Weniger Wissen ist mehr
Man kann Betriebsführung streng wissenschaftlich angehen. Aber würden so viele Firmen pleitegehen, wenn das wirklich eine gute Methode wäre? Warum scheitern Fusionen und Übernahmen? Hängt es lediglich damit zusammen, dass die Führungsspitzen unfähig sind, die Regeln zu befolgen? Wohl kaum. Management als Wissenschaft zu betreiben, würde bedeuten, Gefühle und Intuition auszuschließen. Das aber ist gar nicht möglich und deshalb Unfug. Emotionen sind immer ein zentraler Punkt unserer Entscheidungen, Gefühle lassen sich nicht wie eine Lampe ausknipsen. Gerade wenn ein Unternehmer strategisch wichtige Entscheidungen mit langfristiger Wirkung treffen muss, sind die berühmten Soft Skills besonders wichtig.
„Kopf oder Bauch ist eine unsinnige Frage. Das eine existiert nicht ohne das andere.“
Zudem müssen wir anerkennen, dass dem rationalen Denken Grenzen gesetzt sind. Ende der 1980er Jahre führte der Psychologe Paul Andreassen am Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Studie unter Börsianern durch. Er teilte seine Probanden in zwei Gruppen ein. Die erste versorgte er mit sehr vielen Informationen über die ständigen Kursänderungen der Aktien. Der zweiten gab er nur sehr wenige, besonders wichtige Informationen. Es stellte sich heraus, dass die „überinformierte“ Gruppe bei der Aktienauswahl deutlich schlechter abschnitt. Zu viel Wissen und zu viel Rationalität können also durchaus schädlich sein. Wichtig ist die innere Stimme, auf die Sie hören sollten, bevor Sie wichtige Entscheidungen fällen. Der Vorteil dieses eingebauten Ratgebers: Er kostet nichts und ist ehrlich. Wenn Ihre innere Stimme Sie warnt, sollten Sie diese Skepsis ernst nehmen.
„Wir können nicht nicht entscheiden.“
Was die Intuition dem langen Nachdenken außerdem voraus hat, ist die Schnelligkeit bei der Entscheidungsfindung. Man kommt ohne die umfangreiche Analyse von Datenpaketen aus. Wenn in unserem Unbewussten ein Impuls entsteht, hat zuvor bereits eine innere Informationsverarbeitung stattgefunden. Stellen Sie sich einen Schachgroßmeister vor, der bis zu 50 000 Spielsituationen in seinem Gehirn gespeichert hat; eine neue Spielsituation gleicht er blitzschnell mit diesen Mustern ab und findet intuitiv den richtigen Zug. Wer dagegen umständlich Daten auswertet, muss wissen, dass das Verhältnis von Informationsmenge und Entscheidungsqualität nicht linear verläuft. Irgendwann erreichen Sie einen Punkt, an dem Sie die restlichen Daten nur noch mit einem immensen Mehraufwand erhalten können. Sie müssen sich das wie eine Glockenkurve vorstellen, an deren auslaufendem Ende Sie entlanggehen – obwohl Sie eigentlich längst wissen, was Sie wissen müssen.
Nichtwissen, Widersprüche und Missverständnisse
Auf unsere Intuition greifen wir immer dann zurück, wenn das Informationsangebot problematisch ist. Dafür kann es fünf verschiedene Gründe geben:
- Die Informationen fehlen.
- Wir haben zu viele Informationen.
- Die Informationen widersprechen sich.
- Es handelt sich um unverständliche Informationen.
- Wir vertrauen den Informationen nicht.
„Wir sind nur in der Lage, ein bestimmtes Quantum an Daten aufzunehmen, dann ist Schluss.“
Die Informationsflut, die uns heute überschwemmt, lässt sich nicht mehr kontrollieren. Wir entdecken eine Vielzahl von Widersprüchen in den Daten und versuchen verzweifelt, daraus schlau zu werden. Natürlich können wir versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen, um die Widersprüchlichkeit aufzuklären. Aber das kann sehr zeitaufwändig sein. Gut möglich, dass ein bestimmter Widerspruch durch gezielte Fehlinformation entstanden ist, beispielsweise wenn ein Unternehmen die geplante Übernahme eines Konkurrenten dementiert. Verstehen wir etwas nicht, bleibt uns nur das Raten oder Erahnen. Oft führt dies zu einer Entscheidungslähmung. Noch schlimmer sind Missverständnisse: Wir glauben die Zusammenhänge zu verstehen, was aber nicht der Fall ist. Die Folge sind Fehlentscheidungen.
„Menschen, die in einer bestimmten Domäne erfahren sind, zeigen bessere Leistungen, wenn sie weniger Informationen bewusst aufnehmen und verarbeiten.“
Versuchen Sie, nicht auf verlogene Informationsstrategien hereinzufallen, wie man sie etwa in der Politik, aber auch in vielen Unternehmen antrifft. So ist bei Bauprojekten oft zu beobachten, dass das ursprünglich vereinbarte Budget bis zur Fertigstellung deutlich überzogen wird. Beispielsweise kostete das Opernhaus in Sydney 102 Millionen australische Dollar statt der veranschlagten 7 Millionen. Zu solchen Fehlinformationen kommt es, wenn viele involvierte Personen unbedingt wollen, dass ein Projekt umgesetzt wird. Auch in der Politik werden vor Wahlen gerne Versprechen gemacht, die man später nicht hält.
Das Bauchgefühl ist kein Allheilmittel
Menschen neigen dazu, eine Situation vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung einzuschätzen. Es kann sich aber lohnen, sich von der Erfahrung zu lösen und offen zu reflektieren. Im Idealfall betrachten Sie die Situation aus zwei Perspektiven: aus der Sicht eines Anfängers und aus der eines Experten. So können Sie Missverständnisse vermeiden und neue Blickrichtungen gewinnen.
„Intuition ist im Zusammenspiel mit unseren Emotionen die Voraussetzung erfolgreichen Denkens und Entscheidens und kann nicht willentlich abgeschaltet werden.“
Die Intuition ist durchaus auch fehleranfällig – gerade weil wir auf unsere Erfahrung zurückgreifen, wenn wir intuitiv entscheiden. Die Erfahrung schränkt unseren Blickwinkel ein; wir neigen dazu, alles durch unsere Expertenaugen zu betrachten. Es droht die Gefahr der Selbstüberschätzung. So hatte etwa Kapitän Edward John Smith 45 Jahre lang auf hoher See Erfahrung gesammelt und konnte sich nach eigener Aussage „keine lebensgefährliche Katastrophe vorstellen“. Er galt als einer der besten Kapitäne seiner Zeit, Reedereien umwarben ihn. Kurz bevor er in den Ruhestand treten wollte, erhielt er den Auftrag, die Jungfernfahrt der Titanic zu bewerkstelligen – das Ende kennen Sie.
„Die Professionalisierung Ihrer Intuition bedeutet auch, dass Sie sich Klarheit darüber verschaffen müssen, wie anfällig Sie für den Halo- und Teufelseffekt sind.“
Was führt uns zu Fehlurteilen und verfälscht unsere Entscheidungen?
- Festlegung: Menschen neigen dazu, an gewohnten Strategien und Entscheidungen festzuhalten, selbst wenn diese zum Scheitern verurteilt sind.
- Halo- und Teufelseffekt: Unter dem Haloeffekt versteht man die Schlussfolgerung von wenigen guten Eigenschaften auf ein insgesamt positives Bild. So schließen Menschen etwa von den blank geputzten Schuhen und der Pünktlichkeit eines Bewerbers auf dessen hohe Kompetenz. Umgekehrt bewirkt der Teufelseffekt, dass eine einzelne schlechte Eigenschaft zu einem insgesamt schlechten Image führt.
- Repräsentativitätsheuristik: Je mehr ein Mensch oder eine Situation einer Gruppe von Menschen oder Situationen ähnelt, desto mehr neigen wir dazu, den Menschen oder die Situation dieser Gruppe zuzuordnen.
- Urteilsverzerrung: Menschen urteilen aufgrund des ersten Eindrucks. Haben wir uns erst einmal entschieden, fällt es uns schwer, unsere Meinung zu ändern.
- Verfügbarkeitsheuristik: Je leichter wir uns an etwas erinnern, desto wahrscheinlicher scheint uns eine entsprechende Situation.
- Verlustvermeidung: Verluste schmerzen uns mehr, als uns Gewinne freuen.
- Wertzuweisung: Wir beurteilen Menschen aufgrund subjektiver Eindrücke.
Wie Sie Ihre Intuition professionalisieren
Grundsätzlich sollten sowohl Berufsanfänger als auch alte Hasen auf die Intuition setzen. Das kann gerade bei Neueinstellungen sehr befruchtend sein und die Firma in eine neue aussichtsreiche Richtung führen. Fördern Sie die aktive Einbindung Ihrer Mitarbeiter, damit diese schnell Erfahrung bezüglich Fachwissen, Sozialkompetenz und Methodenkompetenz sammeln und eine professionelle Intuition entwickeln. Verwechseln Sie aber Intuition nicht mit Instinkt: Instinkt ist lediglich ein Reflex, der nicht kreativ ist. Er kann ein Problem möglicherweise vergrößern.
„Scheuen Sie sich nicht, auch die Intuition der Berufsanfänger in Ihrem Unternehmen ernst zu nehmen und zu fördern.“
Wenn Sie mit Intuition erfolgreich sein wollen, brauchen Sie Zeit, Geduld, Fleiß, Motivation und Frustrationstoleranz. Seien Sie der Intuition gegenüber aufgeschlossen – der Glaube versetzt Berge. Nehmen Sie Abschied von der Vorstellung, dass sich alles fein säuberlich planen lässt. Sehen Sie Überraschungen als Chancen.
„Misstrauen tötet nicht nur jegliche Motivation, sondern auch alle evtl. noch vorhandenen intuitiven Ressourcen.“
Intuition ist eine bei jedem Menschen vorhandene, natürliche Fähigkeit. Wenn Sie wichtige Gespräche führen, etwa mit Ihrem Hauptkunden oder Lieferanten, achten Sie auf die Fakten und Ihre Innenwelt. Was fühlen Sie, welche Signale (Gefühle, Stimmungen, innere Stimmen) sendet Ihnen Ihr Körper? Verspüren Sie eine positive Aufregung mit einem erhöhten Herzschlag und Blutdruck, ist das ein gutes Zeichen. Spüren Sie hingegen eine Verspannung im Rücken, ist das ein schlechtes Signal. Meditation ist eine Methode, die Ihnen dabei hilft, spiritueller zu handeln und die Achtsamkeit für solche Zeichen zu erhöhen. Setzen Sie außerdem auf die Dialogmethode, wie sie an der Sloan School of Management entwickelt wurde: Gruppengespräche, bei denen nicht nur Argumente ausgetauscht werden, sondern auch nach den Ursachen der Meinungen geforscht wird.
So vermeiden Sie Fehler
Professionelle Intuition heißt nichts anderes, als den intuitiven Prozess kritisch zu hinterfragen. Machen Sie sich die folgenden Fehlerquellen bewusst:
- Wahrnehmungsfehler: Versuchen Sie in freien Minuten, nicht aktiv nachzudenken oder innere Monologe zu führen. Üben Sie sich im bloßen Wahrnehmen.
- Erfolgsfallen: Holen Sie sich Rat von außerhalb. Lassen Sie Unbeteiligte oder Anfänger begutachten, wie Sie Ihre Aufgaben erledigen.
- Ankereffekt: Menschen werden von Daten, die sie kurz vor einer Entscheidung erhalten, beeinflusst, selbst wenn diese mit der Entscheidung überhaupt nichts zu tun haben. Sorgen Sie deshalb für ein paar Minuten Ruhe, bevor Sie sich entscheiden. Schalten Sie Ihr Handy aus, sitzen Sie entspannt und schließen Sie Ihre Augen. Nehmen Sie Ihren Atem und Ihren Körper wahr.
- Umfeldeinbindung: Öffnen Sie sich für unwahrscheinliche Ereignisse, ändern Sie Ihre Erwartungshaltung und damit Ihre Wahrnehmung. Sie können mehr Chancen und Risiken entdecken.
- Erwartungen: Seien Sie vorsichtig mit Erwartungen gegenüber Mitarbeitern. Fragen Sie sich: Wie unterscheiden sich die guten von den schwachen Mitarbeitern? Kam Ihre Erwartungshaltung zufällig zustande?
- Übertragung: Passen Sie auf, dass Sie nicht etwas auf einen Menschen übertragen, nur weil Sie die Person an jemand anderen erinnert.
- Halo- und Teufelseffekt: Führt lediglich der Name einer Person, das Aussehen, die Kleidung, die Haare zu einem Vorurteil?
- Schwarmintelligenz: Arbeiten Sie mit anderen im Team zusammen. Haben Sie beispielsweise eine Idee, so tauschen Sie sich intensiv mit anderen aus. Auf diese Weise können Sie verhindern, dass Sie träumerische Ziele verfolgen.
„Eine Vertrauenskultur schlägt jede Misstrauenskultur, die irgendwann in sich zusammenbricht.“
Noch ein Wort zum Unternehmen: Hierarchische Organisationen demotivieren Mitarbeiter. Studien belegen, dass die emotionale Bindung ans Unternehmen in Hierarchiestrukturen dramatisch sinkt. Fördern Sie daher Anfängergeist, Selbstorganisation und eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit. Schaffen Sie in Ihrem Betrieb „Möglichkeitsräume“ – das wird Ihre Mitarbeiter beflügeln und das gegenseitige Vertrauen stärken.