Der Kaufmann von Venedig

Buch Der Kaufmann von Venedig

London, 1600
Diese Ausgabe: dtv,


Worum es geht

Zwischen Heiterkeit und Ernst

Der Kaufmann von Venedig gehört zu Shake­speares bekan­ntesten, aber auch zu seinen prob­lema­tis­chsten Stücken. Wie kein anderes provoziert es heutige Leser unmittelbar zu einer kritischen Reaktion. Denn die Figur Shylock entspricht ohne Zweifel dem an­ti­semi­tis­chen Klischee eines Juden. Er ist ein hartherziger und hasserfüllter Wucherer, der skrupellos darauf spekuliert, dem Kaufmann Antonio ein Pfund Fleisch aus der Brust schneiden zu können, als dieser ihm einen Kredit schuldig bleibt. Shakespeare bedient sich zwar in unerhörtem Maß an­ti­semi­tis­cher Vorurteile, diese werden aber zugleich infrage gestellt. Shylocks wiederholte Klage über die christliche Doppelmoral und den Judenhass haben es modernen Interpreten erlaubt, die Figur als tragischen Antihelden aufzufassen. Was den Umgang mit dem Stück zusätzlich erschwert, ist seine merkwürdige Verknüpfung von ero­tisiertem Lustspiel und er­greifen­dem Drama. Der heiteren und ro­man­tis­chen Rah­men­hand­lung wegen gilt es nach wie vor als Komödie. Doch die gegenläufigen Tonlagen des Stücks, seine doppelbödigen Charaktere, die Mischung ver­schieden­ster Themen und Motive, die vielseitige Sprache und nicht zuletzt das abgründige Monster Shylock machen den Kaufmann von Venedig zu einem schillern­den Werk, das sich keinem Genre eindeutig zuordnen lässt.

Take-aways

  • Shake­speares Der Kaufmann von Venedig fasziniert bis heute durch seinen Spagat zwischen Spaß und Ernst.
  • Inhalt: Um seinem Freund Bassanio bei der Brautwer­bung zu helfen, leiht der venezian­is­che Kaufmann Antonio beim Juden Shylock Geld. Antonio geht überraschend pleite, worauf der böse Shylock Anspruch auf ein Pfund Fleisch aus seiner Brust hat. Vor Gericht hilft ihm aber Bassanios Braut Portia, die sich als Mann verkleidet hat und Shylock mit ju­ris­tis­chen Schlichen ausschaltet.
  • Das Stück gilt als Komödie, hat allerdings auch viele tragische Momente.
  • Die Span­nungs­bo­gen sind verschoben: Während die romantische Handlung bereits im dritten Akt ihren Höhepunkt hat, dreht sich der vierte vor allem um Shylock, und der fünfte wirkt wie ein harmloses Nachspiel.
  • Die Figur des Juden Shylock wird sehr klis­chee­haft dargestellt. Damit bediente Shakespeare populäre Vorurteile, die im Stück aber gle­ichzeitig hinterfragt werden.
  • Die Deutungen der Shy­lock-Figur gehen bis heute auseinander: Manche sehen ihn als bösen Schurken, andere als getriebenes Opfer.
  • Shake­speares bildmächtige Sprache setzt ro­man­tis­ches Geplänkel und ökonomisches Handeln in Zusam­men­hang.
  • Im Kaufmann von Venedig werden zwei Geschichten zusammengeführt, die bereits in der mit­te­lal­ter­lichen Literatur auftauchen.
  • Aufgrund der an­ti­semi­tis­chen Darstel­lun­gen wurde das Stück im Na­tion­al­sozial­is­mus als Pro­pa­gandain­stru­ment genutzt.
  • Zitat: „Hat nicht ein Jud auch Augen? Hat nicht ein Jud auch Hände, Glieder, Körper, Sinne, Sehnsucht, Lei­den­schaft? Genährt von gleicher Nahrung, verletzt von gleichen Waffen, anfällig gleichen Leiden, geheilt durch gleiche Mittel (…) ganz wie ein Christ?“
 

Zusammenfassung

Ein melan­cholis­cher Händler

Der venezian­is­che Kaufmann Antonio trifft auf seine Freunde Salerio und Solanio und klagt über seine schwermütige Stimmung. Die beiden glauben, Antonios Melancholie rühre von der Ungewis­sheit über seine Han­delss­chiffe auf den Weltmeeren her. Doch das streitet Antonio ab. Mit Bassanio, Lorenzo und Gratiano treten drei weitere Freunde hinzu. Letzterer versucht vergeblich, Antonio aufzu­muntern. Schließlich bleibt der Händler mit seinem besten Freund, dem le­ichtlebi­gen Bassanio, allein. Dieser bittet den wohlhaben­den Antonio um Unterstützung in einer Herzen­san­gele­gen­heit: Er will um die reiche Erbin Portia werben – ein Vorhaben, das seine Mittel übersteigt, zumal er dabei mit Prinzen aus anderen Ländern konkur­ri­eren muss. Antonio sichert ihm seine Hilfe zu. Zwar steckt gerade ein Großteil seines Vermögens in seinen Schiffen auf See. Doch er ist bereit, seinen guten geschäftlichen Ruf für die Aufnahme eines Kredits einzusetzen und Bassanio damit zu helfen.

„Ich nehm die Welt nur wie die Welt, (...) / Als Bühne, wo man Rollen spielen muss, / Und meine ist nun traurig.“ (Antonio, S. 13)

Auf dem Land, in Belmont, unterhalten sich Portia und ihre Kammerfrau Nerissa über den anstren­gen­den Aufmarsch ver­schiedener Heiratskan­di­daten. Portias ver­stor­bener Vater hat verfügt, dass sie denjenigen heiraten soll, der unter drei von ihm vor­bere­it­eten Kästchen – eines aus Gold, eines aus Silber und eines aus Blei – das richtige wählt: nämlich jenes, das Portias Bildnis enthält. Gerade sind wieder sechs Bewerber an dieser Hürde gescheitert. Portia weint keinem von ihnen eine Träne nach. Sie hofft, dass eines Tages ein Kandidat ihres Herzens die richtige Wahl treffen möge.

Ein fataler Kredit vom Juden

Bassanio bittet den Juden Shylock um einen Kredit von 3000 Golddukaten und gibt Antonio als Bürgen an. Shylock hasst den Kaufmann – zum einen weil er Christ ist, zum anderen weil Antonio in Venedig großzügig zinslose Darlehen vergibt und dadurch Shylocks auf Zinsen fußendes Kreditgeschäft verdirbt. Als Antonio hinzutritt, kommt es zwischen ihm und Shylock zum Streit. Der Jude verteidigt das Zinsgeschäft als ehrbare Einkom­men­squelle, Antonio verteufelt es. Shylock erinnert daran, dass der Kaufmann ihn wiederholt beschimpft, bespuckt und wie einen Hund behandelt habe. Antonio schämt sich für dieses Verhalten keineswegs und würde es wieder tun. Die Aufnahme eines Kredits stelle seine Feindschaft zum Juden nicht infrage. Shylock bietet Antonio einen Kredit ohne Zinsen an. Er bittet lediglich – „nur so zum Spaß“ – um einen Schuld­schein auf drei Monate, der ihm im Säumnisfall erlauben würde, ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper zu schneiden. Während Bassanio kurz aufschreckt, nimmt Antonio weder die Bußklausel ernst, noch befürchtet er einen Zahlungsaus­fall, denn für die nächste Zeit erwartet er ver­schiedene reich beladene Schiffe zurück. Der Kredit wird also aufgenommen.

Flucht vor dem Vater

Portia wird vom nächsten Heiratskan­di­daten aufgesucht, dem Prinzen von Marocco. Sie informiert ihn über das Verfahren mit den Kästchen und stellt außerdem klar, dass jeder Bewerber sich verpflichtet, nie wieder einer Frau den Hof zu machen, wenn er scheitern sollte. Der Prinz akzeptiert die Bedingungen.

„Ein böser Geist, der heiliges Zeugnis bringt, / Ist wie ein Gauner mit ’ner Lächelmiene, / Ein schöner Apfel tief im Kern verfault. / O welches schöne Äußre Falschheit hat!“ (Antonio, S. 37)

Der Narr Lanzelot beklagt sich über seinen Herrn Shylock, den er mit dem Teufel vergleicht. Lieber würde er für jemand anderen arbeiten. Auf der Straße begegnet er seinem Vater Gobbo. Da dieser ihn zunächst nicht wieder­erkennt, geraten die beiden in ein Wortgefecht. Als Bassanio des Weges kommt, bitten ihn Vater und Sohn um eine Stelle für Lanzelot. Bassanio willigt ein. Für den folgenden Morgen ist dessen Abreise nach Belmont festgesetzt, weshalb er alle Freunde für ein Ab­schieds­ge­lage in seinem Haus zusam­men­ruft. Gratiano bittet Bassanio, ihn nach Belmont begleiten zu dürfen.

„‚(...) was hast du für einen Bart gekriegt! Du hast mehr Haar am Kinn als mein Gaul Hans am Schwanz.‘ / ‚Da scheint’s doch, dass dem Hans sein Schwanz rückwärts wächst.‘“ (Gobbo und Lanzelot, S. 55)

Jessica, Shylocks Tochter, bedauert Lanzelots Weggang. Sie nutzt diesen aber sogleich, um dem Narren eine geheime Botschaft an Lorenzo mitzugeben, den er am Abend bei Bassanio sicher treffen wird. Jessica schämt sich für ihren Vater und plant noch in derselben Nacht die Flucht aus dessen Haus. Sie will Lorenzos Frau und damit Christin werden. Lanzelots erste Aufgabe in Bassanios Haus besteht darin, seinen früheren Herrn Shylock zum Abendessen einzuladen. Dieser weiß, dass die Einladung nicht aus Sympathie erfolgt, sondern nur weil man ihm schmeicheln will. Er nimmt sie aber trotzdem an. Lorenzo nutzt die Gunst der Stunde, um Jessica aus Shylocks Haus zu locken. Sie stiehlt erhebliche Reichtümer ihres Vaters und flieht dann in Männerklei­dern mit dem Liebsten.

Die Prinzen versagen vor Portia

In Belmont sitzt der Prinz von Marocco vor den drei Kästchen. Er entscheidet sich schließlich für das goldene, das die Aufschrift trägt: „Wer mich erwählt, gewinnt, was mancher Mann ersehnt.“ Im Innern des Kästchens findet er jedoch statt des ersehnten Bildnisses von Portia nur einen Totenschädel und ein Gedicht über die trügerische Verheißung des schönen Scheins. Folglich muss er abreisen.

„(...) alles auf Erden / Wird mit mehr Lust erjagt als dann genossen.“ (Gratiano, S. 75)

Inzwischen tauschen in Venedig Salerio und Solanio Neuigkeiten aus: Shylock habe mit großem Geschrei auf Jessicas Flucht reagiert, dabei aber fast mehr den Verlust seines Besitzes als den seiner Tochter beweint. Und angeblich sei im Ärmelkanal eines von Antonios Han­delss­chif­fen gesunken. Antonios Abschied von Bassanio am Hafen soll ergreifend gewesen sein. Beim Abschied von seinem geliebten Freund seien ihm die Tränen gekommen.

„Hat nicht ein Jud auch Augen? Hat nicht ein Jud auch Hände, Glieder, Körper, Sinne, Sehnsucht, Lei­den­schaft? Genährt von gleicher Nahrung, verletzt von gleichen Waffen, anfällig gleichen Leiden, geheilt durch gleiche Mittel (...) ganz wie ein Christ?“ (Shylock, S. 103)

In Belmont tritt bereits der nächste Freier an. Der Prinz von Arragon entscheidet sich für das silberne Kästchen mit der Aufschrift: „Wer mich erwählt, erhält so viel, als er verdient.“ Im Inneren findet er das Bildnis eines Narren und ein Spottgedicht auf die Eitelkeit. Auch er reist unverzüglich ab. Doch schon kündigt ein Bote den nächsten Bewerber an: den Venezianer Bassanio.

Das richtige Kästchen

Solanio und Salerio treffen Shylock und verspotten ihn, weil er seine Tochter und gle­ichzeitig sein Vermögen verloren hat. Der alte Jude stimmt eine große Klage über den christlichen Hass auf sein Volk an und verspricht, es den Christen mit gleicher Münze heimzuzahlen. Nach Solanios und Salerios Weggang tritt der Jude Tubal zu Shylock. Er hat Nachrichten sowohl von Jessica als auch von Antonio und wirft Shylock in ein Wechselbad der Gefühle: Voller Schmerz hört dieser von Jessicas Prasserei mit seinem Geld, voller Freude jedoch erfährt er von Antonios drohendem Ruin durch weitere gesunkene Schiffe.

„Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns Unrecht tut, solln wir uns dann nicht rächen? Wenn wir sind, wie ihr in allem andern seid, dann wolln wir euch auch darin ähneln.“ (Shylock, S. 103)

In Belmont wünscht sich Portia, Bassanio möge die Wahl eines Kästchens noch hinauszögern, damit er länger bleibe. Denn er ist der erste Bewerber, für den sie wahrhaft etwas empfindet. Bassanio aber will nicht warten. Vor die Wahl gestellt, hält er eine Ansprache gegen den äußeren Schein und entscheidet sich für das bleierne Kästchen, auf dem steht: „Wer mich erwählt, muss geben und muss wagen, was er hat.“ Er findet darin Portias Bildnis und hat damit die begehrte Braut gewonnen. Portia freut sich darüber und schenkt ihm einen Ring. Er verpflichtet sich, ihn treu zu tragen. Würde er ihn ablegen, wäre damit das Ende ihrer Liebe besiegelt. Bassanios Begleiter Gratiano wünscht den Brautleuten Glück und bittet darum, zur gleichen Zeit wie sie heiraten zu dürfen. Er hat sich in Nerissa verliebt. Da auch diese Liebe erwidert wird, steht einer Dop­pel­hochzeit nichts im Weg.

Der Schuld­schein wird zur Todes­dro­hung

Lorenzo, Jessica und Salerio treffen in Belmont ein. Sie überbringen Bassanio einen Brief von Antonio, in dem der Kaufmann seine verzweifelte Situation beschreibt: Alle Schiffe sind verloren, die Gläubiger bedrängen ihn, und Shylock fordert inzwischen das Pfund Fleisch aus seinem Leib. Portia bietet sofort an, die Schuld zu übernehmen und noch ein Vielfaches draufzule­gen. Salerio und Jessica sind sich allerdings sicher, dass Shylock eher an Antonios Leben als an sein Geld will. Portia, zuvor noch drauf und dran, Bassanio auf der Stelle zu heiraten, lässt den Bräutigam nun schnell­stens zu seinem Freund eilen. Portia überlässt ihr Haus Lorenzo zur Aufsicht und reist mit Nerissa ebenfalls ab. Angeblich erwartet sie in einem nahen Kloster die Rückkehr ihres Verlobten, doch tatsächlich verfolgt sie einen geheimen Plan. Ihren Diener hat sie zum Rechts­gelehrten Bellario gesandt. Von ihm erwartet sie Anweisungen – und Männerkleider für einen Überraschungsauftritt in Venedig.

Der Prozess

Der Fall um Antonios Schuld wird am Gerichtshof verhandelt, unter Vorsitz des Dogen von Venedig. Dieser bittet Shylock um Gnade für Antonio. Aber Shylock bleibt hart. Der Frage, warum ein Pfund Men­schen­fleisch ihm wichtiger sei als alles inzwischen gebotene Geld, weicht er aus: So wie andere Schweine oder Katzen nicht ertrügen, empfände er einen rätselhaften Ekel vor Antonio. Den entrüsteten Venezianern wirft er Doppelmoral vor: Sie würden zwar von ihm Gnade verlangen, seien aber selbst gnadenlos gegenüber ihren Sklaven. Der Doge weiß keinen rechtlichen Ausweg, und der Rechts­gelehrte Bellario, den der Doge als Gutachter angefordert hat, ist nicht gekommen. Erst als schon das Urteil droht, das Antonio un­weiger­lich ans Messer liefert, bittet ein Bote von Bellario um Gehör. Es handelt sich um die verkleidete Nerissa. Sie verliest einen Brief Bellarios, in dem dieser sich krankheit­shal­ber entschuldigt und dem Gerichtshof empfiehlt, auf den Sachver­stand eines jungen römischen Doktors zu vertrauen, mit dem er den Fall eingehend besprochen habe. Der Doge bittet den jungen Römer herein – es handelt sich um die verkleidete Portia.

„(...) ich will von ihm das Herz, wenn er säumt, denn gäb’s ihn nicht mehr in Venedig, kann ich Geschäfte machen, wie ich will (...)“ (Shylock über Antonio, S. 107)

Portia gibt gleich eingangs zu, dass Shylocks Anspruch rechtmäßig ist. Doch anschließend hält sie ein hochin­tel­li­gentes Plädoyer für die Gnade als überrechtliche Instanz inmitten des Rechtssys­tems. Shylock schmettert jedoch auch diese Ar­gu­men­ta­tion rüde ab und pocht erneut auf nichts weiter als sein Recht. Dieses will Portia ihm nun scheinbar gewähren. Sie bittet Antonio sogar, die Brust zu entblößen, damit Shylock ihm das Pfund Fleisch her­auss­chnei­den könne. Die Freunde Bassanio und Antonio wechseln zum Abschied letzte Worte, während Shylock ungeduldig den finalen Urteilsspruch fordert. Doch plötzlich wendet sich das Blatt: Portia fügt an, dass Shylock zwar zweifels­frei ein Pfund Fleisch zustehe, jedoch kein Tropfen Blut. Auch dürfe er kein Gramm zu viel oder zu wenig aus Antonios Leib her­auss­chnei­den, sonst drohten ihm der Tod und die Verpfändung all seines Besitzes. Nun rudert Shylock schnell zurück und will nichts mehr als die Auszahlung des Darlehens. Aber Portia legt noch einmal nach: Für jemanden, der offenkundig den Tod eines anderen verfolge, sähe das venezian­is­che Recht die Aufteilung des gesamten Hab und Guts unter die Opfer und den Staat vor – und das Leben des Täters hänge von der Gnade des Dogen ab. Euphorisch wird Portias Beweisführung gegen Shylock begrüßt. Der Doge begnadigt den Juden, Antonio lässt ihn sogar sein halbes Vermögen behalten, allerdings hat er zwei Bedingungen: Erstens müsse er sich taufen lassen und zweitens den Besitz Lorenzo und Jessica vererben. Der gebrochene Shylock akzeptiert und geht.

Nachspiel mit Ringtausch

Zum Leidwesen aller Beteiligten muss Portia, immer noch als junger Rechts­gelehrter verkleidet, umgehend abreisen. Bassanio fragt sie, wie er ihr danken könne. Sie erbittet dringend den Ring, den er erst vor Kurzem von ihr als Liebespfand erhalten hat. Bassanio sträubt sich nach Kräften, doch da Antonio ihn zusätzlich bedrängt, knickt er am Ende ein und händigt den Ring aus. Die ebenfalls verkleidete Nerissa setzt daraufhin ein ähnliches Täuschungsmanöver mit dem ihr ver­sproch­enen Gratiano ins Werk: Um seine Treue zu testen, fordert auch sie einen Ring von ihm, den sie ihm zuvor gegeben hat – angeblich als Lohn für die Schreibar­beit, die sie vor Gericht geleistet hat.

„Der Doge kann den Lauf des Rechts nicht hindern: / Denn die Rechtssicher­heit, die Fremde haben / Hier in Venedig, würde die versagt, / Brächt’s die Gerichts­barkeit des Staats in Misskredit, / Wo doch Gewinn und Handel dieser Stadt / Von allen Völkern abhängt.“ (Antonio, S. 131)

Im Mor­gen­grauen treffen Portia und Nerissa und wenig später auch Bassanio und Gratiano wieder in Belmont ein. Sofort entbrennt ein Streit zwischen Nerissa und Gratiano, weil dieser den Ring weggeben hat. Portia schaltet sich ein und schimpft gemeinsam mit ihrer Kammerfrau über die Le­icht­fer­tigkeit der Männer, sei es beim Schwur, sei es bei dessen Bruch. Sie erklärt Bassanio, dass sie ihm das gemeinsame Bett verweigern werde, bis dieser seinen Ring wieder habe. Dann wettet sie darauf, dass sich der Ring im Besitz einer Frau befinde, und droht Bassanio, sich eher dem römischen Doktor an den Hals zu werfen als ihm. Schließlich aber klärt sie die zerknirschten Männer über die Verklei­dun­gen auf, sie informiert Lorenzo über sein künftiges Erbteil und kann sogar noch Antonio von dreien seiner Schiffe berichten, die überraschend in Venedigs Hafen eingelaufen sind.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Kaufmann von Venedig besteht aus 20 Szenen, die auf fünf Akte verteilt sind. Die Handlung spielt abwechselnd in der Han­delsstadt Venedig und in Portias Residenz in Belmont. Das Stück ist als Komödie angelegt, enthält aber auch zahlreiche tragische Momente. Die un­ter­schiedlichen Tonlagen sind nicht gegeneinan­der aus­bal­anciert, sondern scheinen oft sogar im Widerstreit zu liegen. Das führt zu ver­schobe­nen, sich geradezu sabotieren­den Span­nungs­bo­gen. So kommt etwa die romantische, teilweise märchenhafte Handlung rund um die Brautwer­bung bereits im dritten Akt zu ihrem Höhepunkt – für eine Komödie zu früh. Und die abgründigste Gestalt des Dramas, Shylock, die im vierten Akt im Zentrum steht, wird im fünften praktisch nicht mehr the­ma­tisiert. Dieser wirkt, nach der drama­tis­chen Gerichtsver­hand­lung, wie ein allzu harmloses Nachspiel. Shakespeare hat das Stück hauptsächlich im fünfhebigen, reimlosen Blankvers geschrieben. Vereinzelt werden aber auch andere Versmaße verwendet, einige Dialoge sind gar in Prosa. Die Sprache passt sich jeweils den handelnden Figuren und dem Charakter der jeweiligen Szene an. Insgesamt ist Shake­speares Stil derart reich an Wortspielen, Metaphern, Kalauern, gelehrten An­spielun­gen und derben Scherzen, dass eine Übertragung stets nur einen Teil davon zu retten vermag.

In­ter­pre­ta­tion­sansätze

  • Dem Titel des Stücks zum Trotz ist der Jude Shylock dessen faszinierend­ste Figur. Er entspricht einerseits in geradezu er­schreck­en­dem Maß dem an­ti­semi­tis­chen Klischee des geldgieri­gen, ver­schla­ge­nen und hasserfüllten Juden. An­der­er­seits begründet er seinen Charakter mehrfach mit der Feind­seligkeit, die die Christen seinem Volk ent­ge­gen­brin­gen. Bis heute konkur­ri­eren in Bezug auf Shylock zwei ver­schiedene Deutungen: Manche sehen in ihm einen eindeutig an­ti­semi­tisch geze­ich­neten Bösewicht, andere halten ihn für eine tragische, von den Umständen verhärtete Opfer­gestalt.
  • Shakespeare spielt mit einem Nebeneinan­der zweier Haltungen. Mit den an­ti­semi­tis­chen Darstel­lun­gen bedient das Stück einerseits die Vorurteile des zeitgenössischen Publikums. An­der­er­seits stellt es diese gerade infrage, indem die christliche Doppelmoral the­ma­tisiert wird.
  • Das Stück entfaltet einen spannenden Dialog zwischen Recht und Gnade. Jenseits spontaner moralischer Entrüstung verteidigt selbst der Doge sowohl die Rechtmäßigkeit von Shylocks Anspruch als auch die Unan­tast­barkeit des venezian­is­chen Rechtssys­tems. Und auch Portia, die mit dem Appell an die Gnade nicht weiterkommt, verlegt sich im Verlauf des Prozesses auf juristische Kniffe.
  • Der Kaufmann Antonio und der Wucherer Shylock stehen für un­ter­schiedliche Arten des Umgangs mit Geld und Geschäft. Antonio bringt sein Geld als risikobere­iter Unternehmer in Umlauf, er belebt folglich den Handel und damit auch die Gesellschaft um sich herum. Shylock dagegen hält sein Geld bloß zusammen und profitiert von den Engpässen anderer.
  • Shakespeare verwendet den Han­del­s­jar­gon auch für Gespräche über Partnerwahl und für Liebesgeflüster. Gedanken an Wetteinsatz, Rentabilität und Profit durch­drin­gen damit eine vorgeblich dem Gefühl überlassene Sphäre und unterwerfen das Herz ökonomischem Kalkül.

His­torischer Hintergrund

Das Ende des Elis­a­bethanis­chen Zeitalters

Mit dem Beginn des 17. Jahrhun­derts ging in England allmählich das Elis­a­bethanis­che Zeitalter zu Ende. Königin Elisabeth I. regierte das Vereinigte Königreich mehr als 44 Jahre, von 1558 bis 1603. Während dieser Zeit erlebte England einen beein­druck­enden politischen und wirtschaftlichen Aufschwung. Das Land löste Spanien als stärkste Seefahrerna­tion ab und wurde zur europäischen Großmacht. Zum nationalen Selb­st­be­wusst­sein trug auch der wachsende Wohlstand des Bürgertums bei. Eine Folge der ökonomischen Blüte war die schrit­tweise und schließlich endgültige Erlaubnis, Kredit- und Zinsgeschäfte zu tätigen, die zuvor der christlichen Morallehre ent­ge­gen­standen. In der Bevölkerung behielten diese Geschäfte allerdings noch lange ihren schlechten Ruf.

Elisabeths Vater Heinrich VIII. hatte bereits 1534 den Bruch mit Rom vollzogen und die an­glikanis­che Kirche gegründet; zu Elisabeths Zeit emanzip­ierte sich das Land noch deutlicher vom Katholizis­mus. Der weit verbreitete An­ti­semitismus der Engländer war damit allerdings nicht überwunden. Die Juden, bereits seit 1290 offiziell des Landes verbannt, sollten sich erst ab 1655 wieder im Vereinigten Königreich nieder­lassen dürfen. Trotzdem nahmen die geistige und die religiöse Toleranz im Empire langsam zu und wirkten in vieler Hinsicht beflügelnd, ins­beson­dere im Bereich der Kunst und des Theaters. Das London William Shake­speares war eine moderne, lebendige und in­tellek­tuell neugierige Stadt mit rund 200 000 Einwohnern. Elisabeth galt als große Förderin von Kunst und Schauspiel. Unter ihrer Re­gentschaft wurden die Spielstätten zu Er­leb­nisorten für breite Bevölkerungss­chichten. Es kam zu einem regel­rechten Theaterboom, begleitet von einem künstlerisch fruchtbaren Wettbewerb zwischen pro­fes­sionellen Schaus­piel­ertrup­pen.

Entstehung

Den Kaufmann von Venedig hat Shakespeare aller Wahrschein­lichkeit nach in der Zeit zwischen 1596 und 1598 verfasst. Über die genauen Entste­hungs­be­din­gun­gen ist so gut wie nichts bekannt. Damals zählte Shakespeare bereits zu Londons bekan­ntesten The­at­er­autoren. Er war Mitglied und Teilhaber der Schaus­piel­gruppe „Lord Chamberlain’s Men“, die vor allem seine eigenen Stücke zur Aufführung brachte und mehrmals jährlich auch bei Hof auftrat. Für die Handlung des Kaufmanns von Venedig führte Shakespeare zwei Motive zusammen, die aus mit­te­lal­ter­lichen Quellen bekannt waren. Die märchenähnliche Brautwahl mithilfe ver­schiedener Kästchen taucht in einigen Sammlungen des 15. Jahrhun­derts auf. Und die Geschichte vom jüdischen Wucherer mit Anspruch auf ein Pfund Men­schen­fleisch war zu Shake­speares Zeit ebenfalls in Umlauf. Eine ital­ienis­che Nov­el­len­samm­lung von 1558 enthält bereits einen Schwank, der beide Motive – allerdings ohne jeglichen Tiefgang – miteinander verknüpft. Als weitere Anregung könnte Shakespeare zudem das bekannte Stück Der Jude von Malta (um 1590) seines Zeitgenossen Christopher Marlowe gedient haben. Dort ist die zentrale Gestalt ein reicher jüdischer Händler, der nach der Beschlagnah­mung seines Besitzes zum vielfachen Mörder wird.

Wirkungs­geschichte

Das Stück erschien erstmals 1600 in gedruckter Form. Der Umschlag lockte mit dem Verweis auf die „extreme Grausamkeit von Shylock, dem Juden“. Und obwohl Der Kaufmann von Venedig aufgrund seiner ro­man­tis­chen Rah­men­hand­lung bis heute als Komödie gilt, ist Shylock die Figur, die in den In­sze­nierun­gen der folgenden Jahrhun­derte immer mehr zum zentralen Charakter wurde – und gle­ichzeitig zur wesentlichen schaus­pielerischen und in­ter­pre­ta­torischen Her­aus­forderung des Stücks. Zunächst blieb der Jude dabei ein klar an­ti­semi­tisch geze­ich­neter Schurke, mitunter zur komischen Karikatur verzerrt. Im 19. Jahrhundert allerdings brach sich ein eher tragisches Verständnis der Figur Bahn. Berühmte britische The­ater­schaus­pieler wie Edmund Kean und Henry Irving weckten Sympathie für Shylock als getriebenes Opfer. In den entsprechen­den Bear­beitun­gen wurde der komische Teil der Handlung oft stark gekürzt, der letzte Akt mitunter komplett gestrichen.

In den Jahren des Na­tion­al­sozial­is­mus wurde aus dem Werk ein Pro­pa­gandain­stru­ment, schien doch Shylock die Niederträchtigkeit der Judenrasse ide­al­typ­isch zu il­lus­tri­eren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde deshalb – ins­beson­dere im deutschen Sprachraum – die Spiel­barkeit des Stücks infrage gestellt. Wurde der Stoff dennoch inszeniert, dann mit viel Verständnis für Shylocks Motive und Opferrolle. Erst Regisseure des modernen Regi­ethe­aters wie George Tabori und Peter Zadek eroberten sich eine neue Freiheit dem Stoff gegenüber. Die schwierige Einordnung des Stücks in ein Genre und die prob­lema­tis­che Gestalt des bösen Juden hat das Interesse der Fil­min­dus­trie am Kaufmann von Venedig stets gebremst. Die erste Kinofassung der Tonfilmära kam erst 2004 heraus: Unter der Regie von Michael Radford spielte Al Pacino Shylock als Opfer und Täter zugleich. Bis heute irritiert der An­ti­semitismus des Textes. Shylock wird nach wie vor als Kernfigur des Kaufmanns von Venedig angesehen, die es verunmöglicht, das Stück nur als Komödie zu begreifen.

Über den Autor

William Shakespeare kann ohne Übertreibung als der berühmteste und wichtigste Dramatiker der Weltlit­er­atur bezeichnet werden. Er hat insgesamt 38 Theaterstücke und 154 Sonette verfasst. Shakespeare wird am 26. April 1564 in Strat­ford-upon-Avon getauft; sein genaues Geburts­da­tum ist nicht bekannt. Er ist der Sohn des Hand­schuh­mach­ers und Bürg­er­meis­ters John Shakespeare. Seine Mutter Mary Arden entstammt einer wohlhaben­den Familie aus dem römisch-katholis­chen Landadel. 1582 heiratet er die acht Jahre ältere Anne Hathaway, Tochter eines Guts­be­sitzers, mit der er drei Kinder zeugt: Susanna sowie die Zwillinge Hamnet und Judith. Um 1590 übersiedelt Shakespeare nach London, wo er sich innerhalb kurzer Zeit als Schaus­pieler und Bühnenautor einen Namen macht. Ab 1594 ist er Mitglied der The­atertruppe Lord Chamberlain’s Men, den späteren King’s Men, ab 1597 Teilhaber des Globe Theatre, dessen runde Form einem griechis­chen Am­phithe­ater nachemp­fun­den ist, sowie ab 1608 des Blackfriars Theatre. 1597 erwirbt er ein Anwesen in Stratford und zieht sich vermutlich ab 1613 vom The­ater­leben zurück. Er stirbt am 23. April 1616. Über Shake­speares Leben gibt es nur wenige Dokumente, weshalb sich seine Biografie lediglich bruchstückhaft nachze­ich­nen lässt. Immer wieder sind Vermutungen in die Welt gesetzt worden, wonach sein Werk oder Teile davon in Wahrheit aus anderer Feder stammen. Als Urheber wurden zum Beispiel der Philosoph und Staatsmann Francis Bacon, der Dramatiker Christopher Marlowe oder sogar Königin Elisabeth I. genannt. Einen schlagenden Beweis für solche Hypothesen vermochte allerdings niemand je zu erbringen. Heutige Forscher gehen mehrheitlich davon aus, dass Shakespeare der au­then­tis­che und einzige Urheber seines lit­er­arischen Werkes ist.