Merger? Merger!

Buch Merger? Merger!

Fusionsprozesse verstehen und gestalten

Carl-Auer,


Rezension

Fusionen scheitern oft, ja sogar meistens. Keine brandneue Erkenntnis, aber endlich mal jemand, der sie auszus­prechen wagt und zugleich kon­struk­tive Vorschläge macht. Bernhard Krusche zeigt auf, warum es beim Zusam­men­schluss von zuvor konkur­ri­eren­den Unternehmen natürlicher­weise zu einer „Immunabwehr“ kommt. Der Zusammenstoß lässt sich aber abdämpfen, wenn man richtig vorgeht. Bei der Fusion der Telekom­mu­nika­tion­sun­ternehmen Alcatel und Lucent, die Krusche selbst miterlebt hat, wurde vieles nicht richtig gemacht. Aus den Fehlern versucht er die richtigen Lehren zu ziehen. Grundsätzlich gelingt es ihm dabei, das ver­meintlich trockene Thema un­ter­halt­sam aufzuar­beiten. Auf manche the­o­retis­chen Ausführungen und Fach­be­griffe wie „Schis­mo­ge­nese“ hätte man aber gut und gerne verzichten können. Störend ist auch, dass man bisweilen den Eindruck bekommt, der Autor möchte noch das eine oder andere Statement in Richtung seiner ehemaligen Auf­tragge­ber loswerden. Wer das ignoriert, findet in Merger? Merger! allerdings wertvolle Hinweise für einen gelingenden Fu­sion­sprozess. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Managern und Mi­tar­beit­ern, die in solche Prozesse involviert sind.

Take-aways

  • In der Wirtschafts­geschichte ist es immer wieder zu Fu­sion­swellen gekommen.
  • Un­ternehmensfu­sio­nen sollen nach der Formel „1 + 1 = 3“ die Wertschöpfung auf einen Schlag steigern.
  • Mindestens zwei Drittel aller Fusionen scheitern.
  • Als Hauptfaktor nennen die Beteiligten den „cultural clash“, das Aufeinan­dertr­e­f­fen ver­schiedener Un­ternehmen­skul­turen.
  • Der Un­ternehmens­bere­ich Human Resources ist am stärksten betroffen.
  • Als Lehrstück bezüglich Lern- und Veränderungsfähigkeit gilt die Megafusion der Unternehmen Alcatel und Lucent im Jahr 2006.
  • Un­ter­schiedliche Rollenverständnisse führten auch bei Al­ca­tel-Lu­cent zu einer „Im­munreak­tion“: Beide Partner wollten ihre Position verteidigen.
  • Vom Management verur­sachten Problemen mit vom Management ver­schriebe­nen Maßnahmen zu begegnen, stimuliert die Immunabwehr der lokalen Einheiten erst recht.
  • Scheuen Sie sich nicht, Ihre Strategie nötigenfalls mehrfach nachzubessern.
  • Wenn neue Prozesse designt werden und nicht ein Unternehmen die Prozesse des anderen übernehmen muss, steigt das Engagement der Mitarbeiter.
 

Zusammenfassung

Die Eigen­dy­namik von Zusam­men­schlüssen

Un­ternehmensfu­sio­nen (Mergers) oder Zukäufe (Ac­qui­si­tions) folgen ide­al­er­weise der Formel „1 + 1 = 3“. Doch längst nicht alle „Ele­fan­ten­hochzeiten“ unter ver­meintlich Gleichen gehen reibungslos über die Bühne – genau genommen ist es sogar eine Minderheit. Den mühsamen Prozess der Wertschöpfung in einem Unternehmen durch einen Zusam­men­schluss abzukürzen, klingt verlockend, birgt jedoch immense Risiken. Oft genug gehen die Ve­r­ant­wortlichen von Prämissen aus, die allein mit gesundem Men­schen­ver­stand als naiv entlarvt werden könnten. Mergers & Ac­qui­si­tions (M&A) können ein Eigenleben entwickeln, dessen sich die Beteiligten erst bewusst werden, wenn es zu spät ist. Man muss sich nur vor Augen halten, was eine Großfusion für bis dato in scharfem Wettbewerb stehende Unternehmen bedeutet: Was bislang der Abgrenzung von der Konkurrenz diente, soll plötzlich Teil einer gemeinsamen Identität sein.

Fu­sion­swellen kommen immer wieder

Der M&A-Markt wuchs in den Jahren bis zur Finanzkrise 2008 stark an. Das schiere Volumen der Transak­tio­nen ist jedoch kein Hinweis auf deren Erfolg. Das Kalkül hinter einer Transaktion besteht in der Regel zum einen darin, die eigene Marktmacht zu vergrößern, zum anderen, möglichst hohe Syn­ergieef­fekte – meist auf der Kostenseite – zu erzielen. Der Versuch der Unternehmen, statt des kraftrauben­den organischen Wachstums eine Abkürzung über externes Wachstum (Auf- und Zukäufe, „Value Capturing“) zu nehmen, ist altbekannt. Die jüngste Fu­sion­swelle ist denn auch keineswegs die erste ihrer Art. Schon Ende des 19. Jahrhun­derts versuchten Trusts, mark­t­be­herrschende Monopol­stel­lun­gen zu erlangen. Weitere Fu­sion­swellen sind aus den 1920er Jahren sowie den 60ern und 70ern bekannt. In diese Zeit fiel etwa der Umbau des Au­to­mo­bil­her­stellers Mer­cedes-Benz zu einem weltweit agierenden Tech­nolo­giekonz­ern, der selbst in die Bereiche Luftfahrt und Schienen­verkehr vordrang. Stets folgte auf eine solche Welle eine Antwort durch zunehmende Regulierung – bis der Prozess wieder von Neuem begann.

Was gefährdet den Erfolg?

Misst man den Erfolg oder Misserfolg einer Fusion nur an Jahresab­schlüssen, Wiederverkauf­swerten oder anderen ökonomischen Kriterien, kommen die „weichen Faktoren“ zu kurz, etwa die Fluk­tu­a­tion­srate bei Leistungsträgern, die Motivation der Belegschaft, die Reputation bei Kunden und Zulieferern oder die Verwässerung der Marken. Bei allem Schönrechnen im Vorfeld vergessen die Ve­r­ant­wortlichen häufig diese Risiken im M&A-Prozess:

  • In­ter­essendi­ver­gen­zen: Diese bestehen nicht nur zwischen den Un­ternehmenslenkern selbst, sondern auch zwischen Management und Aktionären sowie weiteren In­ter­essen­seign­ern.
  • Kurzsichtigkeit: Das Top­man­age­ment wird oft mit Ak­tienop­tio­nen vergütet, was den Fokus auf kurzfristige In­vesti­tio­nen und schnellen Erfolg statt auf nach­haltiges Wirtschaften lenkt.
  • Vernebelte Sicht: Das zu kaufende Unternehmen wird im Vorfeld oft nicht gut genug durch­leuchtet. Es besteht die Gefahr, dass sich das Management selbst überschätzt. Überhöhte Kaufpreise rächen sich später.
  • Pla­nungslosigkeit: Die langwierige In­te­gra­tionsphase und die damit ein­herge­hen­den Kosten werden regelmäßig unterschätzt.
  • Psychische Dynamik: Stresskosten und Verlustängste sind häufige Be­gleit­er­schei­n­un­gen von Fusionen. Die Folgen: sinkende Produktivität und Mi­tar­beit­er­fluk­tu­a­tion bis hin zum gefürchteten „Braindrain“ (Leistungsträger verlassen die Firma).
„Das zentrale Merger-Thema ist und bleibt die durch den radikalen Wandel der bisher gültigen Handlungsprämissen ausgelöste Irritation der eigenen Identität.“

Beobachter kommen zur ernüchternden Erkenntnis, dass rund zwei Drittel bis drei Viertel aller Zusam­men­schlüsse als gescheitert gelten müssen. Eine Un­ter­suchung unter börsen­notierten amerikanis­chen Firmen zeigte, dass 61 % der fu­sion­ierten Unternehmen nach fünf Jahren wieder aufgelöst wurden. Bei 250 europäischen Fusionen wiederum ergab sich nur bei weniger als einem Drittel eine Wert­steigerung. Und tatsächlich nennen die Beteiligten als zentralen Faktor den „cultural clash“, das Aufeinan­dertr­e­f­fen ver­schiedener Un­ternehmen­skul­turen – und das müssen nicht einmal un­ter­schiedliche Nationalitäten sein.

Die entschei­den­den Bereiche

Die entschei­dende Phase der M&A-Aktivitäten ist die Post-Merger-In­te­gra­tion, also all das, was im Anschluss an die Ver­trag­sun­terze­ich­nung abläuft und unter dem Motto „Zusam­menwach­sen“ steht. Die wichtigsten und potenziell prob­lema­tis­chsten Punkte sind:

  • Strategie: Die beiden bisherigen Strategien sollten sich ergänzen und in eine neue münden.
  • Ad­min­is­tra­tion: Dop­pelbe­set­zun­gen müssen geklärt, Planungs- und Kontrollabläufe har­mon­isiert, IT-Systeme integriert werden.
  • Personal: Es braucht Einigkeit über Kom­mu­nika­tions- und Entschei­dungsstruk­turen, Führungsstile sowie Anreiz- und Vergütungssys­teme.
  • Kultur: Nationale und un­ternehmensspez­i­fis­che Kulturen bergen ein hohes Kon­flik­t­poten­zial. Viele Selbstverständlichkeiten sollten hinterfragt werden, z. B. durch Besuche im jeweils anderen Unternehmen.
  • Geschäftsprozesse: Es gilt, Pro­duk­tlin­ien, Forschung­spro­jekte und Standorte zu kon­so­li­dieren und Kosten­syn­ergien bei Einkauf und Vertrieb zu prüfen.
  • Externes Umfeld: Die Kom­mu­nika­tion mit Kunden, Lieferanten, Beratern, Analysten usw. muss geregelt werden.

Grünes Licht für Alcatel und Lucent

Als lehrreiches Beispiel einer Suche nach „Value Capturing“ gilt der Zusam­men­schluss der beiden großen Telekom­mu­nika­tion­sun­ternehmen Alcatel und Lucent im Jahr 2006. Die Fusion zwischen dem französischen und dem amerikanis­chen Big Player erweist sich im Nachhinein als Modellfall in Sachen Lern- und Veränderungsfähigkeit.

„Anstatt als Unternehmen organisch zu wachsen, sucht man sowohl auf der Ertrags- als auch auf der Kostenseite nach ‚Abkürzungen‘, die es erlauben, den Un­ternehmenswert rasch zu steigern.“

Alcatel mit Stammsitz in Paris hatte zu der Zeit einen Jahre­sum­satz von 13 Milliarden Euro, Lucent (New Jersey) erzielte jährliche Erlöse von rund 9 Milliarden US-Dollar. Sinkende Margen im Kerngeschäft, anhaltender In­no­va­tions­druck und starke Konkurrenz aus Fernost brachten Alcatel und Lucent unter Zugzwang – und damit zusammen. Die formelle Ver­trag­sun­terze­ich­nung fand am 2. April 2006 statt. Obwohl zu diesem Zeitpunkt die Megafusion vielen Beobachtern und Beteiligten durchaus plausibel erschien, sollten erste Probleme nicht lange auf sich warten lassen.

„Eine Kultur – und sei sie nach außen scheinbar noch so homogen – ist un­weiger­lich von Differenzen bestimmt.“

Als Schlüsselbereich kristallisierte sich schon bald die Abteilung Human Resources (HR) heraus. Kein anderer Un­ternehmens­bere­ich ist derart stark mit kulturellen Fragen kon­fron­tiert. Die Schwierigkeit für das Per­sonal­man­age­ment lag nicht zuletzt darin, etwas aktiv zu gestalten, während man selbst Gegenstand des Gestal­tung­sprozesses war – schließlich ging es, ganz natürlich bei Fusionen, auch um einen beträchtlichen Stel­len­ab­bau. Im Kon­flik­t­feld aller bestehenden und immer neu auf­tauchen­den Ansprüche bei einer Fusion ist der Bereich HR für folgende Punkte ve­r­ant­wortlich:

  • Rol­len­pro­file: Die Strategie muss in konkrete An­forderun­gen an die Mitarbeiter übersetzt werden.
  • Ar­beit­sef­fizienz: Es müssen Systeme, Prozesse und Werkzeuge bere­it­gestellt werden, damit eine ein­heitliche Steuerung und damit Ar­beit­sef­fizienz überhaupt möglich ist.
  • Steuerung: Die Dynamik von Konflikten muss frühzeitig erkannt und kon­trol­liert werden.
  • Lernen: Die Ein­satzbere­itschaft und der Leis­tungswille aller Mitarbeiter müssen durch regelmäßige Schulung gefördert werden.

Abgrenzen und bewahren

Die ersten „Im­munreak­tio­nen“ blieben auch bei Al­ca­tel-Lu­cent nicht aus. Un­ter­schiedliche Rollenverständnisse führten schon bald zu einer Pattsi­t­u­a­tion; beide Partner wollten ihre Positionen verteidigen. Das merkte auch die HR-Abteilung: Zu einem Workshop in der Frühphase der Integration erschienen sämtliche 80 HR-Mi­tar­beiter von Alcatel, während nur ganze zehn von Lucent auftauchten. Eine erste Beruhigung der Lage wurde durch immer neue Ankündigungen von Per­son­al­ab­baumaßnahmen kon­terkari­ert.

„Orientiert am ‚best of both‘ entstand am Ende eine Or­gan­i­sa­tion aus ‚best of compromises‘.“

Unter diesem Bom­barde­ment un­vorteil­hafter Nachrichten war an Change-Man­age­ment und Post-Merger-Pro­gramme nicht zu denken. Aufseiten der ehemaligen Lu­cent-Mi­tar­beiter kam bald das Gefühl der „As­sim­i­la­tion“ auf; die halbwegs symmetrisch ve­r­an­schlagten Per­son­albe­set­zungsrichtlin­ien ließen sich auf den unteren Ebenen aufgrund ver­schiedener Startbe­din­gun­gen nicht durchhalten. Die ersten Mitglieder des regionalen HR-Führungsteams in Deutschland – zunächst Ex-Lucent, später auch Ex-Alcatel – gingen nach wenigen Monaten frustriert von Bord; sogar diejenigen, deren eigentliche Aufgabe es war, einem solchen Ex­perten-Ex­o­dus zu­vorzukom­men.

Nach zwei Jahren zurück zum Start

Eine nach rund einem Jahr durchgeführte un­ternehmensin­terne Umfrage im neuen Riesenkonz­ern brachte es schmerzhaft an den Tag: „Wir treten auf der Stelle“ war das vorherrschende Gefühl. Es kam zur Re­struk­turierung der Re­struk­turierung. Das Man­age­ment­team wurde von zuvor 22 auf nur noch acht Personen zusam­menges­tutzt. Was die Zen­trifu­galkräfte ohnehin ans Tageslicht gebracht hatten, wurde jetzt offiziell: „Think global – act local“ setzte sich im gesamten Konzern durch, eine Art Rückkehr zum Schutz der internen Subkulturen.

„Im laufenden Spiel der Kräfte leuchtete die Einsicht auf, dass man mit Risiken und uner­warteten Neben­wirkun­gen rechnen muss, wenn man Integration verordnet.“

Die Lektion: Auf von oben verursachte Probleme mit ebenso von oben ver­schriebe­nen Maßnahmen zu reagieren, hätte die Immunabwehr nur weiter stimuliert und die Spaltung beschle­u­nigt. Zu allem Überfluss leistete auch noch die Finanz- und Wirtschaft­skrise ihren Beitrag zum Misserfolg; die Al­ca­tel-Lu­cent-Ak­tie erlitt einen Kursverlust von 90 %. Als Pat Russo (ehemals CEO von Lucent) und Serge Tchuruk (ehemals CEO von Alcatel), die beiden Pro­tag­o­nis­ten des Mergers, im Sommer 2008 ihren Hut nahmen, wunderte dies niemanden mehr. Der Einzug des neuen CEOs Ben Verwaayen – ein Externer, der zuletzt sechs Jahre bei British Telecom war – bedeutete schließlich die dritte Re­struk­turierung seit dem Zusam­men­schluss.

Lessons learned

Die Lehren aus diesem Fu­sion­sprozess scheinen fast trivial – doch selbstverständlich ist in der Praxis einer Großfusion rein gar nichts:

  • Jeder Mitarbeiter muss die kom­mu­nizierte Vision und Ausrichtung wirklich verstehen.
  • Das Management muss das Führungsvakuum entschlossen besetzen.
  • Je mehr Mitarbeiter sich als Teil der Veränderung begreifen, desto besser sind die Er­fol­gsaus­sichten.
  • Aktionismus und Feuer­wehrmen­talität sind gefährlich; es braucht Auszeiten, in denen sich das Erreichte setzen kann.
  • Gerade bei Großkonzernen muss die Strategie mehrfach nachgebessert werden. Sofern dies gut kom­mu­niziert wird, besteht kein Anlass zur Sorge.
  • Aktives Mitmachen hilft: Wo immer neu designt oder optimiert wird, anstatt Prozesse aus einem der Alt-Un­ternehmen zu übernehmen, wächst die Wahrschein­lichkeit für eine Beteiligung der dafür zuständigen Mitarbeiter.

Über den Autor

Bernhard Krusche ist selbstständiger Or­gan­i­sa­tions­ber­ater sowie Lehrtrainer der Öster­re­ichis­chen Gesellschaft für Grup­pen­dy­namik und Or­gan­i­sa­tions­ber­atung (ÖGGO).