Aus der Krise gelernt?
Die Weltwirtschaft stand am Rand des Abgrunds: Die geplatzte Immobilienblase führte uns 2008 direkt in die schwierigste Wirtschaftskrise seit langer Zeit. Verschiedene Staaten retteten mit üppigen Finanzspritzen gleich reihenweise Unternehmen vor dem Ruin – in erster Linie die Banken. Das Ansehen der Topmanager ist im Zuge der Krise weiter gesunken; vor allem werden ihnen Gier und „Kasinokapitalismus“ vorgeworfen.
„Topmanager müssen ihre Rolle immer mehr als Moderator der Beziehungen zu den verschiedenen Stakeholder-Gruppen verstehen.“
Haben die Männer und (wenigen) Frauen in den Chefetagen etwas aus der Krise gelernt? Wie gehen sie damit um, mit welchen Strategien führen sie die Unternehmen in die Zukunft? Sind sie „FernSeher“, die nach vorne blicken und handeln, oder „LautSprecher“, die selbstbewusst erklären können, die Krise überlebt zu haben? Wer Antworten will, muss fragen: Das geschah in Interviews mit über 100 Führungskräften und Unternehmern. In Zentrum der Gespräche stand ihre Rolle als Manager der Beziehungen zu den verschiedenen Stakeholder-Gruppen (Kundenmarkt, Finanzmarkt, Akzeptanzmarkt und Mitarbeitermarkt).
Das Motto nach der Krise: Vorsicht!
Für die meisten Manager kam die Krise so überraschend wie ein Tsunami. Nur wenige CEOs zeigten zuvor ein Grundmisstrauen gegenüber den Entwicklungen an den Finanzmärkten. Als Ursachen der Krise machen die obersten Chefs Intransparenz und übertriebene Euphorie aus – das Wort „Gier“ taucht nicht in den Gesprächen auf. Einig sind sich die Topmanager in einem Punkt: Überstanden ist die Krise noch lange nicht. Die zentrale Strategie nach der Krise lautet „Vorsicht“; man versucht, „auf Sicht zu fahren“. Kurzarbeit, verringerte Lagerkapazitäten, an die Nachfrage angepasste Produktionsvolumina oder verstärkte Just-in-time-Produktion sind nur einige Maßnahmen. Doch was erwartet die Unternehmen in der Zukunft?
Übergreifende Herausforderungen
Die derzeitige Krise ist vor allem eine Vertrauenskrise – ohne das Vertrauen der Stakeholder kann kein Unternehmen langfristig überleben. Gewinnen Sie als Topmanager das Vertrauen und die Reputation zurück. Seien Sie authentisch, gestehen Sie Fehler ein, zeigen Sie Ihren Mitarbeitern Wertschätzung. Sprechen Sie nicht von Vertrauen, wenn Sie keines schenken können – handeln Sie konsistent. Belohnen Sie gewünschtes Verhalten und sanktionieren Sie unerwünschtes. Sie als Person stehen hinter dem Projekt oder Unternehmen; machen Sie sich daher erlebbar und investieren Sie 20 % Ihrer Zeit in (interne) Kommunikation.
„Kaum einen Satz haben wir in unseren Interviews so oft gehört wie: ‚Bis zum Beginn des Aufschwungs fahren wir auf Sicht.‘“
Wer „FernSeher“ sein will, benötigt eine nachhaltige Unternehmensstrategie. Nachhaltigkeit muss Teil des Unternehmensleitbildes sein. Wer nur auf Sicht fährt, wird langfristige Ziele nicht erreichen. Begreifen Sie Nachhaltigkeit als Wechselspiel ökologischer, ökonomischer und sozialer Faktoren und führen Sie ein gut durchdachtes Nachhaltigkeitsreporting ein. Wecken Sie Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeit; operationalisieren Sie sie und verstehen Sie Ihr Handeln als Change-Projekt, das nicht von heute auf morgen verwirklicht werden kann. Schaffen Sie auch Raum für Innovationen. Das betrifft nicht nur Produkte, sondern auch Prozesse und das Innovationsmanagement an sich. Eine Idee allein ist noch keine Innovation; bis zum fertigen Produkt oder Prozess ist es ein weiter Weg, den das ganze Unternehmen gehen muss. Reduzieren Sie Innovationen daher nicht auf die Leistungen der F&E-Abteilung.
„Management ist die Kunst, das Wesentliche zu erkennen und durchzusetzen.“
Ganz wichtig: Leben Sie Werte. Für die befragten CEOs spielen soziale Werte wie Gerechtigkeit, Fairness oder Loyalität eine bedeutende Rolle; es schließen sich Werte der Kategorie Authentizität (Selbstkritik, Geradlinigkeit, Transparenz) sowie ökonomische Werte (Leistung, Zielstrebigkeit, Zukunftsorientierung) an. Werte gewinnen an Bedeutung – der Ruf nach dem so genannten ehrbaren Kaufmann wird immer lauter. Als CEO müssen Sie die Wertewelt Ihres Unternehmens vorleben und konsequent durchsetzen. Begeistern Sie für die Werte und erwecken Sie sie zum Leben – Ihre Mitarbeiter werden Ihnen folgen.
Akzeptanzmarkt: Politik, Soziales und Umwelt
Der Akzeptanzmarkt umfasst sämtliche Größen, die beeinflussen, ob und wie ein Unternehmen in der Gesellschaft überhaupt agieren darf. Relevant sind beispielsweise der Staat, Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften, Verbände oder Vereine. Unternehmen sind auf ein Mindestmaß von Akzeptanz dieser Gruppen angewiesen. Drei Herausforderungen gibt es hierbei:
- Politik einbinden: Das 500-Milliarden-Euro-Rettungspaket zeigt, dass sich die Rollenverteilung von Politik und Wirtschaft ändert. Zwar zeigen sich die meisten CEOs unsicher, wie sie mit der wieder erstarkenden Politik umgehen sollen, dennoch steht für sie fest: Der Dialog mit der Politik wird immer wichtiger, denn der Staat greift ein, wenn er muss. Unternehmen benötigen mehr politische Kompetenz durch geschulte CEOs oder Fachleute für „Political & Governmental Affairs“. Öffentliche Debatten mit der Politik sind nicht ohne Tücken.
- Soziale Verantwortung: In der Gesellschaft existiert ein Minimalkonsens, der Fairness und Gerechtigkeit verlangt. Positionieren Sie Ihr Unternehmen innerhalb dieses gesellschaftlichen Konsenses. Bieten Sie Ihren Mitarbeitern materiell und immateriell mehr als den Branchendurchschnitt. Unterstützen Sie das direkte Umfeld Ihres Unternehmens (z. B. durch Sponsoring eines Sportvereins) oder auch Projekte in Übersee. Bleiben Sie dabei authentisch (betreiben Sie kein „Greenwashing“!) und stellen Sie die Aktivitäten der Firma in den Vordergrund, nicht Ihre persönlichen – Ihre Kompetenz ist das Führen.
- Ökologisch wirtschaften: Am Thema Ökologie kommt heute kein CEO mehr vorbei – Umweltengagement ist wichtig. Hier gilt: Tue Gutes und rede darüber. Der CEO sollte aber nur in Ausnahmefällen als direkt agierende Person erscheinen. Er sollte vielmehr Ideen anstoßen, den Weg für ökologische Projekte freimachen und andere Führungskräfte sich äußern lassen – solche, die das glaubwürdig und kompetent tun können.
Kundenmarkt: Kunden binden und digital kommunizieren
Ganz klar: ohne Kunden kein Unternehmen. Kundenbindung ist daher ein äußerst wichtiges Ziel. Um zu verstehen, was Kunden wollen, was sie vom Unternehmen und dessen Produkten denken, muss man sie fragen. Marktforschung holt die Antworten ein; sie liefert Ergebnisse in systematisierter Form.
„Der Aufbau von Reputation ist untrennbar mit der Schaffung von Vertrauen verbunden, und Vertrauen macht man an Personen fest.“
Ein anderer Weg, die Kunden mit ins Boot zu holen, sind Kundenbeiräte, also Gremien, in denen die Kunden aktiv Einfluss nehmen können. Einige CEOs setzen auf Megatrends und stellen sich auf einen Wandel der Kundenstruktur ein: Die demografische Entwicklung und multikulturelle Einflüsse beeinflussen das Bild des Kunden von morgen. Andere CEOs reagieren lediglich auf kurzfristige Zyklen des Geschäfts und passen ihre Strategien den jeweiligen Kundenwünschen an. Das Customer Relationship Management erlebt hierbei eine Renaissance, allerdings mit neuen Ansprüchen. Es geht weniger um Daten als um Inhalte und Aussagekraft. Wirkliche Partnerschaften mit den Kunden werden angestrebt. Analysen des Kundenverhaltens konzentrieren sich auf die wichtigsten Loyalitätstreiber; geeignete „Key Performance Indicators“ messen die Kundentreue und die Wirkung eingeleiteter Maßnahmen.
„Sie haben gar keine Alternative, als Ihr Unternehmen fit zu machen für die Generation der Digital Natives.“
Auch wenn die so genannten „Digital Natives“ noch nicht in den Chefetagen angekommen sind: Das Internet bietet enormes Potenzial für Kundendialog und -nähe, individualisierten Vertrieb und persönliches Marketing, Innovationsmanagement und vieles mehr. In sozialen Netzwerken verbreiten sich attraktive Botschaften so rasch wie virale Infektionen. Einige der befragten CEOs stehen der Technologie offen gegenüber und erkennen das Potenzial, andere sind noch skeptisch und schwören auf den persönlichen Kontakt zum Verbraucher. Dennoch sollten Topmanager den Weg ins Web 2.0 nicht versperren: Wer zu langsam ist, verliert den Anschluss.
Mitarbeitermarkt: Veränderung, Führung, Loyalität
Krisen führen zu Veränderungen. Innovationen sind jetzt gefragt, neue Strategien sind nötig, viele Unternehmen fusionieren. Als CEO darf man keine Angst vor Veränderungen haben. Oft sind es die Mitarbeiter selbst, die Veränderung fordern. Große Strukturen müssen sich sogar stetig verändern, um den „organizational slack“ zu vermeiden. Ein CEO muss Veränderungsprozesse begleiten und gestalten und als Moderator und Vermittler zwischen den verschiedenen Abteilungen ganz vorne mit dabei sein. Veränderungen haben Folgen für die gesamte Belegschaft. Darum: Wer verändern will, muss seine Vision erklären und kommunizieren, Allianzen außerhalb der Hierarchien bilden, Vorbild sein, schnelle Erfolge schaffen, die Dynamik der Veränderung nutzen – und er muss führen. Die meisten Gesprächspartner sind sich einig, dass die Krise einen konsequenten und harten Führungsstil fordert, der auf Vertrauen und Vorbildhaftigkeit ruht. Sie als Persönlichkeit müssen für einen bestimmten Kurs stehen. Sie sind der Kapitän, der den Kurs kennt. Zeigen Sie das Ihren Mitarbeitern – wer sich verbarrikadiert, hat verloren. Gerade am Anfang müssen Sie Härte beweisen und sich Respekt verschaffen. Für Ihren engsten Führungskreis sind Sie der Coach: Lassen Sie die anderen die Tore schießen. Ihre Mitarbeiter und Sie sind eine Gemeinschaft, nur zusammen erreichen Sie die Ziele. Loyalität schaffen Sie durch „Employer Branding“: Binden Sie Ihre Mitarbeiter durch die Attraktivität der Marke ans Unternehmen, aber auch dadurch, dass Sie Verantwortung übergeben, Entwicklungspotenzial und faire Löhne bieten und eine angenehme Unternehmenskultur schaffen.
Finanzmarkt: Zahlenskepsis und Unabhängigkeit
Die Krise hat dazu geführt, dass Chief Finance Officers (CFOs) an Macht gewonnen haben. Manche Stakeholder und Kreditgeber würden am liebsten täglich Ergebniszahlen sehen. Darin besteht eine große Gefahr: Es verleitet die Führungsriege dazu, ihr Unternehmen ausschließlich nach Zahlen zu steuern. Wenn jede Entscheidung kurzfristig und zahlengetrieben ist – selbst die Einstellung eines Praktikanten –, dann entbindet das die CEOs ihrer Verantwortung, das Unternehmen langfristig erfolgreich zu führen. Unternehmen werden so keine Höchstleistungen vollbringen.
„Die Hauptaufgabe des CEO ist die klare, eindeutige Moderation der Veränderungsprozesse.“
Ein Controlling-Cockpit ist trotz allem sinnvoll und hilfreich, um unternehmerische Entscheidungen zu fällen, gerade in Krisenzeiten. Eines sollten Sie jedoch nie aus den Augen verlieren: die nachhaltige und langfristige Strategie des Unternehmens. Diese gehört in eine Mission gepackt, die das ganze Unternehmen lebt. Völlig ohne Zahlen geht es natürlich auch nicht, aber Sie müssen sie immer hinterfragen; insbesondere sollten Sie genau wissen, wie sie zu interpretieren sind. Geschönte Statistiken und „Zahlenfriedhöfe“ schaden nur.
„Auch Manager spüren – im Büro wie privat: Wer Geld benötigt, bekommt es nur mühsam und zu gesalzenen Konditionen.“
Zuletzt noch ein Satz zu den Banken: Krisengerüttelt vergeben sie kaum noch Kredite; Verhandlungen mit ihnen sind hart und mühselig. Manche Unternehmer fühlen sich von ihnen gar schlecht behandelt. Das Image der Banken hat durch die Krise arg gelitten. Aber: Ganz ohne sie geht es dennoch nicht. Investitionen müssen schließlich irgendwie finanziert werden. Wer kann, macht sich unabhängig von den Finanzinstituten, etwa durch schnellen Schuldenabbau und mehr Eigenkapital. Wer sich den Trend zur Unabhängigkeit nicht leisten kann, tut gut dran, durch bessere Finanzkommunikation ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Banken zu pflegen. Schließlich sind auch sie Partner und Stakeholder, sie partizipieren an Ihren Gewinnen und leiden an Ihren Verlusten.
Fazit: Dialogökonomie
„FernSeher“ gibt es kaum in den Chefetagen. Es wird „auf Sicht gefahren“, was gefährlich ist. Langfristige und nachhaltige Strategien sind daher gefragt. Auch „LautSprecher“ gibt es nur wenige. Das ist allerdings gut, denn die Zukunft liegt im Dialog und in der Kooperation mit allen Stakeholder-Gruppen. Dem CEO kommt dabei die Rolle des Moderators zu.