Wen es angeht
Heute konkurrieren nicht mehr Produkte miteinander, sondern Geschäftsmodelle. Je austauschbarer die Warenwelt wird, desto mehr kommt es auf das richtige Wissen zur Vermarktung, Innovation, PR an - vernetzte Unternehmensprozesse erleichtern das. War es ursprünglich der Net-Economy vorbehalten, E-Business und Wissensmanagement zu kombinieren, tritt nun die zweite Generation des E-Business an - sie umfasst alle Branchen.
„Wissen entsteht und verbreitet sich nicht von allein, sondern setzt menschliche Geistesleistung voraus, die keine noch so kluge Maschine, keine noch so intelligente Organisation übernehmen kann.“
Der planvolle Gebrauch von Wissen an sich ist nichts Neues - der Aufstieg der japanischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ist allein dem Kopieren von Wissen und der Nutzung gemeinsamen Wissens zu verdanken. Der anschliessende Absturz, von dem sich Nippon noch immer nicht erholt hat, demonstriert auch die Endlichkeit dieses Konzepts: Wissen ist nicht einfach eindimensional fortführbar, Wiederholung ohne Innovation bringt keinen Fortschritt.
„Wer in der Net-Economy nicht ganz alt aussehen will, kommt um die Erkenntnis nicht herum, dass eine Kombination von wissensgetriebener Konzentration auf den Kunden und von Technologie-Tools des E-Business der Schlüssel zu künftigem Erfolg ist.“
Klassische Industrien wie Auto- oder Maschinenbauer mögen meinen, bei ihnen ginge es um Handfesteres als um virtuelles Wissen. Doch weit gefehlt: Alle Unternehmen sind im Grunde Wissensunternehmen. Ihr Vorsprung gegenüber Mitbewerbern fusst auf Schöpfung und Kombination von Wissen, das aus der Organisation erwächst, deren gemeinsamer Arbeit und Forschung. Dieses Wissen zu pflegen, kann sowohl Internetprovidern wie Pralinenherstellern nur nützen - wobei der Begriff "Wissensmanagement" den Schluss nahe legt, mit einfachen, mathematischen Lösungen das Problem bewältigen zu können. "Intellektuelle Wertschöpfung" scheint adäquater, da sie über die blosse Archivierung von Fakten hinaus die Nutzung der ermittelten Erkenntnisse meint.
„Der Begriff des Knowledge-Workers, des Wissenswerkers, dessen Handwerkszeug nicht mehr Hammer und Schraubenzieher, sondern seine grauen Zellen sind, taucht in der amerikanischen Literatur bereits in den frühen 60er Jahren auf.“
Wissensebenen der intellektuellen Wertschöpfung
- Strategische Ebene: Wachstum und Wertsteigerung mit neuem Wissen und verbesserten Kundenbeziehungen
- Informationstechnische Ebene: Weiterentwickelte Wissensinfrastrukturen
- Organisatorische Ebene: Verbesserung des Wissensaustauschs
- Kulturelle Ebene: Rahmenbedingungen für eine neue Lernkultur
„Einfühlungsvermögen und Überzeugungskraft sind gerade dann besonders wichtig, wenn Wissensprojekte gestartet werden und viele Mitarbeiter sich noch nicht sicher sind, ob sie durch die Preisgabe vermeintlich exklusiven Wissens nicht zu ihrer eigenen Austauschbarkeit beitragen.“
Wissen selbst teilt sich in implizites (im Gehirn der Mitarbeiter gespeichertes) und explizites (auf konventionellen Datenträgern gespeichertes) Wissen, die beide in verschiedenen Prozessen in das Gemeinschaftswissen eines Betriebes integriert werden sollen. Die Praxis hinkt der Theorie wie immer hinterher, denn die Übergänge zwischen den einzelnen Wissensarten sind schwierig. Individuelles Wissen wird nicht explizit, weil die betreffenden Menschen nicht miteinander reden können oder wollen. Hier Abhilfe zu schaffen, bedarf es wissensbasierter Unternehmensführung. Sie betrachtet Wissen als Vermögenswert, der optimal bewirtschaftet werden muss. Ein Modell von intellektueller Wertschöpfung ist u. a. die "Knowledge-Transformations-Schule", die drei Elemente als Grundlage für erfolgreiche Wissensarbeit erkennt:
- Dynamik: Grundsätzlich erlauben schnell sich verändernde Märkte keine dauerhaften Wettbewerbserfolge; Unternehmen müssen dynamisch ständige Anpassung suchen, indem sie eine Balance zwischen dem Chaos ("trial and error") und der Ordnung (Vertrauen auf Erlerntes) finden. Dazu ist oft Improvisation nötig.
- Wissensintensität: Neues Wissen entsteht in den Köpfen. Interaktive Prozesse sorgen für seine Verarbeitung, Verwendung und Ausbeutung. Das wird durch adäquate Infrastrukturen unterstützt. Die Entstehung selbst ist nach biologischen Erkenntnissen kaum von aussen zu steuern - Management beschränkt sich also auf die Schaffung der idealen Umgebung, um diesen Prozess in Gang zu setzen und zu halten.
- Kundenbeziehungen: Zum Nutzen der Kunden müssen Unternehmen sich ganz auf sie konzentrieren - mit Hilfe des Internets als Kontaktbörse, Werbemedium und Marktplatz. Entsprechend müssen alle Mitarbeiter in einer kundenorientierten Kultur ausgebildet werden.
Wissens-Ökosysteme
Die neues Wissen nutzenden Unternehmen sind eher wie ein lebender Organismus als wie starre Organisationen aufgebaut - sie sind Wissens-Ökosysteme. Wissen gedeiht offenbar nur gut in einem menschlich geprägten Umfeld - wie die Saat auf dem Feld braucht es das richtige Klima (die optimale Kultur), guten Boden (entsprechende Infrastruktur) und den passenden Dünger (eine wissensorientierte Strategie). Dann wächst es sozusagen von selbst.
Beispiel: Oticon
Lars Kolind kam 1988 als Sanierer zum dänischen Hörgerätehersteller Oticon. Unter seiner Präsidentschaft verdoppelte das Unternehmen seinen Umsatz und vervielfachte den Gewinn. 1991 brachte Oticon das weltweit erste vollautomatische Hörgerät auf den Markt, 1995 das erste volldigitale. Diese Innovationen entwickelte Oticon jeweils in der Hälfte der veranschlagten Zeit. Hinter diesem Aufbruch stecken v. a. völlig veränderte Abläufe. Kolind ist es gelungen, seine Mitarbeiter wie Nervenzellen im Gehirn miteinander zu vernetzen. "Sprecht miteinander", forderte er immer wieder. Er löste fast alle Hierarchien auf und liess Entwicklungsarbeit nur noch von Projektteams mit ständig wechselnder Besetzung erledigen. Es gibt keine festen Büroplätze mehr - jeder kann an jedem PC arbeiten und hat von dort Zugriff auf eigene und fremde Dateien. Für dieses Konzept der Arbeitsorganisation gab es 1998 den "Employee Empowerment Pioneer Award" - diese Trophäe gilt als höchste internationale Auszeichnung für Innovationen im Management.
„Es sind das Klima, das zwischen den Menschen vor den Computern herrscht, und die Strukturen, in denen sie arbeiten und miteinander umgehen, die darüber entscheiden, ob etwa das firmeneigene Intranet nicht mehr ist als die Unternehmenspostille auf Digital oder ob es gleichsam als elektronisches Nervensystem die einzelnen Mitarbeiter vernetzt wie die grauen Zellen des Grosshirns.“
Das zeigt, dass Führung Wissensprojekten nicht bloss wohlwollende Duldung, sondern aktive Förderung entgegenbringen muss. Dazu sollten Sie:
- den erstrebten offenen Umgang und den Austausch von Wissen vorleben;
- Fürsprecher von Wissensprojekten werden und deren Bedeutung unterstreichen;
- Anreize für Wissensproduktion und -nutzung schaffen und Erfolge feiern;
- die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen.
Wissens-Chef
Ob ein Chief Knowledge Officer (CKO) wirklich nötig ist, wie in vielen Unternehmen inzwischen eingeführt, hängt meist von der jeweiligen Kultur ab. In stark hierarchisch geprägten Unternehmen brauchen Sie ihn, weil dort Führungskräfte mit der Abgabe von Wissen nach unten oft Schwierigkeiten haben - ein Autorität einflössender Titel schafft Akzeptanz. In einer teamorientierten Struktur genügen dagegen scheinbar informelle Vermittler. Alle hingegen brauchen einen zentralen Wissensverwalter, der den direkten Draht zum Topmanagement hat.
Nichtwissen
Abschreckend ist immer das Gegenteil - in diesem Fall die Erkenntnis, was Nichtwissen ein Unternehmen kosten kann. Die Gartner Group erwartet, dass Unternehmen, die bis heute keine Knowledge-Management-Aktivitäten entwickelt haben, 30-40 % langsamer in der Entwicklung von neuen Produkten und Dienstleistungen sein werden als ihre Konkurrenten. Weitere Folgen:
- verlorene Gewinnchancen, etwa durch nicht vermarktete Patente oder unerkannte Kundenbedürfnisse;
- höhere Betriebskosten, etwa durch Wiederholung der immer gleichen Fehler, Doppelarbeit und Nichtnutzung von Best Practices;
- verlorene Kunden, weil das Unternehmen auf deren Anfragen und Beschwerden nicht schnell und kompetent genug reagieren kann;
- geringere Produktivität, weil wichtige Informationen Mitarbeitern nicht zur Verfügung stehen und zu viel Zeit mit der Suche verbracht wird.
Fehlender Wissenstransfer: Das Beispiel "Tequila"
Der britische Spirituosenkonzern United Destillers and Vintners entwickelte vor Jahren ein neues Tequila-Mixgetränk. Erst unmittelbar vor der Markteinführung stellte man fest, dass ein kurz davor dazugekauftes Unternehmen einen Lizenzvertrag mit dem grössten Tequilaproduzenten der Welt eingegangen war - der verbot jede Art von eigenen Mixgetränken auf Tequila-Basis. Ein halbes Jahr Entwicklungszeit und mehrere Millionen Pfund waren umsonst.
Hindernisse
Viele Hürden stehen dem Wissensmanagement in der Unternehmenskultur entgegen:
- Zeit: Wissen macht (zusätzliche) Arbeit - so erklärt sich, dass Zeitmangel als wichtigste Barriere für erfolgreiches Wissensmanagement genannt wird.
- Schablonen: Die in vielen Unternehmen lange erzwungene Spezialisierung hat Schablonendenken hervorgerufen. Betriebsblindheit schlägt all jene, die in Routine erstarrt sind und keine Gelegenheit bzw. Motivation sehen, sich auszutauschen. Traditionelle Strukturen sitzen stramm wie Aussenskelette der Insekten - sie behindern neues Wachstum.
- Filter: Ähnlich sieht es mit der Wahrnehmungsverzerrung in vielen Unternehmen aus. Der von jedem übernommene Filter vereinfacht eintreffende Reize, interpretiert falsch oder ignoriert sie. So ein Filter kann etwa die Vorgabe der Kriterien sein, die die Informationen erfüllen müssen, um relevant zu sein.
- Fehlertoleranz: Lässt eine Firma Fehler nicht einmal zu bzw. verliert das Team oder der Verantwortliche dabei das Gesicht, ist "chaotisches" Lernen nur sehr schwer möglich. Das Personal wird so zur Unfähigkeit geschult, indem die Schuld abgeschoben wird und keiner einen Neubeginn wagt.
- Macht: Je hierarchischer ein Unternehmen aufgebaut ist, desto mehr klammern sich Vorgesetzte und Abteilungen an ihr Herrschaftswissen. Insbesondere, wenn sich Mitarbeiter bedroht fühlen, werden sie dieses Wissen auch aktiv gegen Veränderungen einsetzen.
Wissens-Gemeinde
Wie Sie Klima und Strukturen anlegen, um Wissenswachstum zu erzielen:
- Wissen braucht Räume, in denen es ausgetauscht werden kann - z. B. die Cafeteria, ein Chatforum, mitunter sogar der Getränkeautomat. Es geht aber um mehr als bloss einen Saal mit vielen Sitzen: Sie brauchen eine ungezwungene Atmosphäre, wenig Reglement, Zugänglichkeit.
- Durch den Austausch entstehen von selbst Kontextgemeinschaften, denen eine gewichtige Rolle beim Erwerb von Wissen und seiner Verteilung zukommt. Solche Kontextgemeinschaften funktionieren umso besser, je grösser das wechselseitige Verständnis ist.
- Die Fähigkeit, Wissen zu teilen, ist ebenso wichtig wie die Bereitschaft zum Wissensaustausch - Beziehungskompetenz, die aktiv gefördert werden muss durch Wissensbroker, Brückenschläger zwischen den Ebenen, Abteilungen und Themenfeldern.
- Schon ab wenigen hundert Mitarbeitern gehen wichtige Informationen oft wegen Unübersichtlichkeit verloren. Schaffen Sie also leicht überschaubare Subsysteme (keine hierarchischen!), die wiederum an definierten Stellen miteinander vernetzt sind.