Crash-Kommunikation

Buch Crash-Kommunikation

Warum Piloten versagen und Manager Fehler machen

Gabal,


Rezension

Fehler können tödlich sein, im Flugzeug wie im Unternehmen. In der Luftfahrt hat man ausgeklügelte Strategien erarbeitet, um Katas­tro­phen zu verhindern. In Unternehmen dagegen wird erstaunlich wenig über dieses Thema nachgedacht – bis die Turbulenzen kommen und es zu spät ist. Führungskräfte können von Piloten einiges lernen, davon ist Peter Klaus Brandl überzeugt. In seinem Buch Crash-Kom­mu­nika­tion analysiert der Berufspilot und Man­age­ment­trainer die Ursachen spektakulärer Katas­tro­phen in der Luftfahrt ebenso wie in der Wirtschaft. Die er­staunliche Erkenntnis: Offenbar werden Flugzeuge und Unternehmen von denselben Fehlern ins Trudeln gebracht. Brandls Buch ist nicht nur informativ, sondern auch aus­ge­sprochen spannend zu lesen. BooksInShort empfiehlt es allen Führungskräften, die ihr Unternehmen sicher steuern und vor dem Absturz bewahren wollen.

Take-aways

  • In der Luftfahrt werden Katas­tro­phenfälle trainiert, in der Wirtschaft kaum.
  • Unter Stress können Menschen nicht rational entscheiden.
  • Das Stammhirn übernimmt die Regie. Es kennt nur drei Reaktionsmöglichkeiten: weglaufen, angreifen, sich tot stellen.
  • Unternehmen scheitern oft, weil die Chefs auf den Ernstfall nicht vorbereitet sind und vor Problemen die Augen verschließen.
  • Bestimmen Sie regelmäßig die Position des Un­ternehmens, erstellen Sie Worst-Case-Szenar­ien und erarbeiten Sie mögliche Lösungen.
  • Nehmen Sie die Meinungen Ihrer Mitarbeiter ernst und sehen Sie sie als Korrektiv an.
  • Fixieren Sie sich nicht zu sehr auf Ihre Ziele. Wenn etwas nicht klappt, steigen Sie rechtzeitig aus.
  • Sorgen Sie dafür, dass die Zuständigkeiten im Unternehmen klar verteilt sind.
  • Ihre interne Kom­mu­nika­tion muss klar und offen sein. Vermeiden Sie versteckte Botschaften und Killer­phrasen wie: „Das hat noch nie geklappt!“
  • Fördern Sie einen offenen Umgang mit Fehlern. Nur so können diese in Zukunft vermieden werden.
 

Zusammenfassung

Der menschliche Faktor

Da sitzt ein erfahrener Flugkapitän am Steuer, und trotz aller Sicherungssys­teme führt ein Pi­loten­fehler zum Absturz, der viele Men­schen­leben kostet. Oder: Ein angesehenes Tra­di­tion­sun­ternehmen verliert innerhalb weniger Jahre immer mehr an Boden und muss schließlich Insolvenz anmelden. In solchen Fällen werden gern äußere Faktoren bemüht – beim Flugzeu­gab­sturz etwa das Wetter, beim Unternehmen die schlechte Auf­tragslage oder die Konjunktur –, aber in der Regel gibt es nur eine Ursache: men­schliches Versagen. Auch den besten und er­fahren­sten Flugkapitänen und Führungskräften können schier unglaubliche Fehler passieren, die zum Absturz führen. Das liegt letztlich an der genetischen Ausstattung des Menschen: Seit Urzeiten sind wir darauf pro­gram­miert, in Stress­si­t­u­a­tio­nen rasche, einfache Entschei­dun­gen zu treffen, ohne nachzu­denken. In der Luftfahrt versucht man dieser Tendenz mit Trainings ent­ge­gen­zuwirken, in der Wirtschaft spielt dieses Thema jedoch noch kaum eine Rolle.

Der Säbelzah­ntiger im Büro

In einer Stress­si­t­u­a­tion wird das Großhirn, das für das analytische Denken zuständig ist, aus­geschal­tet. Stattdessen übernimmt das Stammhirn die Regie, der älteste Teil des Gehirns. Es kennt nur drei Reaktionsmöglichkeiten: angreifen, weglaufen und sich tot stellen. Wenn der Steinzeit­men­sch plötzlich einem Säbelzah­ntiger gegenüberstand, konnte dieses einfache Schema leben­sret­tend sein. Und nach diesem Muster reagieren wir heute noch, obwohl sich die Bedrohungen verändert haben. Die modernen Säbelzah­ntiger heißen Konkur­ren­z­druck, sinkende Um­satz­zahlen, Angst um den Ar­beit­splatz. Für diese kon­tinuier­lichen Bedrohungen sind die angeborenen Reaktionen aber nicht geeignet. Je größer der Stress, umso größer die Gefahr, dass die Entschei­dungsträger reflexartig reagieren, statt sys­tem­a­tisch nach Lösungen zu suchen. Ein Unternehmen steckt in der Krise, und die Un­ternehmensführung stellt sich tot, macht einfach weiter wie gewohnt, bis es zu spät ist. Anderswo verstrickt sich ein Unternehmen in sinnlose Gericht­sprozesse, statt seine wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Hier wird der An­griff­s­re­flex ausagiert, allerdings an der falschen Stelle. Machen Sie sich als Führungskraft solche Mechanismen bewusst und versuchen Sie, unter Druck nicht blind vorzugehen, sondern möglichst rational zu handeln.

Was ist Wirk­lichkeit?

Menschen nehmen nur einen Bruchteil dessen auf, was tagtäglich an Reizen auf sie einstürmt. Unser Gehirn könnte auch gar nicht alles verarbeiten, deshalb filtert es die aller­meis­ten Reize aus, ohne dass wir es überhaupt bemerken. Dabei wird meistens das aus­geschlossen, was nicht in unser Weltbild und unsere Vor­erfahrun­gen passt. So konstruiert sich letztlich jeder Mensch seine Wirk­lichkeit selbst. In Stress­si­t­u­a­tio­nen verstärkt sich dieser Tunnelblick – kein Wunder also, dass viele Führungskräfte noch den Aufschwung beschwören, wenn das Unternehmen schon kurz vor der Pleite steht. Außerdem neigen Menschen dazu, sich unter Stress eher einzuigeln, weniger zu kom­mu­nizieren und schneller aggressiv zu werden. Für ein Unternehmen in der Krise hat das fatale Folgen. Holen Sie sich, um sich vor Wahrnehmungsverz­er­run­gen zu schützen, regelmäßig Einschätzungen von außen ein, auch und gerade dann, wenn Sie nicht das hören, was Sie hören wollen. Achten Sie auf eine gute Kom­mu­nika­tion im Unternehmen, besonders in schwierigen Zeiten.

Den Ernstfall trainieren

Piloten proben den Ernstfall am Flugsim­u­la­tor. Solche Katas­tro­phen­sim­u­la­tio­nen sind auch im Unternehmen hilfreich. Was wäre für Ihr Unternehmen der Worst Case? Etwa der Verlust eines wichtigen Kunden, billige Konkurrenz aus Fernost, Probleme mit Ihrer Bank? Was würden Sie dann tun? Nehmen Sie sich wenigstens einmal im Jahr einen Tag Zeit, um solche Worst-Case-Szenar­ien zu erstellen und mögliche Lösungen zu erarbeiten. Dann sind Sie für den Ernstfall vorbereitet und können entspannter handeln. Oft müssen Sie gar nicht sofort auf ein Problem reagieren. Gehen Sie einmal um den Block oder überschlafen Sie das Problem, um wieder klarer zu sehen. Vermeiden Sie auf jeden Fall hektische Spon­tan­reak­tio­nen, denn die sind mit Sicherheit nicht die beste Lösung.

Die Macht der Chefs

Statistisch gesehen sind Sie in einem Flugzeug dann am sichersten, wenn der Kopilot die Maschine fliegt. Sitzt dagegen ein erfahrener Flugkapitän am Steuer, steigt die Wahrschein­lichkeit, dass es zu einem Absturz kommt. Woran liegt das? Wenn der Kopilot einen Fehler macht, wird der Flugkapitän kein Problem haben, ihn zu korrigieren. Im umgekehrten Fall ist es schwieriger: Welcher Kopilot traut sich schon, dem Chef das Steuer aus der Hand zu nehmen? Im Unternehmen ist das ähnlich. Ein Chef, der von sich selbst überzeugt ist und keine Kritik duldet, ist für die Firma ein ernsthaftes Risiko. Auch wenn viele Unternehmen einen ko­op­er­a­tiven Führungsstil propagieren, werden die Entschei­dun­gen in Wirk­lichkeit noch immer von der Führungsriege im stillen Kämmerlein getroffen, und die Mitarbeiter haben sie auszuführen. Das gilt vor allem in Krisen­si­t­u­a­tio­nen: Je schwieriger die Lage ist, umso eher neigen Führungskräfte dazu, Ihre Entschei­dun­gen allein zu treffen. Dabei können die Mitarbeiter ein Korrektiv sein – sie sind Kopiloten, die vor Fehlentschei­dun­gen warnen.

Augen zu und durch?

Wer Erfolg haben will, muss sich Ziele setzen und dann unbeirrbar auf sie zusteuern, so die gängige Meinung. Aber Ziele können auch gefährlich sein. Wer zu sehr auf sein Ziel fixiert ist, neigt dazu, Gefahren zu ignorieren. Das ist vor allem dann der Fall, wenn man schon viel Zeit und Geld in ein Projekt investiert hat und glaubt, es bald geschafft zu haben. Da ist die Gefahr groß, dass man die Sache unbedingt durchziehen will, auch wenn die Fakten dagegen sprechen. „Ankom­meri­tis“ nennt man das Problem in der Luftfahrt: Die Piloten sind schon lange in der Luft, sie möchten jetzt landen und Feierabend machen. In einer solchen Situation vergessen sie manchmal alle Vorsicht, und so kommt es kurz vor dem Ende noch zum Crash. Um die Zielfix­ierung zu vermeiden, planen Sie immer auch die Möglichkeit einer Notlandung mit ein. Legen Sie gleich zu Beginn eines Projekts fest, wann Sie notfalls wieder aussteigen bzw. welche Zwis­chen­ziele erreicht sein müssen, damit Sie das Projekt fortsetzen. Achten Sie auf Warnsignale und kritische Stimmen und scheuen Sie sich nicht, eine Niederlage einzugeste­hen. Eine Notlandung ist immer noch besser als ein Absturz.

Planlos in den Abgrund

Im Dezember 1976 stürzte eine Maschine der Eastern Airlines in das Sumpfgebiet der Everglades in Florida. Auslöser des Unglücks war, dass eines der Lämpchen, die das Ausfahren des Fahrwerks anzeigen, nicht au­fleuchtete. Kapitän und Kopilot schalteten daraufhin den Autopiloten ein und versuchten zu klären, ob das Fahrwerk tatsächlich nicht funk­tion­ierte oder ob nur das Lämpchen selbst defekt war. Sie waren damit so beschäftigt, dass sie verse­hentlich den Autopiloten wieder auss­chal­teten und nicht bemerkten, wie das Flugzeug immer tiefer sank. Als sie das Problem wahrnahmen, war es zu spät. Auch Unternehmen sind vor solchen Situationen nicht gefeit. Da werden eifrig Produkte entworfen und Kunden beliefert, aber niemand stellt sich die Frage, ob das Unternehmen überhaupt noch profitabel wirtschaftet. Ein guter Flugkapitän nutzt ruhige Zeiten im Cockpit, um Strategien für mögliche Probleme zurechtzule­gen und schwierigere Punkte wie die Landung schon mal vorzu­bere­iten. Viele Unternehmen sind dagegen vom Tagesgeschäft so ausgelastet, dass sie sich um den weiteren Kurs und um mögliche Probleme in der Zukunft keine Gedanken machen, erst recht nicht, wenn im Moment alles gut zu laufen scheint. Das ändert sich erst, wenn die Probleme of­fen­sichtlich werden und für durchdachte Lösungen keine Zeit mehr bleibt.

„Men­schliches Versagen ist nicht auf Piloten beschränkt: Wenn kritische Faktoren zusam­menkom­men, sind wir alle zu er­schreck­enden Fehlleis­tun­gen fähig.“

Handeln Sie wie ein guter Flugkapitän: Reservieren Sie sich regelmäßig Zeiten, in denen Sie die Position Ihres Un­ternehmens bestimmen und mögliche Probleme vor­weg­nehmen. Wie steht Ihr Unternehmen zurzeit da? Welche Hindernisse könnten in den nächsten Jahren auftauchen? Welche deuten sich vielleicht schon an? Wie können Sie möglichen Schwierigkeiten begegnen? Wenn Sie bereits in der Krise stecken, sehen Sie den Problemen ins Auge, verfallen Sie nicht in Schock­starre. Oftmals ist es besser, das Falsche zu tun, als untätig zu bleiben: Denn wenn Sie etwas falsch machen, sehen Sie die Auswirkun­gen und können korrigieren. Machen Sie sich aber bewusst, dass es bei jeder Maßnahme Zeit braucht, bis sie zu wirken beginnt. Machen Sie nicht den Fehler, Ihre Pläne ständig wieder umzuwerfen.

Klare Zuständigkeiten schaffen

Theoretisch sollte es im Beruf­sall­tag immer rational zugehen und jeder Mitarbeiter sollte seinen klar definierten Auf­gaben­bere­ich haben. Die Praxis sieht meistens anders aus. Wenn Zuständigkeiten nicht klar geregelt sind, kommt es schnell zu Konflikten. Animositäten zwischen Mi­tar­beit­ern und erst recht in der Führungsriege binden viel Energie und können ein Unternehmen regelrecht lahmlegen. Sie müssen das in­of­fizielle Machtgefüge des Un­ternehmens kennen, es zählt oft mehr als das offizielle Organigramm. Nehmen Sie Konflikte zwischen Mi­tar­beit­ern nicht einfach hin, sondern klären Sie die Situation und trennen Sie notfalls die Streithähne. Jeder Mitarbeiter muss wissen, was sein Auf­gaben­bere­ich ist, und er muss die Freiheit haben, innerhalb dieses Bereichs eigen­ver­ant­wortlich zu handeln. Gestehen Sie Ihren Mi­tar­beit­ern diesen Freiraum zu und überwachen Sie sie nicht zu sehr. Achten Sie aber auch darauf, dass Sie nicht einfach alles laufen lassen, denn sonst fühlen sich Ihre Mitarbeiter schnell überfordert und geben auf. Machen Sie es wie ein Fluglehrer, der seinem Schüler häppchenweise mehr zutraut und ihn so an schwierigere Aufgaben heranführt.

Der Umgang mit Fehlern

Wo gearbeitet wird, passieren Fehler. In der Luftfahrt können diese viele Men­schen­leben kosten. Darum müssen alle Unglücke und selbst Beinahe-Crashs gemeldet werden. Zwischenfälle werden akribisch untersucht und die Ursachen analysiert, um die entsprechen­den Fehler in Zukunft zu vermeiden. In vielen Unternehmen dagegen wird ein Fehler mit Versagen gle­ichge­setzt und entsprechend sank­tion­iert. Führungskräfte üben sich darin, sogar Krisen schönzureden, und halten es für ein Zeichen von Schwäche, ein Versagen offen zuzugeben. So werden Fehler auf allen Ebenen möglichst vertuscht, und jeder hofft, dass sein Scheitern unbemerkt bleibt. Das ist zwar verständlich, schadet aber dem Unternehmen. Fehler sind dazu da, dass man aus ihnen lernt und die Abläufe verbessert. Das funk­tion­iert, wenn jeder im Unternehmen Fehler offen zugeben darf, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Sorgen Sie daher für eine gute Fehlerkul­tur. Fragen Sie nicht nach der Schuld, sondern nach den Ursachen. Und was besonders wichtig ist: Leben Sie selbst einen kon­struk­tiven Umgang mit Fehlern vor und geben Sie eigenes Versagen offen zu. Nur dann werden sich Ihre Mitarbeiter trauen, ebenfalls ehrlich zu sein. Nehmen Sie Fehler nicht auf die leichte Schulter. Meist ist es eine Kette kleinerer Miss­geschicke, die irgendwann zum großen Crash führt. Und Sie können nie wissen, an welcher Stelle der Fehlerkette Sie sich gerade befinden.

Kom­mu­nika­tion im Unternehmen

Menschliche Kom­mu­nika­tion ist aus­ge­sprochen störanfällig. Un­ter­suchun­gen zufolge machen nonverbale Faktoren wie Mimik, Gestik oder Stimmlage den weitaus größten Teil einer Botschaft aus. Entsprechend hoch ist das Risiko für Missverständnisse und Mehrdeutigkeiten. Im Cockpit ist die Kom­mu­nika­tion aus diesem Grund inzwischen weitgehend stan­dar­d­isiert, es gibt fest­ste­hende For­mulierun­gen für die einzelnen Abläufe. Achten Sie auch im Unternehmen auf eine gute und möglichst eindeutige Kom­mu­nika­tion. Wie sprechen die Mitarbeiter miteinander, welcher Ton herrscht vor? Werden neue Vorschläge und kritische Stimmen gehört, oder werden Mitarbeiter mit Killer­phrasen („Das hat noch nie geklappt“) mundtot gemacht? Traut sich jemand, in einer Besprechung offen seine Meinung zu sagen, oder sind Zustimmung und Schweigen die einzige Rückmeldung?

Über den Autor

Peter Klaus Brandl ist Berufspilot und Man­age­ment­trainer. Er verbindet Erken­nt­nisse aus dem Crew-Re­source-Man­age­ment der Luftfahrt mit Man­age­men­twissen. Brandl ist Mitglied der Top 100 Excellent Speakers.