Götzendämmerung

Buch Götzendämmerung

Die Geldreligion frisst ihre Kinder

Heyne,


Rezension

Noch ein Ethikbuch als Nachwehe der Finanzkrise? Ja, aber eines, das die Geschwindigkeit einer Achterbahn mit den Emotionen während eines Ec­stasy-Trips verbindet. Die Autorin Gertrud Höhler hetzt atemlos durch Finanzwelt, Wirtschaft und Politik, springt dabei von der Rolle des Staates bei der Finanzkrise zur neuen Gel­dreli­gion, dringt in die Psyche der In­vest­ment­banker ein und übergibt schließlich das Zepter an jene, die das zukünftige ethische Selbstverständnis im Business definieren sollen: die Manager. Da wird der Bock sauber zum Gärtner gemacht, könnte man einwenden. Englische Bank­ing-Phrasen werden inflationär gebraucht, und die raschen The­men­wech­sel sollen wohl die Aufmerk­samkeit auf die paradoxen Gegeben­heiten vor und nach der Finanzkrise lenken – Geld statt Konsum, Vermögen ohne Risiko, Regulierung gegen den Rausch. BooksInShort empfiehlt den Aufruf zu einer neuen Ethik allen Meinungsführern, Entschei­dungsträgern sowie Kapital- und Fi­nanz­mark­t­teil­nehmern.

Take-aways

  • Geld hat seinen Status als Tauschmit­tel verloren und ist zur Basis für noch mehr Geld geworden.
  • Geld wird zu einer Droge und zu einer neuen Religion, wenn die Menschen auf Konsum verzichten, um es zu vermehren.
  • Die Ehrfurcht vor den In­vest­ment­bankern, den Süchtigen, war so groß, dass die Investoren keine unan­genehmen Fragen stellten.
  • Die nach der Finanzkrise verbliebe­nen Banken stehen besser da als je zuvor.
  • Die Banker zeigen sich zerknirscht und versuchen sich durch Spenden reinzuwaschen.
  • Der Staat sucht die Schuldigen, weil das Volk einen Sündenbock braucht.
  • Die Strategie der Politik ist gefährlich: Bürokratie und Eingriffe ins Banken­sys­tem dämpfen die Motivation der Führungskräfte.
  • Die Au­far­beitung der Krise gelingt nur dadurch, dass man auf das Wissen der Ve­r­ant­wortlichen zurückgreift.
  • Vonseiten der Politik kommen keine zukun­ftweisenden Neuerungen; die Chefbanker selbst müssen für eine pro­fes­sionelle Ethik sorgen.
  • Ethik bringt Wet­tbe­werb­svorteile, weil sie dem Image dient und die Beziehung zu Kunden und Lieferanten festigt.
 

Zusammenfassung

Eine neue Story

Die Finanzkrise hat gezeigt: Die Welt hat dringend Bedarf nach einer neuen Story, einer neuen großen Geschichte. Die Fi­nan­za­kro­baten, denen die realen Han­dels­ge­genstände zu langweilig geworden waren, verfielen dem großen Rausch, dem Versprechen von Abenteuer und Ner­venkitzel, und mutierten zu Ver­pack­ungskünstlern. Während TV-Geräte, Kleider und Lebens­mit­tel für ihre Reise vom Hersteller zum Verbraucher Wochen benötigten, wurden die virtuellen Fi­nanz­pakete in Sekun­den­schnelle um die Welt geschickt.

„Wir werden nicht mitspielen können in einer neuen Story der Rächer und Regulierer, die alle Fantasie in Ketten legt und Risikolust zur Bändigung durch Bürokraten freigibt.“

Die Dummen waren die ahnungs- und arglosen Pri­vat­in­ve­storen, die auch vom ver­meintlich endlosen Wachstum, der Blasenstory, profitieren wollten. Auch sie reklamierten einen Platz am Fi­nanzpok­er­tisch für sich. Wenn man neben den Geldeliten saß und deren Spiel spielte – auch ohne die Regeln zu verstehen –, fiel ja vielleicht ein wenig Glanz auf die Neben­darsteller.

„Der Respekt vor der vermuteten Intelligenz der Bankmanager und Börsenhändler war im Jahr null der Krise so groß, dass niemand auf den Gedanken kam, die allmächtigen Geld­verteiler aus der Fi­nanzin­dus­trie könnten zu Freibeutern und Hochsta­plern werden.“

Die Story ist leider schlecht ausgegangen. Die neue Geschichte muss darum von etwas anderem handeln. Doch wir können die Ver­gan­gen­heit nicht hinter uns lassen, bevor wir nicht zugeben, dass wir diese „Highflyer“ der Fi­nanzbranche bewundert haben. Und auf eine Zukunft, die von Rache und von der kurzen Leine der Regulierer gekennze­ich­net ist, sollten wir uns nicht einlassen.

Geld, die neue Ware, Droge, Religion

Geld und materielles Gut schienen irgendwann nicht mehr aneinan­dergekop­pelt zu sein. Der Status des Geldes als Tauschmit­tel begründete nicht mehr seine Da­seins­berech­ti­gung. Es war nur noch das Grund­ma­te­r­ial, aus dem sich noch mehr Geld zaubern ließ. Wer will seine Zahlungsmit­tel schon für Waren ver­schleud­ern, wenn die Rendite winkt?

„Das Geld ist nicht mehr Mediator, Mittler von Zielen, sondern das Geld selbst ist das Ziel.“

Der Investor legt sein Geld bei der Bank an, die Bank verleiht es weiter – dadurch wird Geld geschöpft, Geld geschaffen. Das geht so lange gut, bis die Sparer alle auf einmal ihre In­vesti­tio­nen zurückfordern. Geld ist die neue Ware, das neue Suchtmittel; ja es ist sogar eine neue Religion, die den Konsumgott abgelöst hat. Ehre, Anerkennung, Glück? Wozu danach streben, wenn sich all das doch mit Geld beschaffen lässt? Damit ist klar: Man kann die Mär von den rationalen Märkten vergessen. Der vernünftige Kunde ist gar nicht erwünscht. Nur einem ir­ra­tionalen Menschen kann man die Ver­lus­tangst nehmen, indem man ihm das große Vermögen in greifbarer Nähe vorträumt.

Die neuen Abenteurer

Ein Leben voller Adrenalin. Der Handel als Droge. Die risiko­hun­gri­gen In­vest­ment­banker berauschten sich am schnellen Geld. Sie verkauften Produkte, die weder sie selbst noch die Kunden durch­schauten. Aufpasser schienen nicht nötig, schließlich wurde Geld verdient.

„Die Politik sieht keine andere Möglichkeit zur Rettung der Fi­nanzwirtschaft vor dem totalen Kollaps als die Wieder­hol­ung der Politik des billigen Geldes, die Auslöser der Krise war.“

Die Banker machten einen solch abgehobenen und re­spek­tablen Eindruck, dass Fragen einer Beleidigung gleichkamen. Sie waren die Erwählten. Die angestell­ten Fi­nan­za­kro­baten klebten an den Com­put­er­schir­men, fuhren auf der emotionalen Achterbahn und wurden dabei vor der Öffentlichkeit verborgen. Dafür sorgten die PR-Maschinerie und das seriöse Auftreten der al­teinge­sesse­nen grauen Eminenzen. Einer davon ist Lloyd Blankfein, der Chef der Königin der Wall Street, Goldman Sachs. Er beschwichtigt: Seiner Ansicht nach taten die Banker „Gottes Werk“, indem sie Arbeitsplätze und Wohlstand schufen.

„Die Finanzkrise wurde nur deshalb möglich, weil es eine weltweite Infektion mit dem Zockervirus gab, die eine Pandemie auslöste: Niemand kann sagen, wer ihn angesteckt hat, aber alle sind krank“.

Die Finanzkrise hat die Banker nur temporär von der Droge Geld weggeholt. Der Entzug ist nicht gelungen. Para­dox­er­weise wollen immer mehr Studienabgänger dieselbe Luft wie die erlauchten In­vest­ment­banker schnuppern. In keiner anderen Branche lässt sich der Stu­den­tenkredit so rasch tilgen. Statt einer Banklehre ist Erfahrung im Pokerspiel gefragt. 14-Stun­den-Ar­beit­stage, Handel rund um die Uhr, Kokain – da geht der Realitätssinn zwar verloren, doch dieser Rausch! Kein Wunder, dass die Suizidrate im Fi­nanzsek­tor besonders hoch ist. Wer sich nur über die Arbeit definiert und diese dann verliert, hat im Leben ausgespielt.

Die Banken nach der Krise

Eine Täuschungsab­sicht kann den Bankern meist nicht nachgewiesen werden. Man habe selbst nichts von dem hohen Risiko gewusst, so die Fi­nanz­fach­leute. Damit geben sie auch zu, dass sie von ihrem Geschäft nichts verstehen. Ob ihnen das bewusst ist? Als Ablass für die Sünden dienen nun Spenden in großem Umfang, die den guten Ruf wieder­her­stellen sollen. Kein Problem für Giganten wie Goldman Sachs: Die Bank berichtete im Krisenjahr 2009 von einem Gewinn von mehr als 13 Milliarden Dollar. Es wird nicht lange dauern, und die verbliebe­nen Institute stehen auf festeren Beinen als je zuvor.

„Moralische Empörung ist ein Reflex zum Selb­stschutz, der das Ver­steck­spiel fortsetzt.“

Die Auswüchse der Krise waren z. T. kurios: Deutschland etwa opferte sein Aller­heilig­stes, das Auto, auf dem Altar des Geldgottes. Um den Konsum anzutreiben, zahlte der Staat Prämien für die Ver­schrot­tung von Autos, wenn ein Neuwagen gekauft wurde. Was für eine Ver­schwen­dung, Funktionstüchtiges zu ver­schrot­ten. Doch kaum einer schien sich daran zu stören.

Bestrafen und regulieren

Der Staat trägt eine Mitschuld an der Finanzkrise. Billiges Geld, verbunden mit dem Versprechen schier unendlichen Wachstums bei gle­ichzeit­iger Risikolosigkeit, das war die alte Story. Billiges Geld bleibt aber die Antwort der Staaten auf die Krise – mit dem Unterschied, dass nun all diejenigen, die Geld verdienen, unter Gen­er­alver­dacht stehen. Schließlich wird ein Sündenbock gesucht. Wer eignet sich da besser als die Experten, die Gurus, denen wir blindlings vertraut haben? Wer sich empört, braucht seinen eigenen Anteil am Versagen nicht zuzugeben. Schuldig gesprochen werden die gierigen Banker, die Manager, die mit hohen Bonuszahlun­gen falsche Anreize erfahren haben, und die Ratin­ga­gen­turen, die unbesehen ihre Gütesiegel auf die un­durch­sichti­gen Produkte gerade jener Firmen gedrückt haben, die sie für diese Be­w­er­tungs­di­en­ste bezahlt hatten.

„Banker bändigen, Manager strafen, Boni verbieten: Texte aus Fen­sterre­den, die das zornige Publikum ,draußen‘ beschwichti­gen sollen.“

2010 fehlen weiterhin In­sti­tu­tio­nen, die unabhängig neue Fi­nanzpro­dukte analysieren, und die Ver­pack­ungskünstler sind bereits wieder am Werk. Reg­ulierungs­befürworter verdammen pauschal jedes Risiko. Doch ohne Risiko kann kein Un­ternehmer­tum existieren. Es braucht eine balancierte Risikopoli­tik, die niemals von der Rendite abhängig sein darf. Gle­ichzeitig muss die Politik einsehen, dass der moralische Zeigefinger fehl am Platz ist. Er ist genauso falsch wie die Hexenjagd auf die Abgänger der Eli­te­u­ni­ver­sitäten, die in der Fi­nanzbranche unterwegs sind. Statt generell zu verurteilen, sollten die Politiker diese Talente um Hilfe bei der Au­far­beitung des Finanzchaos bitten. Sie sind auf Täterwissen angewiesen.

Die Fehler der Politik

Die Politiker haben vermutlich wenig Motivation, an der Aufklärung mitzuwirken. Denn auch sie sind Komplizen und kennen sich mit Beschaf­fungskrim­i­nalität aus: Man denke an den Handel, den die deutschen Steuer­fah­n­der mit den Dieben der Steuersünderdaten eingegangen sind: eine CD mit den Namen der Bösewichte, die dem Staat das höchste aller Güter, das Geld, voren­thal­ten haben, im Tausch gegen – wieder einmal – Geld und eine neue Identität. Außerdem ist es so viel einfacher, Feindbilder aufzubauen, als detailliert zu analysieren. Das bringt Pluspunkte bei den Wählern.

„Die Deutschen opferten ihr Lieblingsspielzeug, sie zerstörten es un­wider­ru­flich vor den Augen der Gelddämonen, um sich einen Neuanfang zu verdienen.“

Natürlich muss die Politik auf die Sünden der Fi­nanzbranche reagieren, d. h. sie muss regulieren. Die Manager bringen aber bereits einen großen Teil ihres Tages damit zu, die staatliche Bürokratie zufrieden­zustellen. Die Politiker wollen in die Bankenwelt eingreifen, mitreden, Bonuszahlun­gen und Gehälter der Banker bestimmen, obwohl sie offenbar nichts von Finanzen verstehen. Darin kann man eine Entgleisung unter dem Vorwand der Finanzkrise sehen. Die beiden Lager sind Galaxien voneinander entfernt: Die einen jagen noch den alten Bösen hinterher, während die anderen bereits wieder riskante Fi­nanz­pakete mit hohen Ren­ditev­er­sprechen schnüren. Man misstraut einander und schürt die Vorbehalte mit Racheak­tio­nen und Schaden­freude.

„Der Kern der krisenbe­d­ingten Ther­a­piekon­flikte zwischen Fi­nanzwirtschaft und Politik liegt im hohen Geldbedarf der Staaten nach der Krise und im gle­ichzeitig gestarteten Versuch der Politik, die Geldmacher zu bändigen.“

Die Strategie der Politik ist gefährlich: Regulierung, Bürokratie und Eingriffe in die Ent­loh­nungspoli­tik der Banken dämpfen die Motivation der Manager. Wer will schon Entschei­dun­gen mittragen und managen, wenn jederzeit die Strafver­fol­gung droht? Was die Welt wirklich braucht, ist ein neuer Wertekodex.

Bilanz zweier alter Hasen

Der ehemalige US-Noten­bank-Chef Alan Greenspan sagt offen, dass er die versagende Politik für die treibende Kraft hinter der Speku­la­tions­blase an den Finanzmärkten hält. Zudem seien die 80er Jahre des vorigen Jahrhun­derts so sehr durch Stabilität gekennze­ich­net gewesen, dass die Banken ihr Risiko­man­age­ment wenig beachtet hätten. Als man dann versuchte, das Risiko mit kom­plizierten Methoden zu messen, und sich gle­ichzeitig auf den Einblick der Ratin­ga­gen­turen verließ – ein Fehler, wie wir heute wissen –, war das Ergebnis vorgeze­ich­net. Dennoch muss das Risiko im Banking immer eine Rolle spielen, sagt Greenspan. Es kommt eben auf die Dosis an.

„Ethik stört. Sie ist die Spielverder­berin, und sie hat die falschen Freunde.“

Der berühmte Anleger George Soros versammelte im April 2010 rund 200 Wis­senschaftler in Cambridge. Sie sollten darüber diskutieren, wie man das Paradigma der rationalen Märkte hinter sich lassen und in Zukunft mit einer neuen Sichtweise wirtschaften könne. Das Fazit: Der Mensch und sein Wissen sind nicht perfekt. Auch diese klügsten Köpfe der Welt schlugen daraufhin Kontrollen und Zwang vor, um die Menschen vor sich selbst und weiteren Fehlern zu schützen.

Eine neue Wer­te­ord­nung

Die Zukun­ftsvi­sion, die neue Story, baut auf der Erkenntnis auf, dass Verstand und Emotion stets zusam­men­spie­len. Menschen behalten nicht immer einen kühlen Kopf, erst recht nicht, wenn das Geld winkt. Emotion ist aber nicht nur die Wurzel des Übels, sondern auch der Keim von In­no­va­tio­nen und neuen Ideen für zukünftiges Wirtschaften. Kontrolle vonseiten der Auf­sichts­behörden ist daher nicht die Lösung. In die Bonus- und Gehaltssys­teme der Banken sollte nicht einge­grif­fen werden, solange die Entlohnung positiv mit dem Un­ternehmenser­folg korreliert. Die Banken sollen ruhig Gewinne machen und ein vertret­bares Risiko eingehen dürfen, all das aber unter Berück­sich­ti­gung einer pro­fes­sionellen Ethik.

„Die Finanzkrise ist die Krise unseres Ethos.“

Daher sind nun die Topbanker und die Politiker gefordert, die Geschichte neu zu schreiben. Ethik ist leider ziemlich unglamourös. Sie versteckt sich oft hinter leeren Phrasen in Vorträgen von Führungskräften. Gleichwohl hat sie die Macht, den Status quo zu ändern, was vielen ungelegen kommt. Deren Strategie lautet daher: Ethik undefiniert lassen, dann wird sie auch nicht Realität. Geschürt werden lieber die Vorurteile gegen sie, wie z. B. das des Ethikers als besser­wis­serischer Morala­pos­tel.

„Ethik ist strate­gis­cher Er­fol­gs­fak­tor. Ethik ist Chefsache.“

Was viele nicht einsehen: Ethisches Handeln bringt Wet­tbe­werb­svorteile. Es verbessert das Verhältnis zu Kunden und Lieferanten. Es macht den Unternehmer weniger angreifbar. Ethische Ver­fehlun­gen schaden dagegen dem Image und verringern den Gewinn. Manager sollten deshalb ethisches Verhalten ihrer Mitarbeiter honorieren. Vonseiten der Regierung ist offenbar kein Vorstoß zu erwarten. Die neue Agenda muss von den Verdammten selbst kommen. Und zwar direkt aus der Chefetage.

Über die Autorin

Gertrud Höhler ist promovierte Lit­er­atur­wis­senschaft­lerin und Autorin zahlreicher Sachbücher, darunter Die Sinn-Macher. Sie berät zudem namhafte Persönlichkeiten aus der Politik und Unternehmen, wie etwa die Deutsche Bank.