Strategien für den Wandel
Für Situationen, in denen ein Wissensmangel herrscht, brauchen wir Strategien. Wenn wir alles wüssten, könnten wir natürlich alles planen. Die Welt ist aber komplex und wird immer dynamischer – darauf müssen wir uns vorbereiten. In Organisationen kommt es oft zu einem schlechten Informationsaustausch, sodass an vielen Stellen Wissenslücken entstehen. Falsche Strategien sind die Folge. Absurd ist in diesem Zusammenhang die Behauptung, die Finanzkrise habe man nicht kommen sehen – sie war in die Strategien der Banker und Regulierer eingearbeitet. Ratingagenturen, Medien, Consultingfirmen und Universitäten verschlossen nur die Augen.
„Am Anfang der Strategie steht das Kundenproblem.“
Ebenso zeichnete sich schon Mitte der 1970er Jahre der Niedergang der amerikanischen Automobilindustrie ab. Es gibt positive Beispiele von strategisch weitblickenden Konzernen wie Nestlé, VW, BMW, Microsoft oder Berkshire Hathaway. Bei Familienbetrieben ist die Weitsicht besonders ausgeprägt, denn im Unterschied zu anderen Unternehmen folgen sie nicht den Finanzmärkten.
„Die verbreitete Furcht, der Gewinn werde durch die Kundenorientierung kleiner, ist ganz unbegründet, denn das Gegenteil ist der Fall.“
Um für die Zukunft gewappnet zu sein, brauchen wir neue Navigations- und Informationssysteme. Wir müssen uns konsequent mit dem Nichtwissen beschäftigen. Denn in unserer Gesellschaft findet ein gewaltiger Wandel statt, wie es ihn selten in der Geschichte gegeben hat. Ein solcher Schnitt kommt nur alle 200–250 Jahre vor. Um 1500 fand eine solche Veränderung statt: mit der Erfindung des Buchdrucks, der Renaissance, der Entdeckung Amerikas, der Entstehung der Wissenschaften, dem medizinischen Fortschritt und der Verbreitung des arabischen Zahlensystems. Die bislang letzte Transformation begann Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Aufklärung, der amerikanischen Verfassung, der Industrialisierung und der Französischen Revolution.
Was ändert sich jetzt?
In wenigen Jahren werden die Global-Fortune-500-Unternehmen in ihrer heutigen Form nicht mehr existieren. Zuletzt verschwanden die elf führenden Hausbaufirmen der USA von der Liste. Banken verabschiedeten sich ebenfalls, Pharmaunternehmen droht das Gleiche. Auch die öffentliche Hand, das Gesundheits- und Bildungswesen, der öffentliche Verkehr, der Energiesektor, die Gewerkschaften und die Regierungen stehen vor großen Herausforderungen. Wir alle produzieren, transportieren, distribuieren, finanzieren und konsumieren künftig anders als früher. Vieles ändert sich, etwa die Art, wie wir kommunizieren, lernen und lehren.
„Wichtig ist nicht so sehr, ständig zu wachsen, sondern wichtig ist, ständig besser zu werden.“
Das sehen Sie an der Nutzung des Internets und der Smartphones. Diese Mittel verändern nicht nur unsere Kommunikation, sondern auch unsere Arbeit und unseren Konsum. Neue Werte und Motive entstehen. Die neue Welt wird nicht mehr durch die Gesetze des Geldes geprägt sein, wie es bisher der Fall war.
„Unbestritten müssen Unternehmen Gewinne machen. Daraus folgt aber nicht, dass deswegen oberste Ziele von Unternehmen Gewinn und Gewinnmaximierung sind.“
Fünf Treiber sorgen für den Wandel: Demografie, Wissen, Ökologie, Verschuldung und wachsende Komplexität. Wir stehen daher vor immer neuen Überraschungen. Im Sommer 2008, drei Monate vor der Lehman-Pleite, prognostizierten nahezu alle US-Ökonomen ein Wirtschaftswachstum von 2,5–3,5 %. Sie waren blind, erkannten die drohende Finanzkatastrophe nicht. Eine große Gefahr stellt heute die Deflation dar, die dazu führt, dass die Sachgüterpreise sinken – Aktien, Edelmetalle, Immobilien und Rohstoffe eingeschlossen. Angesichts der massiven Verschuldung kann es zu einem Ausverkauf am Aktienmarkt kommen. Von 1929 bis 1932 verloren die Aktien im Dow-Jones-Index 90 % ihres Wertes. So etwas kann sich wiederholen.
Ein Nervensystem statt starrer Managementsysteme
Starre Managementsysteme sind den Herausforderungen von heute nicht gewachsen. Setzen Sie daher im Unternehmen, wie bei einem einzelnen Menschen, auf die Sinnesorgane, auf eine Art Nervensystem. Die bisherigen Entscheidungs- und Planungsprozesse sind überholt. Die alten Führungsmodelle aus den USA helfen in der Krise nicht weiter, sie wirken vielmehr zerstörerisch. Wir brauchen ein Navigationssystem, das uns durch die schnellen Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft steuert. Es geht darum, wie ein Autofahrer mit seinem GPS den besten Weg zu finden. Das System muss Sie stets vor den Gefahren warnen, sodass Sie blitzschnell reagieren können.
Das Minenfeld strategischer Irrtümer
Wie konnte es dazu kommen, dass scheinbar kerngesunde Firmen wie Lehman oder AIG plötzlich vor dem Ruin standen? In Deutschland galt die Hypo Real Estate immer als solide, in der Schweiz hatten der Zürich Konzern und Swiss Life einen ausgezeichneten Ruf. Doch sie alle gerieten in die Krise. Die Gründe für die Schieflagen ähneln sich: Die Führungsspitze baute ihre Strategie lediglich auf operative Daten auf, die ungeeignet waren. Ein guter Manager dagegen hat die strategische Entwicklung der Firma im Auge.
„Entscheidend ist nicht Größe, sondern Stärke, nicht Masse, sondern Tempo, Qualität, Anpassungsfähigkeit und vor allem Manageability, d. h. Lenkbarkeit.“
Die Fehlentwicklung, die zu beobachten ist, rührt vom Shareholder-Value-Denken her. Dieser angelsächsische Ansatz beobachtet leider nur die Daten aus dem Rechnungswesen, es geht im Kern lediglich um Finanzkennzahlen. Ähnlich gehen Ratingagenturen, Wirtschaftsmedien und Controller vor. Dieser Denkansatz ist in den amerikanischen Business-Schools, in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und in der Betriebswirtschaftslehre verwurzelt. Die Fokussierung auf Wachstum und Gewinn ist aber hochgefährlich, ja sie kann sogar zum Kollaps führen. So ist bekannt, dass mehr als 60 % aller Fusionen und Übernahmen ihr Ziel verfehlen. Wachstum sollte ohnehin kein zentrales Ziel sein. Vielmehr geht es darum, sich durch Innovationen ständig zu verbessern.
„Finanzielle Disziplin ist zwar unbestritten wichtig, denn Finanzen sind das Fundament des Unternehmenserfolgs, sie sind aber nicht der Grund für den Erfolg.“
Die Größe eines Unternehmens ist zweitranging; lenken Sie Ihr Augenmerk lieber auf die eigene Stärke und Qualität. Es gibt kleine Firmen, die auf ihrem Gebiet unschlagbar sind. Freilich sind Finanzen das Fundament jedes Unternehmens, sie sind aber nicht der Grund für den Erfolg. Gewinne sind wichtig, ohne sie kann ein Unternehmen langfristig nicht fortbestehen, aber der Profit als oberstes Ziel muss aus den Köpfen der Manager unbedingt verschwinden.
Unternehmen zum Funktionieren bringen
Ein Unternehmen muss sich täglich bewähren. Es agiert in einem Umfeld von Märkten, Kunden, Konkurrenten, Lieferanten, Kapitalgebern, Medien und dem Staat. In vielen dieser Bereiche kommt es zu gewaltigen Veränderungen. Zunächst müssen Sie den Unternehmenszweck definieren. Allein das ist sehr schwierig, denn eine falsche Definition kann schwerwiegende Fehlentscheidungen nach sich ziehen.
„Bei der Erarbeitung einer Unternehmensstrategie muss man sich zuerst und vor allem auf die Identifikation von Stärken konzentrieren.“
Eine falsche Programmierung führt u. U. in den Ruin. Sie müssen Abstand davon nehmen, ständig den Aktionär oder die Wertsteigerung der Firma im Blick zu haben. Denn dadurch verhindern sie genau das, was Sie eigentlich bezwecken wollen, nämlich hohe Gewinne und zufriedene Aktionäre.
Der wahre Zweck eines Unternehmens ist die Schaffung einer begeisterten Kundenbasis. Sie wollen Problemlösungen anbieten, etwas, wofür Ihre Kunden bereit sind, Geld zu bezahlen. Der Kunde und sein Nutzen – darum muss es ausschließlich gehen. Der Gewinn fließt dann ganz von allein. Im Endeffekt drückt der Profit lediglich aus, ob das Unternehmen das Richtige tut. Gerne programmieren Führungskräfte ihre Firmen ausschließlich auf die Gewinnsteigerung, was aber innovations- und investitionsfeindlich ist und damit letztlich dem Geschäft schadet. Stellen Sie sich stets die Frage, wofür der Kunde bezahlt. Auch sollten Sie die Nichtkunden beobachten und die Gründe analysieren, warum diese bei der Konkurrenz sind.
„Strategisch gesehen ist jedes Produkt und jede Dienstleistung eine Lösung für ein Problem, das ein Kunde oder eine Kundengruppe hat.“
Unternehmensberater konzentrieren sich gerne darauf, Fehler und Schwächen zu analysieren. Das ist aber nicht ideal. Viel sinnvoller ist es, die Stärken einer Firma unter die Lupe zu nehmen. Was können Sie besser als die anderen? Was macht Ihre Konkurrenzfähigkeit aus?
Verlässlich lenken durch kybernetisches Navigieren
Für ein Unternehmen ist es überlebenswichtig, über ausreichend Liquidität zu verfügen. Der Gewinn dagegen ist nicht immanent wichtig. Die Liquidität müssen Sie permanent überwachen. Sie entsteht aus den Einnahmen und Ausgaben und ist von kurzfristiger Natur. Neben der Liquidität sollten Sie den betriebswirtschaftlichen Erfolg beobachten, denn er läuft dieser voraus. Der Erfolg ist sozusagen ein Frühwarnsystem für die Liquidität. Erfolg wird am Return on Investment (ROI) gemessen. Begutachten Sie auch Ihre Erfolgspotenziale, insbesondere in Bezug auf deren Ergiebigkeit und Dauerhaftigkeit.
„Letzten Endes wird man einen Preiskampf mit den Marktführern nicht gewinnen können.“
Gerät Ihr Unternehmen in eine Krise, sind Kostensenkungsprogramme nicht die Ideallösung, weil durch sie schädliche Wirkungen entstehen. Es werden dann nämlich nicht nur verschwenderische Kosten gekürzt, sondern auch Potenziale beschnitten. Wenn Sie beispielsweise Ihr Werbebudget kürzen, stärkt das die Konkurrenten und führt zu einem sinkenden Marktanteil.
„Wenn Versäumnisse und Fehlentscheidungen erst erkannt werden, wenn Verluste eintreten, so ist es in der Regel für die Schaffung von Potenzialen zu spät.“
Zum Navigieren brauchen Sie einen Kompass und Kartenmaterial. Genauso verhält es sich mit Ihrem Unternehmen. Stellen Sie sich vor, dass sie eine Reise machen. Orientieren Sie sich: Wo bin ich? Wo möchte ich hin? Wie komme ich zum Ziel? Kurz: Erstellen Sie eine Strategiekarte. Zunächst ist zu klären, was das Kundenproblem ist. Diese zentrale Frage steht immer am Anfang der Strategiebildung. Das Wissen über die Probleme und Wünsche der Kunden ist der Schlüssel zum Erfolg. Produkte kauft der Kunde nur, wenn sich damit Probleme lösen lassen.
Kondratieff-Wellen und S-Kurven
Der Ökonom Joseph Schumpeter erkannte, wie wichtig eine ständige Erneuerung für Unternehmen ist. Der russische Wirtschaftswissenschaftler Nicolaj Kondratieff beschäftigte sich in den 1920er Jahren mit Musterbewegungen der Konjunktur. Die von ihm beschriebenen langfristigen Wellenbewegungen der Wirtschaft entsprechen dem historischen Aufkommen von Ideen, Erfindungen, Technologien und unternehmerischen Vermarktungserfolgen.
„Ziel der Strategie muss es sein, mindestens einen verteidigungsfähigen Marktanteil zu erlangen, denn nur dann hat man ein relativ dauerhaftes ergiebiges Erfolgspotenzial geschaffen.“
Kondratieffs Wellen korrespondieren darüber hinaus mit den S-Kurven des Physikers Cesare Marchetti, die den technologischen und gesellschaftlichen Wandel beschreiben. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erkenntnisse müssen wir uns bewusst sein, dass Lösungsansätze von zeitlich begrenzter Dauer sind. Es kommen immer neue Produkte auf den Markt und es gibt immer wieder neue Lösungen. Innovationen entstehen allerdings nicht in den Forschungslaboratorien oder an den Universitäten. Wer Erfolg am Markt hat, der schafft Innovationen.
Ein Start-up gründen
Eine Firmengründung ist nicht einfach. In der Regel vergehen fünf Jahre, bis ein Start-up profitabel ist. Ein Viertel der Gründer erreicht die Gewinnzone schon in den ersten drei Jahren, ein weiteres Viertel dagegen benötigt sogar acht Jahre. Sie müssen sich diese Durststrecke verinnerlichen, wenn Sie mit dem Gedanken an eine Unternehmensgründung spielen. Eine hohe Qualität und ein großer Kundennutzen sollten von der ersten Stunde an die Maxime sein.
„Für das Einschätzen der Lage und das richtige Navigieren ist es unerlässlich, etwas von den Kondratieff-Zyklen zu wissen, den bisher identifizierten langen Wirtschaftszyklen.“
Wenn das Produkt auf den Markt kommt, geht es darum, so schnell wie möglich Marktanteile zu gewinnen. Dieses Ziel ist wichtiger als der Gewinn. Daher sind hohe Investitionen in Marketing, Kundenservice und Vertrieb nötig. Hohe Werbeausgaben führen zwangsläufig zu hohen Anfangsverlusten, aber sie haben den Vorteil der schnellen Marktdurchdringung. Hat der Novize einen Marktanteil erreicht, der sich verteidigen lässt, ist ein wichtiges Stadium erreicht. Die Firma ist damit vorerst bestandsfähig und hat die kritische Aufbauphase überstanden.