Immer nur aufwärts
Die Erfolgslinie des Einrichtungshauses Ikea kennt bisher nur eine Richtung: aufwärts. Seit Ende der 1980er Jahre hat sich der Umsatz verzehnfacht: von 25 Milliarden Schwedischen Kronen auf 250 Milliarden. Aus 30 000 Angestellten wurden 150 000 und die Zahl der Einrichtungshäuser stieg von 70 größtenteils in Nordeuropa angesiedelten Filialen auf 250 in der ganzen Welt. Große Skandale gab es in dieser glorreichen Zeit keine. Und falls es einen Skandal hätte geben können, handelten das Unternehmen und sein Gründer Ingvar Kamprad stets so schnell und richtig, dass er im Keim erstickt wurde.
„Ein Ikea-Einrichtungshaus hat zwei zentrale Aufgaben: 1. So viele Besucher des Einrichtungshauses wie möglich zu Kunden zu machen. 2. Diese Kunden dazu zu bringen, während ihres Besuchs so viel wie möglich einzukaufen.“
So wie beispielsweise 1994, als herauskam, dass Kamprad Nazimitläufer und außerdem in den 40er und 50er Jahren Mitglied der nationalistischen Neuschwedischen Bewegung gewesen war. Ingvar Kamprad reagierte sofort. Er versuchte nichts zu beschönigen oder zu vertuschen. Stattdessen gab er zu, dass die Anschuldigungen wahr seien, und entschuldigte sich dafür bei seinen Mitarbeitern. Der Skandal, der keiner war, gilt seither als mustergültiges Beispiel gelungener Öffentlichkeitsarbeit.
„Ingvar deuten und interpretieren zu können ist absolut essenziell, um im Unternehmen zu überleben.“
Speziell in diesem Bereich geht Ikea einen ganz eigenen Weg. Ingvar Kamprad spricht nicht mit jedem Journalisten, sondern nur mit handverlesenen, die ihm nicht übelwollen. Die journalistische Berichterstattung über ihn ist darum meistens recht positiv und somit beste Werbung für das schwedische Einrichtungshaus. Kamprad stellt sich gegenüber Journalisten und der Öffentlichkeit gerne so dar, als hätte er eine Rechtschreibschwäche und wäre Alkoholiker. Dabei schreibt er tatsächlich gut – nur etwa ein Dutzend Wörter schreibt er immer wieder falsch. Auch regelmäßige Alkoholexzesse sind nicht bekannt. Kamprad spielt der Welt also vor, ein Mann mit Fehlern zu sein und trotzdem wirtschaftlichen Erfolg zu haben, weil er glaubt, dass dieses Image gut für Ikea ist.
„Ingvars brillantes Gedächtnis spuckt in Sekundenschnelle Rohstoffpreise und Devisenkurse aus und wandelt Einheiten von Baumstamm in für Leimholz zurechtgesägte Kubikmeter oder Devisenkurse wie Zloty in Dollar oder noch schneller in Schwedische Kronen um.“
Das Unternehmen verbreitet auch an anderen Stellen seine eigene Wahrheit und zieht sich immer wieder galant aus der Affäre. Kinderarbeit? Die Daunen lebender Tiere gerupft? Kein Thema. Und falls doch, dann ist das ein Fehler der Lieferanten, nicht der schwedischen Möbelmarke. Die weiße Weste soll weißer als weiß werden, indem Ikea häufig spendet und eng mit Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeitet.
„Im Unterschied zu den meisten von uns will Ingvar, aus Gründen, die nur er selber kennt, nicht einsehen, dass die Steuern in der allgemeinen Wohlfahrt münden.“
Außerdem ist das Ikea-Gesellschaftsgeflecht sehr intransparent: Das Unternehmen muss an einen formal unabhängigen Konzern namens Inter Ikea Nutzungsgebühren für das Ikea-Logo entrichten; dieses Konstrukt steht im Verdacht, vor allem dazu zu dienen, Kamprad zu Gewinnen und Steuerersparnissen zu verhelfen. Inter Ikea hat wiederum eine Muttergesellschaft in Luxemburg. Und diese gehört einer weiteren Gesellschaft, diesmal mit Sitz auf den Niederländischen Antillen, die wiederum im Besitz einer Stiftung auf Curaçao ist. Das ganze Geflecht scheint aber nur von einer Person kontrolliert zu werden: Ingvar Kamprad.
Der Mensch Ingvar Kamprad
Der Gründer von Ikea gilt als ausgesprochen geduldig und sehr intelligent. Er überschlägt beispielsweise im Kopf, was es kostet, in Russland Bäume zu sägen und sie in Polen zu bearbeiten – und was das Ganze in Schweden kosten würde. Um dies ausrechnen zu können, muss man mindestens drei Währungskurse einander gegenüberstellen. Außerdem benötigt man dafür ein fundiertes Wissen über Preise und Zölle. Trotz dieser Kompetenzen hält sich Ingvar Kamprad häufig im Hintergrund, während seine Mitarbeiter handeln. Gleichwohl ist er die zentrale Figur bei Ikea, die alle Fäden in der Hand hält. Allerdings ist er nicht mehr der Jüngste, und seine Söhne können in Sachen Kompetenz nur bedingt mit ihm Schritt halten. So bedrückt die Mitarbeiter die Frage, was nach Kamprads Tod mit Ikea passieren wird.
„Selbstverständlich bezahlen Ikeas Tochterunternehmen weltweit lokale Steuern, aber die gesamte Wertschöpfungskette ist so aufgebaut, dass auch sie nur minimale Beträge zahlen.“
Um den Überblick zu behalten, besuchte der 1926 geborene Kamprad über lange Zeit jedes Jahr zahlreiche seiner Einrichtungshäuser persönlich. Dabei gelang es ihm, mit Witzen für gute Stimmung im Team zu sorgen. Allerdings verstand wohl nicht jeder seinen oft sarkastischen Humor. Auch in der Kommunikation mit seinen Mitarbeitern geht es um die Zwischentöne: Wer mit „Bester“ angesprochen wird, muss sich nicht sorgen. Seinen Rufnamen zu hören, kann Ärger bedeuten. Ähnlich ist es mit Begrüßungen: Eine Umarmung ist gut, gibt es einen Kuss dazu, ist es besser; wer nur die Hand geschüttelt bekommt, ist nichts Besonderes.
„Journalisten werden getäuscht, indem bei ihnen Faszination für die vielen Defizite eines so erfolgreichen und vermögenden Mannes geweckt wird.“
Kamprad ist geizig: Er kleidet sich einfach und lebt bescheiden. Geiz prägt auch das Unternehmen. Darum buchen Mitarbeiter für Geschäftsreisen im Flieger je zwei Hin- und Rückflüge, zwischen denen jeweils ein Wochenende liegt. Zwar verfällt dadurch ein Flug, doch ist das günstiger, als einen Flug zu buchen, der nicht über ein Wochenende geht. Und wehe, ein Mitarbeiter fliegt etwas anderes als Holzklasse. Als Kamprad einen Manager zufällig im Flugzeug in der ersten Klasse sitzen sah, war dieser die längste Zeit bei Ikea gewesen.
Das Geschäftsmodell Ikea
Wer Ikea beliefern möchte, muss nicht nur besser, sondern auch billiger sein als die Konkurrenz. Doch selbst damit hat man keine Garantie: Jedes der rund 1400 Lieferantenunternehmen in über 70 Ländern kann jederzeit ausgetauscht werden. Tatsächlich waren es in früheren Jahren deutlich mehr Lieferanten. Bis Ikea beschloss, die Einkaufsmengen auf weniger Firmen zu verteilen, um so höhere Preisnachlässe zu bekommen. Bei 80 % der Lieferanten wurde der Vertrag nicht verlängert, doch darunter litt schließlich auch Ikea. Die verbliebenen Lieferanten konnten keine Preisnachlässe geben und auch nicht so viel und so schnell liefern, wie sich Ikea das wünschte. Die Folge waren häufig leere Regale.
„Das Teflon, welches Ikea umgibt, ist genau der Schild von NGOs und Wohltätigkeitsprojekten, den Ikea stolz hochhalten kann, wenn zum Sturm geblasen werden sollte.“
Die Mitarbeiter von Ikea entwickeln jährlich etwa 3000 neue Produkte. Bis aus einer Idee ein käufliches Produkt wird, dauert es etwa zwei Jahre. Das Sortiment setzt sich zusammen aus den Stilrichtungen Country, dem hellen Scandinavian Style, dem, was Europäer jenseits Skandinaviens als modern empfinden, und schließlich der Stilrichtung Young Swede, die sich durch sehr bunte Farben und ungewöhnliche Formen auszeichnet. Ein Drittel des gesamten Sortiments wird alle zwölf Monate ersetzt. Kombiniert man die Stilgruppen mit den vier Preisgruppen hoch, mittel, niedrig und atemberaubend, entsteht eine Matrix, aus der schnell abzulesen ist, in welchem Segment was fehlt. Braucht es z. B. einen günstigen Kleiderschrank, so steht sofort fest, dass er aus Kiefer oder Fichte sein muss, um im Preissegment zu bleiben.
Die Konkurrenz schläft nicht – Ikea auch nicht
Hin und wieder kann es vorkommen, dass Konkurrenzprodukte günstiger sind und sich besser verkaufen. In einer solchen Situation stellt Ikea dann gerne ein noch billigeres Produkt her, um die Konkurrenz auszuschalten. Ist das gelungen, nimmt Ikea den Niedrigstpreis wieder aus dem Sortiment und verkauft in aller Ruhe das teurere Pendant weiter.
„Ein freier Lieferant ist der Konkurrenz völlig ausgeliefert und muss bessere Preise, sicherere Lieferungen und höhere Qualität im Vergleich mit den Konkurrenten gewährleisten, um überhaupt einen Auftrag von Ikea zu bekommen.“
Ähnlich war es mit der Energiesparlampe in den 90er Jahren. Als Ikea begann, ein unschlagbar günstiges Produkt aus China zu verkaufen, brach der Energiesparlampenmarkt in Schweden zusammen. Seither sind die umweltfreundlichen Glühbirnen dort deutlich billiger als zuvor – und Ikea hat zugleich etwas für sein Image getan. Heute gelingt es Ikea jedoch nicht mehr, immer der billigste Anbieter auf dem Markt zu sein. Das liegt auch daran, dass in jeder Phase Gewinn gemacht werden soll: Einkauf, Distribution, Entwicklung und Möbelhaus – überall will man Geld verdienen. Trotzdem soll der Preis der Ware 10 % unter dem handelsüblichen Niveau liegen. Scheint ein Produkt zu teuer, versucht Ikea, mit mehr Herstellern aus Billiglohnländern zusammenzuarbeiten und Mengenrabatte zu bekommen.
„Trotz der Masse von Kalkulationszuschlägen bei jedem Produkt wird erwartet, dass das Einrichtungshaus dieses Produkt mindestens 10 % unter dem Marktpreis für vergleichbare Ware verkauft.“
Auch um den Absatz zu erhöhen, gibt es bei Ikea feste Regeln. So werden Produkte bestimmten Serviceniveaus zugeordnet. Weniger als 10 % Prozent aller Artikel befinden sich im Serviceniveau eins, beispielsweise Teelichter und Kleiderbügel oder das berühmte Bücherregal Billy – aber gerade diese Produkte machen einen Großteil des Verkaufsvolumens aus. Sie haben in der Ikea-Logistik immer Vorfahrt: Diese Artikel müssen stets in Massen vorrätig sein. Serviceniveau drei dagegen hat eigentlich nur einen Sinn: Es bietet das Rahmenprogramm für die echten Bestseller und ist oft schlicht nicht vorrätig.
„Versuchen Sie, eines der einzigartigen Ikea-Produkte zu kopieren. Im Handumdrehen wird eine Meute Juristen von Inter Ikea aus Brüssel hinter Ihnen her sein.“
Somit kann der Kunde aus verschiedenen Produkten, z. B. verschiedenen Bücherregalen, wählen und entscheidet sich dann schließlich meist doch genau für das Produkt aus dem Serviceniveau eins, das Ikea ihm am liebsten verkaufen will. Dieses ist im Regelfall einer der größten Umsatzbringer, und der steht nicht zufällig auf den Verkaufsflächen, an denen die meisten Kunden vorbeikommen.
„Ikeas Strategie ist es, Organisationen durch Geld eng an sich zu binden und deren Loyalität zu gewinnen.“
Um möglichst viele dieser heißen Flächen zu erzeugen, führt der Weg in Kurven durch die Ikea-Häuser. Hinter jeder Kurve gibt es eine neue besondere Fläche, die dem Besucher ins Auge springt. Schließlich werden die bunten Preisnachlassschilder gerne ganz hinten angebracht. Ihre Wahrnehmung strahlt auch auf die Produkte davor aus; diese erscheinen den Kunden so besonders billig. Einrichtungshäuser, die solchen ausgeklügelten Konzepten folgen, erzielen 30–40 % mehr Erlös. Schließlich muss es sich auch rechnen, dass der Ikea-Katalog in der Herstellung 3 € pro Stück kostet.
Wo es bei Ikea hakt
Ikea ist weltweit präsent, doch das Unternehmen scheint nur den Mitarbeitern aus dem schwedischen Älmhult wirklich zu vertrauen. „Man kennt sich, man hilft sich“, so könnte die Devise lauten. Allein in der Führungsgruppe für die Lieferkette des Unternehmens arbeiten drei Personen, die gemeinsam die Schulbank gedrückt haben. Immerhin 2500 von 8500 Einwohnern in Älmhult arbeiten bei Ikea.
„Kein Unternehmen kann langfristig betrachtet erfolgreich bleiben, wenn sich die Maschine und die Kultur hinter dem Unternehmen nicht ständig weiterentwickeln.“
Schwerer tut sich das Unternehmen mit lokalen Arbeitskräften etwa in China. Ikea bezahlt den chinesischen Mitarbeitern einen landesüblichen Lohn, den schwedischen Expats jedoch deutlich mehr. Und das, obwohl beide den gleichen Job machen und die Chinesen oft sogar die bessere Ausbildung haben, sich in ihrem Land bestens mit den Gepflogenheiten auskennen und genauso viel Erfahrung wie die Westeuropäer haben. Hinzu kommt, dass die Schweden oft sozial besser abgesichert sind als die Chinesen. Kein Wunder also, dass Ikea dort als schlecht zahlendes Unternehmen gilt. Folge für die Firma: Sie muss mehr teure Expats einstellen, da sie nur wenige Leute aus der Region bekommt, die für die gebotenen Leistungen gute Arbeit liefern.
Manchmal mangelt es beim Möbelhaus auch an klaren Ansagen und an Menschen, die die Verantwortung übernehmen. Dies war bei einem Textiliensortiment der Fall, hinter dem neben der zuständigen Designerin alle, also die gesamte Chefetage, standen. Das Sortiment floppte trotzdem, denn es war zu teuer und gefiel nicht. Die Designerin musste gehen, obwohl alle wichtigen Köpfe sie zuvor in den Himmel gelobt hatten. Ein anderes Beispiel ist das Regal Bestå. Dafür hatten findige Köpfe ein Material entwickelt, das leichter und billiger, aber genauso gut wie eine Spanplatte war. Das Problem war jedoch, dass sich die Industriegruppe von Ikea, Swedwood, weigerte, neue Fabriken zu bauen, die das Material hätten herstellen können. So wurde ein Produkt beworben, das viele Kunden gerne gekauft hätten, das jedoch zwei Jahre lang ständig ausverkauft war – bis neue Produktionsanlagen gebaut wurden.
Hinzu kommt, dass das Unternehmen in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist. Es ist ein bürokratischer Apparat entstanden, der die Firma am Laufen halten soll, der aber auch für Probleme sorgt, denn er ist kompliziert und erfordert viel Kontrolle.
Beispielsweise ist es schwierig, eine passende IT-Ausrüstung zu kaufen. Das ist zwar theoretisch über ein Portal im Internet möglich, allerdings kann man sich zu diesem nur mit großem Zeitaufwand Zugang verschaffen. Kommt man deshalb auf den Gedanken, ohne Hilfe der entsprechenden Abteilung Computer zu kaufen, ist der Ärger vorprogrammiert. Und noch ein Beispiel: Obwohl Ikea in China produzieren lässt, hat das Unternehmen seine China-Expansions-Strategie viel zu spät gestartet. Hätte es dort nicht nur eingekauft, sondern auch mehr Einrichtungshäuser eröffnet als nur ein einziges in Tokio, könnte es heute von günstigeren Einkaufsbedingungen profitieren. Diese Fehlentscheidung hat die Konkurrenz ausgenutzt: Sie hat Ikea auf dem wichtigen chinesischen Markt längst überholt.