Aus meinem Leben

Buch Aus meinem Leben

Leipzig, 1822 bis 1828
Diese Ausgabe: Reclam,


Worum es geht

Der größte Verführer aller Zeiten

Wer Casanovas Memoiren vor allem wegen der erotischen Schilderun­gen liest, kommt natürlich auf seine Kosten. So freizügig der venezian­is­che Glücksritter im wahren Leben seinem Trieb folgte, so großzügig lässt er seine Leser an den Früchten dieses Lebens teilhaben. Das geht sogar so weit, dass Stefan Zweig sich über „ein fleis­ch­far­benes Gelee warmer, wollüstiger Frauenkörper“ beschwerte. Für den historisch In­ter­essierten ist die Tafel aber ebenfalls reich gedeckt: Casanovas Erin­nerun­gen bieten ein breites und tiefen­schar­fes Panorama des 18. Jahrhun­derts, des Zeitalters der Aufklärung. Zumal der reisewütige Salonlöwe Casanova ein geradezu For­rest-Gump-haftes Talent beweist, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Das Er­staunlich­ste aber an diesem Buch ist die schiere Tatsache seiner Existenz. Was alles zusam­menkom­men musste: ein für die Liebe geschaf­fener Körper, ein zur Verführung geschaf­fener Geist, der Mut eines Eroberers, die Feder eines Literaten, ein freier, ungetrübter Blick, ein her­vor­ra­gen­des Gedächtnis, zahlreiche Gefahren und ebenso viele rettende Zufälle. Zwar empfiehlt sich die Geschichte nicht zur Nachahmung, dafür umso mehr zum Nachlesen.

Take-aways

  • Die Memoiren des Abenteurers und Frauen­helden Casanova zählen zu den berühmtesten au­to­bi­ografis­chen Schriften.
  • Inhalt: Auf der Suche nach Abenteuern aller Art und manchmal auch auf der Flucht vor dem Gesetz reist Casanova quer durch Europa. Während dieser Zeit übt er un­ter­schiedliche Berufe aus, begegnet zahlreichen prominenten Persönlichkeiten und verführt unzählige Frauen.
  • Das Buch ist gespickt mit unverblümten sexuellen Darstel­lun­gen.
  • Casanova ist ein uneitler Erzähler seines Lebens, der neben seinen Erfolgen auch Misserfolge, Demütigungen und regelrechte Blamagen schildert.
  • Casanovas Erin­nerun­gen sind mit ihrer Überfülle von Details eine der be­deu­tend­sten Quellen für die Erforschung des 18. Jahrhun­derts.
  • Der Glücksritter und Tausend­sassa Casanova profitierte von der Langeweile, die zu seiner Zeit viele Herrscher und Adlige plagte.
  • Obwohl Casanova so diskret war, die Identität vieler Personen zu ver­schleiern, hat die Forschung inzwischen fast alle Inkognitos enträtselt.
  • Casanova schrieb seine Lebens­geschichte erst im hohen Alter nieder, als Schloss­bib­lio­thekar eines böhmischen Grafen.
  • So sehr Casanova den aktiven Abschnitt seines Lebens genossen hatte, so sehr fühlte er sich im Alter vom Schwinden seiner körperlichen Kräfte gedemütigt.
  • Zitat: „Da ich mich für das andere Geschlecht geboren fühlte, habe ich es stets geliebt und habe alles darange­setzt, seine Liebe zu gewinnen. Ich liebte auch mit Hingabe eine gute Tafel, und überhaupt lei­den­schaftlich alles, was meine Neugier erregte.“
 

Zusammenfassung

Casanova lernt küssen

Der zehnjährige Casanova lebt und lernt bei Doktor Gozzi in Padua. Hier trifft er auf die 13-jährige Bettina, Gozzis Schwester. Bettina ist dem Jungen wohlgesinnt: Sie wäscht den um wenige Jahre jüngeren Casanova, frisiert ihn, überschüttet ihn mit Zärtlichkeiten. Casanova ist erregt, schämt sich aber und versucht sich nichts anmerken zu lassen, was ihm Bettinas Spott einträgt. Den will Casanova nicht auf sich sitzen lassen – er erwidert ihre Küsse. Mehr wagt er jedoch vorerst nicht. Eines Tages bekommt er mit dem Burschen Candiani Konkurrenz, der ebenfalls Schüler bei Doktor Gozzi ist. Candiani scheint erfolgreich mit Bettina anzubändeln. Casanova, in seiner Eitelkeit gekränkt, sträubt sich fortan gegen Bettinas Annäherungen, worauf diese das anfängliche Spiel auf eine neue Stufe hebt: Unter dem Vorwand, ihm die Schenkel waschen zu müssen, bringt sie Casanova zum Höhepunkt. Das Ereignis stürzt den Jungen in völlige Verwirrung. In Liebe entflammt und zugleich von Schuldgefühlen gepeinigt, ersucht er Bettina um ein nächtliches Stelldichein. Die sagt zu, erscheint dann aber nicht. Als Casanova nachschauen will, wo sie bleibt, sieht er Candiani aus Bettinas Zimmer kommen und wird von diesem mit einem Fußtritt niedergestreckt. Casanova ist außer sich vor Wut.

Männlein oder Weiblein?

Jahre später, in Ancona, verkehrt Casanova im Salon einer Schaus­piel­er­fam­i­lie. Mehr noch als die beiden reizenden Schwestern Cecilia und Marina hat es ihm deren Bruder angetan, der schöne Kastrat Bellino. Casanova ist überzeugt, dass Bellino in Wirk­lichkeit ein Mädchen in Männerklei­dung ist. Vergeblich bemüht sich Bellino darum, ihm die fixe Idee auszureden. Casanova will sich eigenhändig überzeugen, doch weiter als bis unter Bellinos Jacke kommt er nicht. Dort findet er den „Al­abaster­busen“ eines Mädchens – Bellino jedoch streitet weiterhin alles ab. Casanova will abreisen. Bellino bittet ihn, bis Rimini in der Kutsche mitfahren zu dürfen. Zum Dank will er das Geheimnis um sein Geschlecht endlich lüften. Um sich die Zeit bis zur Abfahrt zu versüßen, verbringt Casanova eine Liebesnacht mit Cecilia. Als sich anderntags Marina bei ihm über die Zurücksetzung beschwert, lieben auch sie sich lei­den­schaftlich. Am Abend vor der Abreise nimmt er Bellino mit aufs Zimmer und bedrängt ihn. Der Kastrat widersetzt sich. Doch Casanova meint, im Handgemenge genug gesehen zu haben: Seine fixe Idee scheint widerlegt. Am Morgen reisen sie wie geplant ab. Casanova fühlt sich noch immer von Bellino angezogen. Und bei dem, was er letzte Nacht gesehen hat, könnte es sich ja auch um eine „abnorm große Klitoris“ gehandelt haben. Und so drängt er weiter. Als sie zur Nacht in einem Gasthaus absteigen, erklärt sich Bellino bereit, mit Casanova im selben Bett zu schlafen. Im Dunkeln kommt die Wahrheit ans Licht: Der schöne Kastrat ist tatsächlich ein Mädchen. Es folgt eine heiße Liebesnacht.

Der Reiz der verbotenen Früchte

Casanova und seine Geliebte C. C. wollten heiraten, doch C. C.s Vater war nicht ein­ver­standen. Um seine Tochter Casanova zu entziehen, hat er sie in ein Kloster nahe Venedig geschickt. Casanova unterhält jedoch heimlichen Briefkon­takt mit C. C. und besucht an allen Feiertagen die Messe in der Kirche des Klosters. Eines Tages wird ihm der Brief einer Nonne überbracht, die auf ihn aufmerksam geworden ist und seine Bekan­ntschaft sucht. Die Nonne schlägt ihm vor, er könne sich bei der Contessa A., einer Bekannten von ihr, einklinken, wenn diese sie demnächst im Kloster besuche. So könne er anonym bleiben und doch einen ersten Eindruck gewinnen, mit wem er es zu tun habe. Casanova ist Feuer und Flamme. Unverzüglich sucht er die Contessa auf. Mit einer Gondel fahren sie zum Kloster. Nun erfährt Casanova auch den Namen der geheimnisvollen Absenderin: M. M. Sie entpuppt sich als wunderschön. Sofort verliebt sich Casanova in sie. Während M. M. sich mit der Contessa unterhält, bleibt er zunächst still im Hintergrund. Schon am nächsten Tag kommt er allein zurück und lässt M. M. ins Sprechz­im­mer rufen. Doch sie lässt sich nicht blicken. Casanova hat den Eindruck, ihm sei böse mitgespielt worden.

„Da ich mich für das andere Geschlecht geboren fühlte, habe ich es stets geliebt und habe alles darange­setzt, seine Liebe zu gewinnen. Ich liebte auch mit Hingabe eine gute Tafel, und überhaupt lei­den­schaftlich alles, was meine Neugier erregte.“ (S. 10)

Einige Zeit später erreicht ihn ein Brief von M. M. Darin klärt sie alles auf: eine Verkettung unglücklicher Umstände, keine Absicht, sie sei zu Tode betrübt. Casanova lässt sich erweichen. Gleich schreibt er zurück und kündigt seinen Besuch an. Diesmal läuft alles nach Wunsch: M. M. erscheint tatsächlich, die beiden schmachten sich durch das Gitter an, gestehen sich ihre Liebe. Schließlich legt M. M. dar, wie man die Bekan­ntschaft vo­rantreiben könne: Sie will sich für eine Nacht davon­stehlen und sich mit Casanova in ihrem Landhaus treffen. Außerdem offenbart sie, dass sie einen Liebhaber hat, der aber ein ganz frei denkender Mensch sei und nichts gegen ihre Affäre einzuwenden habe. So kommen die beiden Liebenden in besagtem Landhaus zusammen. M. M. empfängt Casanova – zu dessen Bedauern in weltlicher Kleidung. Die Non­nen­tra­cht hat ihn besonders gereizt. Dennoch bestürmt er sie ohne Verzug. M. M. sträubt sich, Casanova insistiert, schließlich setzt sie sich durch. Jetzt gibt es erst einmal etwas zu essen, und zwar vom Feinsten, dazu Champagner. Nach dem Essen drängt Casanova weiter, diesmal mit mehr Erfolg, immerhin überlässt sie ihm ihren nackten Oberkörper.

Der Genuss verbotener Früchte

Das nächste Treffen mit M. M. soll Casanova ausrichten. Zu dumm, dass er keine feste Bleibe hat. Also mietet er ein standesgemäßes Haus am Markusplatz an. M. M.s toleranter Liebhaber lässt es sich nicht nehmen, die Dame zur ve­rabre­de­ten Stunde persönlich mit der Gondel zum Treffpunkt zu fahren. Casanova hofft, bei M. M. diesmal weit­erzukom­men. Und tatsächlich: Nach einem üppigen Mahl lieben sich die beiden ungehemmt über sieben Stunden lang. Casanova kann M. M. auch neue Techniken lehren. Sie schwebt im siebten Himmel. Dann gibt es Kaffee. Nachdem M. M. sich ve­r­ab­schiedet hat, schläft Casanova sich erst einmal aus. Ein drittes Tête-à-Tête findet in der Villa des ominösen Geliebten statt. Doch dieser weile für einige Zeit in Padua, sagt M. M. Diesmal trägt sie die Non­nen­tra­cht. Erst nach ausgiebiger Begrüßung schlüpft sie in etwas Bequemeres. Zehn Tage bleibt Casanova, dann steht Weihnachten vor der Tür. Am Sil­vester­abend wollen sie sich wiedersehen. Beim Abschied gibt M. M. Casanova einen Brief mit. Darin offenbart sie, dass ihr Liebhaber gar nicht in Padua war. Stattdessen hat er sich die ganze Zeit in der Villa aufgehalten, um sich davon zu überzeugen, dass Casanova seiner Geliebten würdig ist. Am Sil­vester­abend will er wieder heimlich zusehen. Casanova soll so tun, als wisse er von nichts. Beim Sil­vestertr­e­f­fen lieben sich Casanova und M. M. im Stehen und bis zur völligen Erschöpfung.

Kein Gefängnis kann Casanova halten

Casanova ist aus ihm unbekannten Gründen im Gefängnis gelandet. Die Zellen sind im Dachgeschoss des Do­gen­palasts von Venedig. Casanova sinnt auf Flucht. Zu diesem Zweck hat er sich ein im­pro­visiertes metallenes Werkzeug verschafft, mit dessen Hilfe er den hölzernen Fußboden seiner Zelle durchstoßen will. Wann immer er sich allein wähnt, macht er sich an die Arbeit. Anschließend schiebt er sein Bett über die Baustelle. Am 23. August endlich ist das Loch fertig. Casanova will aber noch etwas mit der Flucht warten. Eine fatale Entschei­dung, denn am 25. August wird er überraschend verlegt. Beim Umzug wird das Loch entdeckt, nicht aber Casanovas Werkzeug, das in der Lehne seines Sessels versteckt ist. Doch an eine Fortsetzung des alten Plans in der neuen Zelle ist nicht zu denken: Täglich werden die Bo­den­bret­ter kon­trol­liert.

„Ich bin unverfroren genug, mich dank meiner derben Neigungen für glücklicher zu halten als andere, weil ich davon überzeugt bin, dass meine Neigungen mich zu größerem Genuss befähigen.“ (S. 11)

Casanova braucht Hilfe von außen und findet bald einen Komplizen. Durch Vermittlung des Wärters tauscht er mit einem unbekannten Mit­ge­fan­genen, einem Geistlichen namens Balbi, regelmäßig Bücher aus. Casanova spitzt den Fingernagel seines kleinen Fingers, tunkt ihn in Maulbeer­saft und schreibt damit in den Büchern versteckte Nachrichten an seinen Tausch­part­ner. Es beginnt eine rege Ko­r­re­spon­denz. Casanova kann Balbi dazu bewegen, ihm zu helfen. Im Deckel einer Bibel schmuggelt er sein Werkzeug in dessen Zelle. Balbi soll seine eigene Zellendecke damit durch­brechen und dann, von außen, jene von Casanova. Am 31. Oktober, um Mitternacht, ist es so weit. Jetzt muss nur noch eine der bleiernen Dachplatten aufgebogen werden und schon können die beiden den Mond über dem Markusplatz bewundern. Nach einer hals­brecherischen Klet­ter­par­tie steigen sie an anderer Stelle durch eine Luke wieder in das Gebäude hinab. Bei Anbruch des Tages gelingt es Casanova, einen Be­di­en­steten davon zu überzeugen, sie seien verse­hentlich eingesperrt worden. Der Mann schließt ihnen auf, Casanova und Balbi sind in Freiheit.

Zärtliche Fam­i­lien­bande

In Neapel verliebt sich Casanova in die junge Leonilda. Leonilda ist die Mätresse des Herzogs von Matalone, eines guten Bekannten Casanovas, der allerdings impotent ist. Matalone scheint nicht eifersüchtig zu sein, er setzt Casanova sogar förmlich auf Leonilda an. Also macht der ihr in aller Form den Hof. Als Casanova bei Leonilda frühstückt, kommt es zu kleinen amourösen Tändeleien. Leonildas Küsse heizen Casanova mächtig an. Schließlich verkündet dieser dem Herzog, er wolle das Mädchen heiraten. Abends in der Oper erklärt er sich Leonilda. Sie ist ein­ver­standen und gleich beginnen sie mit konkreten Planungen. Vor allem muss Leonildas Mutter überzeugt werden. Diese lebt etwas außerhalb. Als sie in Neapel eintrifft, erlebt Casanova eine Überraschung: Es handelt sich um eine seiner Ver­flosse­nen. Er braucht nicht lange, um sich auszurech­nen, dass Leonilda seine leibliche Tochter sein könnte. Die Mutter bestätigt den Verdacht.

„,Mein lieber Bellino‘, sagte ich zu ihm, ,ich bin sicher, dass Sie nicht das gleiche Geschlecht haben wie ich.‘ – ,Ich bin vom gleichen Geschlecht wie Sie, allerdings ein Kastrat; man hat mich übrigens untersucht.‘ – ,Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte auch ich Sie untersuchen; hier ist eine Dublone.‘“ (S. 39)

Casanova wirft seine Pläne über den Haufen und will abreisen, doch der Herzog bewegt ihn zum Bleiben und rät ihm, seine Lei­den­schaft für die Tochter auf die Mutter zu übertragen. Das klappt zunächst ganz her­vor­ra­gend: Kaum sind sie eine Sekunde allein, fallen Casanova und seine Exgeliebte sich in die Arme und schlafen miteinander. Anschließend schwelgen sie in Erin­nerun­gen, sogar von Heirat ist die Rede. Es gibt nur ein Problem: Casanova ist, Tochter hin, Tochter her, immer noch in Leonilda verliebt. Als der Herzog und Leonilda aus der Oper zurückkommen, freuen sie sich, die alten Liebenden wiedervere­int zu sehen. Man speist gemeinsam, dann ve­r­ab­schiedet sich der Herzog. Casanova und Leonildas Mutter tauschen Zärtlichkeiten aus, Leonilda gesellt sich nackt hinzu und legt abschließend sogar selbst Hand an. Die Mutter ist voll des Lobes. So finden Casanova, Mutter und Tochter drei Mal zusammen. Beglückt reist er schließlich ab. Zum Abschied schenkt er Leonilda 5000 Dukaten, eigentlich eine Hochzeits­gabe, nun eine Mitgift für einen künftigen Ehemann.

Casanova in der Falle

In London lernt Casanova 1763 eine launische Kokotte kennen, die unter dem Künstlernamen „die Charpillon“ auftritt. Sofort ist er hin und weg von ihr. Doch seine Annäherungsver­suche zeitigen nicht den gewohnten Erfolg. Stattdessen scheint es, als würde er hier vom Jäger zum Gejagten: Die Charpillon zieht ihm mit immer wieder erneuerten amourösen Versprechen das Geld aus der Tasche und lässt ihn dann doch abblitzen. Dabei wird sie von ihrer Mutter, ihrer Großmutter und zwei Tanten unterstützt. Geschickt spielen sie gemeinsam ein Spiel, in dem sie Casanova stets locken und zurückweisen, sodass er bald dem Wahnsinn nahe ist. Nachdem die Charpillon sich ihm verweigert hat und er seine Bemühungen einstellt, erklärt eine der Tanten, das Mädchen liebe ihn, wolle sich aber der Aufrichtigkeit seiner Motive versichern. Casanova lässt sich einwickeln und macht ihr wieder den Hof. Am Ende hat er die Gaunerin sogar im Bett, doch erneut lässt sie ihn nicht ran. Jetzt reicht es Casanova, der inzwischen schon um viel Geld erleichtert wurde: Mit roher Gewalt versucht er, die Charpillon zur Einhaltung ihres Ver­sprechens zu zwingen – um ein Haar erwürgt er sie.

„Vor ihr in die Knie sinken, ihr Hunderte Male meine überströmende Dankbarkeit beteuern und immer wieder ihre schönen Hände küssen, das waren die Vorboten einer Lei­den­schaft (...); aber M. M. hielt es zunächst für ihre Pflicht, sich zu verteidigen. Welch köstliches Sträuben!“ (S. 107)

In den nächsten Tagen quälen ihn Scham und Selbstvorwürfe. Da erreicht ihn ein Brief der Mutter: Sie will ihn anzeigen. Casanova ist zunächst gründlich kuriert. Als aber die Charpillon persönlich bei ihm auftaucht, sich für das eigenmächtige Handeln ihrer Mutter entschuldigt und ihm abermals die baldige Erfüllung seiner Wünsche zusagt, ist er wieder am Haken. Solche Situationen wiederholen sich noch einige Male, Casanova kommt einfach nicht von der Charpillon los. Auf dem Höhepunkt seines Wahns setzt er ihr gar ein Messer an die Kehle, um ihren Widerstand zu brechen. Als er sie zu guter Letzt noch in flagranti mit ihrem Friseur erwischt, dreht er durch und schlägt alles kurz und klein. Die Charpillon flieht verstört in die Nacht. Ein Dienstmädchen bringt Casanova anderntags die Nachricht, ihre Herrin sei schwer erkrankt. Es scheint, als gehe es mit ihr zu Ende. Casanova ist schockiert und beschließt, sich in der Themse zu ertränken. Unterwegs jedoch trifft er einen guten Bekannten, dem er sein Herz ausschütten kann. Der rät ihm zu einer Anzeige gegen die Betrügerinnen, und Casanova befolgt den Rat. Er wohnt sogar der Verhaftung der Mutter und der Tanten bei. Als er jedoch die Charpillon erblickt, nimmt er Reißaus. Er fürchtet einen Rückfall in alte Muster.

Zum Text

Aufbau und Stil

Aus meinem Leben ist eine Auswahl von Casanovas Memoiren mit 16 Episoden. Das Gesamtwerk umfasst in der deutschen Ausgabe zwölf Bände mit insgesamt knapp 5000 Seiten. Die Episoden in Aus meinem Leben sind chro­nol­o­gisch geordnet. Wie bei einer solchen Verkürzung nicht anders möglich, stellen sie bloß Schlaglichter auf einzelne Momente im Leben Casanovas dar, eine durchge­hende Erzählung kommt somit nicht zustande. Das Original ist auf Französisch verfasst, der damals führenden Weltsprache. Als junger Mann ver­vol­lkomm­nete Casanova in Paris sein Französisch und ging bei keinem Geringeren in die Lehre als dem berühmten Dramatiker Prosper Jolyot Crébillon. Obwohl er außerdem Latein, Alt­griechisch und Hebräisch beherrschte, ist seine Schreib­weise durchaus leicht verständlich. Das ist auch in der deutschen Übersetzung so. Nur hier und da streut Casanova lateinische Sinnsprüche ein, etwa von seinem Lieblingsautor Horaz. Sein er­staunliches Gedächtnis ermöglichte es ihm, Situationen, Charaktere und Gespräche mit höchster De­tail­ge­nauigkeit wiederzugeben. Im Licht jahrzehn­te­langer akribischer Forschung scheint es heute, als habe Casanova dabei kaum etwas erfunden. Zwar gibt er meist den handelnden Personen Tarnnamen, wohl aus Diskretion. Doch hat man später mithilfe his­torischer Dokumente in vielen Fällen deren wahre Identität ausmachen können. Casanovas Stil ist nüchtern, unverstellt und amüsant, ohne bemüht geistreich sein zu wollen. Wo es um sexuelle Handlungen geht (und darum geht es bei Casanova recht oft), nimmt er kein Blatt vor den Mund, vermeidet es aber, unnötig lasziv zu werden.

In­ter­pre­ta­tion­sansätze

  • Casanovas Erin­nerun­gen sind, was sogenannte höhere Gefühle und Ideale, Religion oder Moral angeht, gänzlich unbekümmert. Hierin kommt die im 18. Jahrhundert florierende Philosophie des Ma­te­ri­al­is­mus zum Ausdruck.
  • Der sinnenfrohe Autor zeigt sich als Anhänger des Philosophen Epikur, der eine Art Glücksreligion propagierte, in der es auf die Maximierung von Lust und die Minimierung von Unlust ankam.
  • Obwohl Casanovas Frauengeschichten in seinen Erin­nerun­gen durchaus die Hauptrolle spielen, gilt das Werk mit seinen üppigen und präzisen Schilderun­gen der Sitten und Gewohn­heiten für viele Experten als bedeutendes his­torisches Zeugnis des Lebens im 18. Jahrhundert.
  • So sehr Casanova im Leben den Typus des grandiosen Angebers verkörperte, so zeigt er sich doch als uneitler Erzähler seines Lebens. Unverblümt schildert er neben den Erfolgen auch Misserfolge, Demütigungen und regelrechte Blamagen. Diese scho­nungslose Ehrlichkeit legt die Vermutung nahe, Casanova habe die Memoiren nicht im Hinblick auf ein Publikum geschrieben, sondern für sich selbst.
  • Im Gegensatz zum anderen großen Verführer der Geschichte, dem sagenhaften Don Juan, ist Casanova kein Herzens­brecher. Zwar treibt es auch ihn von einem Genuss zum nächsten, doch scheint keine der Verführten sich von ihm betrogen zu fühlen. Im Gegenteil: Glaubt man Casanovas Darstellung, bleiben die Frauen durchaus zufrieden und glücklich, teils sogar dankbar zurück und erleben die Affäre mit Casanova als Er­weck­ungser­leb­nis.

His­torischer Hintergrund

Vom Freiraum zwischen den Zeiten

Das ausgehende 17. und das 18. Jahrhundert waren von der Aufklärung geprägt. Die Vorstellung, die Religion sei die oberste Richtschnur men­schlicher Existenz, verlor zunehmend an Einfluss. Mehr und mehr gewann das Vertrauen in die menschliche Vernunft Oberhand. Denker wie Gottfried Wilhelm Leibniz, David Hume oder Isaac Newton lieferten diesem Streben nach geistiger und seelischer Freiheit die entschei­den­den Impulse. Herrscher wie Friedrich der Große machten Anstalten, die neue Philosophie in die politische Wirk­lichkeit zu überführen. Der Übergang vollzog sich indes nur langsam: Noch lange steckten die aufgeklärten Köpfe unter alt­modis­chen Allongeperücken und schlugen ihre Herzen unter gezierten Spitzen­jabots. Das Konzept einer rationalen Natur­wis­senschaft war schon in der Welt, doch die Grenze zu Okkultismus, Alchemie und Astrologie noch nicht mit letzter Bes­timmtheit gezogen.

Auch politisch war das Europa des 18. Jahrhun­derts ein seltsames Mischwesen: Das alte, völkerumspan­nende Hab­s­burger-Re­ich war zwar kaum mehr lebensfähig, die Bildung autonomer Na­tion­al­staaten lag aber noch hinter dem Horizont. Europa war in mancher Hinsicht „europäischer“ als heute: Ein europäischer Hochadel teilte sich in die jeweiligen Herrscher­posten, als Verkehrssprache galt das Französische. Man kannte sich, man parlierte geistreich, duellierte sich, schuldete sich gegenseitig Geld, nahm einander die Mätressen weg. Besonders in der Frieden­sphase zwischen dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 und der Französischen Revolution 1789 herrschte ein reger Rei­sev­erkehr zwischen den Höfen: Ob Diplomat, Schaus­pieler, Kokotte, Schwarzkünstler, Falschspieler, Fecht­meis­ter, Geld­ver­lei­her – die Vergnügungssucht der ansonsten beschäfti­gungslosen Herrscher nährte so manche aben­teuer­liche Existenz vom Schlag eines Casanova.

Entstehung

1785 trat Casanova eine Stelle als Bib­lio­thekar des Grafen Waldstein an, in der Ortschaft Dux, auf halbem Weg zwischen Dresden und Prag. In seinen 60ern angelangt, war das frühere Leben als Hasardeur und Frauenheld nun Ver­gan­gen­heit. Dabei war ja auch immer ein Gutteil an Hochstapelei mit dabei: viel Schminke, Flitter, künstliche Dramatik. Was aber zur Aufrechter­hal­tung des Scheins nötig war, überstieg nun Casanovas Kräfte. Einst hatte er mit Zarin Katharina II. verkehrt, Papst Benedikt XIV. frech um die Erlaubnis zum Lesen indizierter Bücher gebeten und sie erlangt, und mit Voltaire hatte er über ital­ienis­che Lyrik disputiert. Als Bib­lio­thekar in Böhmen war Casanova nun den Dienstboten des Schlosses gle­ichgestellt und musste sich von ihnen, die ihn entweder verkannten oder neidisch belauerten, schikanieren lassen. Um, wie er sagte, „nicht verrückt zu werden oder vor Kummer zu sterben“, flüchtete er sich in die Arbeit an seinen Memoiren. Dabei kam ihm vor allem sein enormes Gedächtnis zur Hilfe, doch stützte er sich auch auf Notizen aus den Jahrzehnten seines Wan­der­lebens. Es ist anzunehmen, dass er sie im Hinblick auf eine solche Verwendung angelegt hatte. Es flossen gar komplette Versatzstücke ein – wie der 1787 veröffentlichte Bericht seiner Flucht aus den Bleikammern. Mit unermüdlichem Fleiß produzierte Casanova rund 3700 Folioseiten. Immer wieder trug er sich mit dem Gedanken, aus Diskre­tion­sgründen das Manuskript zu verbrennen. Davon brachte ihn ein Onkel des Grafen Waldstein, Fürst de Ligne, glück­licher­weise ab.

Wirkungs­geschichte

Ein halbes Jahrhundert hat Casanova gebraucht, um all das zu erleben, was er dann in etwa sieben Jahren zu Papier brachte. Casanova vermachte das Manuskript auf seinem Totenbett einem ange­heirateten Neffen. Es fand erst nach einem Viertel­jahrhun­dert seinen Weg zum Leipziger Verleger F. A. Brockhaus. Casanovas Ruhm war längst verblasst: Brockhaus bezahlte 200 kümmerliche Taler für das obskure Werk eines unbekannten Autors. Ab 1822 erschien bei Brockhaus eine deutsche Übersetzung der Memoiren, mit der allerdings sofort jene unselige Tradition begründet wurde, in den Text einzu­greifen. In der Folge wurden die Memoiren oft entweder prüde verkürzt oder pikant aufge­bauscht – je nach Zielpub­likum und Einfluss der Zensur. Bis 1950 blieb das französische Orig­i­nal­manuskript unter Verschluss, erst 1962 lag die erste wortgetreue und vollständige Ausgabe vor. Alle früheren Einschätzungen des Werks, ob begeistert (unter anderem Heinrich Heine, Ludwig Tieck, Stefan Zweig), ob empört (die katholische Kirche), teilen mithin den Makel, ihren Gegenstand nicht im Original gekannt zu haben. Allerdings entfaltete das Werk noch in der entstell­testen Form ungeheure Wirkung. Die stoffliche Überfülle der rund 5000 Seiten dient noch heutigen Autoren als schier unerschöpflicher Steinbruch. Auch für Opern, Ballettstücke, Filme und vieles mehr war Casanova Inspiration. Heute wird allgemein anerkannt, dass dieser, wie Stefan Zweig es formulierte, „frechste und vollblütigste Aben­teuer­ro­man aller Zeiten“ eine einzi­gar­tige Stellung im Kanon der Weltlit­er­atur einnimmt und zu den berühmtesten au­to­bi­ografis­chen Schriften zählt.

Über den Autor

Giacomo Girolamo Casanova wird am 2. August 1725 in Venedig als Sohn einer Schaus­pielerin und eines Adligen geboren. Er wächst zunächst bei der Großmutter auf, wird dann nach Padua in die Schule gegeben. An der dortigen Universität wird Casanova zum Doktor weltlicher und kirchlicher Rechte. Er soll Priester werden, doch als Mann Gottes ist der Jüngling ein Reinfall. Seine Neigung zum Glücksspiel und zu sexuellen Abenteuern, seine Reiselust, sein Frei­heits­drang und eine unbändige, auf alle Wis­sens­ge­bi­ete gerichtete Neugier formen seine einzi­gar­tige Lebensbahn. Diese führt den Glücksritter Casanova quer durch Europa, bringt ihn mit Kaisern, Königen und Päpsten, aber auch mit Größen der Literatur, der Wis­senschaft, der Kunst und der Musik auf Tuchfühlung. Das ist ein hochriskantes Leben: Immer wieder landet Casanova im Gefängnis, entgeht Mordanschlägen, muss Duelle bestehen, äußerster Geldnot trotzen oder wird von Geschlecht­skrankheiten geplagt. Doch auf der anderen Seite scheint es auch ein erfülltes Leben zu sein: Als Verführer erobert Casanova Hunderte Frauen, als politischer Berater gewinnt er das Wohlwollen großer Monarchen, als angeblicher Astrologe, Kabbalist und Heilkundi­ger das Vertrauen mächtiger und reicher Patrone. Dieses Vertrauen ist aber oft so schnell verspielt wie gewonnen, und so ist Casanova immer wieder gezwungen, sein Glück anderswo zu suchen. Die extreme Lebensweise wird ihm mit fortschre­i­t­en­dem Alter zunehmend verdrießlich. Deshalb nimmt er dankend an, als Freunde ihm die Stelle eines Bib­lio­thekars bei einem böhmischen Grafen verschaffen. Hier wird er vom Abenteurer zum Schrift­steller, schreibt seine Memoiren nieder, verfasst bel­letris­tis­che, historische und wis­senschaftliche Werke. Die Schilderung seiner hals­brecherischen Flucht aus dem venezian­is­chen Staatsgefängnis macht ihn schlagartig als Autor berühmt. Am 4. Juni 1798 stirbt Casanova an einem Blasen­lei­den.