Kritische Projekte retten

Buch Kritische Projekte retten

Leitfaden für die Diagnose, Sanierung und Prävention

Hanser,


Rezension

Der Titel verspricht einen Leitfaden zur Rettung kritischer Projekte. Doch was die Autoren List und Voight liefern, geht weit darüber hinaus: Ihr rund 300 Seiten starkes Fachbuch beinhaltet neben einem ganzheitlichen Modell fürs Krisen­man­age­ment auch viel Wissen über die menschliche Psyche und über Or­gan­i­sa­tio­nen. Der erste Eindruck ist, dass die Autoren übers Ziel hin­aus­geschossen haben, doch der verfliegt schnell: Denn das Buch ist randvoll mit Ex­perten­wis­sen, das äußerst prax­is­rel­e­vant ist und zudem auch noch in einer angenehm schnörkellosen Sprache präsentiert wird. Damit der Leser das Vier-Phasen-Mod­ell zur Reanimation scheintoter Projekte umsetzen kann, halten die Autoren im Anhang seitenweise Checklisten für die Praxis bereit. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Pro­jek­tleit­ern, Krisen­man­agern und Or­gan­i­sa­tion­sen­twick­lern.

Take-aways

  • Projekte sind komplexe Gebilde. Probleme sind an der Tage­sor­d­nung.
  • Ein Projekt wird beeinflusst von den beteiligten Personen, den zugrunde liegenden Prozessen, den Umweltbe­din­gun­gen und den Zielen der Handelnden.
  • Eine ernste Krise liegt vor, wenn ein Projekt ohne Hilfe von außen nicht überleben kann.
  • Oft sind Führungs- oder Man­age­ment­fehler sowie Schwächen in der Kom­mu­nika­tion für Pro­jek­tsch­iefla­gen ve­r­ant­wortlich.
  • Die Überwindung einer Pro­jek­tkrise erfordert ganzheitliches und flexibles Denken.
  • Als Lösung kommen der Abbruch des Projekts, die vorübergehende Sta­bil­isierung oder die komplette Sanierung infrage.
  • Die Sanierung ist ein eigenes Projekt mit eigenem Mandat und Pro­jek­tleiter.
  • Das Pro­jek­tkrisen­man­age­ment besteht aus vier Phasen: Analyse vorbereiten, analysieren, Therapie vorbereiten und therapieren.
  • Der Mensch und seine Bedürfnisse sind die Schlüsselfak­toren er­fol­gre­icher Therapie.
  • Jede Therapie ist so individuell wie das Projekt, für das sie entworfen wurde.
 

Zusammenfassung

Woran scheitern Projekte?

Pro­jek­tkrisen gehören zum Ar­beit­sall­tag. Allein in der IT-Branche scheitern mehr als 50 % aller Projekte, so der einschlägig bekannte Chaos-Re­port. Die Ursachen liegen in hoher Komplexität, starkem In­no­va­tions­druck und in­ter­diszi­plinärer Zusam­me­nar­beit, gepaart mit sich dynamisch ändernden Bedingungen. Betrachten wir das Projekt zur Eroberung des Südpols vor rund 100 Jahren. Der Vergleich der beiden konkur­ri­eren­den Ex­pe­di­tion­steams zeigt ex­em­plar­isch, warum Roald Amundsen Erfolg hatte, während Robert Falcon Scott scheiterte. Amundsen war von ganzem Herzen Po­lar­forscher, Scott eher zufällig. Amundsen hatte ein kälteer­probtes Team, Scotts Truppe dagegen keinerlei Erfahrung im Eis. Amundsen hatte mehr als genug Reserven eingeplant und sich an die örtlichen Gegeben­heiten angepasst. Scott hingegen ignorierte Tipps und verwendete nur ihm bekanntes, aber un­taugliches Material. Am Ende überstand Scott einen Kälteeinbruch nicht. Er verlor das Rennen – und sein Leben.

„Eine Krise im Projekt ist sicher nicht der geplante Nor­malzu­s­tand, aber zumindest ein zu erwartendes Phänomen.“

Projekte in Unternehmen kränkeln an ähnlichen Ursachen: zu hoch gesteckte Ziele, menschliche Schwächen und zu spätes Eingreifen in Notlagen. Das Beispiel der Südpol­ex­pe­di­tion zeigt, welche Variablen den Pro­jek­ter­folg elementar bee­in­flussen:

  • Personen (Stakeholder),
  • Prozesse (Or­gan­i­sa­tion­sstruk­turen und technische Abläufe),
  • Umweltbe­din­gun­gen (physisches und politisches Klima) und
  • Ziele der Handelnden (Motivation).
„Ein Projekt ist an sich meist ein Him­melfahrt­skom­mando.“

Im Pro­jek­tver­lauf kann es spontan oder sukzessiv zu einer Krise kommen – wobei die erste Variante wesentlich gefährlicher ist. Eine handfeste Krise erkennen Sie daran, dass es unmöglich geworden ist, das Projektziel aus eigener Kraft zu erreichen. In dieser Situation benötigen Sie Hilfe von außen, um neue Lösungsmuster zu finden und die Notlage zu überwinden. Denn mit unseren eigenen, beschränkten Mustern und Vorstel­lun­gen kommen wir bei Bedrohungen häufig nicht weiter.

Ein erprobtes Modell fürs Krisen­man­age­ment

Verstehen Sie die Sanierung eines aus der Bahn geratenen Projekts immer als ein eigenes Projekt. Als Sanierer folgen Sie einem klassischen Lösungsmuster. Ihre Aufgabe besteht darin, eine Analyse durchzuführen, Befunde zu bewerten und Maßnahmen zu empfehlen. Deren Umsetzung erfolgt durch den eigentlichen Pro­jek­tleiter. Das Krisen­man­age­ment-Mod­ell basiert auf folgenden Annahmen:

  • Projekte sind komplexe Systeme: Auch für Projekte gilt, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Durch gegen­seit­ige Bee­in­flus­sung der Faktoren entsteht Neues. Einfache Muster nach Schema X greifen nicht, Flexibilität im Denken und im Handeln ist zwingend er­forder­lich. Der Faktor Mensch spielt dabei eine wesentliche Rolle. Dieser muss sich in kritischen Zeiten laufend neuen Gegeben­heiten anpassen. Versuchen Sie nicht, ein komplexes Problem zu stark zu vere­in­fachen. Anstatt linear zu denken, spielen Sie lieber ganzheitlich mit allen Aspekten.
  • Lösungen müssen pragmatisch sein und Rückfälle verhindern: Lassen Sie die Finger von „quick fixes“, sonst stürzt Ihr Projekt bald ein wie ein Kartenhaus beim nächsten Windstoß. Wenn Führungs- oder Man­age­ment­fehler für Pro­jek­tsch­iefla­gen ve­r­ant­wortlich sind (und das ist oft der Fall), sind dauerhafte Verhaltensänderungen nötig. Das hohe Ziel stabiler Pro­jek­t­ge­sund­heit erreichen Sie am besten durch die Im­ple­men­tierung von Lern­prozessen. Er­wiesen­ermaßen verhindert Stress, dass neues Wissen dauerhaft gefestigt wird.
  • Beratung muss neutral erfolgen: Als Pro­jek­t­ther­a­peut müssen Sie emotionalen Abstand zum Geschehen halten, um unabhängig urteilen zu können. Bleiben Sie sachlich und verwenden Sie etablierte Methoden aus dem Change-Man­age­ment. Zeigen Sie jedoch Einfühlungsvermögen und Respekt und nehmen Sie sich der Sorgen der Mitarbeiter an. Bauen Sie durch ehrliches und faires Vorgehen Vertrauen auf.

Schritt 1: Analyse vorbereiten

Das Ziel dieser Phase ist es, einen eindeutigen Auftrag als Krisen­man­ager zu erhalten. Sind Sie der Auserwählte, steht die Absicherung Ihrer Person an erster Stelle. Fixieren Sie das Mandat unbedingt schriftlich, indem Sie Ihre Aufgaben doku­men­tieren, Kompetenzen definieren, den Zeitrahmen festlegen und sich Zugriff auf die Daten sichern. Im Erstgespräch mit dem Leiter des havarierten Projekts versuchen Sie, seine Sichtweise kennen zu lernen und das weitere Vorgehen abzus­prechen. Führen Sie danach mit allen Beteiligten offene Gespräche, anstatt sie schematisch auszufragen. So erhalten Sie ein erstes Bild, das sich im Laufe der Analyse noch verändern, verdichten und dif­feren­zieren wird. Iden­ti­fizieren Sie Personen, auf die Sie sich verlassen können. Fragen Sie sich, wo es Blockaden gibt, die Ihnen im Weg stehen könnten. Der erste Schritt ist erst dann ganz getan, wenn ein Zeitplan erstellt und der Umfang der Analyse festgelegt ist. Sprechen Sie beides mit Pro­jek­tleiter und Auf­tragge­ber ab. Der Zeitrahmen für Vor­bere­itung und Analyse ist in der Regel knapp und beträgt maximal zwei Wochen.

Schritt 2: Analyse durchführen

Das Ergebnis der Analy­sephase soll eine fundierte Diagnose sein, aus der Sie eine Therapie ableiten. Die Analyse selbst erfolgt rational und neutral. Sie klärt, wo das Projekt steht, woran es krankt und wie sich die Probleme verstehen lassen. Mittels ganzheitlicher Betrachtung gelingt es Ihnen, Ursachen und Symptome der Störungen zu erkennen. Dazu müssen Sie Fakten sammeln, Dokumente sichten, Gespräche führen und das Geschehen live beobachten. Verstehen Sie die Analyse als eine Art Audit, mit dem Sie einen Rundumblick auf harte und weiche Faktoren des ganzen Projekts werfen. Mithilfe eines Struk­tur­baums können Sie das Problem in kleinere Hand­lungs­felder zerlegen und diese pri­or­isieren. Verwenden Sie zur Prob­lem­beschrei­bung Leitfragen wie „Was ist vom Problem betroffen?“, „Wann trat das Problem auf?“ und „Welche Folgen sind entstanden?“. Betrachten Sie den Ist-Zustand kritisch und vergleichen Sie ihn mit dem Soll-Zu­s­tand.

„Ob ein Projekt gerettet werden kann, ist let­z­tendlich eine Frage der Einstellung und des Verhaltens der beteiligten Stakeholder.“

Vorsicht: Bei der Beurteilung der Situation fehlen oft Maßstäbe für die Frage, was noch gesund und was schon krank ist. Sie sollten jedoch wesentliche Stellschrauben iden­ti­fizieren können, die das Projekt bee­in­flussen. Anschließend müssen Sie die einzelnen Aspekte bewerten, z. B. mit einem Ampelsystem, das von „unkritisch“ bis „katas­trophal“ reicht. Abschließend formulieren Sie Ihre Befunde in Thesenform.

Schritt 3: Ther­a­pieplan aufstellen

Ist der Patient noch zu retten? Welche Medizin hilft? Was ist zeitlich machbar? Diese Fragen stellen Sie in der Ther­a­piepla­nungsphase. Aus den zusammen mit einem Ex­per­ten­team er­ar­beit­eten Antworten leiten Sie Ther­a­pievorschläge ab. Aus diesen wiederum wählen die Pro­jek­tver­ant­wortlichen Lösungen aus.

„Vertrauen entsteht durch Verhalten.“

Manchmal liegt die beste Lösung nicht in einer Therapie, sondern im Ende des Projekts – was allerdings nicht für Kun­den­pro­jekte gilt, die eine ver­tragliche Erfüllung erfordern. Leider existieren keine uni­versellen Kennzeichen dafür, wann sich ein Abbruch empfiehlt. Sie können z. B. den Kosten­fak­tor als Entschei­dungs­ba­sis nehmen. Fällt die Wahl auf die Therapie, sta­bil­isieren Sie zuerst den Patienten Projekt. Damit gewinnen Sie Zeit vor der eigentlichen Sanierung und sorgen im Projektteam für vernünftige Ar­beits­be­din­gun­gen. Eine sinnvolle Lösung entwickeln Sie mit folgendem Ablaufplan: Definieren Sie den Ther­a­pieansatz (Abbruch, Sta­bil­isierung, Sanierung), legen Sie geeignete Maßnahmen fest, berücksichtigen Sie deren Zusam­men­spiel und Neben­wirkun­gen und begutachten Sie realistisch die Kosten und die Um­set­zbarkeit. Vergessen Sie dabei nicht die im Projekt herrschende Dynamik.

„Die Wirk­lichkeit um das Projekt herum ist von wesentlicher Bedeutung und darf nicht vergessen werden.“

Um passende Lösungen für die aufgedeck­ten Prob­le­mur­sachen zu finden, setzen Sie auf Kreativität. Entwickeln Sie Maßnahmen immer im Team. Sind die ursprünglichen Pro­jek­t­mi­tar­beiter motiviert und kompetent, ist ein Workshop nützlich. Sprechen Sie die Ergebnisse mit dem Pro­jek­tleiter ab. Alternativ zum kreativen, intuitiven Vorgehen können Sie alle Vorschläge gezielt mit einer Matrix bewerten und die besten auswählen. Dabei verwenden Sie Variablen wie Aufwand und Teamstärke und deren Effekte aufeinander. Beachten Sie besonders die Auswirkun­gen hin­sichtlich Ziel­gerichteth­eit, Neben­wirkun­gen, Aufwand und Entwicklung über einen längeren Zeitraum. Wird gar keine Lösung gefunden, entwerfen Sie Szenarien, die zumindest die Symptome lindern. Wie das Ergebnis auch aussieht, präsentieren Sie den Entschei­dern Ihren Befund am besten anhand der er­fol­gskri­tis­chen Faktoren und behalten Sie weitere Details in der Hinterhand. Und nicht vergessen: Für die Umsetzung der Therapie benötigen Sie ein neues Mandat.

Schritt 4: Therapie durchführen

Eine Therapie ist so individuell wie das Projekt, auf das sie angewendet wird. Die zentrale Stellschraube sind die handelnden Personen, die Stakeholder. Eine ganzheitliche Therapie berücksichtigt die men­schlichen Bedürfnisse und bezieht die Psyche mit ein. Im Stress, der mit dem drohenden Scheitern des Projekts verbunden ist, wird zwar oft Ve­r­ant­wor­tung verweigert. Doch grundsätzlich ist es dem Menschen möglich, neue Hand­lungsalter­na­tiven zu entwerfen und eine passende zu wählen. Das zu erkennen bedeutet einzusehen, dass nicht die Umstände schuld sind, sondern wir selbst und unser Denken. Reaktives Verhalten zeigt sich in Sätzen wie „Das wurde schon immer so gemacht“, proaktives in Vorschlägen und Aktionen. Wie sieht die Situation Ihrer Stakeholder aus? Um sich ein schlüssiges Bild zu machen, müssen Sie die Stakeholder zuallererst iden­ti­fizieren. Als Nächstes erfassen Sie ihre Bedürfnisse (z. B. strate­gis­che Ziele), analysieren ihren Einfluss und bewerten ihre Motivation. Un­ter­schiedliche In­ter­essen­la­gen von Beteiligten sind Störfaktoren, die Sie vor der Therapie beseitigen müssen. Damit das kranke Projekt noch zu einem be­friedi­gen­den Ergebnis geführt werden kann, müssen außerdem die Er­fol­gskri­te­rien neu definiert und von allen Schlüsselfiguren abgesegnet werden; andernfalls sind die Heilungschan­cen gleich null. Ein weiterer Schlüsselfaktor der Therapie ist die richtige Kom­mu­nika­tion. Wie können Sie die Kom­mu­nika­tion­skul­tur verbessern? Menschen haben un­ter­schiedliche Lernstile und bevorzugen ver­schiedene In­for­ma­tion­skanäle. Am meisten Erfolg haben Sie, wenn Sie einen Menschen in der Art und Weise ansprechen, die seinem Persönlichkeit­styp entspricht.

„Therapie ist immer auch Arbeit an der Psyche.“

Trotz all dieser weichen Faktoren, die eine Therapie umfasst, benötigen Sie einen Plan. Dieser beschreibt detailliert das neu definierte Projektziel sowie alle Phasen und die einzelnen Ar­beitspakete. Der Plan des Ret­tung­spro­jekts beinhaltet alle offenen Aufgaben aus dem Krisen­pro­jekt sowie ther­a­peutis­che und unterstützende Maßnahmen. Planen Sie den Zeitrahmen realistisch anhand des geschätzten Aufwands und beziehen Sie die beteiligten Personen ein. Vermeiden Sie bei der Auf­gaben­verteilung Mul­ti­task­ing: Überforderung und andauernde Arbeitsüberlastung führen zu Leis­tungsab­fall. Um Reserven zu planen, skizzieren Sie zuerst ein Schlechtwet­ter-Szenario. Stellen Sie diesem dann ein normales Szenario gegenüber. Definieren Sie für jedes Ar­beitspaket ein Ziel, das ide­al­er­weise am Ende einer Ar­beitswoche erreicht wird, um die nötige Kontrolle über den Pro­jek­tver­lauf zu haben. Ihre Planung ist immer hy­po­thetisch – schließlich möchten Sie den Mi­tar­beit­ern Optionen zur Gestaltung geben und müssen sich jeweils der aktuellen Situation anpassen. Während der Therapie prüfen Sie die durchgeführten Maßnahmen laufend und überarbeiten Sie sie bei Bedarf. Um den Pro­jek­tver­lauf zu beurteilen, genügen in der Regel fünf bis zehn Indikatoren, z. B. Aufwand, Kun­den­zufrieden­heit und Termintreue. Der Abgleich von Soll- und Ist-Zustand der Ar­beitspakete am Ende der Woche sichert nicht nur die weitere Planung, sondern erlaubt auch eine Einschätzung der Produktivität.

„Gehen Sie davon aus, dass Sie falsch verstanden werden, dann liegen Sie in den meisten Fällen wohl mit dieser Annahme richtig.“

Zu guter Letzt: Künftige Krisen lassen sich nur durch kollektives Lernen vermeiden. Als Mittel der Wahl hat sich die ausführliche Ergeb­nis­doku­men­ta­tion inkl. „lessons learned“ bewährt. Langfristige Prävention erfordert darüber hinaus eine Verankerung des neuen Wissens im gesamten Unternehmen und einen rechtzeit­i­gen Einsatz des Krisen­man­age­ments.

Über die Autoren

Werner List und Roger Voight sind pro­fes­sionelle Pro­jek­t­man­ager mit langjähriger Erfahrung. Ihr Schwerpunkt liegt auf Beratung und Training im Pro­jek­t­man­age­ment von Unternehmen.