine offene und vertrauensbasierte Kommunikationsstruktur – nach innen und nach außen, insbesondere aber gegenüber den Banken.
- Topmanager haben Vorbildcharakter: Ihr Engagement erhöht das der Belegschaft.
- Motivieren Sie mit Anreizen – erfolgsorientierte Vergütungsmodelle fördern zielorientiertes Verhalten, und genau das benötigt ein krisengeschütteltes Unternehmen.
- Wenn Budgetkürzungen anstehen, sparen Sie nicht an Ihrer IT: Definieren Sie zunächst deren Rolle. Es kann Ihre Flexibilität erhöhen, wenn Sie IT-Aufgaben gezielt outsourcen. Analysieren Sie die IT-Situation und bevorzugen Sie Konsolidierungsprojekte (z. B. ein einheitliches ERP) gegenüber Prestigeprojekten (z. B. eine neue Website).