Autohersteller unter Druck
Die Autobauer, auch Original Equipment Manufacturers (OEMs) genannt, also die Unternehmen, die Autos bauen und unter eigenem Namen vermarkten, durchleben schwere Zeiten: Gesättigte Märkte, Überkapazitäten, Konsolidierungswellen und Rabattschlachten lassen sowohl das Neuwagengeschäft als auch die Gewinnmargen schrumpfen. Im Krisenjahr 2008 verbuchten die OEMs ein globales Umsatzminus von 14,5 %. Zunehmend verlieren die traditionellen Märkte in den Industrienationen an Bedeutung; Wachstumsimpulse gehen nur noch von den Schwellenländern aus. Der klassische westeuropäische Markt, auf dem die europäischen Hersteller dominieren, ist gesättigt, lediglich die osteuropäischen Schwellenländer haben noch Potenzial. Auch der US-amerikanische Markt verzeichnet rückläufige Absatzzahlen; außerdem dominieren hier die asiatischen Hersteller, nicht die amerikanischen oder europäischen. Der asiatische Markt ist sehr heterogen: In der entwickelten Industrienation Japan stagniert das Wachstum, für das zudem fast ausschließlich die einheimischen Produzenten verantwortlich sind. In den wichtigen Schwellenländern Indien und China sind trotz Krise positive Absatzzahlen zu vermelden, Tendenz weiterhin steigend. Viele der in den Heimatländern nicht mehr ausgelasteten amerikanischen und europäischen OEMs verlagern ihre Produktion in die zukunftsträchtigen Schwellenländer.
Die Märkte der Zukunft
In Indien hat sich in den letzten zehn Jahren eine breite Mittelschicht entwickelt, das Pro-Kopf-Einkommen hat sich von 500 auf 1000 $ verdoppelt. Immer mehr Familien können sich ein eigenes Auto leisten, viele Fahrzeuge werden aber auch im Familienverbund finanziert. Notwendig sind deshalb preiswerte Einstiegsmodelle (Low-Cost-Volumenmarkt) mit angepassten Finanzierungsformen. Derzeit dominieren einheimische Hersteller mit besonders kleinen und günstigen Fahrzeugen, die auf lokale Bedürfnisse abgestimmt sind. Problematisch sind vor allem die schlechte Infrastruktur (z. B. das Straßen- und Tankstellennetz) und der unzureichende Zugang zu Finanzdienstleistungen (z. B. Girokonten).
„Der Aufbau von hohen Überkapazitäten in den vergangenen Jahren hat dazu geführt, dass die gesamte Automobilindustrie vor einem Profitabilitätsproblem steht.“
In China ist der Markt von Joint Ventures fast aller großen Hersteller aus Europa, Asien und den USA geprägt. Starke staatliche Regulierungen und ein intransparenter, verzerrter Wettbewerb stehen der Internationalisierung entgegen. Die im Vergleich zu den Indern besser verdienenden Chinesen bevorzugen Mittelklassefahrzeuge, da diese einen höheren Prestigewert haben. Angesichts der jetzt schon immensen Umweltprobleme in China stellt das entsprechende Know-how der etablierten Hersteller einen Wettbewerbsvorteil dar; die Herausforderung ist jedoch das Erreichen marktgerechter Preise.
Strategische Fehler
Im Glauben an ewiges Wachstum haben es die OEMs lange Zeit versäumt, die Weichen rechtzeitig neu zu stellen. Lange Modellzyklen, zu langfristige Entwicklungs- und Herstellungszeiten und unflexible Strukturen bremsen die Branche. Speziell die unvermeidbare Umstellung auf alternative Antriebstechniken läuft nur sehr zögerlich an. Ein gestiegenes Umweltbewusstsein, Brennstoffknappheit und immer strengere Emissionsregeln werden diese Anpassungen erzwingen. Allerdings ist noch unklar, welche alternativen Technologien sich letztlich durchsetzen werden.
„Automobilhersteller, die keine eindeutige Volumen- bzw. Premiumstrategie verfolgen, werden langfristig mit erheblichen Schwierigkeiten rechnen müssen.“
Problematisch ist, dass der Herstelleranteil an der Wertschöpfung bei alternativen Antrieben mit rund 32 % deutlich geringer ist als bei konventionellen (51 %). Lösungsmöglichkeiten sind Zusammenschlüsse bzw. Kooperationen verschiedener Hersteller (horizontale Integration) oder Allianzen mit den Zulieferern bzw. anderen vor- und nachgelagerten Partnern (vertikale Integrationen). Die OEMs werden sich angesichts der schwierigen Situation zunehmend auf die Markenführung konzentrieren müssen. Den Zulieferern wird ein immer größerer Anteil der Produktion und der Wertschöpfungskette übertragen werden. Auch bei den traditionell sehr kleinteilig organisierten Zulieferern hat sich der Wettbewerbsdruck verschärft. Durch die damit verbundenen Konzentrationsprozesse entstehen so genannte Mega-Supplier mit breitem Produktportfolio und stärkerer Verhandlungsmacht. Zudem wird sich der Trend zu so genannten Plattformstrategien mit standardisierten Komponenten in den nächsten Jahren verstärken.
Chancen für klar positionierte Hersteller
Der Konzentrationsprozess der letzten 40 Jahre wird sich auch in Zukunft fortsetzen. Zugleich werden neue Marktteilnehmer ihre Chance bekommen, wenn sie das bislang vernachlässigte Feld der alternativen Antriebstechnologien besetzen. Grundsätzlich kann man die OEMs in Volumen- und in Premiumhersteller einteilen, wobei die Abgrenzung oft schwierig ist. Volumenhersteller (derzeit führend sind Toyota und VW) konzentrieren sich auf den Massenmarkt des extrem standardisierten Klein- und Mittelklassesegments, mit relativ geringen Margen. Die Herausforderung liegt hier in der Anpassung der Produkte an lokale Gegebenheiten. Die Chancen sind in der steigenden Nachfrage nach preiswerten Einstiegsmodellen zu sehen. Premiumhersteller wie Daimler und BMW dagegen bieten Luxuskarossen mit individueller Ausstattung und technologischen Vorteilen an. Sie leben von relativ geringen Stückzahlen bei höheren Margen. Auch hier ist mit Preisdruck und sinkenden Gewinnen zu rechnen, da die Nachfrage nach kleineren und verbrauchsgünstigeren Modellen zunimmt. In Zukunft werden sich die OEMs klarer positionieren müssen, um unter den geänderten Rahmenbedingungen (Nachhaltigkeitsbewusstsein, technologischer Fortschritt, uneingeschränkte Mobilität, gesellschaftliche Verantwortung) bestehen zu können. Hersteller ohne klare Wettbewerbsstrategie wie Nissan, Renault und Peugeot werden als Target-OEMs bezeichnet: Ihnen drohen Übernahmen, Joint Ventures oder die Insolvenz.
Die Übernahmeschlacht von Porsche und VW
Der spektakulärste Coup in der Automobilbranche der letzten Jahre war die gescheiterte Übernahme von VW durch Porsche. 2005 stieg der kleine, aber hochprofitable Autobauer Porsche beim sehr viel größeren, aber angeschlagenen VW-Konzern ein, der damals als Übernahmekandidat gehandelt wurde. Hauptgrund für dieses Engagement waren die strategischen Allianzen, da VW sowohl als Zulieferer als auch als Entwicklungspartner von Porsche eine wesentliche Rolle spielte. Porsche wollte sich mit der Beteiligung die eigene Profitabilität und Selbstständigkeit sichern. Außerdem wollte der damalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking die Sanierung von VW mitbestimmen. Zugleich gab es persönliche Animositäten zwischen Wiedeking und VW-Chef Ferdinand Piëch, einem Enkel des Porsche-Gründers.
„Deutliches Potenzial besteht aus globaler Sicht nur in den Wachstums- und Entwicklungsmärkten Chinas und Indiens.“
Porsche erhöhte seine Anteile nach und nach. Finanziert wurden die Zukäufe mit riskanten Finanztransaktionen, die nicht meldepflichtig waren und deshalb von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurden – bis mit dem Überschreiten der 30%-Schwelle das gesetzlich vorgeschriebene Pflichtangebot gemacht werden musste. Dieses war aber so unattraktiv, dass die Annahmequote mit 0,06 % verschwindend gering ausfiel. Porsche setzte bei seinen Zukäufen – gegen den Trend – auf stetig steigende VW-Kurse. Kurzfristig führte dies zu dem Phänomen, dass die VW-Aktie innerhalb von nur zwei Handelstagen von rund 210 € auf 945 € stieg.
„Durch den Aufbau des Einlagengeschäfts können sich die CFCs sehr günstig refinanzieren.“
Ausgelöst wurde die Kursexplosion durch Panikkäufe von Leerverkäufern, nachdem bekannt wurde, dass nur noch 5,9 % der Aktien auf dem Markt verfügbar waren. Zudem setzte man bei Porsche auf die Eliminierung des so genannten VW-Gesetzes, das u. a. die Stimmrechte der Aktionäre unabhängig von ihren tatsächlichen Anteilen auf 20 % begrenzte. Doch die Neuregelung des Gesetzes bestätigte die Sperrminorität von 20 % des Landes Niedersachsen – die geplante Einflussnahme war also faktisch nicht möglich. Zugleich machte die Weltwirtschaftskrise Porsche einen Strich durch die Rechnung: Der ehemals hochprofitable Autobauer hatte 2008 massive Absatzprobleme, und die Banken drehten dem Unternehmen den Geldhahn zu. Das Ergebnis ist bekannt: Wiedekings Strategie scheiterte. Nicht Porsche übernahm VW, sondern VW Porsche – als weitere Marke im Konzern.
Die Bedeutung der Autobanken
Der gescheiterte Übernahmeversuch macht deutlich, wie eng die strategischen Handlungsoptionen der Hersteller mit der Frage der Finanzierung verknüpft sind. Für den unternehmerischen Erfolg werden in Zukunft eine integrierte Finanzstrategie und neue Finanzprodukte von zentraler Bedeutung sein. Deshalb werden die herstellerverbundenen Finanzinstitute (Captive Finance Companies, CFCs) in Zukunft immer wichtiger sein. Ursprünglich gründete man diese so genannten Autobanken als Anbieter von Leasing- und Finanzierungsprodukten, um den Absatz der Fahrzeuge zu fördern und die Kundenbindung zu stärken. Die Herstellernähe bringt den CFCs Wettbewerbsvorteile: Informationsvorsprung, Querfinanzierungsmöglichkeiten, modellspezifische Konditionengestaltung sowie eine Platzierung beim Vertragshändler, dem zentralen Ansprechpartner beim Autokauf. Dazu profitieren die Anbieter vom Trend zur „One-Stop-Shopping-Mentalität“ des Kunden, der alles aus einer Hand bevorzugt.
Neue Perspektiven für Autobanken
Inzwischen haben sich die CFCs ebenfalls zu einem Finanzierungsinstrument für die Hersteller weiterentwickelt. Dementsprechend bieten viele dieser Finanzinstitute auch Dienstleistungen an, die mit dem Autokauf nichts zu tun haben, beispielsweise Girokonten, Tages- oder Termingelder. Sie agieren also mehr oder weniger wie eine normale Bank. Gerade in Krisenzeiten leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der Aktivitäten des Fahrzeugherstellers, etwa mit den Einlagen von Privatkunden, Verbriefungen oder der Begebung von Anleihen und anderen Wertpapieren. Allerdings wirken sich steigende Kapitalmarktzinsen hier stärker aus als bei klassischen Geschäftsbanken, da die CFCs über weniger alternative Refinanzierungsmöglichkeiten verfügen.
„CFCs sind bei der Expansion in die neuen Wachstumsmärkte unverzichtbar, da dort die Finanzinfrastruktur noch nicht gegeben ist.“
Unterschiede zwischen den CFCs zeigen sich u. a. in der rechtlichen Einbindung in den Mutterkonzern sowie im Markenauftritt: Während beispielsweise VW mit eigenständigen Bankmarken wie Audi Bank, Seat Bank usw. arbeitet, wickelt BMW Finanztransaktionen für alle Marken einheitlich über die BMW Bank ab. Da aufgrund gesetzlicher Neuregelungen immer mehr Vertragshändler auch Autos anderer Hersteller im Sortiment führen, stellt sich zunehmend die Frage nach der Finanzierung von Fremdfahrzeugen. Dieses Zusatzgeschäft birgt das Risiko der Kannibalisierung eigener Marken. Neben den genannten Tätigkeiten werden verstärkt weitere Dienstleistungen rund um das Auto angeboten, beispielsweise Versicherung oder Flottenmanagement. Schon jetzt sind CFCs eine der wichtigsten Ertragsquellen der OEMs, bei Daimler beispielsweise tragen sie rund 32 % des Gesamtergebnisses bei. Allerdings steigt der Wettbewerbsdruck: Auch herstellerunabhängige Banken, Leasinggesellschaften und Mietwagenfirmen drängen in den lukrativen Markt.
„Die Captives sollten ihren Fokus deutlicher auf den Markt für Gebrauchtwagenfinanzierung legen.“
Die strategischen Herausforderungen der nächsten Jahre liegen zum einen im Aufbau von eigenen Strukturen in den Schwellenländern: Für die Erschließung dieser Wachstumsmärkte werden CFCs eine zentrale strategische Bedeutung haben, da dort der Finanzsektor stark unterentwickelt ist. Zum anderen müssen die Strukturen in den entwickelten Märkten verändert werden. Hierzu gehören beispielsweise die stärkere Finanzierung von Gebrauchtfahrzeugen statt, wie bisher, von Neufahrzeugen, aber auch die Weiterentwicklung des derzeit kriselnden Geschäfts mit den Flottenkunden, eine stärker bonitätsabhängige Konditionengestaltung, um die gestiegenen Kreditausfallraten abzufangen, sowie der Aufbau länderübergreifender Strukturen, der Ausbau des eigenständigen Zugangs zu den Kapitalmärkten und der Aufbau eines integrierten Risiko-, Refinanzierungs- und Liquiditätsmanagements.