Die Revolution des Marketings
Die einzige Konstante der Menschheit scheint der Wandel zu sein. Unzählige Herausforderungen wie die Folgen der Finanzkrise, steigende Arbeitslosigkeit, weltweit herrschende Armut oder offensichtliche Klimaveränderungen verlangen ein Umdenken in Wirtschaft und Gesellschaft. Nicht nur müssen sich der Umgang mit den erschöpfbaren Ressourcen sowie die gängigen Wachstumsvorstellungen wandeln. Auch das Konsumverhalten wird sich ändern – und mit ihm das Marketing. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat das Marketing drei wesentliche Phasen durchlaufen. In der ersten ging es vor allem um die Präsentation des Produkts. Die zweite Phase stand unter dem Stern der Kundenorientierung. In dieser Zeit wurden Kampagnen zunehmend auf die emotionalen Konsumentenwünsche zugeschnitten. Mit der Jahrtausendwende wurde nun eine Revolution des Marketings eingeläutet. Längst geht es in der Werbung nicht mehr nur um Konsum und Verbrauch von Produkten. Marketing 3.0 betrachtet den Kunden in seiner Gesamtheit mit all seinen Bedürfnissen, es sieht nicht mehr nur den „Verbraucher“. Neben den rein wirtschaftlichen spielen auch soziale, gesundheitliche oder ökologische Anliegen der Kunden eine Rolle. Ziel dieser Entwicklung ist es, Lösungen zu präsentieren, die gleichzeitig den Verstand, die Emotionen und die Seele ansprechen.
Die neuen Regeln des Marketing 3.0
Jahrelang gestaltete sich Marketing als Einbahnstraße. Unternehmen und Agenturen entwickelten Kampagnen für Produkte, die der Kunde passiv aufzunehmen hatte. Marketing 3.0 stellt diese Praxis auf den Kopf. Vorbei ist es mit der Meinungsherrschaft vermeintlicher Experten. Nun gestalten die Konsumenten die Vermarktung selbst mit. Treiber dieser Entwicklung sind moderne Informationstechnologien wie das Internet. Über soziale Medien wie Blogs und Foren oder Plattformen wie YouTube bietet es den Menschen die Möglichkeit, sich offen über die Qualität von Produkten auszutauschen und Empfehlungen auszusprechen. Unternehmen haben begonnen, diesen kostengünstigen Weg der Vermarktung gezielt zu nutzen. Darüber hinaus suchen die Firmen zunehmend den direkten Kontakt zu ihren Kunden, um Produkte zu verbessern, Trends frühzeitig zu erkennen oder neue Leistungen zu kreieren.
„Marketing 3.0 ist das Stadium, in dem sich Unternehmer nicht mehr auf den Verbraucher konzentrieren, sondern auf den Menschen, und in dem unternehmerische Verantwortung zum Gegenpol der Rentabilität wird.“
Neben der intensiven Mitwirkung der Konsumenten ist die kulturelle Ausrichtung eine weitere Neuheit von Marketing 3.0. Die Globalisierung der Wirtschaft bietet zwar einerseits ganz neue Wachstumschancen. Andererseits schärft sie auch den Blick für die zahlreichen Unterschiede etwa in puncto Wohlfahrt, Bildung oder Demokratieverständnis. Soll die Vermarktung von Produkten auch international erfolgreich sein, muss sie kulturelle Unterschiede berücksichtigen und Kampagnen müssen dementsprechend gestaltet sein.
„Die Wirkung der Werbung von Unternehmen auf das Kaufverhalten wird zurückgehen.“
Der dritte revolutionäre Aspekt des Marketing 3.0 ist es, spirituelle, humanistische und kreative Werte zu thematisieren. Wir leben in einer mehr und mehr von kreativen Geistern bestimmten Zeit, in der materielle Bedürfnisse nicht mehr an oberster Stelle unseres Strebens stehen. Selbstverwirklichung und immaterielle Werte werden zu einem bedeutenden Motivator, gerade für Kaufentscheidungen. Die Zukunft des Marketings wird also viel stärker von einer umfassenden Zusammenarbeit nicht nur mit den Konsumenten, sondern auch mit anderen Geschäftspartnern oder Non-Profit-Organisationen geprägt sein. An die Stelle der früheren Vermarktung von oben tritt ein Prozess der Ko-Kreation, der Gemeinschaftsbildung und der charakterlichen Differenzierung. Marketing wird zu einem Instrument, das Kopf, Herz und Geist der Menschen anspricht. Die drei I, die jede Marke bestimmen, sind dabei: Identität, Integrität und Image.
„Marketingabteilungen haben ihre Marken heute nicht mehr richtig im Griff, weil sie im Wettbewerb mit der kollektiven Macht der Konsumenten stehen.“
Ein Beispiel für erfolgreiches Marketing 3.0, besonders im Sinne der Markenintegrität, ist das US-Unternehmen Timberland. Der Hersteller hochwertiger Freizeitbekleidung und -schuhe verfolgt seit Jahren ein umfassendes Gemeinnutzprogramm für seine Mitarbeiter. Entscheiden diese sich für den freiwilligen Einsatz etwa im Umweltschutz, werden sie von ihrem Arbeitgeber unterstützt. Das ehrenamtliche Engagement hat für die Firmenleitung eine so hohe Bedeutung, dass es selbst in umsatzschwachen Zeiten nicht eingestellt wird. Diese Konsequenz und Integrität ist allerdings nur möglich, weil die soziale Verantwortung in der Firmenmission, der Vision und den Werten der Firmenkultur verankert ist. Nachhaltigkeit und langfristiges Denken sind in diesem Unternehmen keine leeren Worthülsen. So kann auch ein Unternehmen über materielle Ziele hinaus eine Art Selbstverwirklichung realisieren.
Das Geheimnis einer erfolgreichen Firmenmission
Wenn es um das Marketing der Zukunft geht, müssen sich Unternehmen von einer gewohnten Vorstellung verabschieden: Marken lassen sich nicht mehr aus der Führungsetage heraus steuern. Längst entscheiden die Kunden, wie sich ein Produkt entwickelt. Das heißt allerdings nicht, dass Unternehmen dieser Entwicklung einfach hilflos ausgeliefert sind: Mit der Markenmission und den daraus folgenden Handlungen legen sie die Grundlage für den Erfolg ihrer Produkte. Hinter der Mission verbergen sich die Gründe und die Geschichte, die die Existenz eines Produkts erklären. Je stärker diese Story die Lebensumstände eines Konsumenten verändert, umso erfolgreicher ist eine Marke. Dies setzt voraus, dass die Mission authentisch ist. Zudem muss sie leicht verständlich, emotional berührend, bildhaft und persönlich ansprechend sein. Ein gutes Beispiel dafür ist der Erfolg der Marke Apple, die durch die Erzählkunst ihres Gründers Steve Jobs die Kunden seit mehr als 25 Jahren fesselt. Der Apple-Chef erfindet die Geschichten nicht, sondern leitet sie aus dem alltäglichen Leben ab. Die hohe Glaubwürdigkeit erlangt Apple dadurch, dass das Unternehmen immer direkt mit den Verbrauchern intensiv über die Entwicklung der Produkte diskutiert.
Wertorientiertes Wirtschaften
Die weltweite Finanzkrise hat die öffentliche Einstellung gegenüber Managern und Unternehmen völlig verändert. Umfragen zeigen, dass die Konsumenten angesichts der zahlreichen Wirtschaftsskandale zunehmend das Vertrauen in die Firmenlenker verlieren. Statt ihnen Aufrichtigkeit und Authentizität zuzutrauen, wird den Managern Machtstreben und Eigeninteresse unterstellt. Um die Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen, müssen die Unternehmensführungen im Geschäftsalltag künftig echte Werte konsequent verfolgen. Denn Integrität bedeutet nicht, kluge Dossiers mit Absichtserklärungen zu formulieren, sondern Unternehmenswerte zu leben. Diese umfassen z. B. Transparenz, die Mitsprache von Verbrauchern, flexible Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter, die Förderung von Verschiedenheit, Gesundheitsfürsorge oder Familienorientierung.
„Nachhaltigkeit ist für Unternehmen bei der Generierung von Shareholder-Value auf lange Sicht eine maßgebliche Herausforderung.“
Unternehmenswerte umzusetzen, zahlt sich langfristig aus. Der Aufbau einer solchen Firmenkultur steigert nicht nur die Motivation der Mitarbeiter. Er macht das Unternehmen für talentierte Fachkräfte erst attraktiv, und letztlich fördern Sie so Produktivität und Kreativität, sichern langfristig die Qualität und erhöhen das Gewinnpotenzial. Vor allem aber hebt sich Ihr Unternehmen dadurch von der Konkurrenz ab. Was für die Konsumenten gilt, ist allerdings auch im Umgang mit den Vertriebspartnern unerlässlich. Auch hier müssen Werte ernsthaft gelebt werden. Nur so lassen sich geeignete Kooperationspartner finden, mit denen Sie gemeinsam die Kundschaft gezielter ansprechen können.
Die Notwendigkeit einer Langfristperspektive
Marketing 3.0 zielt nicht auf kurzfristige Wachstumsgewinne ab. Die dritte Phase der Produktvermarktung fußt auf der Erkenntnis, dass nachhaltiger Unternehmenserfolg eine langfristige Sichtweise voraussetzt. Nur so können alle Bedürfnisse der Gesellschaft und der Konsumenten bedient werden. Denn schließlich agiert ein Unternehmen nicht isoliert vom Umfeld, in dem es tätig ist: In seinem erfolgreichen Wirtschaften ist es von einer Vielzahl von Einflussfaktoren abhängig, z. B. von Gesetzen, Umweltveränderungen, knappen Ressourcen oder sich wandelnden Einstellungen der Menschen. Eine wesentliche Aufgabe des Marketing 3.0 ist daher der intensive Austausch mit Aktionären. Deren Priorität ist nun mal zunächst die kurzfristige Gewinnerwartung. Das Mittel, die Aktionäre von der Langfristperspektive zu überzeugen, ist eine klare Vision. Es ist die große Herausforderung des Managements, den Aktionären aufzuzeigen, dass nur der Fokus auf Nachhaltigkeit dauerhaft Kosten optimiert, Umsätze steigert, die Marke stärkt und damit Gewinne garantiert.
Der Wandel zum Sozialunternehmen
Umfragen belegen, dass Konsumenten Firmen umso positiver bewerten, je mehr diese sich sozial engagieren. So konnte die Walt Disney Company die Marktführerschaft als Lizenzgeber für Comicfiguren weiter ausbauen, seit sich das Unternehmen, das in dieser Funktion auch für McDonald’s tätig ist, für gesunde Kinderernährung starkmacht. Neben einem Ernährungsleitfaden bietet Disney unter seinem Label inzwischen auch gesunde Nahrungsmittel an. Dieser strategische Einsatz von sozialem Engagement ist bislang aber eher die Ausnahme. Viele Firmenchefs spüren zwar die Notwendigkeit, ihr Geschäft auch so genannten philanthropischen Themen zu öffnen. An der konsequenten Umsetzung dieser Idee in die Praxis hapert es jedoch noch. Dabei lässt sich dieser Wandel zum Sozialunternehmen relativ leicht in drei Schritten erreichen. Zu Beginn erstellen Sie eine genaue Analyse möglicher sozialer Herausforderungen und Aktivitäten. Entscheidend für die Auswahl ist der konkrete Bezug zur firmeneigenen Mission, zu Ihrer Vision und den Werten. Im zweiten Schritt bestimmen Sie die entsprechende Zielgruppe und erst dann gilt es, Lösungsangebote für die identifizierten Herausforderungen zu erarbeiten.
„Eine weiterentwickelte Form der Begegnung mit sozialen Herausforderungen ist Cause-Marketing – eine Praxis, mit der sich Unternehmen über ihre Marketingaktivitäten für ein konkretes Anliegen einsetzen.“
Ihr soziales Engagement muss keinesfalls in den entwickelten Märkten der westlichen Welt stattfinden. Große Chancen für soziales Unternehmertum bieten die so genannten Schwellenländer, in denen Armut oft noch immer die größte Herausforderung darstellt. Wenn Sie sich dort engagieren, sollte es stets Ihr Ziel sein, die Menschen so zu unterstützen, dass sie sich selbst aus ihrer schwierigen Situation befreien können.
„Kluge Manager berücksichtigen mehr als nur die finanziellen Auswirkungen einer Entscheidung.“
Damit die Unternehmen jedoch in Schwellenländern tatsächlich auf Gewinne hoffen dürfen, müssen drei Faktoren gegeben sein: Erstens muss den ärmsten Menschen der Zugang zu moderner Informationstechnologie erleichtert werden. Zweitens muss die Möglichkeit bestehen, sich Geld für Geschäftsgründungen zu leihen, etwa über Mikrokredite. Drittens muss verhindert werden, dass weitere Abwanderung vom Land in bereits überbevölkerte Städte stattfindet. Wer eine Lösung entwickelt, die einen dieser Faktoren betrifft, darf auf Geschäftswachstum hoffen und kann gleichzeitig helfen, Armut zu lindern. Ein weiteres soziales Betätigungsfeld ist die Umwelt. Erfolgreich wird das Engagement im Umweltschutz allerdings erst dann, wenn Sie an ökologischen Produkten interessierte Kunden (Trendsetter, Wertbewusste) gezielt ansprechen können.
Die zehn Leitlinien des Marketing 3.0
Vermarktung erfordert künftig ein ganz neues Denken. Für die Unternehmen bedeutet das vor allem, dass sie sich von alten Gewohnheiten lösen müssen. Die zehn wichtigsten Leitlinien, die ihnen den Prozess erleichtern, lauten:
- die Kunden lieben,
- bereit für Veränderungen sein,
- einen guten Ruf pflegen,
- sich auf die bedürftigsten Konsumenten konzentrieren,
- Qualität zu einem fairen Preis anbieten,
- das Positive herausstreichen,
- intensive Kundenbeziehungen pflegen,
- sich als Dienstleister verstehen,
- ständig Verbesserungen anstreben und
- Entscheidungen nicht nur anhand finanzieller Kriterien treffen.