King of Oil

Buch King of Oil

Marc Rich – Vom mächtigsten Rohstoffhändler der Welt zum Gejagten der USA

Orell Füssli,


Rezension

Ein grandioser Wirtschaft­skrimi, der fast schon zu perfekt konstruiert erscheint, als dass er wahr sein könnte. Und doch, die Geschichte von Marc Rich, dem um­strit­te­nen Rohstoffhändler, Steigbügelhalter für die eine oder andere politische Karriere und Staatsfeind der USA, ist nicht erfunden. Man kann beim Lesen nur erahnen, wie viel Recherc­hear­beit in der Biografie steckt, zumal es um eine Branche geht, die so ver­schwiegen ist wie ihr Protagonist Marc Rich selbst. Jahrelang gab es nicht einmal ein Foto von ihm, geschweige denn ein Interview. Zu Recht erhielt Autor Daniel Ammann deshalb den Holtzbrinck-Preis, auch wenn er bisweilen etwas zu sehr in den Bann seiner Hauptfigur geraten sein mag. Spannend zu lesen – und an vielen Stellen auch erhellend – ist das Buch auf jeden Fall. BooksInShort empfiehlt es allen, die mehr über Marc Rich, den Rohstoffhan­del oder über die Ver­flech­tun­gen von Wirtschaft und Politik erfahren möchten.

Take-aways

  • Marc Rich ist einer der ein­flussre­ich­sten und um­strit­ten­sten Wirtschaftsführer, ein mil­liar­den­schw­erer Rohstoffhändler, der oft an der Grenze zur Legalität operierte.
  • Als belgisch-jüdischer Kriegsflüchtling gelangte der sechsjährige Marcell Reich 1941 in die USA.
  • Nachdem er ein Dutzend Schulen besucht hatte, landete Marc Rich – so sein amerikanisierter Name – beim Rohstoffhändler Philipp Brothers.
  • Rich lernte das Geschäft von der Pike auf. Nach einem Streit machte er sich selbstständig.
  • Er erfand sozusagen den Rohölhandel. Sein Netzwerk ließ ihn Geschäfte in aller Welt machen, u. a. in Angola, Kuba, Südafrika, Israel und im Iran.
  • Weil Rich trotz US-Embargo mit dem Iran handelte, wurde er angeklagt.
  • 1983 setzte er sich mit seiner Familie in die Schweiz ab.
  • Der Streit eskalierte und wurde zum Politikum. Ein peinlicher Entführungsplan durch US-Mar­shalls flog auf.
  • Ganze 17 Jahre verbrachte Rich auf der Flucht vor der US-Justiz.
  • Am letzten Amtstag von US-Präsident Clinton wurde Rich begnadigt. Clinton seinerseits geriet dafür ins Zwielicht.
 

Zusammenfassung

Milliardär und Staatsfeind der USA

Zwischen dem Status eines Milliardärs und dem eines weltweit gesuchten Steuerflüchtlings verläuft nur ein schmaler Grat. Marc Rich hatte ihn im Jahr 1983 überschrit­ten, praktisch von einem Tag auf den anderen. Der zu diesem Zeitpunkt bekannteste und er­fol­gre­ich­ste Rohstoffhändler der Welt musste sich aus den USA in die Schweiz absetzen, um einer breit angelegten US-Klage zu entgehen. Gleich 51 Delikte waren es, die Staat­san­walt Rudolph Giuliani dem damals 48-Jährigen anlastete, darunter Steuer­hin­terziehung, or­gan­isierte Kriminalität und Verschwörung. Der wohl schw­er­wiegend­ste Vorwurf, Handel mit dem Feind, stig­ma­tisierte Rich in den USA für fast zwei Jahrzehnte; er avancierte zu einem der meist­ge­has­sten Flüchtigen. Dies sollte sich erst am 20. Januar 2001 ändern, dem letzten Amtstag von US-Präsident Bill Clinton. An diesem Tag wurde Rich von Clinton begnadigt.

Harte Schule

Kurz nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Nachbarländer musste der damals fünfjährige Marcell David Reich mit seiner jüdischen Familie aus Belgien fliehen. Obwohl sie weder Geld hatten noch Englisch sprachen, gelangten die Reichs auf Umwegen und mit viel Glück 1941 in die USA. Dort aber war die Odyssee alles andere als zu Ende. Der junge Marcell besuchte zwölf ver­schiedene Schulen in zwölf Jahren. Er war und blieb ein Außenseiter. Der nächste Krieg sollte die Em­i­granten­fam­i­lie nicht weniger stark prägen, dieses Mal jedoch im positiven Sinn: Die US-Armee benötigte im Koreakrieg Unmengen an Jute, und die Firma des Vaters avancierte zu einem der Hauptliefer­an­ten. Marc Rich, so der amerikanisierte Name des jungen Marcell, arbeitete vor und nach der Schule mit und lernte schon bald die wichtigste Händler­lek­tion von Angebot und Nachfrage – und natürlich, dass Krisen und Kriege die besten Geschäfts­gele­gen­heiten bieten. Nach einem abge­broch­enen Studium landete der 18-Jährige bei Philipp Brothers, dem seinerzeit weltweit be­deu­tend­sten Rohstoffhändler.

Amerikanis­cher Traum

Er begann im Postbüro und musste Textnachrichten sortieren – ohne abgeschlossenes Studium blieb ihm die unterste Stufe nicht erspart. Langsam, aber sicher kam Rich voran. Im Auftrag seines Ar­beit­ge­bers hatte er Met­all­trans­porte zu or­gan­isieren: Er war ve­r­ant­wortlich für den Ver­sicherungss­chutz, die Zahlung mit Akkred­i­tiven (bedingten Zahlungsver­sprechen) und dergleichen mehr. So lernte Rich das Einmaleins des Rohstoffhan­dels von der Pike auf. Sein Chef delegierte mehr und mehr an den wiss­be­gieri­gen Marc, der zu seinem Assistenten und Vertrauten heranwuchs. Nachdem es ihm in quasi geheimer Mission gelang, auf Kuba blockierte Philipp-Broth­ers-Gelder wieder lock­erzu­machen, galt Rich definitiv als auf­steigen­der Stern der Firma. Die 60er Jahre wurden zum goldenen Jahrzehnt für Rohstoffhändler, und Rich mischte jetzt kräftig mit. Dabei war der wohl wichtigste Rohstoff der Welt noch nicht einmal als solcher entdeckt: Die Erdölrevolution stand erst noch bevor. Marc Rich sollte zu ihrem Pro­tag­o­nis­ten werden.

Der Aufstieg

Noch Ende der 60er Jahre wurde Erdöl nicht frei gehandelt. Stattdessen bestanden langfristige Ab­nah­mev­erträge zwischen Produzenten und Käufern. Die mo­nop­o­lis­tis­chen Ölkonzerne lieferten praktisch von der Quelle direkt zum Zapfhahn an der Tankstelle. Marc Rich wurde klar, dass einerseits das Timing und an­der­er­seits gute Kontakte die Zutaten waren, um zwei Han­delspart­ner zusam­men­zubrin­gen – selbst so gegensätzliche wie den Iran und Israel, die sich schon damals spinnefeind waren. Der persische Schah gehörte zu Richs besten Partnern: Der Iran förderte Öl, pumpte es durch eine Pipeline nach Israel, und von dort wurde es weit­er­verkauft. Alles höchst inoffiziell natürlich.

Die Ölbranche wird neu erfunden

Marc Rich und sein Team waren bald die Goldesel der Firma. Doch es kam zum Bruch, als es um die Frage der Entlohnung ging. Rich zögerte nicht lange und stieg aus. Seine wichtigsten Partner folgten ihm und bildeten das Kernteam der neuen Firma, der Marc Rich & Company AG, gegründet 1974 im schweiz­erischen Zug. Schon im ersten Geschäftsjahr kam die Firma auf 1 Milliarde Dollar Umsatz und 28 Millionen Dollar Gewinn. Zwei Jahre später waren es bereits 200 Millionen. Marc Rich erfand quasi den Spotmarkt für Rohöl und ebenso den Tanker­han­del – beides krempelte die Branche komplett um und führte zu einem enormen Produktivitätsschub.

„,Marc Rich‘ steht heute für den Handel mit so ziemlich jedem Feind der USA.“

Richs wichtigste Vorteile waren seine Kontakte und seine Vertrauenswürdigkeit. Selbst nach dem Sturz des Schahs 1979 ließ das iranische Khome­ini-Regime die Lieferverträge bestehen. Dass Israel, Richs wichtigster Kunde, aus­gerech­net mit Erdöl aus dem fun­da­men­tal­is­tis­chen Iran versorgt wurde, war dort lange Zeit ein Staats­ge­heim­nis. Auch der Ölhandel mit Angola, Südafrika, Kuba und diversen anderen Ländern, die nicht zu den Musterkn­aben in Sachen Demokratie und Men­schen­rechte gehörten, wurde nicht an die große Glocke gehängt.

Auf der Flucht

Nach dem Geiseldrama von 1979 in Teheran belegte die USA den Iran mit einem kompletten Embargo. Richs Handel mit dem Mul­lahregime war plötzlich sehr gefährlich. Das FBI nahm die Geschäfte der New Yorker Nieder­las­sung der Marc Rich Company genauer unter die Lupe, nachdem es Hinweise von texanischen Ölhändlern bekommen hatte. Was als ver­gle­ich­sweise harmlose Steuerun­ter­suchung ihren Anfang nahm, eskalierte schon bald. Marc Rich ließ hochbezahlte Anwälte in den Büros der New Yorker Staat­san­waltschaft auflaufen, doch selbst ein Ver­gle­ich­sange­bot über die damals stattliche Summe von 100 Millionen Dollar wurde mit dem Hinweis auf drohende 25 Jahre Gefängnis brüsk abgeschmettert. So setzte sich Marc Rich Mitte 1983 mit seiner Familie Hals über Kopf in die Schweiz ab, wo ohnehin der Hauptsitz seiner Firma war.

Giuliani greift ein

Das letzte Band wurde zer­schnit­ten, als der politisch am­bi­tion­ierte Rudolph Giuliani zum Bun­desstaat­san­walt des Southern District von New York berufen wurde. Der spätere Bürgermeister von New York ließ keinen Zweifel an seinem Ziel: einen mil­lio­nen­schw­eren Steuerbetrüger, der noch dazu während der trau­ma­tis­chen Geiselkrise Handel mit dem Feind betrieben hatte, hinter Schloss und Riegel zu bringen. Dies sollte Giulianis politische Steigleiter werden.

„Diskretion ist in diesem Geschäft – das oft genug Kunden zusam­men­bringt, die offiziell nichts miteinander zu tun haben wollen – eine der wichtigsten Vo­raus­set­zun­gen für Erfolg.“

Richs Firma wurde aufge­fordert, sämtliche Geschäfts­doku­mente an die USA auszuhändigen. Ein US-Richter verhängte eine Beugebuße von 50 000 $ – pro Tag. Der Fall Rich wurde damit endgültig auch zum Politikum: Die Schweizer Regierung sah sich zum Ein­schre­iten gezwungen. Kein einziges Dokument einer Schweizer Firma, teilte sie mit, werde einem US-amerikanis­chen Staat­san­walt ausgehändigt. Giuliani lud daraufhin zu einer Pressekon­ferenz und machte den Fall öffentlich. Es wurde ein his­torisches Spektakel, auf dessen Höhepunkt Marc Rich als „größter Steuerbetrüger aller Zeiten“ und Staatsfeind der USA dargestellt wurde. Als hätte das nicht schon gereicht, wandte Giuliani auch noch das Gesetz gegen or­gan­isierte Kriminalität auf den Fall an, um sämtliche Vermögenswerte in den USA zu blockieren – das Todesurteil für die Firma. Marc Rich ka­pit­ulierte Ende 1984, bekannte sich der Steuer­hin­terziehung schuldig und zahlte alles in allem über 200 Millionen Dollar als Vergleich, um die Firma wenigstens operabel halten zu können.

Unfrei frei

Doch war auch das noch nicht genug Buße, jedenfalls nicht für Giuliani. Er sah noch eine schmer­zliche Gefängnisstrafe vor. So blieb Rich für die nächsten 17 Jahre ein Flüchtiger, der keinen Fuß auf amerikanis­chen Boden setzen konnte. Nicht einmal, als seine Tochter infolge eines Kreb­slei­dens 1996 in Seattle im Sterben lag. Unklar ist, weshalb sich die US-Behörden nicht mit einem Recht­shil­fege­such an die Schweiz wandten, um Marc Richs habhaft zu werden. Stattdessen ließen sie den Fall offenbar wohlka­lkuliert eskalieren. Auch stellten die USA nie ein Aus­liefer­ungs­ge­such an Israel oder Spanien, wo er Staatsbürger war und sich häufig aufhielt. Dafür versuchten sie ihn im Zuge einer geheimen – und illegalen – Aktion aus der Schweiz zu entführen. Der Plan flog auf, höchst­wahrschein­lich wegen eines Hinweises aus Richs Netzwerk. Zahlreiche Ver­mit­tlungs­ge­suche an die US-Behörden wurden im Lauf der Jahre wieder und wieder abgeblockt.

„Die größten Rohstof­fvorkom­men finden sich vor allem in Ländern, die nicht gerade zu den Fackelträgern der Demokratie und der Men­schen­rechte gehören.“

Welchen Einfluss selbst ein flüchtiger Marc Rich aufgrund seiner weitre­ichen­den Kontakte hatte, lässt sich daran ablesen, dass er es war, den man 1989 als Vermittler zwischen Ägypten und Israel ein­schal­tete, als nach einem Ter­ro­ran­schlag mühsam über Schmerzens­gelder verhandelt wurde. Dank Rich bewahrten alle Beteiligten ihr Gesicht, und selbst das US-Außen­min­is­terium störte sich ominöserweise nicht an der Rolle, die ein in­ter­na­tional gesuchter Flüchtiger dabei spielte.

Auf dem ab­steigen­den Ast

Privat wie beruflich ging es Marc Rich in der Folgezeit allerdings nicht sehr gut. Er war nach wie vor auf der Flucht, seine Ehe zerbrach und seine Tage als Allein­herrscher der Firma waren nach einem haarsträubenden Harakirigeschäft gezählt. Mehrere Se­nior­part­ner re­bel­lierten und drängten Rich aus seiner eigenen Firma, die neu den Namen Glencore erhielt – heute das umsatzstärkste Unternehmen der Schweiz. Rich hatte selbst nach diesem Debakel noch mehrere Hundert Millionen. Ein halb­herziger Neuanfang mit einer weiteren Han­dels­firma endete in einem neuerlichen Ausstieg im Jahr 2002. Rich wandelte sich zu einem Phil­an­thropen, der drei wohltätige Stiftungen gründete und in einem Zeitraum von drei Jahrzehnten rund 150 Millionen Dollar spendete – ein Argument, das schließlich bei seiner Begnadigung eine nicht un­wesentliche Rolle gespielt haben dürfte.

Begnadigung mit Neben­wirkun­gen

Ein scheidender US-Präsident hat tra­di­tioneller­weise die Möglichkeit, an seinem letzten Amtstag Beg­nadi­gun­gen auszus­prechen. Das war der Hebel, an dem das Umfeld von Marc Rich ansetzen wollte. Das Beg­nadi­gungs­ge­such fuhr auf zwei Schienen, einer rein sachlichen und einer persönlichen. Bei letzterer wurde Clinton unter voller Umgehung des normalen Rechtswegs ange­sprochen. Dutzende von Briefen Prominenter waren beigefügt, um dem Gesuch Nachdruck zu verleihen. Die Frieden­sno­bel­preisträger und Ex-Min­is­terpräsidenten von Israel Shimon Peres und Ehud Barak machten sich für Marc Rich stark. Nicht zuletzt unterstützte Richs erste Ehefrau Denise, mit­tler­weile eine er­fol­gre­iche Song­wri­terin, die Anfrage.

„Die öffentliche Empörung führte dazu, dass die Begnadigung Richs so gut durch­leuchtet wurde wie noch nie eine Begnadigung in der Geschichte der USA.“

Und tatsächlich: Im Gegenzug für die Zusage, auf eine Verjährung für ein zivil­rechtliches Verfahren zu verzichten, begnadigte Präsident Bill Clinton am 20. Januar 2001 Marc Rich und seinen ehemaligen Partner Pincus Green. Damit aber löste er im eigenen Land einen Aufschrei der Empörung aus. Brisant war der Umstand, dass Denise Rich zu einer der größten Wahlkampf­spenderin­nen gehörte und auch sonst gute Kontakte zum Präsidenten zu haben schien – die Begnadigung geriet so bald in den Verdacht, erkauft worden zu sein.

„Die Begnadigung war für ihn zum Bumerang geworden. Sein Name, so hatte Rich gehofft, würde aus den Schlagzeilen ver­schwinden. Das Gegenteil war der Fall.“

Verdacht hin oder her, Clinton dürfte wohl auch von den zahlreichen sachlichen Argumenten geleitet worden sein, als er seine Entschei­dung zu fällen hatte. Marc Rich war damit wieder frei. Einen Fuß auf den Boden der Vereinigten Staaten mochte er dennoch nie wieder setzen, hatte er doch in den zurückliegenden Jahrzehnten den Eifer einiger US-Staat­sanwälte, die sich politisch zu profilieren suchten, aufs Bitterste kennen gelernt. So bleibt der ehemalige Staatsfeind auch heute seinen beiden Wahlhei­maten Schweiz und Spanien treu – inzwischen allerdings ohne die Befürchtung, in Cow­boy-Manier aus dem häuslichen Domizil gekidnappt und der Strafver­fol­gung zugeführt zu werden.

Über den Autor

Daniel Ammann ist in­ves­tiga­tiver Journalist. Er leitete die Wirtschaft­sres­sorts der Weltwoche und des Nachricht­en­magazins Facts. Sein Porträt von Marc Rich erhielt den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaft­spub­lizis­tik.