Wachstum!

Buch Wachstum!

Die Zukunft des globalen Kapitalismus

Hanser,


Rezension

Der Ökonom und Politiker Karl-Heinz Paqué spricht sich eindeutig für das Wirtschaftswach­s­tum aus – trotz oder gerade wegen der immer lauter werdenden Kritik, die längst nicht mehr nur aus den linken oder al­ter­na­tiven Lagern kommt. Paqué trägt die un­ter­schiedlichen Einwände der Wach­s­tumsskep­tiker vor und setzt sich mit ihnen dif­feren­ziert auseinander. Dabei greift er auf zahlreiche Un­ter­suchun­gen, Theorien und Erfahrungen aus der Praxis zurück. Er kommt zwar häufig zum Schluss, dass es keine einfachen Antworten gibt, führt aber gleichwohl immer wieder aus, dass Wirtschaftswach­s­tum momentan sowohl global als auch lokal der einzige Schlüssel sei, mit dem die Tür zur Lösung unserer Probleme zu öffnen sei. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die in der Diskussion über das Wirtschaftswach­s­tum mitreden wollen.

Take-aways

  • Wirtschaftswach­s­tum ist automatisch mit gesellschaftlichem Fortschritt verbunden.
  • Die Armutsquote ist seit dem 19. Jahrhundert kon­tinuier­lich gesunken.
  • Der Wohlstand wird ab Mitte dieses Jahrhun­derts einen weltweiten Bevölkerungsrückgang bewirken.
  • Hochw­er­tiges Saatgut und die Unterstützung der Land­wirtschaft in Schwellenländern können einer Nahrungsverk­nap­pung vorbeugen.
  • Durch die Entwicklung verbesserter Tech­nolo­gien können En­ergiequellen effektiver und umweltscho­nen­der verwertet werden.
  • Ältere Mitarbeiter sollten länger im Beruf bleiben. Sie besitzen breites Wissen und spezielle kognitive Fähigkeiten.
  • Wachstum ist auch nötig, um die steigenden Gesund­heit­skosten zu decken.
  • Länger­fristiges Wirtschaftswach­s­tum ist das beste Mittel gegen Ar­beit­slosigkeit.
  • Die Stärke Europas liegt in seiner wirtschaftlichen Vielfalt.
  • Der freiwillige Verzicht als Wach­s­tum­salter­na­tive ist noch nicht realistisch.
 

Zusammenfassung

Die Ursachen der Wach­s­tum­skri­tik

Die weitver­bre­it­ete Skepsis gegenüber dem Wirtschaftswach­s­tum beruht auf folgenden Haup­tur­sachen: der Finanzkrise, den begrenzten natürlichen Ressourcen, der Bedrohung durch den Klimawandel und dem Wunsch nach Gerechtigkeit. Das Wirtschaftswach­s­tum wird für die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich ve­r­ant­wortlich gemacht. Aber auch andere Thesen und Ideen schüren eine wach­s­tum­skri­tis­che Stimmung. Etwa, dass der Mensch in den modernen Gesellschaften kulturell verkomme und trotz Wachstum und Fortschritt kein bisschen glücklicher geworden sei. Die Glob­al­isierung führe zu weltweit stan­dar­d­isierten Produkten, einschließlich Kleidung und Fast Food. Auch die Tatsache, dass immer weniger jüngere und leistungsfähige Ar­beit­nehmer die Versorgung von immer mehr Älteren sich­er­stellen müssen, legt den Kritikern zufolge einen Ex­pan­sion­sstopp nahe.

„Wachstum erlaubt überhaupt erst, den Sozialstaat in seinen ver­schiede­nen Dimensionen fi­nanzier­bar zu machen.“

Jedem Ex­pan­sion­s­geg­ner sollte aber klar sein, dass ein Verzicht auf Wirtschaftswach­s­tum keinen Stillstand, sondern bald auch einen erheblichen Rückstand im Vergleich zu anderen, weiterhin wachsenden Nationen bedeuten würde. Fehlt das Wirtschaftswach­s­tum, würden auch Kultur, Künste und andere gesellschaftliche Er­run­gen­schaften erheblich in Mitlei­den­schaft gezogen. Denn Wachstum ist nicht rein quantitativ zu sehen: Die Menschen konsumieren nicht einfach immer mehr Autos, Kühlschränke, Fernseher usw., sondern sobald der Grundbedarf einmal gestillt ist, nimmt das Wachstum eine qualitative Dimension an. Es werden dann nicht immer mehr, dafür aber immer bessere und schönere Autos, Kühlschränke und Fernseher hergestellt.

Arm und Reich

Die Kritik, dass Wachstum die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden lasse, kann man so un­dif­feren­ziert nicht stehen lassen. Die Armutsquote ist seit dem 19. Jahrhundert weltweit stetig zurückgegangen. In einigen Ländern öffnet sich die Schere zwischen niedrigen und höheren Einkom­menss­chichten zwar tatsächlich. Der Grund dafür ist jedoch nicht eindeutig klar. Die einen sehen ihn in der technischen Entwicklung: Einfache Tätigkeiten werden immer häufiger durch Maschinen ausgeführt, wodurch ihr Wert sinkt. Die anderen machen die Ursache im in­ter­na­tionalen Handel mit Schwellenländern fest, deren Produkte mit den unsrigen konkur­ri­eren und so Arbeitsplätze hierzulande gefährden. Wie soll man mit diesen negativen Wirkungen des Wachstums umgehen? Die einen wollen die nationale Wirtschaft abschotten und den grenzüberschre­i­t­en­den Handel eindämmen. Die anderen sind bestrebt, die positiven Wirkungen der Glob­al­isierung zu fördern und die negativen zu minimieren. Diese zweite Möglichkeit beinhaltet die Chance, dass wirtschaftliche Dynamik entsteht, die ihrerseits Wohlstand und Wissen fördert.

Bevölkerung und Ernährung

Die Weltbevölkerung wird bis Mitte dieses Jahrhun­derts weiter ansteigen, doch dann ist mit einem leichten, aber kon­tinuier­lichen Rückgang zu rechnen. Der Grund dafür ist in der Wohl­stand­sen­twick­lung der meisten Länder zu suchen. Die Familien benötigen Kinder nicht mehr als Arbeitskräfte und Versorger im Alter. Gebildete Frauen verhüten häufiger und bekommen ihr erstes Kind später. Sie ver­wirk­lichen sich gern im Beruf und beschränken sich daher meist auf ein bis zwei Kinder, die bildungsmäßig gut gefördert werden.

„Wachstum der Wirtschaft heißt vor allem Wachstum des Wissens.“

Die Frage bleibt indes, ob die Nahrungsmit­tel für den erwarteten Höchststand der Bevölkerung (9–10 Milliarden Menschen) ausreichen werden. Die Problematik verschärft sich durch die seit einigen Jahren steigenden Lebens­mit­tel­preise. Das liegt z. T. daran, dass die Bewohner ehemals armer Länder sich jetzt ebenfalls eine Vielfalt an Lebens­mit­teln gönnen, darunter Fleisch. Statt dass also wie früher Getreide oder Reis unmittelbar verzehrt werden, verfüttert man die Körner an Zuchttiere, wodurch die insgesamt verfügbare Nahrungsmit­tel­menge schrumpft. Ein weiterer Grund für steigende Lebens­mit­tel­preise ist, dass einstige Anbauflächen von Weizen und Soja nun zum Anbau von Mais und Ölpflanzen genutzt werden, um Biotreib­stoffe herzustellen. Um diesen En­twick­lun­gen ent­ge­gen­zuwirken, müssen die Nahrungsmit­tel­erträge durch qualitativ hochw­er­tiges Saatgut, das an die Umgebung angepasst ist, sowie durch die Vergabe von (Mikro-)Krediten an die Landwirte in den Schwellenländern gesteigert werden.

Energie, Klima- und Wertewandel

Der Club of Rome sah 1972 die Grenzen des Wachstums, so der Titel seines ein­flussre­ichen Buches, im En­ergie­ver­brauch: Erdöl und andere Rohstoffe sind endlich und irgendwann aufge­braucht. Aber Beschränkungen und Engpässe können die Industrie zu kreativen und innovativen Lösungen anregen – so geschehen infolge der Ölkrisen Anfang der 70er und 80er Jahre. Der Anstieg des Ölpreises führte zur Entwicklung en­ergies­paren­der Maschinen – ein Fortschritt, der uns noch heute zugutekommt. Zudem war in der Zwis­chen­zeit die Suche nach weiteren Ölquellen erfolgreich. Die In­dus­trien­atio­nen tragen zweifellos am stärksten zum Klimawandel bei, doch findet in den auf­streben­den Schwellenländern eine deutliche Zunahme des CO2-Ausstoßes statt. Diese Länder werden momentan am wenigsten davon zu überzeugen sein, ihr Wachstum zu drosseln.

„Eine Abschottung vom Weltmarkt gleich welcher Art ist ein un­taugliches Mittel, um den Her­aus­forderun­gen der Glob­al­isierung zu begegnen.“

Denkbar ist eine weltweite Besteuerung der Schad­stof­fe­mis­sio­nen oder eine Limitierung der Ausstoßmenge. Dies könnte durch eine Ver­steigerung von Emis­sion­slizen­zen geregelt werden. Es ist gut denkbar, dass sich in der nächsten Generation das ökologische Bewusstsein auch in den Schwellenländern man­i­festiert. Aber haben wir noch so viel Zeit? Darüber, ob wir sofort handeln müssen oder ob wir uns noch Jahrzehnte Zeit lassen können, gehen die Ex­perten­mei­n­un­gen auseinander. Da die CO2-Emissionen sehr lange in der Atmosphäre verweilen, ist es aus langfristiger Perspektive weniger wichtig, ob wir sie jetzt oder erst in 30 Jahren drosseln. Warten wir noch, hat dies den Vorteil, dass wir ökonomische Kosten sparen, Wohlstand produzieren und Tech­nolo­gien verbessern und erforschen können. Diesem letzten Gesicht­spunkt gilt die höchste Priorität.

Alter

Die Bevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten weiter altern, aus zwei Gründen: Die Lebenser­wartung steigt aufgrund besserer Umwelt- und medi­zinis­cher Bedingungen sowie einer gesünderen und bewussteren Lebensweise. Zudem sinkt die Geburten­rate aufgrund veränderter Wertvorstel­lun­gen und Leben­saus­rich­tun­gen von Familien und ins­beson­dere Frauen. Diese Entwicklung ist – auch aus ethischen Gründen – politisch nur sehr begrenzt zu bee­in­flussen. Aus herkömmlicher volk­swirtschaftlicher Perspektive belasten die älteren Menschen die sozialen Systeme, weil sie nicht mehr arbeiten und durch­schnit­tlich häufiger krank sind. Dass sich zudem durch die höhere Lebenser­wartung die Renten­bezugs­dauer verlängert, lässt sich auf drei miteinander kom­binier­baren Wegen angehen: Die Rentenbeiträge werden angehoben, die Renten werden gesenkt oder das Rentenein­trittsalter wird erhöht. Rechnerisch ist die letzte Möglichkeit am vorteil­haftesten, weil sie potenzielle Leis­tungsempfänger noch für ein paar Jahre in Leis­tungser­bringer verwandelt.

„Europa hat bis heute eine weit stärkere Pro­duk­tvielfalt als die Vereinigten Staaten und dies in fast allen Branchen.“

Aber lässt nicht im Alter die Produktivität nach? In der Tat sind ältere Menschen körperlich weniger belastbar, aber hin­sichtlich der geistigen Arbeit muss man zwischen zwei Aspekten dif­feren­zieren, nämlich der kognitiven Flexibilität, dem kreativen, innovativen, „fluiden“ Denken auf der einen Seite und so genannten „kristalli­nen Fähigkeiten“ wie Erfassung des Wesentlichen, sprachliche Ver­siertheit oder Breite des Wissens auf der anderen. Die Fähigkeiten der letzten Kategorie bleiben im Alter erhalten oder nehmen sogar zu. Junge Arbeitskräfte, die das fluide Denken repräsentieren, werden zunehmend rar, deshalb wird sich in den Unternehmen ein Struk­tur­wan­del vollziehen. Es wird in den Unternehmen darum gehen, junge geeignete Menschen anzuziehen, zu halten und ide­al­er­weise ausschließlich mit fluiden kognitiven Aufgaben zu betrauen, wodurch die kristalli­nen Fähigkeiten automatisch zur Domäne der älteren Mitarbeiter werden.

Gesundheit

Die Gesund­heit­skosten haben in den letzten 15 Jahren überpro­por­tional zugenommen. Dies liegt nicht allein an der höheren Lebenser­wartung und den damit verbundenen Notwendigkeiten in den Bereichen der medi­zinis­chen und pflegerischen Versorgung. Die Medizin macht auch große Fortschritte, z. B. in Chirurgie, Zahnmedizin und Orthopädie, und die Pharmazie entwickelt neuartige Medikamente. Anders als in anderen Branchen wie etwa der Au­to­mo­bilin­dus­trie, wo alte und neue Modelle parallel hergestellt werden, um die ver­schiede­nen Einkom­menss­chichten anzus­prechen, beschränkt man sich in der Medizin aus ethischen Gründen auf die neuen Lösungen; die alten, günstigeren ver­schwinden vom Markt. Um die Gesund­heit­saus­gaben, die in den kommenden Jahren noch weiter steigen werden, bewältigen zu können, ist wiederum Wachstum nötig. Es ist prob­lema­tisch, wenn Politiker den Wählern suggerieren, man könne der Gesund­heits­branche Aus­gaben­gren­zen diktieren.

Arbeit und Bildung

Mancher Theorie zum Trotz zeigt die Praxis, dass das Wirtschaftswach­s­tum die Ar­beit­slosen­quote minimiert. Das gilt allerdings für nach­haltiges Wachstum und nicht für kurzfristige Booms, die tatsächlich Einbrüche nach sich ziehen. Das Wachstum wird seinerseits mitgetragen durch die Bildung und Qual­i­fizierung der Arbeitskräfte. Es ist klar, dass Unternehmen zuerst hoch qual­i­fizierte Mitarbeiter einstellen. Da diese aber rar sind, kommen anschließend bildungsärmere Bewerber zum Zuge. Wirtschaftswach­s­tum erhöht die Steuere­in­nah­men und minimiert gle­ichzeitig die Sozialaus­gaben.

Aussichten des Kap­i­tal­is­mus

Viele Kap­i­tal­is­mus- und Glob­al­isierungskri­tiker werfen der Wirtschaft vor, dass sie in Niedriglohnländern produzieren lässt oder dort zukauft. Doch diese „Basarökonomie“, wie etwa Hans-Werner Sinn diesen Prozess kritisch benennt, ist eine natürliche Weit­er­en­twick­lung der Ar­beit­steilung, die früher auch innerhalb eines Landes üblich war. Diese Entwicklung ist nicht mehr umzukehren, denn kein Land will als Wirtschafts­stan­dort anderen nachstehen. Und sie wird von einer anderen Entwicklung umrahmt, nämlich der, dass immer häufiger in den Zentren In­no­va­tio­nen entwickelt und in der Peripherie diese angewendet werden. Viele Länder und Regionen sind seit langer Zeit auf bestimmte Industrien und Fähigkeiten spezial­isiert, die in der globalen Wirtschaft genutzt werden können. Daher wiegen Argumente und Befürchtungen, dass ein Land zu einseitig qual­i­fiziert sei und deswegen den wirtschaftlichen Anschluss verpassen könnte, aus globaler Sicht weniger schwer.

„Europa bleibt zweifellos ein Kontinent der Qualität und Vielfalt, und das ist gut so.“

Amerika etwa ist Spitzen­re­iter in Sachen Spezial­isierung. Dort gibt es lokale Zentren, in denen beispiel­sweise die Au­toin­dus­trie angesiedelt ist. Die Massen­trends – von den Jeans über Popmusik bis hin zu Fast Food – wurden ebenfalls in den USA kreiert. In Europa haben die Verbraucher dif­feren­ziert­ere Bedürfnisse, und die Industrie ist insgesamt vielfältiger und auf ver­schiedene Standorte verteilt. Dies ist sicher auch ein Grund dafür, warum die Wirtschaft­skrise Europa weniger hart traf als die USA. Die Stärken der US-Wirtschaft wiederum liegen in ihrer schnellen Re­gen­er­a­tionsfähigkeit und dem In­no­va­tionspoten­zial moderner Branchen wie etwa der In­for­ma­tions- und Biotech­nolo­gie.

Fortschritt durch Wachstum

Die Zweifel an der Wach­s­tum­slehre bedingen mittelbar auch den Verlust des Glaubens an den gesellschaftlichen Fortschritt. Ohne Wachstum gerät die Politik zu einem Null­sum­men­spiel, bei dem jeder nur auf Kosten eines anderen etwas gewinnen kann. Dadurch spitzt sich der Verteilungskon­flikt zu. Die Alternative bestünde in einem frei­willi­gen Verzicht, wie ihn etwa Meinhard Miegel propagiert. Doch wie realistisch ist diese Alternative? Die meisten Menschen hierzulande wollen nicht zum Lebens­stan­dard der Ver­gan­gen­heit zurückkehren oder im Bezug auf die Lebensverhältnisse mit Indern oder Chinesen tauschen. Auf globaler Ebene werden die armen Länder nicht bereit sein, ihre Aufholbemühungen schlicht einzustellen. In ein bis zwei Gen­er­a­tio­nen könnten die Vo­raus­set­zun­gen für frei­willi­gen Verzicht besser stehen.

Über den Autor

Karl-Heinz Paqué ist Professor für Volk­swirtschaft­slehre an der Otto-von-Gu­er­icke-Uni­ver­sität in Magdeburg. Von 2002 bis 2006 war er Fi­nanzmin­is­ter des Bun­des­lan­des Sach­sen-An­halt.