Willkommen im Zeitalter der Instabilität
Als Investor informieren Sie sich vor einer Anlageentscheidung vermutlich darüber, wie es dem Unternehmen geht, dessen Aktien oder Anleihen Sie kaufen möchten. Was aber, wenn ganze Märkte und Volkswirtschaften im Chaos versinken, wie es die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre gezeigt hat? Dann lohnt es sich, die Betrachtung von der Mikroebene auf die Makroebene zu verschieben. Gewöhnen Sie sich an, die makroökonomischen Rahmenbedingungen zu analysieren.
„Die Ökonomen werden auch zukünftige Blasen und Finanzkrisen nicht voraussehen, ja nicht einmal erahnen.“
Stabile Wechselkurse und Zinsen, stark regulierte, regionale Finanzmärkte und einfache Finanzprodukte bildeten die Basis für die sicheren 50er und 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Mit der Beschaulichkeit sollte es aber vorbei sein, als ab den 70er Jahren die Währungen nicht mehr an das Gold gebunden waren und fortan frei flotierten. Die Folge waren Blasen und Krisen wie die Ölkrisen 1973 und 1979, die Aktienblase 1987 oder die New-Economy-Blase um die Jahrtausendwende. Auslöser war immer ein Ansturm auf bestimmte Produkte oder Aktien. Dies trieb die Preise in absurde Höhen und die Vernunft der Menschen in den Keller.
„Durch ihr Exportmodell wurden die Chinesen zu den größten Kunden des amerikanischen Finanzministeriums.“
Genauso ist der Zusammenbruch des Marktes für Hypotheken mit schlechtem Rating (Subprime) als Ausgangspunkt der Finanzkrise ab 2007 zu verstehen. Die eigentliche Ursache aber waren wirtschaftliche Ungleichgewichte und daraus resultierende Geldströme, die rund um die Welt geschickt wurden, von einem frei zugänglichen Finanzmarkt zum anderen. Beispiel China: Das Land exportiert weit mehr als es importiert. Dadurch nimmt es eine Menge Dollar ein, die es im großen Stil in US-Staatsanleihen investiert. In der Vergangenheit geschah das zu immer ungünstigeren Konditionen: Die Renditen dieser Papiere sanken, weil die Chinesen kaum eine andere Wahl hatten, als ihre Dollar in den USA anzulegen. Das Zinsniveau in den USA fiel, was wiederum den Konsum gerade auch chinesischer Importe anheizte – in Verbindung mit komplexen Finanzprodukten und dem unterschätzten Risiko ein tödlicher Cocktail.
Wie geht es weiter?
Von einem Gleichgewicht der Volkswirtschaften kann man auch nach den Ereignissen von 2007–2009 nicht sprechen. Dem Wirtschaftswissenschaftler Hyman Minsky zufolge tendieren kapitalistische Systeme zur Instabilität; eine Finanzkrise ist demnach nur logisch. In den gängigen Modellen zur Analyse oder Prognose wirtschaftlicher Entwicklungen sind Finanzmärkte und deren Eigenheiten aber gar nicht vorgesehen – Minsky war ein Außenseiter in seiner Zunft. Ökonomen werden also wie bisher Krisen mit externen, nicht vorherzusehenden Schocks erklären – und bei Prognosen weiter versagen. Das heißt für Sie: Trauen Sie nicht einzelnen Quellen, sondern sammeln Sie Informationen von verschiedenen Seiten und machen Sie sich Ihr eigenes Bild. Im Folgenden lernen Sie mögliche Szenarien kennen, deren zugrunde liegende Annahmen Sie aber immer anhand aktueller Daten überprüfen sollten:
- Szenario 1 – Inflation: Die Schulden westlicher Industrieländer sind fast genauso hoch wie deren jährliches Bruttoinlandsprodukt. Wie lässt sich der Schuldenberg abbauen? Eine Möglichkeit ist die Inflation. Verliert das Geld z. B. jedes Jahr 10 % an Wert, könnten die Schulden innerhalb weniger Jahre um die Hälfte geschrumpft sein, ohne dass die Staaten auch nur einen Cent zurückgezahlt haben. Als Investor hören Sie das natürlich nicht gerne. Behalten Sie daher besonders die US-amerikanische Wirtschaftspolitik im Auge.
- Szenario 2 – Deflation: Deflation, das Gegenteil von Inflation, entsteht u. a. dann, wenn Senkungen der Löhne zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes vorgenommen werden. Im Euroraum sehen wir in manchen Ländern solche Tendenzen bereits. Inflation ist zwar wesentlich wahrscheinlicher als Deflation, aber ganz auszuschließen ist Letztere nicht.
- Szenario 3 – chinesische Superblase: China steuert in eine gefährliche Richtung. Platznot in den Großstädten, Luftverschmutzung und ständig steigende Immobilienpreise machen den Chinesen das Leben schwer. Der Grund: Die chinesische Währung Renminbi wird künstlich niedrig gehalten, damit Exporte weiter günstig bleiben. Während der Rest der Welt um seine Wirtschaft bangt, freute sich China selbst im Krisenjahr 2009 über (prozentuales) Wachstum im zweistelligen Bereich. Höhere Zinsen wären nötig, um eine Überhitzung der Konjunktur zu vermeiden. Danach sieht es aber nicht aus, sodass der Weg zu Preis- und Immobilienblasen führt. Wenn die platzen, steht eine Deflation bevor.
- Szenario 4 – Rückkehr globaler Ungleichgewichte: Auch die Krise vermochte es nicht, die globalen Ungleichgewichte zu mindern, obwohl manche Experten genau das erwartet hatten. Die Schieflage wird sich sogar noch verschlimmern, und Krisen sowie Preisschwankungen in den Aktienmärkten von Schwellenländern werden zunehmen.
- Szenario 5 – Stress im Eurogebiet: Irland, Griechenland, Spanien und Portugal – für sie alle war 2009 kein einfaches Jahr. Die Situation ist herausfordernd, da es im Euroraum zwar eine einheitliche Währung gibt, aber unterschiedliche Steuersysteme gelten. Auf die Möglichkeit, die Währung abzuwerten, um sich zu sanieren, können Euroländer im Gegensatz zu den USA nicht im Alleingang zurückgreifen. Wichtige Makro-Hedgefondsmanager sind sich daher einig: Es ist wahrscheinlich, dass der Euro an Wert verliert.
„Nicht antizipierte Inflation könnte in der Tat den Amerikanern einige Erleichterung verschaffen – natürlich auf Kosten vor allem ausländischer Kreditgeber.“
Die Ausgangsprognose für eine Makrostrategie lautet daher: Die Rezession endet und der Arbeitsmarkt erholt sich, worauf die Inflation immer weiter steigt, bis die Blase in China platzt und die Deflation einleitet. Machen Sie sich also auf etwas gefasst: Die nächste Krise steht schon in den Startlöchern. Uns wird dann aber das Geld für Konjunkturprogramme fehlen, und eine weitere Senkung der Zinsen ist kaum möglich.
Analysieren Sie die Märkte
Vergessen Sie die Finanztipps in den Zeitungen. Manche Fondsmanager verfolgen inzwischen die Strategie, genau das zu verkaufen, was Journalisten zum Kauf empfehlen. Abonnieren Sie Zeitungen, fragen Sie direkt bei den Bankern nach, recherchieren Sie im Internet, nutzen Sie Übersetzungsprogramme, um fremdsprachige Internetseiten zu lesen – kurzum: Werden Sie Ihr eigener Analyst. Und jetzt zu den verschiedenen Anlageklassen:
- Aktien: Einzelaktien bringen Sie nicht weiter; auf diesem Gebiet sind Ihnen professionelle Investoren weit überlegen. Werfen Sie lieber einen Blick auf Aktienindizes. Eine Analyse diverser Indizes zeigt, dass die Volksweisheit, langfristig könne man bei Aktien nicht verlieren, falsch ist. Demnach ist von einer reinen Buy-and-hold-Strategie, bei der man Aktien kauft und erst nach einigen Jahrzehnten wieder einen Blick daraufwirft, dringend abzuraten. Kurse tendieren dazu, schneller zu steigen als etwa das Bruttoinlandsprodukt. Das ist allerdings logisch nicht nachvollziehbar, da doch der Preis eines Investments die zukünftigen Gewinne widerspiegeln soll. Nach der so genannten Effizienzmarkthypothese müssten alle Aktien an der Börse richtig bewertet sein. Die Theorie geht davon aus, dass allen Marktteilnehmern dieselben Informationen zur Verfügung stehen. Dass das utopisch ist, liegt auf der Hand.
- Anleihen: Wenn die Zeiten für Aktien schlecht sind, heißt das nicht unbedingt, dass die Zeit reif für Anleihen (Bonds) ist. Deren Preis ist stark von den aktuellen Marktzinsen abhängig. Steigen diese, sinkt der Anleihenkurs, weil für Anleger höher verzinste neue Anleihen am Markt zu haben sind. Warum schließlich sollten sie denselben Preis für zwei unterschiedlich verzinste, aber sonst ähnliche Papiere bezahlen? Auch eine erwartete höhere Inflation zwingt die Anleihenpreise in die Knie. Bonds sind demnach keine so sichere Sache, auch nicht langfristig. Wenn Sie Anleihen kaufen, dann bitte nur, um kurzfristig Gewinne einzustreichen.
- Immobilien: Der deutsche und der britische Immobilienmarkt unterscheiden sich sehr stark. In Deutschland bleiben die Preise bei höherer Nachfrage nach Immobilien stabil, weil Brachflächen für Wohnbauten erschlossen werden. In Großbritannien – ebenso wie in den USA oder in den Niederlanden – ist aber kein Platz mehr vorhanden. Die Folge: Die Häuserpreise explodieren. Immobilien eignen sich derzeit generell nicht als Anlageobjekt, höchstens in Form eines selbst bewohnten Inflationsschutzes.
- Rohstoffe: Kaufen Sie Gold, wenn Sie glauben, dass die Inflation höher sein wird als vom Markt bisher angenommen. Verkaufen Sie Gold, wenn Sie vom Gegenteil überzeugt sind. Die meisten anderen Rohstoffe sollten Sie Profianlegern überlassen.
„Schauen Sie als Investor nicht auf den absoluten Preis, sondern auf die Diskrepanz zwischen Ihrer eigenen Analyse und den Markterwartungen.“
Das CAPE-Modell (Cyclically Adjusted Price Earnings Ratio) zeigt Ihnen, ob ein Markt über- oder unterbewertet ist. Es lässt sich auf Einzelaktien ebenso anwenden wie auf Indizes. Dividieren Sie dazu den Kurs der Aktie durch den jährlichen Gewinn je Aktie, wobei Sie den durchschnittlichen inflationsbereinigten Gewinn der vergangenen zehn Jahre verwenden (Werte dazu finden Sie auf der Website des CAPE-Erfinders, Robert Shiller). Dividieren Sie nun das Ergebnis, das CAPE, durch den Durchschnitt all seiner eigenen Werte. Ein Resultat, das größer ist als 1, deutet auf eine Überbewertung hin. Werte deutlich unter 1 hat man im letzten Vierteljahrhundert am deutschen Aktienmarkt nur im März 2009 gesehen.
Und nun: Ihre eigene Makrostrategie
Makrostrategien haben einen Nachteil: Das Marktumfeld ändert sich, sodass Sie ständig ein Auge auf Ihr Portfolio haben und rasch auf neue Informationen reagieren müssen. Vielleicht sehen Sie bereits, dass eines der oben genannten Szenarien wahrscheinlicher ist als ein anderes. Ein erfolgreicher Makrostratege kennt zwar nicht die Zukunft, er hat aber ein Gespür dafür, ob im Markt etwas schiefläuft. Bevor Sie zu investieren beginnen, hier ein paar Tipps:
- Stellen Sie Ihr Risikoprofil auf. Wo liegen Ihre persönlichen Risiken? Arbeiten Sie z. B. in der Autoindustrie, sollten Sie Ihr Geld nicht auch noch im Autosektor anlegen.
- Machen Sie einen Bogen um Hedgefonds. Sie sind teuer, riskant und erfordern einen hohen Mindesteinsatz.
- Wenn Sie auf fallende Märkte spekulieren möchten, wählen Sie Verkaufsoptionen (Puts) statt Leerverkäufe. Die sind zwar teurer, aber das Verlustpotenzial ist begrenzt.
- Steigen Sie rechtzeitig aus – spätestens wenn sich Ihr Einsatz verdoppelt hat.
„Seien Sie nicht gierig.“
Um Inflation kommen wir langfristig wohl nicht herum. Eine beispielhafte Makrostrategie, die auf diesem Szenario aufbaut, sähe wie folgt aus:
- 20 % des Investments in Edelmetalle, davon zwei Drittel in Platin und ein Drittel in Gold.
- 25 % in Anleihen. Da die Inflation in den USA vermutlich stärker ausgeprägt sein wird als in Europa, kaufen Sie deutsche Staatsanleihen und eine Verkaufsoption auf amerikanische Staatsanleihen. Wenn Sie ohne Optionen oder Leerverkäufe auskommen möchten oder müssen, legen Sie diese 25 % in inflationsgeschützte Anleihen, so genannte TIPS, an.
- 20 % in den Geldmarkt, damit Sie kurzfristig manövrierfähig bleiben.
- 35 % entweder in Immobilien – ein Hoch auf das Eigenheim! – oder in japanische Aktien.
„Ich erwarte langfristig einen ziemlich starken Schock für das Finanzsystem und die Weltwirtschaft, eine Krise, die weitaus schlimmer sein wird als die letzte.“
Glauben Sie auch, dass die globalen Ungleichgewichte zu einer neuen Blase führen werden? Wenn ja, investieren Sie in Bankaktien. Gerade die Finanzinstitute bereichern sich während einer Blase. Vergessen Sie nicht, rechtzeitig Gewinne mitzunehmen und Ihr Investment zurückzuholen. Ein Warnsignal für den richtigen Ausstiegszeitpunkt ist eine stärkere Regulierung des Finanzsystems.