Unterm Rad

Buch Unterm Rad

Berlin, 1906
Diese Ausgabe: Suhrkamp,


Worum es geht

Geschichte eines Scheiterns

Hans Giebenrath ist außergewöhnlich begabt, da sind sich alle einig. Aus ihm soll etwas Besonderes werden, deshalb bereitet er sich eifrig auf die Aufnahmeprüfung für das the­ol­o­gis­che Seminar vor. Auch seine Lehrer und der Pfarrer sind stolz auf ihn und geben ihm bere­itwillig zusätzlichen Unterricht. Der Junge besteht die Aufnahmeprüfung zwar, bricht aber im Seminar schließlich überarbeitet zusammen und muss aufgeben. Unter seinem ver­meintlichen Versagen leidend, beginnt er eine Mechaniker­lehre. Schließlich findet man ihn tot im Fluss. Selbstmord? Oder ein Unfall? Das bleibt offen. Hesses Roman schildert ein­dringlich, wie ein junger Mensch durch den Ehrgeiz seiner Umwelt immer mehr anges­tachelt wird, bis er schließlich an deren An­forderun­gen zerbricht. Der Text ist eine flammende Anklage gegen ein Bil­dungssys­tem, das nur auf stures Lernen setzt und darüber die anderen Bedürfnisse der Kinder und Ju­gendlichen vernachlässigt. In der heutigen Leis­tungs­ge­sellschaft ist der Roman immer noch so aktuell wie bei seinem Erscheinen vor über 100 Jahren.

Take-aways

  • Der Roman Unterm Rad ist ein frühes Werk des Schrift­stellers Hermann Hesse.
  • Inhalt: Der junge Hans Giebenrath ist hochbegabt. Alle sind stolz auf ihn, als er ein Stipendium für das the­ol­o­gis­che Seminar erhält. Doch Hans ist der Belastung nicht gewachsen und muss das Seminar nach einem Zusam­men­bruch verlassen. Er beginnt eine Mechaniker­lehre, was ihn sehr beschämt. Nach einem Trinkgelage mit Kollegen findet man ihn tot im Fluss. Es bleibt unklar, ob es ein Unfall oder Selbstmord war.
  • In Unterm Rad ve­r­ar­beit­ete Hermann Hesse sein eigenes Scheitern im the­ol­o­gis­chen Seminar Maulbronn.
  • Hesse klagt in diesem Text das Schulsystem seiner Zeit an, das die In­di­vid­u­alität der Schüler nicht berücksichtigte.
  • Zugleich kritisiert er eine Gesellschaft, in der Ehrgeiz und äußere Erfolge mehr zählen als ein glückliches, zufriedenes Leben.
  • Der Roman wurde von der Kritik zwiespältig aufgenommen; manche Kritiker vermissten die lit­er­arische Qualität.
  • Zur Zeit des Na­tion­al­sozial­is­mus durfte Unterm Rad, wie alle Werke Hermann Hesses, in Deutschland nicht mehr verkauft werden.
  • Nach dem Zweiten Weltkrieg und erneut ab den 1970ern erlebten Hesses Werke in Deutschland und den USA eine Renaissance, vor allem bei jungen Menschen.
  • 1946 erhielt Hermann Hesse den Nobelpreis für Literatur.
  • Zitat: „Nur nicht matt werden, sonst kommt man unters Rad.“
 

Zusammenfassung

Ein begabter Junge

In einer kleinen Stadt im Schwarzwald lebt der Händler Joseph Giebenrath mit seinem einzigen Sohn, dem 14-jährigen Hans. Dessen Mutter ist schon vor Jahren gestorben. Joseph Giebenrath ist ein braver Durch­schnittsbürger, Hans dagegen ein hochbe­gabter Junge. Alle in der Stadt sind überzeugt, dass er es noch weit bringen wird. Als einziger Schüler seiner Klasse bereitet Hans sich auf das Landexamen vor, die Aufnahmeprüfung für das the­ol­o­gis­che Seminar in Maulbronn. Jeden Tag nach der Schule bekommt er vom Rektor und vom Stadtp­far­rer zusätzlichen Unterricht, damit er das Examen besteht. Danach sitzt er noch bis in die Nacht über seinen Hausauf­gaben. Das Lernen nimmt ihn so sehr in Anspruch, dass er gar keine Freizeit mehr hat.

Vor der Prüfung

Das Landexamen findet in Stuttgart statt. Am Tag vor der Abreise gibt der Rektor Hans den Rat, jetzt nicht mehr zu lernen, damit er im Examen ausgeruht sei. Ganz unerwartet hat Hans nun also den Rest des Nachmittags frei. Ziellos schlendert er den Fluss entlang und erinnert sich daran, wie viel Freude ihm früher das Angeln bereitet hat. Er trifft den frommen Schuster Flaig, den er früher oft besucht hat. Flaig wünscht ihm Glück für das Examen, ist aber zugleich der Ansicht, dass es Wichtigeres im Leben gebe als Leistung und Erfolg. Ehe Hans darüber nachdenken kann, taucht der Stadtp­far­rer auf, den Flaig nicht besonders mag – er hält ihn für einen „Neu­modis­chen“. Der Pfarrer schärft Hans noch einmal ein, dass er unbedingt bestehen müsse, denn alle setzten große Hoffnungen auf ihn. Zu Hause findet Hans im Garten einen alten Kan­inchen­stall und ein Wasserrad aus Holz. Beides hat er einst zusammen mit seinem Freund August gebaut. Aber für solche Dinge hat er schon lange keine Zeit mehr. Die Kaninchen musste er weggeben, um mehr Zeit fürs Lernen zu haben. August hat die Schule schon verlassen und ist jetzt Mechaniker­lehrling; seitdem haben die beiden keinen Kontakt mehr. Hans holt ein Beil aus dem Schuppen und schlägt den Kan­inchen­stall in Stücke.

Das Landexamen

Am nächsten Tag reist er zusammen mit seinem Vater nach Stuttgart. Er ist erschöpft und aufgeregt, die große fremde Stadt erschreckt ihn. Die Ex­a­m­en­sar­beiten dauern drei Tage, und am Ende ist Hans überzeugt, dass er durchge­fallen ist. Nun muss er also doch in seiner Heimatstadt bleiben und ein Handwerk lernen. Vor diesem Leben hat er Angst, schließlich möchte er etwas Besonderes werden. Vorsichtig fragt er beim Vater nach, ob er vielleicht aufs Gymnasium gehen dürfe, falls er die Prüfung nicht bestanden haben sollte. Aber der Vater lacht ihn aus – für so etwas sei kein Geld da. Allen Selb­stzweifeln zum Trotz hat Hans das Examen schließlich nicht nur bestanden, sondern ist sogar der Zweitbeste. Bevor er ins Internat wechselt, hat er nun die großen Ferien. Er freut sich auf diese Zeit und möchte sich noch einmal richtig erholen. Er will angeln, schwimmen und alles nachholen, wofür er so lange keine Zeit gehabt hat, ehe er im Seminar wieder Leistung bringen muss.

Die großen Ferien

Der erste Ferientag ist vielver­sprechend. Die Sonne scheint, Hans hat endlich einmal wieder ausgiebig Zeit, draußen zu sein und zu angeln. Am nächsten Morgen bringt er als Erstes dem Stadtp­far­rer ein paar frisch gefangene Fische vorbei, zum Dank für den zusätzlichen Unterricht. Bei der Gelegenheit bietet dieser ihm an, von nun an jeden Tag mit ihm Griechisch zu pauken, damit ihm der Einstieg ins Seminar leichter fällt. Hans erschrickt – eigentlich hat er sich seine Ferien anders vorgestellt. Aber er wagt es nicht, Nein zu sagen. Bald darauf besucht ihn der Rektor abends zu Hause und äußert seine Sorgen: Im Seminar werde er auf lauter gute Schüler treffen, und Hans müsse noch eine Menge lernen, wenn er auch dort einer der Besten sein wolle. Deshalb schlägt ihm der Rektor ebenfalls zusätzliche Stunden in den Ferien vor, und Hans sagt auch ihm zu. Nun hat er wieder einen vollen Stundenplan und paukt genauso wie vor dem Examen. Zwar ist er oft müde und hat Kopf­schmerzen, er ist aber doch bereit, die Belastung auf sich zu nehmen. Denn er ist auch stolz auf seine Leistungen, er fühlt sich seinen Klassenkam­er­aden überlegen und möchte unbedingt auch im Seminar zu den Besten gehören. Die anderen sind ebenso stolz auf ihn. Nur Schuster Flaig ist skeptisch, als er hört, dass Hans auch in den Ferien weiterlernt. Seiner Ansicht nach ist das eine Sünde. Außerdem macht er sich Sorgen, weil der Junge so blass und schwächlich aussieht.

Der Freund

Im September tritt Hans in das the­ol­o­gis­che Seminar im Kloster Maulbronn ein. Seine neuen Mitschüler kommen aus allen Gegenden Württembergs und aus den un­ter­schiedlich­sten sozialen Schichten. Die Jungen schließen rasch Fre­und­schaften un­tere­inan­der, aber der stille, fleißige Hans bleibt allein. In seiner Klasse ist noch ein anderer Einzelgänger, Hermann Heilner, ein exzen­trischer, aufmüpfiger Junge, der auf den Unterricht nicht viel Energie ver­schwen­det, aber heimlich Gedichte schreibt. Eines Tages bricht Heilner nach einer Prügelei mit einem Mitschüler im Schlafraum ganz offen in Tränen aus. Bei den Jungen ist das verpönt, und einer der Mitschüler meint, Heilner solle sich schämen. Der stellt selb­st­be­wusst klar, dass er dafür keinen Grund sehe, und verlässt den Schlafsaal. Hans geht ihm nach und findet ihn draußen im Dunkeln. Erst reagiert Heilner abweisend – dann gibt er Hans plötzlich einen Kuss. Hans ist verwirrt über dieses Verhalten, aber von da an sind die beiden Freunde.

Bestrafung

Hans ist sehr stolz auf seine Fre­und­schaft zu Heilner. Er hört sich dessen Gedichte an und erträgt auch seine melan­cholis­chen Stimmungen. Leider ist Heilner lange nicht so strebsam wie Hans, und weil sie viel Zeit miteinander verbringen, muss Hans in den Stunden, die ihm noch bleiben, umso konzen­tri­erter lernen. Heilner verachtet allen Ehrgeiz und den ganzen Schul­be­trieb, was Hans insgeheim sehr beeindruckt. Eines Tages fängt Heilner Streit mit Lucius an, einem anderen Mitschüler. Als dieser droht, die Sache zu melden, verfolgt Heilner ihn bis vor die Tür des Schulleit­ers und gibt ihm dann einen Tritt, sodass Lucius in das Zimmer hineinstürzt. Das ist ein Skandal, und Heilner wird zur Strafe in den Karzer gesperrt. Unter den Schülern gilt das als Schande, weshalb Heilner fortan von seinen Klassenkam­er­aden gemieden wird. Hans ist hin- und hergerissen: Einerseits möchte er den Freund nicht im Stich lassen, an­der­er­seits hat er Angst, sich selbst zu schaden, deshalb wagt er es nicht, offen zu Heilner zu stehen. Heilner ist gekränkt und wird zum ver­bit­terten Einzelgänger.

Die Versöhnung

An einem Wintertag ist einer der Mitschüler ver­schwun­den. Die anderen gehen gemeinsam los, um ihn zu suchen, und finden ihn ertrunken in einem Teich – er ist auf dem Eis einge­brochen. Auf dem Rückweg laufen Hans und Heilner zufällig nebeneinan­der her. Hans will Heilners Hand greifen, aber der wendet sich von ihm ab und geht weg. Hans überkommen heftige Schuldgefühle, und er nimmt sich vor, von nun an zu Heilner zu halten, ganz gleich, was die anderen darüber denken. Er bittet Heilner um Entschuldigung, und dieser nimmt an. Jetzt sind die beiden enger befreundet als zuvor. Hans spürt, dass ihn diese Fre­und­schaft viel Kraft kostet, aber er genießt sie auch. Sie füllt sein Leben so sehr aus, dass ihm der Unterricht zunehmend gleichgültig wird. Beide gelten bei Lehrern und Mitschülern als krasse Außenseiter und werden entsprechend behandelt.

In Schwierigkeiten

Der Schulleiter ruft Hans zu sich, weil seine Leistungen nachlassen. Woran das liegt, kann Hans ihm nicht erklären. Der Schulleiter gibt Heilners schlechtem Einfluss auf Hans die Schuld und bittet ihn, die Fre­und­schaft aufzugeben. Dieser aber hört nicht auf den Rektor. Kopf­schmerzen plagen Hans, und immer öfter verliert er sich in Tagträumereien. So sieht er plötzlich bei einer Übersetzung aus dem Marku­se­van­gelium Jesus vor sich, der ihm von einem Boot aus zuwinkt. Als Hans eines Tages im Unterricht auf den Aufruf des Lehrers nicht reagiert, wird ein Arzt geholt, der eine Nervenschwäche feststellt und tägliche Spaziergänge verordnet. Heilner darf Hans dabei nicht begleiten, setzt sich aber über das Verbot hinweg. Das bleibt nicht lange unbemerkt, Heilner wird mit Arrest bestraft. Also geht Hans am nächsten Tag allein spazieren. Als er zurückkommt, ist Heilner ver­schwun­den. Man sucht ihn, ohne Erfolg. Erst am übernächsten Tag klärt sich die Sache auf: Heilner ist aus dem Internat geflohen. In Schande wird er nun der Schule verwiesen, und die Schüler dürfen keinen Kontakt mehr zu ihm haben. Hans schreibt seinem Freund trotzdem, bekommt aber keine Antwort.

Gescheitert

Jetzt ist Hans völlig isoliert. Die Lehrer glauben, er habe von Heilners Fluchtplänen gewusst, und sehen ihn als Komplizen an. Auch die Mitschüler wollen nichts mehr von ihm wissen. Im Unterricht hat er schon lange den Faden verloren und gehört inzwischen zu den Schlecht­esten seiner Klasse. Dafür erntet er nur Spott und Tadel. Der Vater schickt ihm einen mahnenden Brief. Dass er ausgebrannt, erschöpft und einsam ist, nimmt niemand wahr. Als Hans eines Tages im Unterricht zusam­men­bricht, befürchtet der Arzt eine ernsthafte Ner­venkrankheit und schickt ihn vorzeitig nach Hause, angeblich zur Erholung. Doch allen ist klar, dass er nicht mehr in das Seminar zurückkommen wird. Joseph Giebenrath macht seinem Sohn keine Vorwürfe. Er weiß nicht, was mit dem Jungen geschehen ist und was er nun mit ihm anfangen soll. Hans ist schnell erschöpft und hat zu nichts mehr Lust. Niemand kümmert sich um ihn, und so treibt er sich meistens ziellos und allein im Wald herum. Er träumt von Heilner und von einem Mann, der ihn von einem Boot aus zu sich ruft. Bald überkommen ihn Selb­st­mordgedanken. Im Wald sucht er sich eine Stelle aus, an der er sterben möchte. Er schreibt Ab­schieds­briefe an seinen Vater und an Heilner, führt seinen Plan schließlich aber doch nicht aus. Er träumt viel von seiner Kindheit und spürt, dass er diese verlorene Welt nicht mehr zurückholen kann.

Ein neues Leben

Inzwischen ist es Herbst geworden. Joseph Giebenrath beschließt, dass es für Hans an der Zeit ist, eine Ausbildung anzufangen. Eines Tages hilft Hans dem Schuhmacher Flaig beim Apfelmosten. Dabei lernt er Flaigs Nichte Emma kennen, die gerade zu Besuch ist. Sie ist ein paar Jahre älter als Hans, ein tem­pera­mentvolles Mädchen, das ihm gegenüber keinerlei Schüchternheit zeigt. Hans wird in ihrer Gegenwart immer sonderbarer und muss sich schließlich eingestehen, dass er sich wohl in Emma verliebt hat. An diesem Abend eröffnet ihm sein Vater seine Zukunftspläne und fragt, ob er lieber Schreiber oder Mechaniker werden wolle. Hans weiß auf diese Frage keine Antwort, er denkt nur an Emma. Später schleicht er sich unbemerkt aus dem Haus. Es treibt ihn zu Flaig, er muss Emma noch einmal sehen. Als er beim Gartenzaun steht, kommt Emma zu ihm heraus. Sie lässt sich von ihm die Hand halten und gibt ihm schließlich sogar einen Kuss. Dann lädt sie ihn ein, am nächsten Abend wiederzukom­men. Ganz benommen von einem ungekannten Gefühl geht Hans nach Hause. Am nächsten Tag bespricht er sich mit seinem früheren Freund August, dem Mechaniker­lehrling, und entscheidet sich dafür, im selben Betrieb wie er eine Ausbildung zu beginnen. Am Abend macht er sich wieder auf zu Emma. Sie lässt ihn ins Haus kommen, küsst ihn erneut und ermutigt ihn, sie anzufassen. Hans ist so überwältigt von neuen, fremden Gefühlen, dass ihm schwindlig wird. Rasch macht er sich auf den Heimweg.

Tod im Fluss

Eines Tages erfährt Hans, dass Emma wieder nach Hause gereist ist. Sie hat ihn nicht darüber informiert und sich auch nicht ve­r­ab­schiedet. Er ist sich sicher, dass sie nur mit ihm gespielt und seine Zuneigung nicht ernst genommen hat. Hans ist tief enttäuscht. Der Tag, an dem er seine Lehre beginnen soll, rückt näher. Er fürchtet sich davor – denn jetzt ist of­fen­sichtlich, dass aus ihm trotz aller Anstrengung nichts geworden ist. Er schämt sich in der blauen Mechanikerk­luft; auf der Straße verspotten ihn zwei frühere Mitschüler als „Lan­dex­a­m­enss­chlosser“. Die körperliche Arbeit in der Werkstatt macht ihm Freude, strengt ihn aber auch an, und bald ist er erschöpft. August will am Son­nta­gnach­mit­tag mit ein paar Kollegen weggehen und lädt Hans ein, mitzukommen. Sie wandern in den Nachbarort, ziehen dort von einem Gasthof zum anderen und trinken Bier. Hans fühlt sich in der Gruppe wohl und trinkt mit, aber er ist den Alkohol nicht gewohnt. Während für die anderen der Abend noch lange nicht zu Ende ist, ist Hans bald so betrunken, dass er nach Hause will. Er macht sich allein auf den Heimweg. In seinem Rausch denkt er über sein Leben und sein Versagen nach und darüber, in welchem Zustand er nun seinem Vater gegenübertreten muss. Scham und Trauer überwältigen ihn. In dieser Nacht wartet Joseph Giebenrath vergeblich auf seinen Sohn. Am nächsten Tag findet man Hans tot im Fluss. Ob es ein Unfall oder Selbstmord war, lässt sich nicht klären. Bei der Beerdigung kommt die ganze Stadt zusammen, auch Hans’ Lehrer und der Stadtp­far­rer sind anwesend. Der Vater beklagt das Unglück, das seinen begabten Sohn treffen musste. Schuster Flaig dagegen mutmaßt, an diesem Unglück seien einige der Anwesenden nicht ganz unschuldig.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman Unterm Rad besteht aus sieben Kapiteln. Die Handlung umfasst einen Zeitraum von knapp anderthalb Jahren. Sie setzt wenige Tage vor dem Landexamen von Hans Giebenrath ein und endet mit seinem Begräbnis. Die ersten beiden Kapitel spielen überwiegend in Hans’ Heimatstadt, Kapitel drei und vier beschreiben sein Leben in Maulbronn, während er in den letzten drei Kapiteln wieder zu Hause ist. Mehrmals werfen einige ausführliche Rückblenden Licht auf die Kindheit von Hans Giebenrath. Der Erzähler berichtet überwiegend aus der Perspektive der Hauptfigur, z. T. aber auch aus der Sicht von Hermann Heilner. Die eigentliche Handlung wird öfter von langen Naturschilderun­gen und Be­tra­ch­tun­gen über das damalige Schulsystem un­ter­brochen. Die Beschrei­bun­gen der Natur sind in einer sehr poetischen Sprache abgefasst und bilden einen deutlichen Kontrast zu Hans’ bedrückendem Leben im Seminar. In seinen Kommentaren lässt sich der Erzähler auf sehr ironische, bissige Weise über die Schule und die Lehrer aus. Auffällig ist Hesses äußerst plastische Erzählweise in manchen Abschnitten, mit der es ihm gelingt, alle Sinne des Lesers anzus­prechen, so etwa bei der Darstellung des gemeinsamen Mostens.

In­ter­pre­ta­tion­sansätze

  • Unterm Rad steht in der Tradition des Bildungs- und En­twick­lungsro­mans, die bis in die Zeit der Aufklärung zurückreicht. Charak­ter­is­tisch für diese Romanform ist die persönliche Entwicklung eines Menschen, meist in jungen Jahren.
  • Mit seinem Roman übt Hermann Hesse scharfe Kritik an einem Bil­dungssys­tem, das keine Rücksicht auf die In­di­vid­u­alität der Schüler nimmt, sondern alles daransetzt, ihre Persönlichkeit zu zerstören, um sie zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu formen. Hesse klagt auch eine Gesellschaft an, die auf äußere Erfolge fixiert ist und in der die Menschen sich selbst und andere durch ihren Ehrgeiz zugrunde richten.
  • Der Roman ist stark von Gegensätzen geprägt. So werden Bildung und Natur miteinander kon­trastiert. Die idyllische Welt des Kleinstädtchens, in dem Hans Giebenrath aufwächst, steht wiederum im Gegensatz zur lebens­feindlichen Welt des Seminars. Einen weiteren Kontrast bilden der fromme Schuster Flaig, der als Einziger die Nöte des Jungen wahrnimmt, und der Stadtp­far­rer, für den nicht der Glaube, sondern the­ol­o­gis­che Bildung wichtig ist.
  • Das Rad als Metapher spielt eine zentrale Rolle und steht für das System, das auf den Einzelnen keine Rücksicht nimmt. Selbst als Hans dem Räderwerk des Seminars entronnen ist, muss er in der Mechaniker­w­erk­statt noch Zahnräder zurecht­feilen.
  • Hans Giebenraths strebsame Art steht im Gegensatz zur inneren Unabhängigkeit des künstlerisch veranlagten Hermann Heilner. Manche Interpreten sehen in dieser Schilderung einen Versuch Hermann Hesses, seine eigenen inneren Widersprüche mithilfe der Aufspaltung in zwei un­ter­schiedliche Charaktere darzustellen.
  • Es bleibt offen, ob Hans im betrunkenen Zustand verse­hentlich ins Wasser gefallen ist oder sich aus Angst und Scham das Leben genommen hat. Fest steht, dass Hans’ Tod nur ein sichtbarer Ausdruck dessen ist, was schon lange zuvor geschah: Sein Leben ist zerstört worden. Uneins ist sich die Forschung in der Frage, was nun letztlich Hans’ Scheitern verursacht. Einerseits ist er ein Opfer des Ehrgeizes anderer und lässt sich für ihre Zwecke in­stru­men­tal­isieren, ohne sich zu wehren. An­der­er­seits ist er zart und wenig belastbar, was sicher auch zu seinem Scheitern beiträgt.

His­torischer Hintergrund

Die protes­tantis­chen Kloster­schulen in Württemberg

Die the­ol­o­gis­chen Seminare in Württemberg haben eine lange Tradition. Ab 1534 wurde die Reformation in Württemberg eingeführt und in der Folge wurden die Männerklöster aufgelöst. Stattdessen richtete man in 13 Klöstern Schulen ein, in denen der the­ol­o­gis­che Nachwuchs ausgebildet wurde. Während des Dreißigjährigen Krieges zogen vorübergehend nochmals Mönche in die Klöster ein, danach wurden einige der protes­tantis­chen Kloster­schulen wiedereröffnet. In den An­fangs­jahren lebten die Schüler wie die Mönche, sie hatten einen festen Tagesablauf mit Stun­denge­beten und trugen eine schwarze Tracht. Mit der Zeit wurden diese Regeln aufgehoben, doch das Leben im Seminar folgte weiterhin einer festen Ordnung, Fehlver­hal­ten wurde streng bestraft.

Jedes Jahr wurden in ganz Württemberg die besten Schüler der achten Klasse im Landexamen geprüft; wer es bestand, hatte einen der begehrten Plätze im Seminar ergattert. Diesen Schülern wurde nicht nur die weitere schulische Ausbildung im Internat komplett finanziert, sondern auch noch das gesamte The­olo­gi­es­tudium. So hatten auch begabte Jungen aus weniger wohlhaben­den Familien eine Chance auf höhere Bildung. Dafür mussten sich die Sem­i­nar­is­ten verpflichten, tatsächlich Theologie zu studieren. Wer sich dann doch für ein anderes Fach entschied, musste einen Teil der Aus­bil­dungskosten zurückzahlen. Die Jungen lebten und arbeiteten in Gruppen; In­di­vid­u­al­is­mus war nicht erwünscht. Da die Schule auf das The­olo­gi­es­tudium vorbereiten sollte, nahmen die alten Sprachen und die Religion einen großen Raum im Stundenplan ein. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurden auch moderne Sprachen und Natur­wis­senschaften un­ter­richtet. Zwei der Kloster­schulen bestehen noch immer: in Blaubeuren und Maulbronn. Sie sind inzwischen evan­ge­lis­che Internate für Jungen und Mädchen. Die Aufnahmeprüfungen für diese Schulen werden bis heute als Landexamen bezeichnet. Berühmte Schüler Maulbronns waren außer Hermann Hesse Johannes Kepler, Friedrich Hölderlin und David Friedrich Strauss.

Entstehung

Unterm Rad war Hermann Hesses zweiter Roman. Als er ihn verfasste, war er gerade mal 26 Jahre alt. Mit dem Erstling Peter Camenzind hatte er bereits den Durchbruch geschafft und lebte fortan als freier Schrift­steller. Unterm Rad weist starke au­to­bi­ografis­che Bezüge auf: Hermann Hesse legte im Jahr 1891 selbst das Landexamen ab und war danach einige Monate Schüler im Seminar Maulbronn. Intelligent und strebsam, aber zugleich auch aufmüpfig, fiel es ihm zunehmend schwer, sich in das System einzufügen. In Unterm Rad tragen sowohl Hans Giebenrath als auch Hermann Heilner – der u. a. durch seinen Vornamen und seine Initialen auf Hesse hinweist – Charakterzüge des Autors. Wie Heilner floh Hesse im März 1892 aus dem Internat und musste daraufhin das Seminar verlassen. Hermann Hesse begann danach, wie Hans Giebenrath, eine Mechaniker­lehre, und auch er versuchte, seinem Leben ein Ende zu setzen. „An mir hat die Schule viel ka­puttgemacht“, schrieb er in einem Brief. Be­merkenswert ist, dass Hesse, der selbst in einer streng pietis­tis­chen Familie aufwuchs und sich mit seinem Vater heftig überwarf, im Roman den Pietismus dennoch positiv darstellt: Der fromme Schuster Flaig ist der Einzige, der sich wirklich für Hans in­ter­essiert und sich Sorgen um ihn macht. Als der Roman erschien, war das Thema Schule in Mode, es gab zu dieser Zeit noch etliche andere Werke, die die Probleme des Bil­dungssys­tems darstellten, darunter Die Ver­wirrun­gen des Zöglings Törless (1906) von Robert Musil und Frühlings Erwachen von Frank Wedekind (1891).

Wirkungs­geschichte

Unterm Rad wurde zunächst von Anfang April bis Mitte Mai 1904 als Fort­set­zungsro­man in der Neuen Zürcher Zeitung abgedruckt. Als Buch wurde eine etwas entschärfte Fassung 1906 publiziert. Nach dem Erscheinen gab es prompt Proteste vonseiten der würt­tem­ber­gis­chen Lehrerschaft. Die Kritik nahm den Roman sehr zwiespältig auf; einige Kritiker bemängelten, das Buch sei tendenziös, und über der Abrechnung mit dem Schulsystem sei die lit­er­arische Qualität verloren gegangen.

Im na­tion­al­sozial­is­tis­chen Deutschland waren die Bücher des erklärten Pazifisten und An­ti­na­tion­al­is­ten Hesse nicht erwünscht. Auch Unterm Rad durfte ab 1937 nicht mehr verkauft werden. Dafür erlebte Hesses Werk nach dem Krieg eine Renaissance; vor allem Jugendliche konnten sich mit den Texten iden­ti­fizieren. 1946 wurde Hesse mit dem Nobelpreis für Literatur aus­geze­ich­net. Ein Jahrzehnt später sah die Lage wieder etwas anders aus, Hesses Texte galten mit­tler­weile als kitschig. Doch mit dem Viet­namkrieg erlebte der Autor einen neuen Boom in der jungen Generation, zuerst in den USA und ab Mitte der 1970er Jahre auch in Deutschland. Die jungen Menschen, die nach In­di­vid­u­alität und Selb­st­bes­tim­mung strebten, fanden sich in seinen Werken wieder, gerade auch in Unterm Rad.

Über den Autor

Hermann Hesse wird am 2. Juli 1877 im Schwarzwaldstädtchen Calw als Sohn des Missionars Johannes Hesse und der ebenfalls mis­sion­ar­isch tätigen Marie Gundert geboren. 1881 zieht die Familie nach Basel, wo der Vater die Schweizer Staatsangehörigkeit annimmt. Nach der Rückkehr nach Calw im Jahr 1883 besucht Hesse die Latein­schule in Göppingen. 1891 tritt er in das evan­ge­lis­che Klostersem­i­nar in Maulbronn ein. Nach einigen Monaten flüchtet er jedoch von dort, um Dichter zu werden. Nach einem Selb­st­mord­ver­such besteht er 1893 das Einjährig-Frei­willi­gen-Ex­a­men (mittlere Reife) am Gymnasium in Cannstatt. Im gleichen Jahr beginnt er eine Buchhändlerlehre, die er jedoch nach nur drei Tagen hinwirft. Nach einer Ausbildung zum Mechaniker fühlt er sich wieder bereit für Geistiges und beendet die zweite begonnene Buchhändlerlehre erfolgreich. Nach den Gedicht­samm­lun­gen Das deutsche Dichterheim und Romantische Lieder bringt der Roman Peter Camenzind (1904) Hesse den Durchbruch als Autor. In diesem Werk und im zwei Jahre später fer­tiggestell­ten Unterm Rad (1906) verarbeitet er seine schlechten Erfahrungen aus der Schulzeit. 1911 unternimmt er die einzige große Reise seines Lebens, die ihn nach Ceylon und Sumatra führt. Die dort empfangenen Eindrücke werden für sein weiteres Werk sehr wichtig. 1916 erleidet er einen Ner­ven­zusam­men­bruch. Der Grund ist der Tod seines Vaters und die vo­ran­schre­i­t­ende Schiz­o­phre­nie seiner Frau Maria Bernoulli. Hesse begibt sich in die psy­chother­a­peutis­che Behandlung eines Schülers von C. G. Jung. Die Beschäftigung mit der Jung’schen Ar­che­typen­lehre findet ihren lit­er­arischen Nieder­schlag in der 1919 veröffentlichten Erzählung Demian und im Roman Narziß und Goldmund (1929/30). Hesses Bücher bekommen einen fernöstlich bee­in­flussten, meditativen Charakter, besonders Siddhartha (1922). 1927, zwischen seiner zweiten und seiner dritten Heirat, erscheint der Roman Der Steppenwolf. Während der NS-Herrschaft werden viele Bücher Hermann Hesses in Deutschland verboten. In dieser Zeit schreibt er sehr lange (1930–1943) an seinem großen Spätwerk Das Glasper­len­spiel. 1946 erhält Hesse den Nobelpreis für Literatur, 1955 den Frieden­spreis des Deutschen Buchhandels. Am 9. August 1962 stirbt Hermann Hesse in Montagnola in seiner Wahlheimat, der Schweiz.