Feel it!

Buch Feel it!

So viel Intuition verträgt Ihr Unternehmen

Wiley-VCH,


Rezension

„Bauchfrei ist out“, sagt Andreas Zeuch – und plädiert für Entschei­dun­gen, die nicht mit Verstand getroffen werden, sondern mit Gefühl. Denn Unternehmen, die sich allein auf Zahlen, Daten und Fakten verlassen, werden schwerfällig, und die Motivation der Mitarbeiter leidet unter dem starren Denken. Wer dagegen auf Intuition setzt und von den stan­dar­d­isierten Entschei­dungswe­gen abweicht, hat bessere Chancen auf bahn­brechende Erfolge. Zeuch gibt allerdings zu, dass Intuition allein nicht genügt und dass Gefühle auch täuschen können. Anders gesagt: Auch wer intuitiv entscheidet, greift ab und zu daneben. Alles in allem überwiegen nach Meinung des Autors aber die Vorteile des Entschei­dens aus dem Bauch heraus – zumal selbst bei rationalen Entschei­dun­gen stets Gefühle im Spiel sind. Interessant sind die vielen Beispiele aus der Praxis, die diesen Ansatz ve­r­an­schaulichen. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Führungskräften, die mehr Raum schaffen wollen für Gefühle, Flexibilität und Vertrauen.

Take-aways

  • Gefühle spielen bei jeder Entschei­dung eine Rolle, selbst bei ver­meintlich rein rationalen.
  • Das Sammeln und Auswerten von Daten kann enorm aufwändig sein und rationale Entschei­dun­gen vereiteln.
  • Das Verhältnis von In­for­ma­tion­s­menge und Entschei­dungsqualität verläuft nicht linear.
  • Intuition hat einen großen Vorteil: Mit ihr können Sie schneller entscheiden.
  • Langjährige Erfahrung kann von Nachteil sein und den Blickwinkel einschränken.
  • Lassen Sie Ihre Entschei­dun­gen von un­beteiligten Personen oder Anfängern begutachten.
  • Achten Sie auf die Signale, die Ihnen Ihr Körper in wichtigen Gesprächen sendet: von Herzklopfen über Bluthochdruck bis hin zu Rück­enspan­nun­gen.
  • Hüten Sie sich vor klassischen In­tu­itions­fehlern, etwa davor, von einem Detail aufs Ganze zu schließen.
  • Hi­er­ar­chis­che, zen­tral­isierte Fir­men­struk­turen de­mo­tivieren die Mitarbeiter.
  • Sorgen Sie für Selb­stor­gan­i­sa­tion, Anfängergeist, Fehler­fre­undlichkeit, „Möglichkeitsräume“ und Vertrauen.
 

Zusammenfassung

Weniger Wissen ist mehr

Man kann Betriebsführung streng wis­senschaftlich angehen. Aber würden so viele Firmen pleitegehen, wenn das wirklich eine gute Methode wäre? Warum scheitern Fusionen und Übernahmen? Hängt es lediglich damit zusammen, dass die Führungsspitzen unfähig sind, die Regeln zu befolgen? Wohl kaum. Management als Wis­senschaft zu betreiben, würde bedeuten, Gefühle und Intuition auszuschließen. Das aber ist gar nicht möglich und deshalb Unfug. Emotionen sind immer ein zentraler Punkt unserer Entschei­dun­gen, Gefühle lassen sich nicht wie eine Lampe ausknipsen. Gerade wenn ein Unternehmer strategisch wichtige Entschei­dun­gen mit langfristiger Wirkung treffen muss, sind die berühmten Soft Skills besonders wichtig.

„Kopf oder Bauch ist eine unsinnige Frage. Das eine existiert nicht ohne das andere.“

Zudem müssen wir anerkennen, dass dem rationalen Denken Grenzen gesetzt sind. Ende der 1980er Jahre führte der Psychologe Paul Andreassen am Mass­a­chu­setts Institute of Technology (MIT) eine Studie unter Börsianern durch. Er teilte seine Probanden in zwei Gruppen ein. Die erste versorgte er mit sehr vielen In­for­ma­tio­nen über die ständigen Kursänderungen der Aktien. Der zweiten gab er nur sehr wenige, besonders wichtige In­for­ma­tio­nen. Es stellte sich heraus, dass die „überin­formierte“ Gruppe bei der Ak­tien­auswahl deutlich schlechter abschnitt. Zu viel Wissen und zu viel Rationalität können also durchaus schädlich sein. Wichtig ist die innere Stimme, auf die Sie hören sollten, bevor Sie wichtige Entschei­dun­gen fällen. Der Vorteil dieses eingebauten Ratgebers: Er kostet nichts und ist ehrlich. Wenn Ihre innere Stimme Sie warnt, sollten Sie diese Skepsis ernst nehmen.

„Wir können nicht nicht entscheiden.“

Was die Intuition dem langen Nachdenken außerdem voraus hat, ist die Schnel­ligkeit bei der Entschei­dungs­find­ung. Man kommt ohne die um­fan­gre­iche Analyse von Daten­paketen aus. Wenn in unserem Unbewussten ein Impuls entsteht, hat zuvor bereits eine innere In­for­ma­tionsver­ar­beitung stattge­fun­den. Stellen Sie sich einen Schachgroßmeister vor, der bis zu 50 000 Spiel­si­t­u­a­tio­nen in seinem Gehirn gespeichert hat; eine neue Spiel­si­t­u­a­tion gleicht er blitzschnell mit diesen Mustern ab und findet intuitiv den richtigen Zug. Wer dagegen umständlich Daten auswertet, muss wissen, dass das Verhältnis von In­for­ma­tion­s­menge und Entschei­dungsqualität nicht linear verläuft. Irgendwann erreichen Sie einen Punkt, an dem Sie die restlichen Daten nur noch mit einem immensen Mehraufwand erhalten können. Sie müssen sich das wie eine Glock­enkurve vorstellen, an deren aus­laufen­dem Ende Sie ent­langge­hen – obwohl Sie eigentlich längst wissen, was Sie wissen müssen.

Nichtwissen, Widersprüche und Missverständnisse

Auf unsere Intuition greifen wir immer dann zurück, wenn das In­for­ma­tion­sange­bot prob­lema­tisch ist. Dafür kann es fünf ver­schiedene Gründe geben:

  1. Die In­for­ma­tio­nen fehlen.
  2. Wir haben zu viele In­for­ma­tio­nen.
  3. Die In­for­ma­tio­nen wider­sprechen sich.
  4. Es handelt sich um unverständliche In­for­ma­tio­nen.
  5. Wir vertrauen den In­for­ma­tio­nen nicht.
„Wir sind nur in der Lage, ein bestimmtes Quantum an Daten aufzunehmen, dann ist Schluss.“

Die In­for­ma­tions­flut, die uns heute überschwemmt, lässt sich nicht mehr kon­trol­lieren. Wir entdecken eine Vielzahl von Widersprüchen in den Daten und versuchen verzweifelt, daraus schlau zu werden. Natürlich können wir versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen, um die Widersprüchlichkeit aufzuklären. Aber das kann sehr zeitaufwändig sein. Gut möglich, dass ein bestimmter Widerspruch durch gezielte Fehlin­for­ma­tion entstanden ist, beispiel­sweise wenn ein Unternehmen die geplante Übernahme eines Konkur­renten dementiert. Verstehen wir etwas nicht, bleibt uns nur das Raten oder Erahnen. Oft führt dies zu einer Entschei­dungslähmung. Noch schlimmer sind Missverständnisse: Wir glauben die Zusammenhänge zu verstehen, was aber nicht der Fall ist. Die Folge sind Fehlentschei­dun­gen.

„Menschen, die in einer bestimmten Domäne erfahren sind, zeigen bessere Leistungen, wenn sie weniger In­for­ma­tio­nen bewusst aufnehmen und verarbeiten.“

Versuchen Sie, nicht auf verlogene In­for­ma­tion­sstrate­gien here­inz­u­fallen, wie man sie etwa in der Politik, aber auch in vielen Unternehmen antrifft. So ist bei Baupro­jek­ten oft zu beobachten, dass das ursprünglich vereinbarte Budget bis zur Fer­tig­stel­lung deutlich überzogen wird. Beispiel­sweise kostete das Opernhaus in Sydney 102 Millionen aus­tralis­che Dollar statt der ve­r­an­schlagten 7 Millionen. Zu solchen Fehlin­for­ma­tio­nen kommt es, wenn viele involvierte Personen unbedingt wollen, dass ein Projekt umgesetzt wird. Auch in der Politik werden vor Wahlen gerne Versprechen gemacht, die man später nicht hält.

Das Bauchgefühl ist kein All­heilmit­tel

Menschen neigen dazu, eine Situation vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung einzuschätzen. Es kann sich aber lohnen, sich von der Erfahrung zu lösen und offen zu re­flek­tieren. Im Idealfall betrachten Sie die Situation aus zwei Per­spek­tiven: aus der Sicht eines Anfängers und aus der eines Experten. So können Sie Missverständnisse vermeiden und neue Blick­rich­tun­gen gewinnen.

„Intuition ist im Zusam­men­spiel mit unseren Emotionen die Vo­raus­set­zung er­fol­gre­ichen Denkens und Entschei­dens und kann nicht willentlich abgeschal­tet werden.“

Die Intuition ist durchaus auch fehleranfällig – gerade weil wir auf unsere Erfahrung zurückgreifen, wenn wir intuitiv entscheiden. Die Erfahrung schränkt unseren Blickwinkel ein; wir neigen dazu, alles durch unsere Ex­perte­nau­gen zu betrachten. Es droht die Gefahr der Selbstüberschätzung. So hatte etwa Kapitän Edward John Smith 45 Jahre lang auf hoher See Erfahrung gesammelt und konnte sich nach eigener Aussage „keine lebensgefährliche Katastrophe vorstellen“. Er galt als einer der besten Kapitäne seiner Zeit, Reedereien umwarben ihn. Kurz bevor er in den Ruhestand treten wollte, erhielt er den Auftrag, die Jungfer­n­fahrt der Titanic zu be­w­erk­stel­li­gen – das Ende kennen Sie.

„Die Pro­fes­sion­al­isierung Ihrer Intuition bedeutet auch, dass Sie sich Klarheit darüber verschaffen müssen, wie anfällig Sie für den Halo- und Teufelsef­fekt sind.“

Was führt uns zu Fehlurteilen und verfälscht unsere Entschei­dun­gen?

  1. Festlegung: Menschen neigen dazu, an gewohnten Strategien und Entschei­dun­gen festzuhal­ten, selbst wenn diese zum Scheitern verurteilt sind.
  2. Halo- und Teufelsef­fekt: Unter dem Haloeffekt versteht man die Schlussfol­gerung von wenigen guten Eigen­schaften auf ein insgesamt positives Bild. So schließen Menschen etwa von den blank geputzten Schuhen und der Pünktlichkeit eines Bewerbers auf dessen hohe Kompetenz. Umgekehrt bewirkt der Teufelsef­fekt, dass eine einzelne schlechte Eigenschaft zu einem insgesamt schlechten Image führt.
  3. Repräsentativitätsheuristik: Je mehr ein Mensch oder eine Situation einer Gruppe von Menschen oder Situationen ähnelt, desto mehr neigen wir dazu, den Menschen oder die Situation dieser Gruppe zuzuordnen.
  4. Urteilsverz­er­rung: Menschen urteilen aufgrund des ersten Eindrucks. Haben wir uns erst einmal entschieden, fällt es uns schwer, unsere Meinung zu ändern.
  5. Verfügbarkeit­sheuris­tik: Je leichter wir uns an etwas erinnern, desto wahrschein­licher scheint uns eine entsprechende Situation.
  6. Ver­lustver­mei­dung: Verluste schmerzen uns mehr, als uns Gewinne freuen.
  7. Wertzuweisung: Wir beurteilen Menschen aufgrund subjektiver Eindrücke.

Wie Sie Ihre Intuition pro­fes­sion­al­isieren

Grundsätzlich sollten sowohl Berufsanfänger als auch alte Hasen auf die Intuition setzen. Das kann gerade bei Neue­in­stel­lun­gen sehr befruchtend sein und die Firma in eine neue aus­sicht­sre­iche Richtung führen. Fördern Sie die aktive Einbindung Ihrer Mitarbeiter, damit diese schnell Erfahrung bezüglich Fachwissen, Sozialkom­pe­tenz und Meth­o­d­enkom­pe­tenz sammeln und eine pro­fes­sionelle Intuition entwickeln. Verwechseln Sie aber Intuition nicht mit Instinkt: Instinkt ist lediglich ein Reflex, der nicht kreativ ist. Er kann ein Problem möglicher­weise vergrößern.

„Scheuen Sie sich nicht, auch die Intuition der Berufsanfänger in Ihrem Unternehmen ernst zu nehmen und zu fördern.“

Wenn Sie mit Intuition erfolgreich sein wollen, brauchen Sie Zeit, Geduld, Fleiß, Motivation und Frus­tra­tionstol­er­anz. Seien Sie der Intuition gegenüber aufgeschlossen – der Glaube versetzt Berge. Nehmen Sie Abschied von der Vorstellung, dass sich alles fein säuberlich planen lässt. Sehen Sie Überraschun­gen als Chancen.

„Misstrauen tötet nicht nur jegliche Motivation, sondern auch alle evtl. noch vorhandenen intuitiven Ressourcen.“

Intuition ist eine bei jedem Menschen vorhandene, natürliche Fähigkeit. Wenn Sie wichtige Gespräche führen, etwa mit Ihrem Hauptkunden oder Lieferanten, achten Sie auf die Fakten und Ihre Innenwelt. Was fühlen Sie, welche Signale (Gefühle, Stimmungen, innere Stimmen) sendet Ihnen Ihr Körper? Verspüren Sie eine positive Aufregung mit einem erhöhten Herzschlag und Blutdruck, ist das ein gutes Zeichen. Spüren Sie hingegen eine Verspannung im Rücken, ist das ein schlechtes Signal. Meditation ist eine Methode, die Ihnen dabei hilft, spir­itueller zu handeln und die Achtsamkeit für solche Zeichen zu erhöhen. Setzen Sie außerdem auf die Di­alog­meth­ode, wie sie an der Sloan School of Management entwickelt wurde: Grup­penge­spräche, bei denen nicht nur Argumente aus­ge­tauscht werden, sondern auch nach den Ursachen der Meinungen geforscht wird.

So vermeiden Sie Fehler

Pro­fes­sionelle Intuition heißt nichts anderes, als den intuitiven Prozess kritisch zu hin­ter­fra­gen. Machen Sie sich die folgenden Fehlerquellen bewusst:

  1. Wahrnehmungs­fehler: Versuchen Sie in freien Minuten, nicht aktiv nachzu­denken oder innere Monologe zu führen. Üben Sie sich im bloßen Wahrnehmen.
  2. Er­fol­gs­fallen: Holen Sie sich Rat von außerhalb. Lassen Sie Un­beteiligte oder Anfänger begutachten, wie Sie Ihre Aufgaben erledigen.
  3. Ankereffekt: Menschen werden von Daten, die sie kurz vor einer Entschei­dung erhalten, beeinflusst, selbst wenn diese mit der Entschei­dung überhaupt nichts zu tun haben. Sorgen Sie deshalb für ein paar Minuten Ruhe, bevor Sie sich entscheiden. Schalten Sie Ihr Handy aus, sitzen Sie entspannt und schließen Sie Ihre Augen. Nehmen Sie Ihren Atem und Ihren Körper wahr.
  4. Um­feldein­bindung: Öffnen Sie sich für un­wahrschein­liche Ereignisse, ändern Sie Ihre Er­wartung­shal­tung und damit Ihre Wahrnehmung. Sie können mehr Chancen und Risiken entdecken.
  5. Erwartungen: Seien Sie vorsichtig mit Erwartungen gegenüber Mi­tar­beit­ern. Fragen Sie sich: Wie un­ter­schei­den sich die guten von den schwachen Mi­tar­beit­ern? Kam Ihre Er­wartung­shal­tung zufällig zustande?
  6. Übertragung: Passen Sie auf, dass Sie nicht etwas auf einen Menschen übertragen, nur weil Sie die Person an jemand anderen erinnert.
  7. Halo- und Teufelsef­fekt: Führt lediglich der Name einer Person, das Aussehen, die Kleidung, die Haare zu einem Vorurteil?
  8. Schwarmintel­li­genz: Arbeiten Sie mit anderen im Team zusammen. Haben Sie beispiel­sweise eine Idee, so tauschen Sie sich intensiv mit anderen aus. Auf diese Weise können Sie verhindern, dass Sie träumerische Ziele verfolgen.
„Eine Ver­trauen­skul­tur schlägt jede Mis­strauen­skul­tur, die irgendwann in sich zusam­men­bricht.“

Noch ein Wort zum Unternehmen: Hi­er­ar­chis­che Or­gan­i­sa­tio­nen de­mo­tivieren Mitarbeiter. Studien belegen, dass die emotionale Bindung ans Unternehmen in Hi­er­ar­chiestruk­turen dramatisch sinkt. Fördern Sie daher Anfängergeist, Selb­stor­gan­i­sa­tion und eine Kultur der Fehler­fre­undlichkeit. Schaffen Sie in Ihrem Betrieb „Möglichkeitsräume“ – das wird Ihre Mitarbeiter beflügeln und das gegen­seit­ige Vertrauen stärken.

Über den Autor

Andreas Zeuch ist Berater, Trainer und Coach und hilft Unternehmen und Or­gan­i­sa­tio­nen bei der Entwicklung einer pro­fes­sionellen Entschei­dungskul­tur.