Social Business
Der Mensch hat die Armut erschaffen, und er kann sie auch wieder abschaffen. Jeder Arme entwickelt, geeignete Umstände vorausgesetzt, die Kraft zur Selbsthilfe. Das hat die Grameen-Bank in Bangladesch hinlänglich bewiesen. Deren Modell, Mikrokredite vor allem an Frauen zu vergeben, hat sich weltweit bewährt.
„Wir können eine Welt schaffen, in der Museen für die Geschichte der Armut die einzigen Orte sind, an denen man dieses Phänomen noch studieren kann.“
Im Gegensatz dazu ist unser vorherrschendes kapitalistisches Wirtschaftsmodell am Versuch der Bewältigung der wirklich drängenden Probleme unserer Zeit grandios gescheitert. Es gründet in der Annahme, dass der Mensch einzig danach strebe, den eigenen Nutzen und Gewinn zu maximieren. Das ist aber nur zum Teil richtig. Wir sind auch von Natur aus selbstlos – sonst gäbe es keine gemeinnützigen Organisationen, keine Schulen oder Museen. Auf diesem Teil unseres Wesens baut das Social Business auf. Man kann es als „nicht defizitäres, keine Dividende abwerfendes Unternehmen“ definieren. Erwirtschaftete Überschüsse müssen in die Verbesserung und Erweiterung des Unternehmens fließen. Der Investor hilft seinen Mitmenschen, ohne selbst Profit zu machen.
Mit gutem Gewissen Geschäfte machen
Social Business ist weder eine auf Spenden angewiesene, gemeinnützige Organisation noch ein so genanntes „sozial verantwortliches Unternehmen“; vielmehr handelt es sich um eine neue Geschäftsform mit dem Ziel, sozialen Missständen durch wirtschaftliches Handeln abzuhelfen. Es gibt zwei verschiedene Organisationsformen: Bei Typ eins ist das Unternehmen in der Hand von Investoren. Diese erhalten exakt so viel zurück, wie sie investiert haben. Sobald die Investitionssumme zurückgezahlt ist, werden Gewinne reinvestiert. Die Firma arbeitet finanziell und ökologisch nachhaltig, zahlt marktübliche Löhne bei guten Arbeitsbedingungen, und – das darf man nicht unterschätzen – es bereitet Freude, sich für sie zu engagieren. Bei Typ zwei ist das Unternehmen im Besitz der Armen, entweder über eine direkte Beteiligung oder ein Treuhandgremium. Gewinne fließen den armen Menschen zu, lindern deren Armut und leisten so einen Beitrag zur Lösung eines Problems.
„Die Macht des Social Business, das Geld endlos lange recyceln kann, verschafft ihm selbst im direkten Vergleich mit der am besten geführten Wohltätigkeitsorganisation potenziell sehr viel größere Wirkungsmöglichkeiten.“
Social Businesses sind fest in die freie Marktwirtschaft eingebunden. Sie müssen attraktive Produkte und Dienstleistungen anbieten, kluges Marketing betreiben, innovativ sein und mit hervorragenden Konditionen die klügsten Köpfe der Branche anlocken. Zusätzlich bieten sie etwas, das unbezahlbar ist: die Chance und das Bewusstsein, die Welt zum Besseren zu verändern. Der Vorteil gegenüber der traditionellen Wohltätigkeitsarbeit liegt darin, dass die Geldgeber ihr Kapital zurückbekommen und es erneut einem guten Zweck zur Verfügung stellen können. Die Nutznießer sind nicht mehr auf Almosen angewiesen, sie werden aktiv und wirtschaftlich selbstständig. Viele Menschen fragen, warum sie nicht Gutes tun und damit trotzdem einen kleinen Geldgewinn erzielen sollten. Weil es erstens unmoralisch ist, auf Kosten der Armen Gewinn zu machen, weil zweitens das Gewinnstreben in Zeiten wirtschaftlicher Krisen immer über die sozialen Ziele gestellt würde und weil drittens eine echte Alternative zum Status quo her muss. Es ist wie beim Versuch, das Rauchen aufzugeben: Entweder Sie hören ganz auf oder gar nicht.
Beispiel 1: Kraftjoghurt für Kinder
Die Hälfte aller Kinder in Bangladesch ist mangelernährt. Sie erhalten zu wenig Eisen, Vitamine, Jod und Zink. Das Ziel des Social-Business-Pilotprojekts Grameen Danone war, einen leckeren, mit Nährstoffen angereicherten Joghurt herzustellen, der für die Armen bezahlbar ist. Um das Investitionsrisiko niedrig zu halten und eine gute Integration in die örtliche Wirtschaft zu ermöglichen, entstand am Anfang nur eine kleine Joghurtfabrik. Der Preis pro Becher: umgerechnet 7 Dollar-Cent, deutlich weniger als die 30 Cent, die handelsübliche Joghurt zu Buche schlagen. Doch viele der so genannten Grameen-Ladys, die den Joghurt in Kühltaschen von Haus zu Haus verkauften, gaben nach wenigen Tagen auf – bis man auf die Idee kam, ihre Ehemänner mit einzubeziehen, denn ohne deren Zustimmung hätten die Frauen eine Arbeit, die nicht zuhause stattfand, nicht dauerhaft ausüben können. Die Verkaufszahlen stiegen. Dann aber schossen 2007 weltweit die Lebensmittelpreise in die Höhe. Die notwendige Preiserhöhung um 60 % ließ die Umsätze um 80 % einbrechen. Dann senkte Grameen Danone die Portionsgröße, wobei jedoch die Nährstoffmenge pro Becher gleich blieb. Heute ist das Unternehmen wieder auf Wachstumskurs und kann uns einiges lehren:
- Seien Sie flexibel, ohne Ihr Ziel aus den Augen zu lassen: Ändern Sie nötigenfalls Geschäfts- und Marketingpläne, nicht aber die Idee, die Ihr Unternehmen zum Social Business macht.
- Betrachten Sie das Projekt aus dem Blickwinkel der Menschen, denen Ihr Social Business dienen soll: Sobald Sie sich über vermeintliche Undankbarkeit oder Interesselosigkeit dieser Menschen zu ärgern beginnen, läuft garantiert etwas falsch.
- Akzeptieren Sie auch ungleiche Partner: Die Grameen-Bank und der multinationale Konzern Danone arbeiten trotz ihrer Unterschiede sehr erfolgreich zusammen.
- Nutzen Sie das Konzept der Quersubventionierung: Höhere Preise in städtischen Gebieten mit höherer Kaufkraft machen niedrigere Preise in ländlichen Regionen möglich.
Ein Social Business gründen
Schauen Sie sich vor Ihrer Haustür um, überlegen Sie, was Sie am meisten bedrückt und wie Sie mit Ihren Fähigkeiten und Interessen am mühelosesten helfen können. Formulieren Sie ein konkretes Ziel. Es ist unmöglich, von heute auf morgen die Armut in der Welt zu besiegen, aber es ist machbar, fünf Arbeitsplätze schaffen. An Geschäftsideen mangelt es nicht: Die Ausbildung von Krankenschwestern oder die Herstellung günstiger Generika und Impfstoffe für Arme sind Beispiele aus dem Gesundheitsbereich. Ingenieure entwickeln Recyclingsysteme für Entwicklungsländer und Banker preisgünstige Angebote für den internationalen Bargeldtransfer. Sie können sich auch auf eine bestimmte Gruppe von Menschen in Ihrem Umfeld konzentrieren, z. B. Obdachlose oder Suchtkranke. Arbeiten Sie mit ihnen und entwickeln Sie daraus Schritt für Schritt Ideen. Prüfen Sie im nächsten Schritt Ihr Modell. Sprechen Sie mit Menschen, die so etwas schon gemacht haben. Fangen Sie klein an, beispielsweise mit Handy und Laptop in Ihrem Lieblingscafé. Sie brauchen das Rad übrigens nicht neu zu erfinden. Es gibt unzählige Ansätze von Nichtregierungsorganisationen oder gewinnorientierten Unternehmen, die sich in ein Social Business umwandeln lassen.
Arme als Unternehmer
Gewinnorientierte Unternehmen können Social Businesses werden, indem sie die Armen zu Eigentümern machen. Diese erhalten Anteile geschenkt oder können sie, wie z. B. im Fall der Grameen-Bank, mit ihrem eigenen Geld kaufen. Dieser Unternehmenstyp ist eine echte Alternative zu staatlichen Finanzhilfen an Entwicklungsländer. Zum Beispiel beim Ausbau der Infrastruktur: Anstatt korrupten Regierungen das Geld in die Taschen zu wirtschaften, könnten Geberländer Social Businesses gründen, in denen ein Treuhandgremium dafür sorgt, dass die Gewinne in den Bau von Schulen und Krankenstationen fließen. Diese Art von Hilfe zur Selbsthilfe sollte zum Bestandteil der wirtschaftlichen Zusammenarbeit werden. Kritiker wenden ein, dass die Initiatoren vieler bisheriger Social-Business-Projekte Joint Ventures mit multinationalen Großkonzernen eingingen. Benutzen diese die Aktivisten am Ende nur, um ihr Image aufzupolieren? Kann durchaus sein – aber die Frage ist völlig unerheblich. Für eine gute Sache darf man sich ruhig benutzen lassen. Und die Wirkung auf Unternehmer weltweit ist enorm, wenn sich große Namen für ein Social Business engagieren.
Die Gretchenfrage nach dem Geld
Genügend Kapital zu beschaffen ist wohl die schwierigste Aufgabe. So gehen Sie vor:
- Geschäftsplan für Investoren erstellen: Die Finanzprognose sollte auf fünf Jahre angelegt sein. Am besten schätzen Sie Ihre Einnahmen und halbieren dann die Summe; so haben Sie einen Sicherheitspuffer, falls Sie es mit dem Optimismus etwas übertreiben.
- Investorennetzwerk anwerben: Nutzen Sie zunächst persönliche Kontakte. Erstellen Sie eine leidenschaftliche Präsentation, die andere vom Sinn Ihres Tuns überzeugt.
- Externe Geldquellen anzapfen: Eine Möglichkeit sind Fonds für Corporate Social Responsibility, die viele Unternehmen führen und die zunehmend in Social Businesses investieren. Aber auch Spenden von Wohltätigkeitsorganisationen können helfen, solange Sie nicht dauerhaft davon abhängen.
„Das Gewinnmotiv ist äußerst mächtig. Wenn es auch nur den Fuß in die Tür bekommt, übernimmt es schon bald das ganze Haus.“
Noch gibt es keine einheitliche Rechtsform für Social Businesses. Eine Möglichkeit ist, das Social Business als gewinnorientiertes Unternehmen zu deklarieren. Die Anteilseigner würden dann eine Verzichtserklärung unterschreiben, dass sie nicht an möglichen Gewinnen beteiligt werden. Der Nachteil: Die Investoren könnten ihre Meinung jederzeit ändern. Eine alternative Version ist die Deklaration als gemeinnützige Organisation. Diese ist jedoch scharfen Regeln unterworfen, um eine Steuerbefreiung zu rechtfertigen. Wie wollen Sie nichtkommerzielle Ziele nachweisen, wenn Sie Waren oder Dienstleistungen verkaufen? Es gibt weltweit bereits einige Modellversuche, die darauf zielen, Unternehmen mit sozialer Ausrichtung gesondert zu behandeln, etwa indem man Stiftungen erlaubt, als Investoren aufzutreten. Dies sind erste Schritte in die richtige Richtung.
Beispiel 2: Wasser, das nicht krank macht
Das Trinkwasser für mindestens 35 000 Menschen in Bangladesch ist mit Arsen verseucht, das auf natürliche Weise im Himalaya vorkommt und über Sedimente ins Wasser übergeht. Alle bisherigen Versuche, das Problem in den Griff zu bekommen, waren erfolglos. Gemeinsam mit dem französischen Wasserversorger Veolia Water entwickelte Grameen Healthcare ein Social-Business-Pilotprojekt in einem nicht weit von der Hauptstadt Dhaka entfernten Dorf.
„Sobald ein Ding der Unmöglichkeit möglich wird, erschüttert das die ganze Struktur und erzeugt einen Dominoeffekt, der den Boden für die Verwirklichung vieler anderer unmöglicher Dinge bereitet.“
Begonnen wurde mit einer kleinen, fest installierten Wasseraufbereitungsanlage von geringer Kapazität – schließlich brauchen die Menschen das Wasser nur zum Trinken und Kochen, nicht zum Waschen. Als das erste saubere Wasser floss, waren die Leute begeistert. Doch die Freude hielt nicht lange an: Sie kauften kaum Wasser, obwohl es verhältnismäßig preisgünstig war. Von Arsen verursachte Organschäden und Krebs treten erst nach vielen Jahren auf, und das Problem wird erfolgreich verdrängt. Wie so oft bei der Gründung von Social Businesses mussten die Verantwortlichen das Marketing- und Vertriebssystem den Gegebenheiten anpassen. Um den Preis für die Ärmsten noch weiter zu senken, sollen die wohlhabenderen Bürger der Stadt in Zukunft Zusatzleistungen wie etwa Leitungen zu ihrem Haus erwerben können. Ein klassischer Fall von Quersubventionierung.
Die Armut ins Museum verbannen
Social Business benötigt Kapital, und dieses wird in Zukunft zunehmend über entsprechende Investmentfonds eingesammelt. Die Manager dieser Fonds agieren als Experten, wenn es darum geht, das Potenzial von Social Businesses einzuschätzen. Voraussichtlich wird eine Sozialbörse folgen, d. h. ein paralleler Aktienmarkt, der ausschließlich Social Businesses bedient. Gewinne, die durch den Verkauf einer Unternehmensaktie erzielt werden, muss der Investor in ein neues Social Business oder einen entsprechenden Fonds investieren.
„Ich bitte jedermann, der eine Geschäftsidee zu einem Social Business hat, sofort mit der Arbeit zu beginnen.“
Die Finanzkrise hat gezeigt, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann: Unter den Folgen der grenzenlosen Gier an den Finanzmärkten haben die Menschen in den wohlhabenden Ländern kaum gelitten, wohl aber die drei Milliarden Menschen auf der Welt, die nicht genug zum Leben haben. Schützende Schirme wurden über denen aufgespannt, die schuld waren an der Krise, während Millionen Unbeteiligte im Regen stehen gelassen wurden. Social Business muss Teil einer neuen, globalen Wirtschaftsarchitektur werden, um die nach wie vor ungelösten Finanz-, Nahrungsmittel- und Umweltprobleme zu bewältigen. Wir haben das Wissen und die Mittel dazu – wir müssen sie nur richtig einsetzen. Letztlich kann der globale Wohlstandskuchen nur wachsen, wenn mehr Menschen daran teilhaben. Social Business ebnet den Weg dafür.