Debitorenrating

Buch Debitorenrating

Bonität von Geschäftspartnern richtig einschätzen

Gabler,


Rezension

Die Bewertung von Schuldnern kann nicht nur über deren Schicksal entscheiden, sondern auch über das des Gläubigers – das hat die Finanzkrise ein­drucksvoll gezeigt. Dieses Buch präsentiert aktuelle Erken­nt­nisse zum Thema. Die 15 Kapitel stammen von ungefähr ebenso vielen Autoren, und hier liegt das große Defizit des Buchs: Die beiden Herausgeber Becker und Everling hätten gut daran getan, Redundanzen her­auszus­tre­ichen und ein homogenes Gesamtwerk mit Quel­len­ver­weisen zu schaffen. Stattdessen lassen sie ihre Autoren unabhängig voneinander wieder und wieder bei Adam und Eva beginnen. Das schmälert den Nutzwert und das Lesevergnügen. Mit diesem Vorwissen kann man allerdings gezielt die Artikel ansteuern, die für einen persönlich am rel­e­van­testen sind. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die in ihrer Beruf­spraxis mit Ratings und Schuld­ner­be­w­er­tung­sprozessen zu tun haben.

Take-aways

  • Ratings dienen dazu, die heutige und zukünftige Bonität eines Kunden einzuschätzen.
  • Die Bewertung der Schuldner ist einer von mehreren Bausteinen des Work­ing-Cap­i­tal-Man­age­ments.
  • Das Working Capital ist das Ergebnis aus Forderungen (plus Vorräten) abzüglich Verbindlichkeiten.
  • Im Deb­itoren­rat­ing geht es darum, den Wertbeitrag einer Kun­den­beziehung zu beurteilen.
  • In Krisen­zeiten gilt: Liquidität vor Prof­itabilität. Ein schnell zahlender Kunde hat Vorrang vor der Gewinnmarge.
  • Kennzahlen wie operative Marge, Liquidität ersten und zweiten Grades, Eigenkap­i­talquote und Krisensignal­w­ert Ihrer Schuldner gehören auf Ihren Radar.
  • Bei ausländischen Kunden sollten Sie darüber hinaus spezifische Länderrisiken einbeziehen.
  • Die In­for­ma­tions­beschaf­fung sollte au­toma­tisiert und die Bewertung objektiv und stan­dar­d­isiert erfolgen.
  • Die Bonitätsskala kann sich nach Ihrer eigenen Schuld­ner­be­w­er­tung richten, oder Sie stützen sich auf Ratings von Agenturen und Ver­sicher­ern wie Moody’s oder Coface.
  • Modernes Kred­itrisiko­man­age­ment setzt an zwei Wert­treibern an: einerseits am spez­i­fis­chen Kun­den­risiko, an­der­er­seits an den erwarteten Erträgen.
 

Zusammenfassung

Die Spreu vom Weizen trennen

Die Finanz- und die anschließende Wirtschaft­skrise haben schmerzhaft gezeigt, dass Ratings, also die Einschätzung der Bonität von Schuldnern, im Zweifels­fall nichts sind, worauf sich Investoren oder Gläubiger verlassen können. Ein Rating ist die Einschätzung zukünftiger Zahlungsströme. Die können naturgemäß mehr oder minder gewiss sein und sich vor allem auch kurzfristig stark ändern. Diese Ungewis­sheit in Zahlen zu verpacken ist die große Her­aus­forderung des Fi­nanz­man­age­ments. Ohne dieses kommt kein seriöses Unternehmen aus. Welche Kunden sind verlässliche und welche eher wankelmütige Geschäftspartner, welche könnten durch einen Zahlungsaus­fall gar die Solvenz des eigenes Un­ternehmens gefährden? Dies einzuschätzen und im Un­ternehmen­sall­tag zu im­ple­men­tieren ist Aufgabe des Deb­itoren­rat­ings.

Drum prüfe, wer sich bindet

Die Einschätzung der Schuldner mittels Deb­itoren­rat­ing ist einer von mehreren Bausteinen des Work­ing-Cap­i­tal-Man­age­ments, zu dem u. a. auch das Vor­rats­man­age­ment sowie das Rechnungs- und Mahnwesen zählen. Das Working Capital eines Un­ternehmens ist das Ergebnis aus Forderungen (plus Vorräten) abzüglich Verbindlichkeiten. Wer es schafft, sein gebundenes Umlaufvermögen möglichst gering zu halten, ist entsprechend liquider – ein Umstand, der in der Wirtschaft­skrise den Unterschied zwischen Solvenz und Insolvenz bedeuten kann. Aber auch die Gefahr eines Liquiditätsengpasses in einer Auf­schwung­phase wird von vielen Firmen unterschätzt, besonders nach einem Turnaround: Nur wer hinreichend liquide ist, kann die sich ihm bietenden Chancen im Aufschwung nutzen. Chancen auf Zu- oder Rückgewinne von Mark­tan­teilen verpuffen, wenn Sie nicht über die aus­re­ichen­den Mittel verfügen, diese Chancen auch zu ergreifen.

Wer bringt wie viel?

Beim Deb­itoren­rat­ing geht es darum, den Wertbeitrag Ihrer Kun­den­beziehun­gen zu beurteilen – und zwar aller Kun­den­beziehun­gen! Dazu zählen nicht nur die Umsatzerlöse, sondern auch die gewährten Rabatte und Skonti sowie mögliche kun­den­spez­i­fis­che Prozesskosten oder Inanspruch­nah­men von Garantien. Was einfach klingt, ist in der Praxis recht komplex, denn Sie müssen auch folgende Posten beachten:

  • die eingeräumten Zahlungsziele,
  • die Zahlungstreue eines Kunden,
  • das Aus­fall­risiko des Kunden,
  • die Vor­fi­nanzierung der Lager­hal­tung.
„Es scheint so, dass viele Unternehmen durchaus bereit wären, nach den Erfahrungen in der aktuellen Krise für das zusätzliche Maß an Sicherheit auch mehr zu bezahlen.“

Klar ist: Profitable und schnell zahlende Kunden hat jedes Unternehmen gern. Diese sollten Sie entsprechend bevorzugt behandeln. Doch auch ein profitabler Kunde kann Schwierigkeiten verursachen, wenn er ausstehende Zahlungen auf die lange Bank schiebt. In Krisen­zeiten gilt deshalb: Liquidität vor Prof­itabilität.

Die wichtigsten Kennzahlen

Das größte Risiko besteht zweifellos in einem To­ta­laus­fall eines Schuldners. Bei einer Insolvenz erhalten die Gläubiger bei unbesicherten Forderungen in der Regel nur eine einstellige prozentuale Quote, durch­schnit­tlich 4 % der angemelde­ten Forderung. Ein Rechen­beispiel macht die Tragweite deutlich: Bei einer Um­satzrentabilität von 5 % – wie beispiel­sweise im Au­to­mo­bilsek­tor üblich – muss der Gläubiger an anderer Stelle den 20-fachen Umsatz erzielen, um auch nur einen einzigen Forderungsaus­fall auszu­gle­ichen. Daher sollte es nach Möglichkeit gar nicht erst dazu kommen, dass einer Ihrer wichtigen Kunden komplett ausfällt. Folgende Kennzahlen helfen Ihnen, Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Situation Ihrer Kunden zu ziehen:

  • Operative Marge: Unternehmen mit notorisch niedrigen Gewin­n­mar­gen (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Ab­schrei­bun­gen im Verhältnis zum Umsatz) sind krisenanfälliger.
  • Krisensignal­w­ert: Dieser Wert ist der Cashflow (vor Steuern, ohne außeror­dentliche Erträge) bezogen auf die Summe der Verbindlichkeiten. Je höher der Wert, desto besser kann sich das Unternehmen auf sein operatives Geschäft stützen; man spricht von Entschul­dungsfähigkeit.
  • Liquidität ersten Grades: Dies sind die Zahlungsmit­tel im Verhältnis zum kurzfristi­gen Fremd­kap­i­tal. Der Wert gibt an, wie gut kurzfristige Verpflich­tun­gen aus vorhandener Liquidität bedient werden können.
  • Liquidität zweiten Grades: Dies sind die Zahlungsmit­tel plus kurzfristige Forderungen im Verhältnis zum kurzfristi­gen Fremd­kap­i­tal. Liegt die Kennzahl unter 1, so kann das Unternehmen selbst bei Eintreibung all seiner Außenstände seinen kurzfristi­gen Verpflich­tun­gen nicht mehr nachkommen.
  • Eigenkap­i­talquote: Sie ist das Eigenkap­i­tal bezogen auf die Bilanzsumme. Je höher die Eigenkap­i­talquote, desto unabhängiger ist das Unternehmen von Fremd­kap­i­tal­ge­bern. Eigenkap­i­tal kann operative Verluste absorbieren und das In­sol­ven­zrisiko reduzieren.

Länderrisiken

Entgegen landläufiger Meinung beruhen die Entschädi­gungsleis­tun­gen der Kred­itver­sicherer nicht in erster Linie auf der Insolvenz von Schuldnern, sondern vielmehr auf länder­spez­i­fis­chen Risiko­fak­toren. Ein wichtiges politisches Länderrisiko ist z. B. die Beschränkung eigen­tums­be­zo­gener Verfügungsrechte, etwa wenn Un­ternehmensvermögen beschlagnahmt werden kann. Nicht jedes Land verfügt über demokratis­che Strukturen und damit über das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Ver­tragstreue bedeutet auch, dass Zusagen staatlicher Stellen nicht gebrochen werden. So haben Länderrisiken durchaus gravieren­den Einfluss auf das Aus­fall­risiko eines Kunden, u. a. durch

  • die bin­nen­wirtschaftliche Stabilität (Geldpolitik, In­fra­struk­tur usw.),
  • die außen­wirtschaftliche Stabilität (Ver­schul­dung, Han­dels­bi­lanz usw.),
  • die in­nen­poli­tis­che Stabilität (politische Führung, innere Ordnung usw.),
  • die außen­poli­tis­che Stabilität (z. B. Gefahr militärischer Konflikte) sowie
  • die soziokul­turelle Stabilität (z. B. Einstellung gegenüber Ausländern bzw. ausländischen Unternehmen).
„Ein manuelles Deb­itoren­rat­ing ist besser als gar keins.“

Früher waren die so genannten Her­mes­deck­un­gen (Ex­port­garantien durch die Bun­desre­pub­lik Deutschland) die einzige Möglichkeit für deutsche Unternehmen, Länderrisiken adäquat abzusichern. Heute übernehmen das auch private Kred­itver­sicherer.

Die Or­gan­i­sa­tion des Deb­itoren­man­age­ments

Ein aus­ge­feiltes Work­ing-Cap­i­tal-Man­age­ment – und damit ein verlässliches Deb­itoren­man­age­ment – fällt keinem Unternehmen in den Schoß. Auslöser für die Einführung ist häufig die Einsicht, dass man von einer statischen (zeit­punk­t­be­zo­ge­nen) Bonitäts­be­tra­ch­tung der Kunden zu einer dynamischen übergehen muss. Ein solches Monitoring hilft, Veränderungen frühzeitig zu erkennen, diese zu bewerten und angemessene Maßnahmen einzuleiten bzw. vorzuschla­gen. Die In­for­ma­tions­beschaf­fung sollte au­toma­tisiert und die Bewertung objektiv und stan­dar­d­isiert erfolgen. Folgende Überlegungen müssen Sie im Vorfeld anstellen:

  • Grund­satzfrage: Was genau wollen wir erreichen?
  • Or­gan­i­sa­tion: Wer macht was, wo und wie?
  • Konditionen: Wer darf was und bei wem?
  • Fälligkeiten: Wann wird was fällig, wie und bei wem?
  • Bonitätsprüfung: Wer prüft, wann wird geprüft und wie?
  • Entschei­dun­gen: Wer entscheidet und bis zu welcher Höhe?
  • Überwachung: Wer kon­trol­liert was und wie?
  • Forderung­seinzug: Wer kassiert wann und auf welche Weise?
„In Krisen­si­t­u­a­tio­nen gilt: Liquidität vor Rentabilität!“

Die In­for­ma­tions­beschaf­fung kann sämtliche verfügbaren Ressourcen wie Handels- und Bankauskünfte, Grund­buchauszüge und Bilanzen umfassen und muss unbedingt von Ihrer Kred­it­man­age­mentabteilung aus erfolgen. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass dabei Zielkon­flikte mit Ihrem Vertrieb entstehen. Der nämlich möchte vor allem verkaufen, während Ihre Fi­nan­z­abteilung sich ggf. später mit zahlungssäumigen Kunden herum­schla­gen muss. Daher müssen die Entschei­dun­gen, ob und wie mit einem Kunden Geschäfte gemacht wird, objektiv getroffen werden. Sie dürfen Ihrem Vertrieb keinen Er­messensspiel­raum nach Augenmaß und Bauchgefühl einräumen.

Ratingskala von O. k. bis K. o.

Ihre Bonitätsskala kann auf Ihrer eigenen Schuld­ner­be­w­er­tung beruhen, oder Sie stützen sich auf vorhandene Ratings von Moody’s, Coface usw. Deren Rat­ingk­lassen reichen beispiel­sweise von AAA (höchste Bonität) bis C (niedrigste Bonität bzw. stark ausfallgefährdet), mit zahlreichen Abstufungen wie AA, BA usw. Für jede dieser Rat­ingk­lassen liegen historische Aus­fal­lquoten vor, sodass Sie einen Zahlungsaus­fall des Kunden X mit einer sta­tis­tis­chen Wahrschein­lichkeit beziffern können. Alternativ dazu können Sie Ihr eigenes Be­w­er­tungssys­tem zusam­men­stellen, indem Sie Daten wie Branche, Un­ternehmen­salter, Zahlungsweise, Rechtsform usw. heranziehen und gewichten. So kommen Sie zu einer Punkteskala, die beispiel­sweise von „Geschäfts­beziehung ausweiten“ über „Vorauskasse anfordern“ bis hin zum K.-o.-Kriterium (in­sol­ven­zgefährdet) reichen kann.

Fair geht nicht vor in Krisen­zeiten

Ein Thema, mit dem sich viele Zulieferer im Zuge der Wirtschaft­skrise befassen mussten, waren Inanspruch­nah­men von Ver­trags­garantien. Diese sind besonders im Großanlagenbau üblich und bei staatlichen Abnehmern sogar zwingend. Garantien gehören also unbedingt in die Risiko­ma­trix, wenn Sie Ihr Deb­itoren­rat­ing zusam­men­stellen. Ein Kunde in wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird eher mal geneigt sein, eine willkürliche oder unfaire Inanspruch­nahme einer Garantieleis­tung zu probieren – deren Rechtmäßigkeit festzustellen kostet zunächst Zeit. Besonders hoch sind die Risiken, wenn Sie maßgeschnei­derte Produkte herstellen oder Di­en­stleis­tun­gen anbieten, die jeweils auf einzelne Kunden zugeschnit­ten sind. Dann können willkürliche Garantiefälle ein echtes Problem für Ihr Unternehmen werden. Dem begegnen Sie im Deb­itoren­man­age­ment mit entsprechen­den Risikoauf­schlägen bei der Bewertung solcher Kunden.

Gute Kunden sucht das Land

Die Finanz- und die Wirtschaft­skrise haben ein­drucksvoll gezeigt, welchen Wert ein verlässliches Deb­itoren­rat­ing hat. Unternehmen sind bereit, für valide Ratings mehr zu bezahlen, können sie im Ernstfall doch den Unterschied zwischen eigener Solvenz oder Insolvenz ausmachen. Während herkömmliche Rat­ingsys­teme hauptsächlich die Ver­gan­gen­heit im Blick haben, berücksichtigen neuere Rat­ing­prog­nosesys­teme alle denkbaren möglichen Risikoszenar­ien eines Un­ternehmens, um bei einer drohenden Überschul­dung möglichst frühzeitig Alarm zu schlagen. Für betroffene Unternehmen heißt dies, dass sie für eine Geschäft­san­bah­nung höhere Preise werden berappen müssen. Das optimale Kred­itrisiko­man­age­ment setzt an zwei Wert­treibern an, nämlich einerseits am Risiko (das Sie sich entsprechend vergelten lassen sollten) und an­der­er­seits an den erwarteten Erträgen – gute Kunden sollten Sie entsprechend zu­vork­om­mend behandeln.

Über die Autoren

Grit Becker ist Geschäftsführerin des Un­ternehmens Coface Rating. Oliver Everling ist Inhaber von Everling Advisory Services sowie Geschäftsführer von Rating Evidence. Er ist Gast­pro­fes­sor an der Capital University of Economics and Business in Peking.