Arbeiten im Kloster und im Unternehmen
Wer sich für ein Leben im Kloster entscheidet, sperrt sich selbst ein: Er hat keine Freiheiten mehr, dafür aber maximale Sicherheit. Nichts für Sie? Dann denken Sie doch einmal über Ihre momentane Arbeitssituation nach: Sie haben einen Arbeitsplatz und ein festes Gehalt. Dafür ordnen Sie sich den Regeln eines Unternehmens unter. Hier zählt, was die Gemeinschaft von Ihnen erwartet. Ihre persönliche Meinung ist kaum gefragt, oder? Also ist der einzige Unterschied zum Kloster, dass kein Geistlicher Ihr Vorgesetzter ist, sondern ein weltlicher Chef. Und wenn Sie ganz ehrlich sind: Sicherheit, also einen Arbeitsplatz und ein festes Gehalt, das gibt es in der Wirtschaft längst nicht mehr auf Dauer.
„Im Namen der Karriere werden Autonomie, Selbstbestimmung und Freiheit aufgegeben – Erlösung versprechen der Feierabend, das nächste Wochenende oder der langersehnte Urlaub.“
Die Frage ist: Wie gehen Sie mit diesem Wissen um, dass sich alles ändert und nichts mehr Bestand hat? Die Antwort klingt zunächst einfach: Wird die Umwelt ständig schneller und bunter, müssen Sie es ebenfalls werden. Dazu benötigen Sie Kreativität. Die ist nicht angeboren, sondern kann hart erarbeitet werden – wenn Sie das wollen. Das geht nicht sofort, Kreativität muss wachsen – ebenso wie eine neue Unternehmenskultur. Führungskräfte sollten der Belegschaft hierfür ein Vorbild sein: Sie müssen Kritik fördern und fordern, Bürokratien und Hierarchien dagegen abbauen. Zu einem guten Unternehmensklima gehören Bezahlung nach Leistung und möglichst viel Transparenz. Allerdings geht es bei der Belohnung nicht nur um Geld, Bonuszahlungen oder Geschäftswagen. Vielen Nachwuchskräften ist das Arbeitsumfeld viel wichtiger. Und um ein passendes Klima in Ihrem Unternehmen zu schaffen, ist das wichtigste Instrument für den Wandel zunächst ein Internetanschluss.
Lernen aus der Web-Welt
Wer sich regelmäßig im Internet bewegt, stellt schnell fest, dass dort andere Regeln gelten als im „wahren Leben“. Bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia beispielsweise darf jeder Einträge schreiben – man benötigt keinen Doktoren- oder Professorentitel dazu. Es kommt darauf an, was Sie inhaltlich zu sagen haben. Überlegen Sie, wie es in Ihrem Unternehmen ist: Was zählt dort mehr, der Titel oder der Inhalt? Und was passiert, wenn Ihre Firma immer mehr junge Leute einstellt, die mit dem Internet aufgewachsen sind? Die so genannten Digital Natives kennen nichts anderes als hierarchiefreies Zusammenarbeiten über das Web. Und sie erwarten, dass das an ihrem Arbeitsplatz genauso ist. Wer ihnen das nicht bieten kann, hat sie schneller verloren als gewonnen.
„Wenn die Flut kommt und Ihnen das Wasser bis zum Hals steht, genügt es nicht, schneller zu laufen. Das ist das falsche Konzept. Sie müssen schwimmen!“
Digital Natives goutieren es auch nicht, wenn ihnen gesagt wird, was sie im Internet schreiben dürfen und was nicht. Bevor Sie also bestimmte Internetseiten sperren und Ihren Angestellten verbieten, über ihre Arbeit zu bloggen oder zu twittern, sollten Sie besser eine Möglichkeit suchen, die alle zufriedenstellt. Frosta beispielsweise hat einen eigenen Unternehmensblog, in dem die Mitarbeiter selbst schreiben. Lesen und kommentieren kann ihn jeder, Kunden genauso wie die Konkurrenz. Damit das funktioniert, hat das Unternehmen Social-Media-Regeln auf der Homepage stehen. Das Projekt kommt bei allen Beteiligten gut an. Wichtig ist, keine Banalitäten zu veröffentlichen, kein PR-Gewäsch, sondern authentisch und glaubwürdig zu kommunizieren.
„Wer nicht selbstbestimmt arbeiten darf, wird sich einen anderen Ort suchen, an dem er es darf.“
Um ein anderes Beispiel zu nennen: Kunden werden über das Internet am Produktionsverfahren beteiligt. Facebook, das soziale Netzwerk aus den USA, ließ seine Nutzer eine deutsche und eine spanische Version erstellen. Dafür musste es auch Quellcode freigeben, was dem Unternehmen jedoch nicht geschadet hat. Vielmehr haben die Nutzer den Code stellenweise verbessert und Kritik und Anregungen eingebracht, die das Produkt optimieren. Fazit: Je mehr Personen über das Internet an einer Sache zusammenarbeiten, desto besser wird das Endergebnis. Oft ist die Gruppe nämlich intelligenter als ihr intelligentestes Mitglied.
Online sein oder nicht sein
Das Internet ist außerdem der Ort, an dem Marketing künftig bevorzugt betrieben wird. Pepsi verzichtete 2010 erstmals darauf, während des Super-Bowl Werbung im Fernsehen zu schalten. Stattdessen steckte der Getränkehersteller 20 Millionen US-Dollar in soziale Netzwerke und in den direkten Dialog mit den Kunden. Selbst wenn Sie meinen, Ihr Unternehmen müsse nicht im Netz präsent sein, werden Ihre Kunden sich dort über Sie informieren. Denken Sie an die Autobranche: Früher gab der Händler dem Kunden Prospekte und Preislisten mit nach Hause, der Kunde las sich die Informationen durch und entschied sich für oder gegen das Auto. Heute gibt es im Internet Vergleichsmodule, Tests von Fachzeitschriften zum Nachlesen, Videos auf YouTube und sogar die Möglichkeit, das Auto online genau so zusammenzustellen, wie es sein soll. Mehr Transparenz beim Autokauf ist derzeit nicht möglich.
„Ein einzelner unzufriedener Kunde oder frustrierter Mitarbeiter kann heute ein mittleres PR-Erdbeben lostreten.“
Ähnlich verhält es sich mit der Buchung von Hotelzimmern oder der Wahl eines Restaurants: Das Internet bietet dazu so viele Informationen und Bewertungen anderer Kunden, dass jeder bestens informiert ist, bevor er ein Zimmer oder einen Tisch reserviert. Eine Studie fand heraus, dass 90 % der Internetnutzer dem vertrauen, was ihre Bekannten sagen, und immerhin noch 70 % sich auf das verlassen, was andere in den einschlägigen Internetportalen schreiben. Darum sollten Restaurant- und Hotelbesitzer – wie alle Unternehmen – regelmäßig überprüfen, was im Netz über sie veröffentlicht wird. Nicht immer wird Ihnen gefallen, was Sie dort lesen. Was dann? Reagieren Sie rasch, aber sachlich. Sparen Sie sich und den anderen Emotionen, die schnell aus einem Strohfeuer einen Flächenbrand machen können.
„Wir arbeiten, weil das Arbeiten selbst etwas Befriedigendes ist und weil das, was dabei herauskommt, für uns sinnvoll ist.“
Also: Sie müssen umdenken. Bevor Sie jetzt aber beginnen, alles umzukrempeln, halten Sie einen Moment inne. Nur auf Neues zu setzen, ist genauso falsch, wie um jeden Preis am Alten festzuhalten. Es geht vielmehr darum, erfolgreiche Modelle der Vergangenheit anzupassen und sie durch sinnvolle Neuerungen zu ergänzen. Wenn Sie das nicht tun, geht es Ihnen möglicherweise bald wie der Musikindustrie oder den Zeitungsverlagen. Beide Branchen haben das Internet so lange ignoriert, bis es existenzgefährdend für sie wurde. Lösungen für ihre Probleme haben sie noch immer nicht präsentiert.
Individualisten gefragt
Der Blick ins Internet allein sorgt nicht für größeren Erfolg. Auch die Auswahl der Mitarbeiter spielt eine wesentliche Rolle. Wer immer nur brav nickt und ausführt, was Sie vorgeben, sollte Ihnen suspekt sein. Solchen Leuten ist es egal, was mit dem Unternehmen passiert, sie sind austauschbar. Beschäftigt Ihr Unternehmen nur austauschbare Mitarbeiter, wird auch die Firma selbst schnell überflüssig. Darum sind Querdenker für Ihre Existenz überlebenswichtig – sei es in Form von Mitarbeitern, unzufriedenen Kunden oder bisher unbekannten Konkurrenten. Achten Sie besonders auf die Entwicklung der Letzteren und darauf, was sie besser machen als Ihr Unternehmen.
„Der Dreiklang aus Wertschöpfung, Bewahrung und kreativer Zerstörung sorgt für ein gesundes Gleichgewicht im Leben eines jeden Menschen.“
Individualisten lassen sich nicht durch Titel beeindrucken, sondern nur durch Kompetenz. Darum akzeptieren sie auch nicht jeden als Chef, sondern nur den, der es verdient hat. Setzt man ihnen Vorgesetzte vor die Nase, die nicht führen können, die keine Erfahrung haben, nicht wissen, was sie tun, gehen sie lieber zu einem anderen Unternehmen. Dieses Denken macht sich auch in der Führungsriege breit. Ein gutes Beispiel dafür ist John T. Chambers, der Chef von Cisco. Er hat keinen Arbeitsvertrag, und das auf eigenen Wunsch. Sein Credo lautet, dass, wer Chef in einem Unternehmen sein möchte, sich jeden Tag aufs Neue beweisen muss.
Erfolgreich sein heute
Wer in der heutigen Zeit erfolgreich sein möchte, muss Werte schaffen, denn nur Werte erzielen Profit. Das bedeutet: Sie müssen schneller als die Konkurrenz sein. Und das nicht nur einmal, sondern fortlaufend. Denn wer einmal einen Bestseller verkauft hat, wird schnell kopiert. Um dann die Nase vorne zu halten, müssen Sie nachlegen. Bringen Sie ein verbessertes oder gar ein neues Produkt schon dann auf den Markt, wenn Ihre Konkurrenz noch darüber nachdenkt, wie es den Vorgänger kopieren soll. Denken Sie dabei an Apple und seine Produkte: den iPod, das iPhone und das iPad.
„Homogenität führt zu nichts. Außer zu Gruppenkonformismus und intellektueller Obstipation.“
Erfolgreich ist, wer seinen Kunden das gibt, was sie wollen. Ein Beispiel für dieses Prinzip ist die Kette Vapiano. Kunden bekommen dort zwar nur, was sie auch an vielen Orten in einer Stadt kaufen können: Pizza, Nudeln, Salat. Der Unterschied: Bei Vapiano wird alles vor den Augen der Kunden frisch zubereitet. Und das Ganze zu vernünftigen Preisen, denn Vapiano spart, indem die Kunden mit einbezogen werden: Sie stellen sich in Schlangen vor den betreffenden Schalter, um ihr Essen zu ordern, holen es ab, sobald es fertig ist, verzichten auf Tischdecken und Vorhänge. Werbung hat Vapiano nicht nötig: Die Kette lebt von Mund-zu-Mund-Propaganda. Auch Google schaltet übrigens keine Werbung. Das Unternehmen gibt es erst seit wenigen Jahren. Trotzdem ist es so bekannt wie Coca-Cola – eine Firma, die schon seit über 100 Jahren am Markt ist.
„Viele Versuche heißt auch viele Fehlversuche.“
Um Erfolge wie Apple, Vapiano oder Google zu erzielen, brauchen Sie motivierte Mitarbeiter. Das heißt, Ihre Angestellten müssen zunächst ihr Fach beherrschen, dann müssen sie bereit sein, sich für das Unternehmen zu engagieren, und schließlich muss die Firma den richtigen Rahmen setzen, also ausreichend Freiheiten geben. Dazu gehört auch, dass Mitarbeiter einmal nichts tun. Gute Ideen entwickeln sich selten, wenn man im Hamsterrad des beruflichen Alltags gefangen ist. Das Gehirn braucht Pausen. Bei Google sollen Entwickler darum 20 % ihrer Arbeitszeit damit zubringen, Dinge auszuprobieren, die im Moment nicht relevant scheinen. Mehr als die Hälfte der Google-Produkte seien so entstanden, heißt es.
Moderne Unternehmen
IBM rief 2006 den so genannten Innovation Jam aus: 140 000 Menschen aus über 100 Ländern diskutierten ihre Ideen im Netz. Bei IBM Deutschland dürfen die Angestellten arbeiten, wo sie mögen: zu Hause, im Café oder im Büro. Dort hat niemand einen festen Platz, auch nicht die Chefs. Man sucht sich morgens einen Arbeitsplatz und räumt ihn abends wieder. Niemand kontrolliert die Anwesenheit oder die Arbeitszeit. Und das mit gutem Grund: Was genau soll Arbeitszeit sein? Wann beginnt und wann endet sie? Sie haben morgens im Halbschlaf oder in der Bahn eine gute Idee – sollen Sie die nicht weiterverfolgen, weil Ihre Arbeitszeit erst in 45 Minuten beginnt? IBM kommt es darauf an, Ziele zu erreichen und Lösungen zu schaffen; wann, wo und wie das geschieht, spielt keine Rolle. Ähnlich funktioniert die Arbeit bei SAP in Walldorf.
„Vielfalt ist eine Voraussetzung für langfristigen unternehmerischen Erfolg.“
Für die Mitarbeiter bedeutet das allerdings, dass sie diszipliniert sein müssen: Wer zu Hause arbeitet, darf sich nicht durch die Waschmaschine oder den Fernseher ablenken lassen. Man muss Verantwortung übernehmen, um einen solchen Job zu füllen, und vor allem das richtige Maß finden, um sich bei alledem nicht selbst auszubeuten. Das geht durchaus: Wer denkt, dass alle Mitarbeiter, die so selbstverantwortlich arbeiten, vom Burnout bedroht sind, der liegt falsch. Je selbstbestimmter Angestellte arbeiten, je mehr Entscheidungskompetenz sie haben, desto weniger laufen sie Gefahr, durch Stress zu erkranken. Hinzu kommt: Wer mit allen diesen Kompetenzen ausgestattet ist, wird sich nie mehr auf eine scheinbare Sicherheit bei einem Arbeitgeber einlassen. Er wird sich und sein Können immer und überall einbringen.