Gier und Moral
Ellenbogenmentalität, Konkurrenzkampf, Leistungsdruck: Im Kampf um die besten Jobs will jeder gewinnen, und nicht immer geht es dabei fair zu. Topmanager machen es vor: Wer sich rücksichtslos bereichert, keine Regeln kennt und die eigenen Interessen um jeden Preis durchboxt, steht ganz offensichtlich auf der Gewinnerseite. Hier ist nicht nur von kriminellem Verhalten wie Betrug die Rede, sondern auch von den vielen kleinen legalen Gemeinheiten in der moralischen Grauzone. Diese hängen übrigens z. T. mit unserem gut ausgebauten Arbeitnehmerschutz zusammen: Wer praktisch unkündbar ist, wird dann eben durch von oben angeordnetes, systematisches Mobbing aus dem Job geekelt. Doch egal ob kriminelle Energie oder blanke Rücksichtslosigkeit: Ein solches Führungsverhalten, das uns auch die Medien tagtäglich servieren, hat eine enorme soziale Sprengkraft. Wer sich unfair behandelt, abgezockt oder ausgenutzt fühlt, wird sich anderen gegenüber nicht unbedingt fair und gerecht verhalten. Unmoralisches Verhalten wird dadurch zum Massenphänomen. Doch wo sind die Grenzen? Wie viel Moral ist im Job Pflicht?
„Richtiges und gerechtes Handeln ist ein Thema von ungeheurer sozialer Sprengkraft.“
Allerorten arbeitet man an Ideen, um das Wirtschaftsleben ethisch zu gestalten und dafür zu sorgen, dass die Auswüchse ungebremster Gier eingedämmt werden. Viele Unternehmen und Organisationen geben sich selbst Verhaltenskodizes, die gewährleisten sollen, dass sich alle Mitarbeiter zumindest an gewisse Grundregeln halten. So haben sich beispielsweise im Jahr 2008 die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter der Chemiebranche auf einen gemeinsamen Ethikkodex geeinigt und eine Veranstaltungsreihe zum Thema gestartet. Selbst die Wirtschaftseliten haben die Zeichen der Zeit erkannt: Klaus Schwab, der das Weltwirtschaftsforum in Davos gründete, befand 2009 in einem Appell, es sei „Zeit für eine neue Wirtschaftsethik“, und forderte verbindliche Regeln für Manager. Der Nachwuchs will schon gar nicht so wirtschaften, wie es derzeit scheinbar als normal gilt: Immer mehr Studierende unterzeichnen den „MBA Oath“, einen Eid für angehende Manager, mit dem sie sich verpflichten, moralisch einwandfrei zu arbeiten.
Die Schwestern der Ethik
Doch was heißt eigentlich ethisches Verhalten? Zur Abgrenzung kann man zunächst einmal festhalten, was Ethik nicht ist:
- Ethik ist nicht Gefühl: Ob man sich bei einer Tat gut oder schlecht fühlt, ist für die moralische Bewertung nicht relevant. Schließlich gibt es durchaus auch Verbrecher, die sich bei ihren Missetaten glänzend fühlen und frei von Schuldgefühlen sind.
- Ethik ist nicht Religion: Moral gilt für alle, nicht nur für diejenigen, die an Gott, Allah oder wen auch immer glauben.
- Ethik ist nicht Gesetz: Denn Gesetze können auch unmoralisch sein, vor allem in totalitären Systemen.
- Ethik ist nicht Wissenschaft: Wissenschaft erkennt nur, wie die Dinge sind, jedoch nicht, wie sie sein sollten. Sie kann damit zwar Hilfestellungen für ethische Entscheidungen liefern, sie aber nicht treffen.
- Ethik ist nicht Kultur: Der Ausspruch „Andere Länder, andere Sitten“ bedeutet nicht, dass jedes Verhalten dadurch gerechtfertigt werden kann, dass es zu einer anderen Kultur gehört. Nur weil ein Verhalten traditionell gewachsen oder allgemein üblich ist, ist es noch lange nicht moralisch.
Der Ethik-Check
Trotz aller Bemühungen um Regeln wird es immer wieder Unklarheiten darüber geben, wie man in diesem oder jenem Einzelfall entscheiden sollte. Unsicherheiten und Grenzfälle sind normal. Um dann ethisch handeln zu können, nehmen Sie diese Checkliste zu Hilfe:
- Eingrenzung: Hat die Entscheidung überhaupt eine ethische Dimension? Eine solche ist beispielsweise dann gegeben, wenn Dritte geschädigt werden.
- Information: Sind Ihnen alle relevanten Tatsachen bekannt? Wer profitiert und wer verliert bei der Entscheidung? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es?
- Alternativen suchen: Von welcher Entscheidung profitieren die meisten (Utilitarismus)? Wann werden die Rechte der Akteure nicht gebrochen (Rechte-Ansatz)? Wie werden alle fair behandelt (Fairness-Ansatz)? Was ist für die Gemeinschaft und nicht für das Individuum optimal (Gemeinschafts-Ansatz)? Welche Option würde eine Person wählen, die Sie gerne wären (Tugend-Ansatz)?
- Entscheiden: Welche Option passt am besten zur aktuellen Situation?
- Bewertung: Was hat Ihre Entscheidung bewirkt? Was können Sie beim nächsten Mal besser machen?
Karriere um jeden Preis?
Nicht selten wird Mobbing vom Chef verlangt, damit er die eigene Karriere pushen kann. Klar ist, dass das per Gesetz verboten ist. Wer nicht mobbt, ist dann zwar gesetzestreu, kann aber die eigene Karriere in dieser Firma vergessen. Trotzdem ist Mobbing keine Option: Es ist unfair, verletzt die Rechte der anderen und schadet auf Dauer der Gemeinschaft. Kurz: Es ist in jeder Hinsicht unmoralisch. Abgesehen davon müssen Sie sich fragen, ob Sie in einem Unternehmen, das Mobbing zulässt, überhaupt arbeiten möchten – Sie könnten selbst das nächste Opfer sein. Die beste Lösung besteht darin, sich einen neuen Job zu suchen.
„Wer sich nicht angemessen behandelt fühlt, handelt selbst nicht angemessen.“
Auch wenn Sie im Wettbewerb um einen Job die Konkurrentin mit fiesen Interna aus dem Rennen kicken könnten, sollten Sie fair kämpfen: Wenn Sie wirklich die bessere Wahl sind, wird am Ende auch der Chef überzeugt sein. Dürfen Sie es in Erwägung ziehen, einem Freund einen Posten in der eigenen Abteilung zu verschaffen? Wenn er wirklich qualifiziert ist und Sie mit dem Vorwurf der Günstlingswirtschaft leben können – warum nicht? Ansonsten lassen Sie es besser bleiben. Insiderwissen aus Ihrem Netzwerk, z. B. über eine vakante Stelle, sollten Sie besser für sich behalten, statt etwa die fleißige Kollegin über anstehende Veränderungen zu informieren. Wenn der Job schon für einen Kumpel des Chefs vorgesehen ist, bekommt sie die Stelle sowieso nicht; und überdies laufen Sie Gefahr, Ihr Netzwerk wegen Vertrauensbruchs zu beschädigen. Moralisch unproblematisch ist es, wenn Sie die Bewerbung Ihrer Tochter oder Ihres Sohnes bei Ihrem Arbeitgeber unterstützen.
„Allen Regeln, Regularien und Wertekodizes der Firmen zum Trotz bleiben unzählige Fragen darüber, was gutes Handeln ist, täglich offen.“
Den faulen Kollegen im Team sollten Sie sachlich, aber bestimmt auf die Finger klopfen. Schließlich müssen die anderen den Job der Faulpelze mit erledigen. Kein Pardon sollte es auch bei Kollegen geben, die auf Pornoseiten surfen: Zum einen klaut der Surfer seinem Arbeitgeber Zeit und damit Geld, zum anderen werden möglicherweise strafrechtliche Grenzen überschritten. Das gilt noch mehr, wenn jemand im strafrechtlichen Sinn betrügt, selbst wenn es sich dabei um die Lieblingsnichte des Chefs handelt.
Der Chef – das ungeliebte Wesen
Rache am Chef ist auch dann unmoralisch, wenn sie auf legalem Weg erfolgt. Und nicht nur das: Sie ist zudem unproduktiv, weil sie am Grundproblem nichts ändert. Besser ist das offene Gespräch. Kritik am Chef ist erlaubt oder sogar geboten, weil sie letztlich dem Unternehmen nützt. Egal ob die Chefin heute hü und morgen hott sagt oder Fäkalausdrücke benutzt, ob der Juniorchef Mails an der Chefsekretärin vorbeischleust und diese deshalb Fehler macht oder ob die Chefgattin das Team mit ihrer Inkompetenz in den Wahnsinn treibt: Es ist immer sinnvoller, das Gespräch zu suchen. Dieses sollte aber sachlich geführt werden. Ist ein inkompetenter oder sogar korrupter Boss dazu nicht fähig, sollten Sie am besten über einen Jobwechsel nachdenken.
Teamplay gleich Fair Play?
Konflikte im Team – etwa wegen des Lärmpegels in Großraumbüros – sind an der Tagesordnung. Auch hier hilft in der Regel das offene Gespräch. Profiliert sich ein Karrierist auf Kosten der anderen, muss gegengesteuert werden, zur Not durch den Vorgesetzten. Wenn Sie für eine neue Position im Team nur einen befristeten Arbeitsvertrag anbieten können, ist das nicht verwerflich. Schließlich ist Arbeitslosigkeit das größere Übel. Lästern über den Chef ist weit verbreitet. Man muss aber nicht mitmachen, um dazuzugehören, sondern darf seine eigenen Grenzen setzen. Wer sich vom Team ausgeschlossen fühlt, sollte ihm nicht mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen begegnen. Besser ist es, offen den Kontakt anzubieten. Sollte sich Ihre Frau oder Ihr Mann um einen Job bei Ihrem Arbeitgeber bewerben, besteht kein Problem, solange alles fair und transparent läuft. Wenn einer Ihrer Mitarbeiter ein besseres Zeugnis verlangt, als er verdient hat, tun Sie niemandem einen Gefallen, wenn Sie dieser Bitte nachkommen: War die Leistung nicht gut genug, darf das auch im Zeugnis stehen.
„Auch in Fällen, in denen sich der Arbeitnehmer überfordert oder gestresst fühlt, ist eine Krankschreibung nur selten eine moralisch valide Option.“
Die Finanzierung des Studiums ist rechtlich gesehen die Sache der Eltern. Doch die Praxis sieht häufig anders aus, und oft steht dabei nicht das Geld im Mittelpunkt, sondern Machtspiele. Wer den Rechtsstreit mit den eigenen Eltern scheut, kann zum BAföG-Amt gehen (nur schon die Nachfrage des Amtes bei zahlungsunwilligen Eltern reicht oftmals, sie doch zum Zahlen zu bewegen), jobben oder ein Stipendium beantragen. Bei Prüfungen zu schummeln oder krankzumachen, ist zwar weit verbreitet, moralisch aber ganz und gar nicht einwandfrei. Zeugnisse zu fälschen ist sogar strafbar. Davon sollte man also besser die Finger lassen.
Vom Umgang mit Geld
Die seit Jahren praktizierte Frühverrentungspolitik erzeugt enorme soziale Kosten. Darf man sich auf Kosten der Allgemeinheit einen lauen Lenz machen oder ist das unmoralisch? Das muss jeder selbst entscheiden. Auch wenn eine Kündigungswelle durch das Unternehmen rollt und man befürchtet, selbst von ihr erwischt zu werden, sollte eine Krankmeldung nur dann erfolgen, wenn man wirklich krank ist. Es ist nicht okay, zum Abbau von Stress und Überforderung krankzufeiern. Eine Abfindung seitens des Unternehmens kann man mit gutem Gewissen annehmen, staatliche Sozialleistungen allerdings nur, wenn man sie auch tatsächlich benötigt.
„Diebstahl im Job ist in jedem Fall ein Vertrauensbruch.“
Großzügig aufgerundete Spesenrechnungen sind allgemein üblich. Oft will man sich eine Belohnung holen, die man auf anderem Wege nicht bekommt. Es ist aber dennoch unmoralisch. Das Gleiche gilt für Diebstahl, und wenn es nur um eine Packung Kopierpapier geht. Nehmen Sie ungerechte Bezahlung nicht hin, sondern drängen Sie auf Angleichung der Gehälter. Absolut inakzeptabel sind Sozialbetrug und Schwarzarbeit. Je nach Fall ist durchaus eine Anzeige bei der Behörde gerechtfertigt.
Moral in der Firma und in der Partnerschaft
Viele Unternehmen haben einen schönen Ethikkodex – zumindest auf dem Papier. Die tägliche Arbeitspraxis sieht oft anders aus. Statt wegzusehen, sollten Sie lieber das Gespräch mit dem Chef suchen. Schließlich untergraben Missstände die Moral im Team und schaden der Reputation der Firma. In extremen Fällen kann sogar der Gang an die Öffentlichkeit („Whistleblowing“) moralisch geboten sein.
„Die Worte und die Taten eines Unternehmens müssen übereinstimmen.“
Müssen Sie die Jobpläne Ihres Partners unterstützen, auch wenn sie gegen die eigenen Interessen gehen? Darf der eine mehr Freizeit haben als der andere? Wer muss wie sehr wegen des Kindes beruflich zurückstecken? Muss man voll berufstätig sein, auch wenn man lieber Teilzeit arbeiten würde? Hier gibt es angesichts der aktuellen Umbrüche im Verständnis der Geschlechterrollen keine Patentrezepte, allerdings sollte man sich vor jeder Entscheidung alle Konsequenzen, etwa einen Karriereknick, deutlich vor Augen führen.