Was ist Wirtschaftskriminalität?
Wirtschaftskriminalität hat viele Facetten. Im Allgemeinen bezeichnet sie Taten, die die wirtschaftliche Ordnung stören oder die dazu führen, dass die Allgemeinheit an der Rechtschaffenheit des geschäftlichen Verkehrs oder an der korrekten Arbeitsweise der Behörden zweifelt. Eine Besonderheit wirtschaftskrimineller Akte ist, dass zu ihrer Aufklärung kaufmännisches Wissen notwendig ist. Das Feld der Delikte reicht von Steuerhinterziehung über Betriebsspionage bis hin zu Veruntreuung, Korruption und Bilanzmanipulation. Daher sind die Vorschriften des Wirtschaftsstrafrechts auch in vielen unterschiedlichen Bereichen des deutschen Strafrechts zu finden, z. B. im Unternehmensstrafrecht, im Kapitalmarktstrafrecht, im Patent-, Marken- und Urheberstrafrecht sowie im Bilanzstrafrecht.
Die Ursachen von Wirtschaftskriminalität
Die Auswirkungen der Globalisierung begünstigen die Ausbreitung krimineller Handlungen im Wirtschaftsleben: Im Internet lassen sich Informationen einfach recherchieren, der Finanzmarkt umfasst die ganze Welt, ein harter globaler Wettbewerb verführt Unternehmen zu unsauberen Geschäften, und die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe der Mitarbeiter erschweren die Erstellung eines einheitlichen Wertekodex. Die Vorbeugung, Aufdeckung und Vermeidung krimineller Handlungen muss daher bei mehreren Stellen ansetzen: bei der Unternehmenskultur, den Mitarbeitern und den IT-Systemen.
„Kriminelle Handlungen verbergen sich hinter Verträgen, Zahlungen und anderen geschäftlichen Vorfällen.“
Im Mittelpunkt kriminologischer Erklärungsversuche der Ursachen von Wirtschaftskriminalität steht der Mensch. Wird die Gefahr oder das Ausmaß einer potenziellen Strafe geringer eingeschätzt als der erwartete Nutzen, dann wird kriminelles Verhalten für ihn interessant. Manche Soziologen gehen zudem davon aus, dass Verbrechen sozusagen ansteckend ist: Menschen lernen von anderen Personen in ihrem Umfeld nicht nur, wie man ein Verbrechen verübt, sondern übernehmen auch die Motivation bzw. die Rechtfertigungsgründe von ihnen. Ein weiteres Erklärungsmodell ist das so genannte Fraud Triangle. Hier rufen drei Faktoren gemeinsam kriminelles Verhalten hervor:
- Motivation: Der Täter braucht einen Grund für die Tat, z. B. Geldsorgen.
- Gelegenheit: Dem Täter ist klar, dass er sein Problem heimlich durch Ausnutzung einer Vertrauensposition lösen kann.
- Rechtfertigung: Der Täter kann sein Gewissen mit einem Tatgrund beruhigen.
„Unternehmen geben sehr viel Geld für IT-Sicherheit aus, vergessen aber dabei, Geld und Zeit in die Auswahl von Mitarbeitern und deren Sicherheitsschulung zu investieren.“
Setzen Sie für die Präventionsarbeit in Ihrem Unternehmen bei diesen drei Punkten an. Am einfachsten ist es, beim Aspekt „Gelegenheit“ beginnen: Sie benötigen effektive Kontrollen und eine beständige Organisationsstruktur, die möglichst wenige solcher Gelegenheiten bietet.
Tax Fraud – Steuerhinterziehung
Jeder, der Behörden täuscht, um Steuern zu sparen, begeht „Tax Fraud“, also Steuerhinterziehung. Das kann mittels falscher oder unvollständiger Angaben geschehen. Bekannte Muster sind:
- Umsatzsteuerkarusselle: Innerhalb einer Lieferkette wird Umsatzsteuer hinterzogen, indem sich ein Importeur die Vorsteuer rückvergüten lässt, die geschuldete Steuer aber nicht bezahlt.
- Schmuggel: Da es Zölle bereits seit dem dritten Jahrtausend v. Chr. gibt, hat Schmuggel eine lange Tradition. Es handelt sich bei diesen Verbrechern heutzutage meist um Schreibtischtäter – auch in angesehenen Unternehmen – und nicht um windige Gesellen, die mit Taschen voller Kaffee über grüne Grenzen schleichen. Die Täter von heute machen etwa falsche Wert- und Beschaffenheitsangaben: Miteinander verbundene Unternehmen in unterschiedlichen Ländern stellen sich Rechnungen mit zu niedrigem Wert der transferierten Ware aus oder deklarieren z. B. hochwertiges Fleisch als Schlachtabfall. Dadurch zahlen sie weniger oder gar keinen Zoll.
- Bilanzdelikte: Diese lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Als Bilanzfälschung bezeichnet man absichtliche Verstöße gegen das Prinzip der Bilanzwahrheit, z. B. falsche Buchungen sowie fiktive oder unvollständig bilanzierte Posten. Bilanzverschleierung betrifft Verstöße gegen das Prinzip der Bilanzklarheit, etwa unerlaubte Saldierungen oder Zuweisungen zu inkorrekten Bilanzposten. Manager verüben Bilanzdelikte, um Unternehmenskrisen zu verschleiern, Übernahmen zu verhindern, Steuern zu hinterziehen oder sich persönlich zu bereichern.
- Bestechung: Schmiergelder hinterlassen Spuren, obwohl oder gerade wenn sie verschleiert werden, z. B. mithilfe schwarzer Kassen, und somit zu Steuerhinterziehung führen. Für die Aufdeckung der Tat müssen Sie konkrete Handlungen ausfindig machen; bloße Hinweise genügen nicht. Solche Handlungen können z. B. die Vortäuschung falscher Tatsachen oder arglistige Täuschungsmanöver sein. Für schwarze Kassen werden zunächst im Rahmen des regulären Geschäfts zu hohe oder nur scheinbare Betriebsausgaben gebucht oder aber Scheinbeschäftigte eingestellt. Dann werden mit dem so zurückbehaltenen Geld Schmiergelder bezahlt. Manchmal sind auch „Küchenfirmen“ im Namen der Ehefrau im Spiel, über die das Geld dann fließt.
Die Rolle der Steuerberater und Abschlussprüfer
Der Steuerberater ist dazu verpflichtet, die Geschäftsvorfälle seines Mandanten kompetent und kritisch zu betrachten. Er muss aber nicht jede Buchung gesondert prüfen oder die materielle Richtigkeit feststellen. Gibt es Unregelmäßigkeiten in der Buchführung, ist dafür somit nicht der Steuerberater verantwortlich – es sei denn, sie sind offensichtlich und er verletzt seine Sorgfaltspflicht. Auch der Bestätigungsvermerk eines Wirtschaftsprüfers darf nicht als Siegel für einen fehlerlosen Jahresabschluss missverstanden werden. Der Abschlussprüfer muss zwar so gewissenhaft arbeiten, dass Verstöße und Fehler, die zu einem wesentlich falschen Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage führen, enthüllt werden. Unbedeutende Manipulationen und Vermögensschädigungen sind in dieser Vorgabe aber nicht eingeschlossen.
Aufdeckung von Betrug durch Forensic Accountants
Wie bei anderen Verbrechen gibt es auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität Mittel und Wege, um Beweise zu sichern, weiteren Schaden zu vermeiden und Verdachtsmomente zu entkräften oder zu erhärten. Forensic Accounting ist dafür da, Fehlverhalten im Unternehmen zu erkennen und ihm vorzubeugen. Experten in diesem Berufsfeld werden manchmal erst dann als Unterstützung der internen Revision und der Compliance-Abteilung geholt, wenn Indizien – so genannte Red Flags – für ein wirtschaftskriminelles Vorkommnis vorliegen.
„Die Bündelung verschiedener ursächlicher Faktoren der Wirtschaftskriminalität in einem Betrugsdreieck ist in der Praxis für eine erste Strukturierung des Problems in jedem Fall hilfreich.“
Im Unterschied zum Wirtschaftsprüfer konzentrieren sich Forensic Accountants nicht auf das Finden von Fehlern, sondern auf Anzeichen absichtlichen Betrugs. Sie arbeiten verdeckt oder ermitteln offen, führen Interviews und analysieren Datenbanken, Unterlagen und elektronische Dokumente mithilfe spezieller Software. Dafür ist sehr spezifisches Wissen in den Bereichen IT, Psychologie und Betriebswirtschaft notwendig, weshalb die Ausbildungen der Mitglieder eines Forensic-Accounting-Teams möglichst heterogen sein sollten. Im Weiteren ist bei der Sicherung gerichtsverwertbarer Beweise rechtliches Wissen vonnöten, z. B. sollte ein Interviewprotokoll immer von der interviewten Person unterschrieben werden. Aufgrund dieser heiklen Situation bietet es sich an, ein Forensic-Team einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft damit zu betrauen, zumal diese Berufsgruppe zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.
„Als Forensic Accountants arbeiten neben Wirtschaftswissenschaftlern auch Psychologen, Rechtsanwälte, ehemalige Kriminalbeamte oder auch Mathematiker.“
Indizien für betrügerisches Handeln gibt es viele, sie fallen sozusagen als Nebenprodukt des Verbrechens an. Zwar dienen sie nicht als Beweise, doch kann man sie als Hinweise sehen, denen man – unter Berücksichtigung der Situation, in der sie auftauchen – nachgehen sollte.
Red Flags sind etwa die folgenden Situationen:
- Einem Vertrag liegt kein Angebot zugrunde.
- Es wird ein außergewöhnlich hohes Honorar bezahlt.
- Die Erfolgsmessung einer erbrachten Leistung ist unmöglich.
- Der Zahlungsempfänger ist nicht mit dem Vertragspartner identisch.
- Das vereinbarte Entgelt ist geringer als das tatsächlich bezahlte.
- Gehälter liegen weit über dem für eine bestimmte Qualifikation Üblichen.
- Gehaltszahlungen erfolgen per Scheck.
- Die Angaben auf der Gehaltsliste decken sich nicht mit den Anwesenheitsaufzeichnungen.
- Es tauchen unübliche Buchungssätze oder solche ohne Erläuterung auf.
- Eine Dokumentation wurde nachträglich geändert oder fehlt ganz.
- Es häufen sich Stornierungen, Umbuchungen, Rückdatierungen oder Buchungen ohne Beleg oder außerhalb der Geschäftszeiten.
- Das Management behindert den Abschlussprüfer bei Vieraugengesprächen mit dem Aufsichtsrat.
- Es sind häufige Dienstreisen zu immer den gleichen Kunden verzeichnet.
- Jemand führt einen auffällig verbesserten Lebensstil.
- Ein Mitarbeiter lehnt es ab, in Urlaub zu gehen.
- Eine Angebotsfrist ist auffallend kurz.
- Unnötige Anschaffungen werden getätigt.
- Langfristige Verträge werden zu marktunüblichen Preisen abgeschlossen.
Prävention durch Fraud-Risk-Management
Die Organe einer Gesellschaft tun angesichts ihrer Sorgfaltspflicht gut daran, ein strategisches System aus Präventionsmaßnahmen im Unternehmen einzuführen. Auch Corporate-Governance-Gründe und der potenzielle Imageschaden bei einem aufgedeckten Betrugsfall sprechen dafür. Die Summe dieser Maßnahmen nennt man Fraud-Risk-Management. Dazu analysieren Sie gemäß dem Fraud Triangle zunächst den aktuellen Status im Unternehmen und identifizieren Risikobereiche:
- Risikofaktoren im Bereich Motivation sind u. a.: hoher Wettbewerb, rückläufige Gewinnmargen, sinkende Nachfrage, überzogene Analysten- und Investorenerwartungen, weiterer Finanzierungsbedarf, Bonuszahlungen, die an das Erreichen aggressiver Ziele geknüpft sind, eine bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses, private Geldnot, Konflikte mit dem Arbeitgeber.
- Risikofaktoren im Bereich Gelegenheit sind u. a.: wesentliche Geschäfte mit nahestehenden Personen, komplexe Transaktionen, Geschäfte im Ausland oder über Zwischenhändler, eine unübersichtliche Organisationsstruktur, hohe Fluktuation im Rechnungswesen, in der internen Revision oder im Bereich IT, ungenügende Aufteilung der Macht im Management, hoher Kassenbestand, einfach verkäufliche Waren in den Vorräten, kleine Waren mit hohem Wert in den Vorräten.
- Risikofaktoren im Bereich Rechtfertigung sind u. a.: eine schlechte Unternehmenskultur mit fehlenden Werten, die Steigerung des Aktienkurses als primäres Ziel, vergangene Verstöße ohne Konsequenzen, Verharmlosung kleinerer Vergehen.
„Unabdinglich ist eine Unternehmenskultur, die Wirtschaftskriminalität nicht duldet.“
Sollten die Risikofaktoren sich in einem Bereich häufen, dann gehen Sie auf die Suche nach Indizien für kriminelles Handeln, eruieren Sie im Anschluss daran deren Ursachen und erarbeiten Sie schließlich geeignete Vorbeugungsmaßnahmen.