Ohne Schulden läuft nichts

Buch Ohne Schulden läuft nichts

Warum uns Sparsamkeit nicht reicher, sondern ärmer macht

dtv,


Rezension

Die Rockgruppe The Who, Karl Marx, Goethes Faust und John Maynard Keynes in einem Buch – da wird einem fast schwindelig. Sie alle verknüpft Thomas Strobl geschickt mit seinem Thema: der Notwendigkeit von Schulden fürs Wirtschaftswach­s­tum. Erst die Schulden­wirtschaft, so Strobls Kernthese, ermögliche eine Vermehrung des Geldes. Auf un­ter­halt­same Weise verleitet er den Leser zum Mitdenken, was bei der Komplexität der präsentierten Gedankengänge gar nicht so einfach ist. Um den Leser bei der Stange zu halten, führt Strobl häufig Beispiele an, mit denen die Geschehnisse der Weltwirtschaft ve­r­an­schaulicht werden. Er widmet sich der Geschichte des Schulden­machens ebenso wie einem Abriss wichtiger Wirtschaft­s­the­o­rien. Der Text kommt in einer lockeren und mit Anekdoten gespickten Sprache daher. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die eine un­ter­halt­same Einführung in die Volk­swirtschaft­slehre lesen wollen.

Take-aways

  • Wer keine Schulden macht, ist mitver­ant­wortlich, wenn die Wirtschaft zusam­men­bricht.
  • Ohne Kredite ist eine stetig wachsende Wirtschaft undenkbar.
  • Kredite gab es schon vor 4000 Jahren. Schuldenkrisen auch.
  • Schulden sind nicht unmoralisch, denn Moral und Geld haben nichts miteinander zu tun.
  • Der Kap­i­tal­is­mus funk­tion­iert nur, wenn alle gleichermaßen Geld einnehmen und ausgeben.
  • Gewinn ist immer nur auf Kosten anderer möglich.
  • Ist ein Großteil der Gesellschaft zu arm, um zu konsumieren, leiden langfristig alle darunter.
  • Die Sub­prime-Krise hat gezeigt: Damit Kredite nicht wie eine Droge wirken, müssen sie richtig dosiert sein.
  • Kommt es zu einer Wirtschaft­skrise, muss der Staat eingreifen, um das Land vor dem kompletten Zusam­men­bruch zu retten.
  • Die vergangene Finanzkrise wird nicht die letzte gewesen sein: Die Wirtschaft bewegt sich in Zyklen.
 

Zusammenfassung

Schulden kurbeln die Wirtschaft an

Sind Sie auch mit Lehrspruch erzogen worden, dass man besser keine Schulden macht? Und glauben Sie, dass es klüger ist, zu sparen, bis man sich das leisten kann, was man haben möchte? Dann sind Sie mit dafür ve­r­ant­wortlich, dass die Wirtschaft einen Einbruch erlitten hat! Schulden sind nämlich nichts Schlimmes. Schließlich zahlt man in Form von Zinsen dafür, und man hat die Möglichkeit, sich in der Gegenwart etwas zu nehmen, was man sonst erst in der Zukunft bekäme. Unmoralisch ist das nicht, denn Moral und Geld haben sowieso nichts miteinander zu tun. Und Geld ist das Kernelement des Kap­i­tal­is­mus.

„Der Kredit ist der Wohl­standsmo­tor des Kap­i­tal­is­mus.“

Der Kap­i­tal­is­mus, dieses System des Einnehmens und Ausgebens von Geld, funk­tion­iert so lange gut, bis einer der Beteiligten die Balance verliert. Zu vergleichen ist dieser Vorgang mit dem Geschehen auf einem Konzert der Rockgruppe The Who in den 60ern: Auf der Bühne geriet ein Musiker aus dem Gle­ichgewicht, und das hatte einen Domi­no­ef­fekt, der dazu führte, dass das Konzert in einer Schlägerei zwischen den Band­mit­gliedern endete. So ähnlich war es während der Finanzkrise: Da u. a. die Deutschen zu viel sparten, die US-Amerikaner gar nicht und wieder andere zu wenig, kam es zu einem Un­gle­ichgewicht. Die Folge: eine wel­tumspan­nende wirtschaftliche Krise.

„Jeder Kredit ist ein Pakt über die Zukunft: Das Morgen wird im Heute verfügbar gemacht.“

Bleiben wir bei den Gemein­samkeiten zwischen Wirtschaft und Kultur: Die Musiker von The Who sollen unter Drogen gestanden haben, als sie aus dem Gle­ichgewicht kamen. Das gilt auch für die Finanzwelt. Deren Droge heißt jedoch nicht Alkohol oder Kokain, sondern Kredit. Dro­gene­in­fluss in der Wirtschaft erkennen Sie übrigens recht schnell: Wenn alle glücklich sind, die Wirtschaft nur die Richtung aufwärts kennt, die Börsenkurse in den Himmel schießen und die Ar­beit­slosen­quote sinkt, dann befinden sich Drogen im Fi­nanzkreis­lauf. Auch das Wunderding Kredit macht süchtig, zumindest wenn es falsch dosiert wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn Bankkunden einen Kredit bekommen, den sie nie zurückzahlen können. So geschehen mit den so genannten Sub­prime-Kred­iten. Subprime steht zwar für nicht optimal. Oder vielleicht sogar für ziemlich schlecht. Verkauft wurden die Kredite aber trotzdem.

Das Un­gle­ichgewicht in der Finanzwelt

Da stellt sich einerseits die Frage, warum Menschen einen Kredit bekommen, die ihn nicht bedienen können. Und an­der­er­seits, warum es überhaupt Menschen gibt, die ein Darlehen nicht zurückzahlen können. Schließlich beträgt das Brut­tosozial­pro­dukt der gesamten Welt 48 Billionen Dollar. Verteilte man diese über 6,5 Milliarden Erdbewohner, hätte jeder im Jahr 7000 $ zum Leben.

„Gut möglich, dass wir soeben Zeugen der Geburt einer neuen Ära kap­i­tal­is­tis­cher Evolution wurden, in der Staat und Großkapital zusam­menwach­sen.“

Tatsache ist jedoch, dass 50 % der Erdbevölkerung täglich weniger als 2 $ zum Leben haben und dass 1 Milliarde Menschen sogar von weniger als 1 $ leben. Und dabei geht es nicht nur um den Unterschied zwischen In­dus­trien­atio­nen und En­twick­lungsländern: Selbst in Staaten mit hoher Leben­squalität nimmt der Anteil der Armen zu. Das sollte auch denen zu denken geben, die auf der Seite der Wohlhaben­den stehen: Denn wenn es irgendwann nur noch einige wenige Leute gibt, die genügend Geld haben, um einzukaufen, lohnt sich keine Mark­twirtschaft mehr für sie. Möglicher­weise hätten sie nicht einmal was davon, ihr Geld anzulegen. Denn damit man eine Rendite erzielen kann, muss es In­vest­ment­pro­dukte geben. Ob ein Unternehmer aber investiert und ob seine Bank ihn dabei unterstützt, hängt davon ab, was beide Parteien von der Zukunft erwarten. Die kann bekanntlich niemand voraussehen. Trotzdem spielt es für viele Beteiligte eine her­aus­ra­gende Rolle, wie die Notenbanker sich verhalten und welche Zukun­ft­ser­wartun­gen sie äußern. Die Gefahr dabei ist, dass es aussieht, als ob sich Wirtschaft, Aufschwung und Krise steuern ließen. Dem ist jedoch nicht so.

Die Geschichte des Kredits

Kredite sind nichts Neues. Es gab sie schon im zweiten Jahrtausend v. Chr. in Babylonien. Die Zinssätze für geliehenes Geld lagen bei happigen 20–33 %. Die Folge: Schuldenkrisen. Schon damals sprang in schwierigen Zeiten der Staat ein. Im Jahr 1788 v. Chr. beschloss z. B. der König Rim-Sin, dass alle Schulden hinfällig werden sollten. Damit brachte er die von der Finanzlast befreite Wirtschaft wieder in Schwung. Nur einige Geld­ver­lei­her gingen durch dieses Manöver insolvent. Der römische Kaiser Tiberius wählte seinerzeit ein Instrument, das heute als Ret­tungss­chirm bekannt ist: Er stellte 100 Millionen Sesterzen zur Verfügung, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

„Schulden sind die Droge der Ökonomie.“

Die moderne Finanzwelt spezial­isierte sich später auf Kredite und In­vest­ment­banken. Man hatte erkannt, welches Potenzial im Finanzmarkt steckt. Aber nicht überall: In Deutschland etwa wurden Großprojekte wie Staudämme oder die Verlegung von Eisen­bah­n­gleisen lange Zeit nur ver­wirk­licht, wenn jemand das Geld dafür aufbrachte. Heute ist das natürlich anders: Banken geben auch in Deutschland gern Kredite, denn damit verdienen sie Geld in Form von Zinsen. Für die Wirtschaft ist das schlicht notwendig, denn ohne Kredite gibt es weder In­vesti­tio­nen noch einen Aufschwung. In Wirtschaft­skrisen allerdings sind Banken mit Darlehen weniger freigiebig, weil sie sich darum sorgen, ob sie das geliehene Geld zurückbekommen. Alternativ verdienen sie ihr Geld mit Anlagen. Das Problem dabei ist, dass man mit Krediten Arbeitsplätze und Einkommen sichert, mit Anlagen jedoch nicht. Außerdem sind Letztere auch nicht immer sicher, wie die Geschichte gezeigt hat.

Das Auf und Ab der Fi­nanzgeschichte

Ak­tien­banken gibt es seit 1826. Schnell waren sie sehr erfolgreich. Um 1850 gab es in Großbritannien doppelt so viele dieser Spezial­banken wie in London Pri­vat­banken. 80 Jahre später stürzte die Finanzwelt in eine Krise, welcher der Zweite Weltkrieg folgte. Danach hatten die Staaten hohe Schulden – und eine ebensolche Bonität. Jetzt florierte die Wirtschaft wieder. Nach und nach wurde der Finanzmarkt immer frag­men­tierter und immer mehr riskante Gel­dan­lage­pro­dukte wurden aufgelegt. Aber auch das war nichts völlig Neues: Schon in den 1920er Jahren hatte beispiel­sweise Charles Ponzi mit einem Schnee­ball­sys­tem für Furore unter den an­lagewil­li­gen Investoren gesorgt. Doch gelernt haben die Anleger nichts aus solchen Geschichten. Auch im frühen 21. Jahrhundert wurde in Produkte investiert, die man teilweise nicht mehr durch­schauen konnte, gemacht von Leuten, die so viel Geld verdienen wie einige Superfußballer. Ein wichtiger Name in diesem Zusam­men­hang ist Bernhard L. Madoff, der von Anlegern 65 Milliarden Dollar bekam, um sie zu verwalten. Im Fall Ponzi waren es nach heutigem Geldwert lediglich 150 Millionen Dollar. Dies sind jedoch nicht die einzigen Namen, die für Geld­ver­nich­tung stehen. Zu Zeiten der New Economy waren es Firmen wie Enron und Worldcom. Und zuletzt stand das Wort „Subprime“ für Weltwirtschaft­skrise. Wieder einmal musste der Staat einspringen.

Der Staat und die Krise

Im Prinzip war das genau richtig, denn wenn eine Krise dazu führt, dass die Wirtschaft immer mehr in die Knie geht, kommt es zu einem Fall des Preis­niveaus, zu einer Deflation. Vorher aufgenommene Kred­it­sum­men müssen dann weiterhin getilgt werden, obwohl die Einnahmen immer weiter schrumpfen. Die Folge: Ein Großteil der Wirtschaft stirbt, Ar­beit­nehmer werden entlassen, im schlimmsten Fall kommt es zu Unruhen. Darum lobte etwa der Ökonom John Maynard Keynes das Eingreifen des Staates in der Krise. Denn wenn dieser in schwierigen Zeiten kein Geld in die Hand nimmt, macht es niemand. Es ist übrigens keine Lösung, zur Entlastung der betroffenen Unternehmen die Löhne zu senken: Denn dann haben die Konsumenten weniger Geld, das sie ausgeben, also in den Wirtschaft­skreis­lauf stecken können. Schließlich ist jeder Nehmer und Geber zugleich: Der Lohn, der aufs Girokonto geht, wird im Supermarkt oder beim Im­mo­bilienkauf wieder ausgegeben.

„Was dem Konsul Johann Buddenbrook zeit seines Lebens verborgen blieb, stellt für uns kein Mysterium mehr dar: In­vesti­tio­nen auf Kredit sind der Motor des kap­i­tal­is­tis­chen Wohl­standswach­s­tums.“

Sind die Zeiten so schlecht, dass keiner investieren will, springt also oft der Staat ein. Er lässt dann beispiel­sweise, wie im Osten Deutsch­lands, unnötige Straßen und Brücken bauen. Die bringen Arbeitsplätze, und dadurch kommt Geld ins Porte­mon­naie der Konsumenten. Auch in der letzten Finanzkrise ist der deutsche Staat einge­sprun­gen, z. B. mit der Abwrackprämie. Diese Subvention einer Branche senkte im Prinzip das Preisniveau von Autos, sodass mehr Leute Neuwagen kauften. Allerdings sei dahingestellt, ob Deutschland wirklich gestärkt aus der Krise hervorgeht, wie Bun­deskan­z­lerin Angela Merkel immerzu betont. Möglicher­weise gilt das für große Firmen, die davon profitieren, dass ihre Konkurrenz in Form kleiner und mittelständischer Unternehmen in der Krise aufgegeben hat. Interessant ist überdies, in welchem Tempo Entschei­dun­gen in Bezug auf die Krise getroffen wurden. Geht es beispiel­sweise um Klimafragen, sind sich die Regierungen der Welt selten so einig.

Wo kommt eigentlich der Gewinn her?

Zum Glück gibt es nicht nur Krisen­zeiten, sondern auch gute Jahre, in denen Unternehmer und Pri­vatan­leger gleichermaßen Gewinn machen. Wenn Sie allerdings etwas genauer hinschauen, werden Sie sehen, dass alles, was einer gewonnen hat, einem anderen fehlt. Nicht nur Karl Marx fragte sich darum, wo eigentlich der Gewinn herkommt. Ein stark vere­in­fachtes Beispiel: Eine Firma produziert Lebens­mit­tel. Sie bezahlt ihre Arbeitskräfte für deren Arbeit. Die gehen mit dem Geld in den Supermarkt und kaufen die Lebens­mit­tel, die sie selbst täglich herstellen. Sie helfen also, ihren Lohn und den Umsatz ihres Ar­beit­ge­bers zu sichern. Wie aber kann der Arbeitgeber Gewinn machen, wenn doch nur das Geld an ihn zurückfließt, das er als Lohn ausgezahlt hat? Den entschei­den­den Unterschied macht der Kredit, das Schulden­machen: Dadurch, dass jemand in Vorleistung tritt, wird quasi Geld geschöpft, werden In­vesti­tio­nen möglich, und es gelangt ein Mehr in den Kreislauf des Gebens und Nehmens.

„Damit Gewin­nerzielung auf gesamtwirtschaftlicher Ebene möglich wird, muss irgendwer per Kredit in Vorleistung gehen.“

Als Nächstes kommt der Export ins Spiel. Geld aus dem Ausland wird beispiel­sweise für deutsche Produkte ausgegeben. Das freut die deutschen Unternehmer – auch wenn dieses Geld den ausländischen Firmen, deren Produkte dann nicht gekauft werden, fehlt. Ist ein Land stark auf Export fokussiert, ist es besonders betroffen, wenn ein anderes Land seine Produkte nicht mehr abnimmt. Nach dem Ersten Weltkrieg etwa ergab sich folgende schwierige Situation: Die Sieger wollten keine deutschen Importwaren, während Deutschland seine Schulden nur mithilfe von Exporten abbauen konnte.

„Wenn nur genügend Leute daran glauben, dass es aufwärts (oder abwärts) geht, und sich entsprechend verhalten, dann dreht sich der kon­junk­turelle Wind in diese Richtung.“

In den letzten Jahren war Deutschland immer wieder Ex­portwelt­meis­ter und profitierte beispiel­sweise vom Wirtschafts­boom in China. Die Maschinen, auf denen chinesische Produkte hergestellt werden, kommen größtenteils aus Deutschland. So schön das ist: Der Binnenmarkt in Deutschland wurde dabei vergessen, die Löhne der Ar­beit­nehmer wurden nicht angepasst. Sollte der Export für Deutschland wegbrechen, hat das Land ein Problem. Zuletzt geschah dies, als deutsche Autos im Ausland nicht mehr verkauft wurden. Die Folge: Der Staat sprang ein und begeisterte die Bürger mit der Abwrackprämie für neue Autos.

Was bringt die Zukunft?

Was in einigen Jahren oder Jahrzehnten sein wird, lässt sich nicht voraussehen. Ansonsten ließen sich im Vorfeld einer Krise bereits die Weichen so stellen, dass es gar nicht zum Schlimmsten kommt. Trotzdem: Ob es den Kap­i­tal­is­mus in seiner heutigen Form immer geben wird, ist fraglich. John Maynard Keynes und Joseph Schumpeter, Ökonom aus Österreich, hielten zu ihrer Zeit den Sozialismus als Folgemodell des Kap­i­tal­is­mus für möglich.

„Die aktuelle Krise liefert einen deutlichen Hinweis darauf, wie die mit­tel­fristige Zukunft aussehen wird: Die Wirtschaft wird weiterhin unter fi­nanzieller Instabilität leiden und schwere Krisen durchleben, und der Staat wird zur Unterstützung eilen.“

Bedenkt man allerdings, dass die meisten der wenigen sozial­is­tis­chen Länder immer kap­i­tal­is­tis­cher werden, scheinen die Ökonomen sich zu irren. Auf der anderen Seite nimmt die Zahl der Krisen im Kap­i­tal­is­mus ständig zu. Vermutlich wird auch das nächste Mal wieder der Staat einspringen, wenn die Wirtschaft zusam­men­bricht. Oder möglicher­weise sogar eine neue, in­ter­na­tionale Institution, die in mehreren Ländern gle­ichzeitig das Eisen aus dem Feuer holt.

Über den Autor

Thomas Strobl ist Ökonom, Manager und Publizist. Er betreibt den Wirtschafts­blog www.​weissgarnix.​de. Außerdem arbeitet er als Autor für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.