MRPII und Kanban: Zwei Verfahren mit Tücken
Viele Fertigungsverfahren beherbergen Massnahmen ohne Mehrwert. Wenn diese eliminiert werden können, werden die Gesamtkosten verringert und gleichzeitig der Kunde besser bedient. Das am weitesten verbreitete MRPII arbeitet nach der Bring-Methode, die einer veränderten Nachfrage nicht gerecht wird. Auch die Kosten sind relativ hoch. Das bei Toyota entwickelte manuelle Kanban(=Karten)-System arbeitet nach dem Prinzip der Just-in-Time-Produktion (JIT). Das heisst, dass die für die Herstellung benötigten Komponenten kurz vor der Produktion angeliefert werden. Die Stärke beim manuellen Kanban ist, dass ein automatisches Wiederauffüllen erfolgt, sobald der Bestand durch Verbrauch auf ein bestimmtes Niveau absinkt. Das Problem beim manuellen Kanban ist, dass bei diesem Verfahren Massnahmen ohne Mehrwert notwendig sind. Das ist z. B. ein manuelles Neuberechnen, wenn der Verbrauch an Teilen höher ist als erwartet.
Der Weg aus der Misere heisst Integration
Die Nachteile von MRPII und manuellem Kanban können kompensiert werden. Dies gelingt durch ein automatisiertes Kanban-System. Dieses integriert MRPII, Kanban sowie Barcodes und eine vereinfachte Version von Electronic Data Interchange (EDI). Das automatisierte Kanban (auch AFT=Automated Flow Technology genannt) berechnet die erforderlichen Losgrössen automatisch. Damit werden Lagerbestände erheblich verkleinert. Dies gelingt, da das integrierte EDI dem Hauptzulieferer den Bedarf mitteilt. Telefonate und Anschreiben, also typische Beispiele für Massnahmen ohne Mehrwert, entfallen dadurch. Ergebnis ist eine Stärkung der Position des Unternehmens im Wettbewerb.
Push- und Pull-Systeme
Das MRPII als Push-System besitzt ein Modul, das Bestellungen in die Wege leitet, neu festsetzt oder storniert. Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf dieses Systems ist ein linearer Bedarf. Auf Veränderungen im Kundenbedarf kann es kaum angemessen reagieren. Vor dem Aufkommen des MRP war das Order-Point-System, ein Pull-System, weit verbreitet. Dieses System funktioniert nach dem Prinzip "Bedarf während der Durchlaufzeit plus Sicherheitsbestand". Die Berechnungen erfolgen manuell. Das macht das Order-Point-System ineffektiv. Das manuelle Kanban-System, ebenfalls ein Pull-System, findet in einem gut durchorganisierten Betrieb seinen Einsatz. Es wird zwischen Produktion-Kanban, Transport-Kanban und Zulieferer-Kanban unterschieden. Dabei wird immer mittels Karten das Gesamtsystem gesteuert. Auch hier finden sich Massnahmen ohne Mehrwert, beispielsweise das Neuberechnen der Kanban-Losgrösse bei verändertem Planbedarf. Auch der Informationsfluss besitzt einige Massnahmen ohne Mehrwert.
Automatisierter Kanban steigert Effektivität
Die bei den Systemen manueller Kanban, MRPII oder Order-Point unvermeidbaren Massnahmen ohne Mehrwert können mit Hilfe des automatisierten Kanban entscheidend reduziert werden. Es ist ein effizient arbeitendes Pull-System entstanden, dass dem Kundenbedarf Rechnung trägt und gleichzeitig hilft, Zeit und Kosten zu sparen.
So funktioniert MRPII
MRPII basiert auf einem Regelkreis. Dieses Push-System gilt als die Stütze der nordamerikanischen Materialfluss-Steuerungssysteme. Herz dieses Systems ist das MRP-Modul, ein computerisiertes Kalkulationswerkzeug, das den Gesamtproduktionsplan unterstützt, in dem die zur Produktion erforderlichen Mengen bestimmt und in ein Zeitraster eingefügt werden. Hinzu kommen beim MRPII Module für die Werkstattplanung, für den Gesamtproduktionsplan und die Planung für die Kapazitätsanforderungen.
Und so funktioniert das Order-Point-System
Beim Order-Point-System werden Kalkulationen manuell erledigt. Ausnahme: Um eine automatische Wiederauffüllung des Lagers auszulösen, wird eine computerisierte Meldung benötigt. Die mathematische Gleichung zur Bestimmung dieses Order-Points entspricht dem Bedarf während der Durchlaufzeit plus Sicherheitsbestand. Das Order-Point-System tut gute Dienste bei einer linearen Bedarfsstruktur, wie sie beispielsweise in der Werkstattfertigung zu finden ist.
Das manuelle Kanban-System
Beim manuellen Kanban-System übermitteln Kanban-Karten Informationen innerhalb eines Unternehmens und in Richtung der Zulieferer. Durch das Kanban-System werden alle betriebsinternen Bewegungen vereinheitlicht. Die gesamte Werkstattfertigung wird auf diese Weise synchronisiert. Angewandt werden kann das manuelle Kanban-System allerdings nur bei einer linearen Bedarfsanforderung. Dies wird durch sequentielles Ordnen erreicht. Berechnet werden muss auch der Personaleinsatz bei flexiblen Arbeitszellen und das Arbeitsgehalt. Dieses umfasst die Rüstzeit, die Arbeitszeit pro Fertigungsvorgang und die Transportzeit.
Automatisiertes Kanban-System = Automated Flow Technology
Automated Flow Technology (AFT) ist ein leistungsstarkes Pull-System, das die Gesamtkosten der Fertigung deutlich reduziert. Mit Hilfe von AFT werden die beim Kanban-System anfallenden Massnahmen ohne Mehrwert vermieden, indem Kanban-Losgrössen kalkuliert werden, Bestellungen auf Verbrauchsbasis erstellt und heruntergeladen werden, Fertigungsaufträge erteilt, Eingänge bestätigt werden und die Personalausstattung flexibler Arbeitszellen ermittelt wird. Für das AFT-System stehen Einfach-, Zweifach-, Dreifach- oder Mehrfachbehälter zur Wahl. Diese werden in eine Datei verschoben, die auf einem Bildschirm abgelesen werden kann.
Das Kanban-System im gesamten Unternehmen
Die Implementierung eines Kanban-Systems kann vieles bewirken. Doch um an die Weltspitze aufzurücken, werden noch weitere Techniken benötigt. Kanban allein reicht nicht. Wichtig ist auch, grundsätzlich drei Kanban-Ziele nicht aus den Augen zu verlieren: Erstens die Fertigungs- und Zuliefererdurchlaufzeiten für das Wiederauffüllen des Lagerbestandes zu reduzieren. Zweitens die Losgrössen zu verkleinern und drittens Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die das automatische Wiederauffüllen der Lagerbestände erschweren. Um das erste Ziel zu erreichen, muss der Lagerbestand verkleinert, Stellraum freigemacht und das Verfahren zum Betrieb des Kanban-Systems vereinfacht werden. Das zweite Ziel erreicht man, indem lange Rüstzeiten vermieden werden, und das dritte durch ein Bündel von Massnahmen, wozu insbesondere die Schulung der Mitarbeiter zählt.
Kanban-System im Rahmen anderer Verbesserungstechniken
Um ein Kanban-System erfolgreich in die Praxis umzusetzen, müssen einige Grundvoraussetzungen beachtet werden. Dazu gehört die Ausarbeitung eines Planes, der alle Massnahmen terminiert. Gerade den Mitarbeitern gegenüber muss deutlich gemacht werden, welche Vorteile eine Just-in-Time-Produktion für das Unternehmen hat. Schulungen sind hier unerlässlich. Hinzu kommt das Werkzeug der Total Productive Maintenance (TPM), einer Instandhaltungsmethode, die die vorhandenen Betriebsmittel optimal nutzt, da Maschinenausfälle nicht mehr vorkommen. TPM umfasst eine vorbeugende Instandhaltung, eine autonome Instandhaltung, eine prädikative Instandhaltung und die Messung der Gesamtaktivität. Ziel von TPM ist es, Ausfälle und Defekte auf ein Nullmass zu reduzieren. Eine andere Optimierungstechnik ist die Übersichtlichkeit am Arbeitsplatz. Diese wird durch die Fünf-S-Methode erreicht. Die fünf (japanischen) S sind (in deutscher Sprache): Ordnung schaffen, Ordnungsliebe, Sauberkeit, Standardisierung und Disziplin.
Kostentreiber Lager
Kostentreiber Nummer eins und damit klassisches Beispiel für eine Massnahme ohne Mehrwert ist das Lager. Deshalb sollte Ihr Anliegen sein, dies so klein wie nötig zu halten. Hier setzt auch Ihr Zulieferer an, der unbedingt in das neue System eingebunden werden muss. Er muss garantieren können, dass er die benötigten Teile zu einem bestimmten Zeitpunkt liefern kann. Ansonsten stellt sich die Frage, ob die Beziehung nicht ernsthaft überprüft werden sollte.
Den Zulieferer testen
Wenn Ihr Unternehmen ein Kanban-System einführen will, sollte es frühzeitig seine Zulieferer darüber informieren. Diese müssen natürlich nicht ebenfalls ein Kanban-System einführen, benötigen aber ausreichend Zeit, um ihre Lieferstrukturen anzupassen. Jeder Zulieferer ist für die Qualität und den Zeitpunkt der Lieferung verantwortlich. Deshalb sollten Sie ihm auch ein Mitspracherecht einräumen, wenn es um die Auswahl des Behältertyps geht, der für den Transport verwendet wird.
Die Zeit spielt eine wichtige Rolle
Die Implementierung des Kanban-Systems ist ein recht langsamer Prozess. Das Tempo sollte dabei zielgerichtet, aber gemässigt sein. Die oftmals treibenden Kräfte in Form der Maschinenbetreiber sollten sich diesem Tempo anpassen.
AFT und EDV
Um bestehende Systeme in das Automated Flow Technology System (AFT) aufgehen zu lassen, sind die EDV-Schlüsselfelder entsprechend zu programmieren. Dazu gehören das Teilenummernfeld, das Textfeld, das Make/Buy-Feld, das Planer-Code-Feld, das Feld für die Lieferantennummern, das Feld für die Nummer der Fertigungsabteilung, das Minimumfeld, das Mehrfachfeld, das Feld für die Durchlaufzeit des Zulieferers, das Feld für den Sicherheitsbestand, das Feld für Qualitätshinweise, das Feld für die Kanban-Losgrösse und weitere Felder.
So wird das automatisierte Kanban-System betrieben: Meldungen an den Zulieferer
Wenn das automatisierte Kanban-System, also die Integration von MPR und manuellem Kanban, vollzogen wurde, kann das System an den Start gehen. Zuerst einmal müssen die Meldungen an den Zulieferer installiert werden. Dafür wird der Bruttobedarf an den Zulieferer als Planbedarf per Download gemeldet. Der Zulieferer kann daraus sehr einfach den durchschnittlichen Tagesbedarf ermitteln. Genauer sind allerdings Nettobedarfsmeldungen. Für den Zulieferer äusserst benutzerfreundlich sind Meldungen über die geplante Auftragsfreigabe.
Der Weg ist das Ziel
Ein kleines Lager erreicht man durch häufige Warenlieferungen. Auf der anderen Seite fallen so Transport- und Bearbeitungskosten an. Daher sollte man die anzuliefernden Teile nach Wichtigkeit bewerten und dann die Anlieferungsfrequenz planen. Dabei hat sich die A-, B-, C-Analyse bewährt. A-Posten sind extrem kostenintensiv. Sie machen in der Regel 20 % an der Gesamtteilemenge aus, aber 80 % des Gesamtlagerwerts. C-Posten sind kostengünstige Posten mit einem Anteil von 50 % an der Gesamtteilemenge und nur 5 % des Gesamtlagerwertes. Die Konsequenz: A-Posten häufig anliefern lassen, C-Posten hingegen selten.