Staatsbankrott

Buch Staatsbankrott

Warum Länder pleitegehen – Wie es dazu kommt – Weshalb uns das was angeht

Orell Füssli,


Rezension

Einer, der gern mal auf den Putz haut: so kennt man Walter Wittmann. Diesmal erklärt er salopp und leicht verständlich, warum Staaten pleitegehen. Sein ne­olib­erales Mantra der Zer­schla­gung des Sozial­staats klingt zwar immer wieder an, aber zumindest im ersten Teil des Buches hält sich Wittmann damit vornehm zurück. Dort dreht sich alles um die Staats­bankrot­teure der Geschichte. Dieser Teil liest sich sehr flott, auch wenn man sich eine klarere Struktur und etwas weniger Redundanz gewünscht hätte. Was dann folgt, sind polemische Feldzüge gegen „freiwillig Arbeitslose“, „Schein­in­vali­den“ und „leistungsfähige Frührentner“, die den Wohlfahrtsstaat ausnutzen. Im hinteren Teil des Buches, bei den Sanierungsmaßnahmen, geht es dann dem Sozialstaat selbst an den Kragen. Wittmann schwärmt für den Or­dolib­er­al­is­mus der Nachkriegszeit. Wer dies ebenfalls tut oder sich einfach nur über die Hintergründe krisenbe­d­ingter Staat­spleiten informieren will, dem empfiehlt BooksInShort diese trotz des ernsten Themas vergnügliche Lektüre.

Take-aways

  • Die Staat­shil­fen im Zuge der Finanzkrise führten zu einer massiven Ver­schul­dung.
  • Der In­ter­na­tionale Währungsfonds ermunterte die Staaten dazu, auf Pump zu wirtschaften.
  • Gleicht man das Staats­de­fizit mit der Notenpresse aus, wird die Inflation angeheizt.
  • Wenn Staaten ihre laufenden Kosten durch Schulden im Ausland bestreiten, ist die Zahlungsunfähigkeit vor­pro­gram­miert.
  • Nach­fragean­reize durch den Staat dürfen nur während und nicht nach einer Krise zum Einsatz kommen.
  • Die Schulden eines Staates können auf ver­schiedene Weise begrenzt werden, z. B. durch ihre Kopplung an das Brut­toin­land­spro­dukt (BIP).
  • Im Jahr 2008 hatte Deutschland Schulden, die doppelt so hoch waren wie das BIP.
  • Sozialleis­tun­gen müssen selb­st­tra­gend sein und ohne staatliche Zuschüsse auskommen.
  • Krankenkassen sollten Bonus- und Malussys­teme einführen und einen Selb­st­be­halt verpflich­t­end machen.
  • Der Staat muss sich aus allen Bereichen, in denen der Markt effizienter ist, zurückziehen.
 

Zusammenfassung

Die Folgen der Finanzkrise von 2007

Als die Finanzkrise 2007 eskalierte, sahen sich Staaten überall auf der Welt in der Pflicht, helfend einzuschre­iten. Ein Staat kann aber nicht in un­be­gren­ztem Umfang die Suppe auslöffeln, die die Banken oder die private Wirtschaft eingebrockt haben. Denn auch Staaten können bankrottge­hen. Wie war es im Frühjahr 2007? Zuerst sprang die US-Noten­bank, anschließend auch die Europäische Zentralbank und die Bank of England für die Schulden ein, die die In­vest­ment­banken mit ihren „Schrottgeschäften“ gemacht hatten. 2008 mussten zusätzlich zu den Zen­tral­banken auch noch zahlreiche Staaten Garantien für Sparein­la­gen abgeben, um einen Zusam­men­bruch des Banken­sys­tems zu verhindern. Solche Garantien bedeuten im Ernstfall höhere Ver­schul­dung. Das Ganze wurde durch die Kon­junk­tur­pro­gramme verschärft, die zur Ankurbelung der Wirtschaft ab 2008 aufgelegt wurden. Die USA wendeten 8000 Milliarden Dollar auf, in Deutschland waren es immerhin 1890 Milliarden Euro.

„Der drohende Staats­bankrott hat pub­lizis­tisch Hochkon­junk­tur.“

Mit Island geriet im Oktober 2008 das erste Land an den Rand des Staats­bankrotts. Der In­ter­na­tionale Währungsfonds (IWF) sprang ein und machte eine Sanierung des öffentlichen Haushalts zur Bedingung seiner Fi­nanzhil­fen. Ungarn, der Ukraine und Lettland erging es ähnlich. Auch Irland, Italien und Griechen­land kämpften mit dem Gespenst des Staats­bankrotts. Sogar der IWF selbst musste sich in der Folge verschulden, um die Zahllast schultern zu können.

Kleine Geschichte des Staats­bankrotts

Dass Staaten bankrottge­hen können, ist keine moderne Erscheinung. Solange es Staaten gibt, droht ihnen immer auch der finanzielle Kollaps. Im antiken Griechen­land begann der Aufstieg des Münzwesens. Der Staat finanzierte sich durch indirekte Steuern, Zollabgaben und Marktgebühren. Wurden andere Völker vom griechis­chen Heer besiegt, mussten sie Tribut zahlen und fi­nanzierten damit den Staat. Wenn es dem Staat gut ging, erhöhte er die Gratisleis­tun­gen für Bürger. Wurden Kriege jedoch verloren und unterjochte Völker befreit, so blieben die Tribute aus und Griechen­land näherte sich der Pleite.

„Bankrotte sind nicht neu. Sie sind fast so alt wie die Menschheit.“

Ähnlich erging es den Römern: Unter Kaiser Hadrian überstiegen die Ausgaben des Staates die Einnahmen bei Weitem. Das einstige Imperium geriet in den Würgegriff der Inflation. Das Geld verlor an Wert und die Nat­u­ral­wirtschaft setzte sich wieder durch. Im Mittelalter verhinderte das kirchliche Zinsverbot ein flo­ri­eren­des Kreditwesen. Könige und Fürsten liehen sich Geld vor allem bei Investoren, die Kredite nicht gewerbsmäßig ausgaben, z. B. bei Ritterorden, Klöstern und Städten, die im Gegenzug besondere Privilegien in Anspruch nahmen.

„Von Adam Smith stammt die Regel, wonach der Staat sich nur für ‚rentable‘ In­vesti­tio­nen verschulden darf.“

Erst in der Neuzeit wurde die Nat­u­ral­wirtschaft wieder zurückgedrängt. Im 17. und 18. Jahrhundert dominierte der Merkan­til­is­mus die Wirtschaft­spoli­tik der ab­so­lutis­tis­chen Staaten. Öffentliche Ausgaben stiegen sprunghaft an; viele der staatlichen Ausgaben erfolgten auf Pump.

Der Lib­er­al­is­mus des 19. Jahrhun­derts wendete sich gegen die Ver­schwen­dungssucht des vergangenen Jahrhun­derts. Der Ökonom Adam Smith mahnte, dass sich der Staat nur dann verschulden dürfe, wenn er das geliehene Geld produktiv anlege, also die Zinsen jederzeit zurückzahlen und das Darlehen tilgen könne. Das war in den vorherigen Jahrhun­derten eher die Ausnahme gewesen.

„Eine strate­gis­che Rolle für Staats­bankrotte spielen regelmäßig Aus­landss­chulden.“

Der Erste Weltkrieg stellte das Deutsche Reich vor finanzielle Probleme: Die Fi­nanzierung der Kriegs­maschinerie über Anleihen bei Banken und Pri­vat­per­so­nen reichte nicht aus. Die Folgen nach Kriegsende: Überschul­dung, Erhöhung der Geldmenge und ga­lop­pierende Inflation. 1923 wurde mit der Währungsre­form die Notbremse gezogen. Russland erlebte im Februar 1918 den größten Staats­bankrott aller Zeiten. Auch nach dem Zweiten Weltkriegs sah es düster aus: Deutschland war 1948 pleite, und es blieb nur der Ausweg in eine erneute Währungsre­form. Bis in die 70er Jahre ging es dank Wirtschaftswach­s­tum wieder bergauf.

„Der alles do­minierende Wohlfahrtsstaat wurde nicht nach sozialen, sondern nach sozial­is­tis­chen Prinzipien gestaltet.“

Die Ölkrise führte in den 70ern und 80ern allerdings dazu, dass sich viele Staaten hoff­nungs­los ver­schulde­ten. In den 90er Jahren folgte eine Krise auf die andere: 1995 die Mexikokrise, 1998 die Asienkrise, die Rus­s­land­krise und die Brasilienkrise und in deren Folge 2001 die Krise Ar­gen­tiniens. 2007 kam es schließlich zu einer weltweiten Finanzkrise, die durch faule Im­mo­bilienkred­ite ausgelöst wurde.

Gründe für den Staats­bankrott

Einige der wichtigsten Ursachen für einen Staats­bankrott sind:

  • Kriege: Hier galt und gilt die Regel „The winner takes it all“. Wer einen Krieg gewinnt, profitiert gleich in mehrfacher Hinsicht. Kommt es nach dem Sieg zu einem Aufschwung der Wirtschaft, ver­schwinden die Schulden sozusagen von selbst. Gemessen am Brut­toin­land­spro­dukt bleibt die Schulden­quote moderat. Übel sieht es dagegen für den Staat aus, der den Krieg verliert. Repa­ra­tionszahlun­gen belasten die Staatskasse. Wieder­auf­bau und Sozialaus­gaben wachsen exorbitant. Wie soll ein Staat all diese Kosten bezahlen, wenn er ohnehin fast pleite ist? Meist greift er zur Notenpresse und bringt neues Geld in Umlauf, was dazu führt, dass das vorhandene Geld immer weniger wert hat. Das letzte Mittel ist dann meist die Währungsre­form. Sofern unter der Bevölkerung der Optimismus herrscht, dass mit der neuen Währung auch wirtschaftlicher Wohlstand entsteht, kann daraus tatsächlich eine Sanierung der kriegsgeschädigten Wirtschaft folgen – so geschah es in Deutschland 1948.
  • Aus­landss­chulden: Staaten, die auf dem heimischen Kreditmarkt kein Geld mehr leihen können, wenden sich oft an Banken im Ausland. Die entsprechen­den Kredite werden meist in einer fremden Währung aufgenommen und sind aufgrund der eigenen niedrigen Bonität mit hohen Zinsen verbunden. Sofern solche Kredite nur für In­vesti­tio­nen gebraucht werden, ist diese Möglichkeit der Geldbeschaf­fung durchaus in Ordnung. Wenn Staaten jedoch ihre laufenden Ausgaben mithilfe ausländischer Kredite finanzieren, wird daraus ein Fass ohne Boden.
  • Wirtschaft­skrisen: Sie sind meist die Ein­gangsp­forte zu einer kreditgestützten Wirtschaft. Der Ökonom John Maynard Keynes machte nach der Weltwirtschaft­skrise von 1929 das Prinzip des „Deficit-Spend­ing“ populär: Die fehlende private Nachfrage wird durch den Staat aus­geglichen, indem er Schulden macht und die Staat­saus­gaben erhöht. Diesem Rezept folgten der New Deal in den USA und eine entsprechende Fi­nanzpoli­tik in fast allen westlichen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg. Prob­lema­tisch wird eine solche Kred­itwirtschaft, wenn sie noch beibehalten wird, obwohl die eigentliche Krise längst überwunden ist.
  • Auswüchse des Wohlfahrtsstaates: Die ursprüngliche Konzeption des Sozial­staates war das Subsidiaritätsprinzip: Der Staat greift Menschen unter die Arme, die am Ex­is­tenzmin­i­mum leben. Doch inzwischen scheint der Wohlfahrtsstaat zum Selb­st­be­di­enungsladen für Leute geworden zu sein, die „freiwillig arbeitslos“ sind. In­di­vidu­elles Handeln wird gegenwärtig in vielen Staaten behindert und das freie Spiel der Marktkräfte in ein enges Korsett aus bürokratis­chen Regeln gezwängt. Der Wohlfahrtsstaat schmeißt mit dem Geld geradezu um sich und man kann dabei zusehen, wie die Ansprüche täglich wachsen. Die Sozialleis­tun­gen und die mit politischem Kalkül gemachten Ver­sprechun­gen sind aber nicht durch­fi­nanziert. Steuererhöhungen lassen sich nur schwer durchsetzen, sodass der Staat seine vielfältigen Wohltaten wieder per Kredit finanzieren muss. Die Gefahr einer Pleite steigt.

Die Grenzen der Staatsver­schul­dung

Etliche Faktoren helfen, die Staatsver­schul­dung zu begrenzen. Da wäre zunächst eine unabhängige Zentralbank, die ihre Rolle als Hüterin der Währung ernst nimmt. Ver­fas­sungsrechtliche Grenzen sind das Verbot von Staats­de­fiziten und der Zwang zur begründeten Mit­telzuweisung, falls der Staat sich verschulden will. Frühindika­toren helfen dabei, den Status quo auf seine Gefährlichkeit hin zu beurteilen. Steigen die Schulden nach einer über­stande­nen Rezession weiter an, sollten die Alar­m­glocken schrillen und die Ausgaben knallhart überprüft werden.

„Es ist un­verzicht­bar, dass alle Sozialver­sicherun­gen von den Zuschüssen aus den öffentlichen Haushalten gänzlich abgekoppelt werden – sie müssen sich selbst finanzieren.“

Moderne Staaten handeln sit­u­a­tions­be­zo­gen, richten ihre Politik also am gegenwärtigen Zustand des Gemein­we­sens aus. Sit­u­a­tions­be­d­ingt richtig handeln Staaten, wenn sie in der Rezession ein Defizit aufbauen und dieses in der Boomphase wieder ausgleichen. Ist der Kon­junk­turzyk­lus abgeschlossen, sollte die Net­tover­schul­dung bei null liegen.

„Das Gesund­heitswe­sen strotzt geradezu von Fehlanreizen an alle Beteiligten.“

Die Schulden können außerdem in Relation zum Brut­toin­land­spro­dukt (BIP) begrenzt werden – denn dieses muss ja für die Tilgung und die Zinsen herange­zo­gen werden. Die Schulden­quote wird dann im Grunde durch das Wirtschaftswach­s­tum eingeschränkt. Allerdings gibt es keine allgemeingültige Schulden­quote im Verhältnis zum BIP. In der Europäischen Union liegt die durch­schnit­tliche Vorgabe bei 60 % Schulden und 3 % Defizit im Verhältnis zum BIP.

Die reale Schulden­quote

Die wirkliche Schuld eines Staates setzt sie sich aus den drei Komponenten Staatsver­schul­dung, Schulden privater Unternehmen und Schulden der privaten Haushalte zusammen. Im Jahr 2008 führte Japan die Schulden­hitliste mit 397 % vom BIP an. Davon waren 173 % Staatss­chulden, 149 % Un­ternehmenss­chulden und 75 % Kon­sumenten­schulden. Auf den Plätzen zwei bis sechs waren: Großbritannien (256 %), Frankreich (223 %), Italien (220 %), die USA (219 %) und schließlich Deutschland (190 %). Hinzu kommt eine weitere verdeckte „Quasi-Staatsver­schul­dung“ für die Zahlungszusagen aus der Sozialver­sicherung.

Sanierung über die soziale Mark­twirtschaft

Eine Möglichkeit, die maroden Staats­fi­nanzen zu sanieren, ist die Abwendung vom Wohlfahrtsstaat und die Hinwendung zur echten sozialen Mark­twirtschaft. Eine wirkungsvolle Mark­twirtschaft mit sozialen Zusatzregelun­gen muss gar nicht erfunden werden: Sie wurde bereits von den Or­dolib­eralen im Nachkriegs­deutsch­land entwickelt. Nur konsequent umgesetzt hat man das Prinzip nie. Die Eckpfeiler:

  • Abkopplung der Sozialleis­tun­gen von Zuschüssen der öffentlichen Hand: Die Sozialver­sicherung darf nicht länger vom Staat bezuschusst werden, sondern muss sich selbst tragen. Dadurch würden die ständigen Forderungen nach mehr staatlicher Hilfe zurückgedrängt, weil jeder Empfänger auch zur Fi­nanzierung der Sozialver­sicherung beitrüge.
  • Fehlanreize im Gesund­heitssys­tem abbauen: Viele Patienten zahlen nur einen Bruchteil dessen, was sie an Kosten verursachen. Wer sich nicht selbst privat absichert, kann keine über dem Standard liegende Versorgung erwarten. Krankenkassen sollten Bonus- und Malussys­teme einführen und einen Selb­st­be­halt verpflich­t­end machen. Damit würden „Bagatel­lkranke“ in ihre Schranken gewiesen und eine wirkungsvolle Nach­frages­teuerung etabliert.
  • Pri­vatisierung: Der Staat muss sich aus allen Auf­gaben­feldern, in denen der Markt effizienter ist, zurückziehen. Sub­ven­tio­nen müssen abgebaut und das Steuer­sys­tem muss reformiert werden.

Über den Autor

Walter Wittmann ist emer­i­tierter Wirtschaft­spro­fes­sor der Universität Fribourg. Einer breiteren Öffentlichkeit ist er durch ver­schiedene Me­di­en­auftritte bekannt.