Glück ist eine Frage der Kultur
Das Streben nach Glück war und ist ein zentraler Aspekt philosophischen Denkens, doch es ist nicht möglich, eine allgemeingültige Definition von Glück zu geben. Was Glück oder Glücklichsein für den Einzelnen ausmacht, muss jedes Individuum selbst definieren. Darüber hinaus sind die Vorstellungen davon, was Glück ist oder sein kann, kulturell geprägt. Glück kann für einen buddhistischen Asketen ganz anders aussehen als für einen hedonistischen Kalifornier. Auch innerhalb der westlichen Welt ist der Stellenwert von Glück in der Skala menschlicher Werte nicht eindeutig definiert. Leben, Überleben, Freiheit, Erfüllung im Glauben können Werte sein, die der Einzelne über das Glück stellt. Unglück zu überwinden, kann ein Motor individueller wie gesellschaftlicher Entwicklung sein.
Aspekte des Glücks
Glück kann auf verschiedenen Ebenen existieren: zum einen sicherlich auf der Ebene der Freude, beispielsweise der momentanen „Freude am Fahren“, zum anderen auf der der grundsätzlichen Zufriedenheit mit der Lebenssituation sowie drittens auf der Ebene des Wohlstands und gesundheitlichen Wohlbefindens. Eine Herausforderung gemeistert zu haben, kann ein bedeutender Glücksfaktor sein. Auch die Teilnahme und Teilhabe am politischen Geschehen machen uns glücklicher.
„Es gibt wohl kein weniger unbestrittenes Lebensziel als das Glücklichsein.“
Ex negativo lässt sich Glück definieren als Abwesenheit von Enttäuschung oder sonstigen Nachteilen – vom Stress im Büro bis zum Stau auf dem Weg zur Arbeit. Glücksfaktoren, deren Relevanz statistisch messbar ist, sind Arbeit, Alter, Ehe und Familie, Ausbildung, Einkommen und Gesundheit. Wie diese Faktoren allerdings bewertet werden, ist subjektiv und situationsabhängig. So verändert ein Lottogewinn die Glückseinschätzung im Hinblick auf den Aspekt Einkommen; ein Mensch, der einen schweren Unfall erlitten hat, wird seinen Glückszustand unter dem Aspekt der Gesundheit ebenfalls anders bewerten.
„Die Erkenntnisse der Glücksforschung sollen dazu beitragen, die Voraussetzungen zu schaffen, dass der Einzelne sein ganz persönliches Glück finden kann.“
Glück lässt sich nicht allein am Wohlstand messen, also nicht am Bruttosozialprodukt eines Landes, der Summe aller erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen. Faktoren wie Hausfrauenarbeit, Freiwilligenarbeit, Schattenwirtschaft, Freizeit und Qualität der Umwelt werden vom Bruttosozialprodukt gar nicht erfasst. Auch über die für die materielle Lebenszufriedenheit entscheidende Einkommensverteilung oder die Gesundheit sagt das Bruttosozialprodukt nichts aus. Allerdings muss man sich ein gewisses Mindestmaß an Gütern und Dienstleistungen als materielle Grundlage leisten können, sonst ist die Lebenszufriedenheit eingeschränkt.
Wechselwirkungen der Glückswahrnehmung
Glück ist also keine vorgegebene Größe, sondern seine Wahrnehmung ist subjektiv, ja es wird vom Einzelnen regelrecht konstruiert. Für die Menschen in den westlichen Zivilisationen stehen dabei die Themen des täglichen Lebens im Vordergrund, keine metaphysischen, transzendentalen Glückserfahrungen. Für die Glückswahrnehmung spielen weniger absolute Faktoren eine Rolle als relatives Vergleichen. So ist für einen Arbeitslosen bereits ein mittleres Einkommen erstrebenswert, es würde ihn glücklich machen. Ein Gutverdiener ist dagegen erst dann mit seinem Einkommen vollkommen zufrieden, wenn seine Nachbarn und Kollegen ähnlich verdienen. Verdient aber jemand in seinem Umkreis für vergleichbare Arbeit deutlich mehr, wird auch der Gutverdiener unzufrieden. Befindet sich ein Hochverdiener bereits auf einem sehr auskömmlichen Gehaltsniveau, das keine weiteren Wünsche offen lässt, so wird ihm eine nochmalige beträchtliche Steigerung seines Einkommens keinen signifikanten Glückszuwachs bringen.
„Mithilfe von multiplen Regressionen wird der Einfluss unterschiedlicher Bestimmungsfaktoren auf die Lebenszufriedenheit erfasst.“
Ähnliche Beobachtungen lassen sich im Bereich persönlicher Beziehungen machen: Strebt ein Mensch eine feste Bindung an, so steigert sich sein Glücksgefühl in einer Beziehung immer weiter, bis zur Eheschließung. Ist dieser Gipfelpunkt erreicht, fällt der Glückszustand im Alltag typischerweise erst einmal wieder ab. Ganz ähnliche Verläufe zeigt die Beziehungsentwicklung bei Paaren mit Kinderwunsch. Wechselwirkungen zwischen dem persönlichen Glück und der Qualität von Beziehungen ergeben sich in vielen Alltagsbereichen: Glückliche Menschen finden leichter einen Partner, sind am Arbeitsmarkt erfolgreicher und allgemein hilfsbereiter. Eine gute Partnerschaft, ein zufriedenstellender Job und allgemein enge soziale Beziehungen wiederum steigern die Lebenszufriedenheit. Genau umgekehrt verläuft es für unglückliche Menschen: Auch bei ihnen verstärkt sich die – in diesem Fall negative – Spirale der Glückswahrnehmung stets selbst.
Geld und Glück
Einkommen und Reichtum sind Glücksfaktoren. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde ein eindeutiger positiver Zusammenhang zwischen einem markant steigenden Einkommen und dem Glücksniveau der Ostdeutschen festgestellt. Die Glückssteigerung durch Geld und Einkommen verläuft aber nicht linear, sondern es ergibt sich eine zwar positive, aber abnehmende Relation. Das betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern die gesamten Ländereinkommen. Zu berücksichtigen ist ferner der Gewöhnungseffekt: Durch das vergleichsweise hohe Wohlstandsniveau, das viele Länder nach dem Krieg erreicht haben, sind die Menschen unter dem Strich nicht glücklicher geworden. Waschmaschine und Farbfernseher werden längst nicht mehr als glückssteigernd wahrgenommen, sondern gehören zum normalen Alltag. Bei der monetären Glückswahrnehmung verläuft die Richtung des Vergleichs fast ausschließlich nach oben: Wir definieren unsere diesbezügliche Lebenszufriedenheit nicht danach, ob es uns besser geht als anderen. Entscheidend ist der Vergleich mit Personen mit höheren Einkommen.
Arbeit und Glück
Arbeitslosigkeit macht sehr unglücklich: Männer noch stärker als Frauen, mittlere Altersklassen noch stärker als Jüngere oder Ältere und Menschen mit gutem Bildungs- und Ausbildungsstand stärker als Unqualifizierte. Auch hier gibt es Wechselwirkungen: Wer unglücklich ist bzw. durch Arbeitslosigkeit unglücklich wird, hat es schwerer, im Arbeitsleben Fuß zu fassen.
„Selbstständigkeit als solche zahlt sich nicht unbedingt in mehr Geld aus. Viele Leute sind bereit, auf Einkommen zu verzichten, wenn sie dafür unabhängiger sind.“
Außerdem verschlechtern die psychischen Folgen der Arbeitslosigkeit die Lebenszufriedenheit dramatisch. In Gesellschaften mit strengen sozialen Normen und einem hohen Arbeitsethos steigt das Unglück der Arbeitslosen weiter, weil sie die gesellschaftlichen Normen nicht erfüllen. Weniger Druck in dieser Richtung gibt es in Staaten oder Gruppen, wo es nicht verpönt ist, den Wohlstandsverlust der Arbeitslosigkeit durch staatlichen finanziellen Ausgleich zu beheben. Eine Relativierung der Glückswahrnehmung ergibt sich, wenn Arbeitslosigkeit konjunkturell bedingt ist, wenn sie also nicht als individuelles Versagen wahrgenommen wird. In den USA übrigens wird Einkommensungleichheit nicht im gleichen Maß als glücksmindernd wahrgenommen wie in Europa, sondern als Anreiz und Chance zur Einkommenssteigerung empfunden. Die größere Bereitschaft der Amerikaner, Arbeit auch unterhalb des gewohnten Niveaus anzunehmen, zeigt ebenfalls eine kulturell anders geprägte Glückswahrnehmung.
„Unter den Nichtverheirateten sind diejenigen Personen, die in wilder Ehe leben, signifikant zufriedener als diejenigen, die alleine leben.“
Berufliche Selbstständigkeit und Freiwilligenarbeit erhöhen die Lebenszufriedenheit. Für Selbstständige steht oft nicht der finanzielle Aspekt im Vordergrund, sondern die Unabhängigkeit und die Freiheit, eigene Potenziale besser nutzen zu können. Ähnliches gilt für Freiwilligenarbeit: Sie eröffnet die befriedigende Möglichkeit, helfen zu können, neue Kompetenzen zu erwerben und das soziale Netzwerk zu erweitern. Das starke Schwinden von Möglichkeiten, sich freiwillig zu betätigen, führte nach der Wende in der ehemaligen DDR bei den Betroffenen eindeutig zur Verminderung ihrer Lebenszufriedenheit.
Staat und Glück
Ein umfassend fürsorglicher Staat könnte durch weitgehende materielle Absicherung für große Lebenszufriedenheit sorgen. Nur: Freiheit ist ebenfalls ein wichtiger Faktor für das Wohlbefinden. Im Ländervergleich schneiden demokratische Staaten mit möglichst weitgehenden Partizipationsrechten besser ab. Es würde drastischer Einkommenssteigerungen bedürfen, um Freiheitsverluste aufzuwiegen. Demokratische Institutionen sichern nicht nur die individuelle Freiheit, sondern auch das Vertrauen in die staatlichen Institutionen, in ihre Ehrlichkeit und Effizienz. Je ausgeprägter die politischen Mitwirkungsrechte sind (Volksbefragungen, Volksentscheide) und je näher sie am lokalen Umfeld der Bürger angesiedelt sind (Föderalismus), desto größer ist die Lebenszufriedenheit. Alle Bevölkerungsgruppen, unabhängig von Einkommen, Geschlecht und Ausbildung, profitieren von dieser Art der politisch-staatlichen Organisation gleich stark.
Familie und Glück
Allgemein gesprochen wirkt sich jedes Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe glückssteigernd auf den Menschen aus. Die Ehe – und fast noch mehr ihre wilde Form – erhöht die Lebenszufriedenheit der Menschen im Vergleich zu der der Singles deutlich. Bei Paaren mit gleichem gesellschaftlichem Hintergrund im Bezug auf Bildung und soziale Herkunft bleibt die Zufriedenheit auch nach der Eheschließung höher als bei ungleichen Paaren. Ungleiches Einkommen in der Ehe hat generell einen positiven Effekt: In diesen arbeitsteiligen Beziehungen konzentriert sich der Partner mit dem höheren Einkommen tendenziell auf die Aufgabe der Einkommensbeschaffung, während der andere Partner sich nichtmarktlichen Tätigkeiten widmet.
„Die Lebenszufriedenheit der Frauen ist in traditionellen Gemeinden höher.“
Der Grad der Zufriedenheit vor und nach Scheidungen oder Trennungen verhält sich umgekehrt zu der Zeit vor und nach einer Eheschließung: Zwei Jahre vor diesem Einschnitt ist er besonders niedrig, zwei Jahre danach pendelt er sich auf dem gewohnten Niveau ein. Das Vorhandensein von Kindern hat im Durchschnitt keinen Einfluss auf das Glücksniveau.
Gleichstellung und Glück
Sieht man Lebenszufriedenheit nicht nur abhängig vom Einkommen, sondern auch von kulturellen Prägungen, so hat die Emanzipation der Frau nicht notwendig positive Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit. In der Schweiz etwa ist die Erwartung nicht überall und von vornherein darauf gerichtet, dass Frauen überhaupt arbeiten sollten und dass sie gleichen Lohn erhalten. In ländlichen Gemeinden, in denen das traditionelle Frauenbild stärker verankert ist, ist die Lebenszufriedenheit der Frauen höher. Sie fühlen sich nicht im gleichen Maß der Mehrfachbelastung von Familie und Beruf ausgesetzt und sind stärker in das traditionelle soziale Netzwerk eingebunden.
Fernsehen und Glück
Macht Fernsehen glücklich oder unglücklich? Das Medium kann ohne Zweifel einen entspannenden Effekt haben – allerdings wirkt es auch sehr verführerisch, sodass es leicht zu Überkonsum kommt. Das Fernsehen sorgt dafür, dass weniger Zeit für andere Aktivitäten bleibt, und weckt Konsumwünsche, die möglicherweise nicht realisierbar sind, was wiederum die Unzufriedenheit steigert. Erhebungen zeigen, dass die Lebensunzufriedenheit bei Menschen, die ihren TV-Konsum nicht kontrollieren können, ausgeprägter ist. Der Umkehrschluss, für unglückliche Menschen sei das Fernsehen eine Art Lebensersatz, ist statistisch nicht erwiesen.