Gewonnen wird mit dem Kopf
Im Spitzensport, wo tendenziell alle gleich gut sind, entscheidet mehr und mehr die mentale Stärke über Sieg oder Niederlage. Immer mehr Athleten, Trainer und Vereine setzen daher auf die angewandte Sportpsychologie, um im entscheidenden Moment die optimale Leistung abrufen zu können. Körperliches Training allein reicht nicht aus für eine Medaille, aber sie rückt in greifbare Nähe, wenn die Psyche mitspielt. Und umgekehrt kann mentale Schwäche alle anderen Fähigkeiten lahmlegen.
„Talent ist nur Voraussetzung, nicht Bedingung für den sportlichen Erfolg. Den Unterschied im Wettkampf macht die mentale Stärke aus.“
Es gibt im mentalen Bereich einiges, was Ihr Selbstvertrauen und Ihr Leistungsvermögen beeinträchtigen kann. Negative Glaubenssätze gehören dazu, Misserfolge, die schlecht verarbeitet werden, und so genannte innere Störenfriede, die Sie ausbremsen. Wenn in Ihnen z. B. ein Imagejäger steckt, der eine Sportart nur des Ansehens wegen betreibt, bringen Sie schon nach kurzer Zeit keine Motivation mehr auf. Der Karriereblinde versäumt es, für die Zeit nach der Sportkarriere zu sorgen, und verfällt dann in Panik, wenn er über seine Zukunft nachdenkt. Der Möchtegernstar aalt sich im Blitzlichtgewitter und zerbricht an der ersten Kritik. Das Opfer macht alles und jeden für seine Fehler und Schwächen verantwortlich und verliert bald das Vertrauen in die eigene Kontrollfähigkeit. Der Perfektionist in Ihnen ist verantwortlich für übermäßigen Druck und in der Folge für jede Menge Frust.
An sich glauben, dann geht alles wie von selbst
Störenfriede lauern aber auch draußen: etwa in Form von überambitionierten Eltern oder erfolgsbesessenen Trainern. Hier hilft nur ein klärendes Gespräch. Anschließend arbeiten Sie an Ihrem Selbstvertrauen. Sie brauchen die innere Überzeugung, selbst etwas bewirken zu können und alle nötigen Voraussetzungen und Fähigkeiten zu besitzen, um eine bestimmte Herausforderung erfolgreich zu meistern. Die gute Nachricht: Mentale Stärke können Sie lernen und trainieren, Sie müssen aber regelmäßig üben.
„Die Meinung über sich selbst ist wichtiger als tatsächlich vorhandene Fähigkeiten.“
Wenn alles rund läuft, spricht man vom Flow. Der Sportler wird eins mit seinem Tun und seiner Umgebung, alles geht wie von selbst. Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi hat untersucht, was den Flow ausmacht. Unter anderem gehört dazu, dass man automatisch weiß, was man zu tun hat. Stress empfindet man in dem Moment als Herausforderung, man kann sich ohne große Anstrengung konzentrieren, hat nur das Ziel vor Augen, vergisst die Zeit und geht vollkommen in seiner Aktivität auf.
Die richtigen Emotionen wecken
Gefühle wie Ärger, Trauer, Freude oder Überraschung beeinflussen die Leistung. Aus der Bewertung dieser Emotionen entstehen Stimmungen – z. B. Zufriedenheit, Stolz, Zuversicht, Erschöpfung –, die sich steuern lassen. Stimmungen können Sie auch bewusst erzeugen und sich damit entweder anregen oder beruhigen. Laufen, schnell atmen, sich unter Zeitdruck bringen oder auf dem Wettkampfgelände einer Siegerehrung beiwohnen – das alles aktiviert, wohingegen entspannende Musik, Sich-Zeit-Lassen oder eine Erkundung des Wettkampfgeländes beruhigend wirken.
„Mentale Stärke erfordert ein ständiges Dranbleiben.“
Gerade vor dem Start sind Emotionen wichtig. Athleten lernen, wie sie jederzeit die für sie optimalen Gefühle abrufen können. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Trainer. Je nachdem wie er auf seinen Sportler zugeht, ob er ihn z. B. anspornt oder zum Nachdenken anregt, löst er bestimmte Gefühle aus. Während des Wettkampfs verbessern Stimmungen die Leistungsfähigkeit maßgeblich: Freude, Selbstvertrauen, Gelassenheit, Zuversicht und Siegeswillen gehören zu dieser Optimierungsmixtur.
„Im Beruf sind diejenigen Personen mental stark, die in der Lage sind, das Denken und Wahrnehmen so zu steuern, dass sie ihre Aufgaben auf Dauer wirkungsvoll bewältigen können.“
In sieben Schritten mental topfit
- Zunächst geht es darum, Potenzial und Leistung einander gegenüberzustellen. Wenn die Leistung im Wettkampf deutlich dem Potenzial des Sportlers hinterherhinkt, braucht er Techniken, mit denen er seine mentalen Prozesse besser in den Griff bekommt. Vielleicht gehören Sie auch zu den „Trainingsweltmeistern“, jenen Athleten, die im Training kaum zu schlagen sind, sich aber dann im Wettkampf von Nervosität, mangelndem Selbstvertrauen, Stress oder äußeren Einflüssen aus dem Konzept bringen lassen. Analysieren Sie das mit Ihrem Trainier und legen Sie Techniken fest, wie Sie Ihr mentales Ziel erreichen können.
- Als Nächstes setzen Sie die richtigen Ziele. Sie müssen wissen, was Sie wollen: eine Olympiamedaille oder einfach eine mentale Stärkung. Ersteres erfordert Zwischenziele, perfekte Planung und eine langfristige Ausrichtung, Letzteres ist weniger komplex, weil Sie nur die Methoden erlernen und anwenden müssen. Passend für jedes Ziel, ob Handlungs-, Verhaltens-, Ergebnis- oder mentales Ziel ist das SMART-Modell. Ihm zufolge müssen Ihre Ziele spezifisch, messbar, anpassbar, realistisch und terminiert sein.
- Jetzt bauen Sie mentale Stärke auf. Die bewährtesten Techniken hierfür sind:
- Visualisieren: Sie üben bestimmte Bewegungsabläufe im Kopf, um sie so weit zu perfektionieren, dass sie zuverlässig abgerufen werden können. Bei Trainings- oder Verletzungspausen oder wenn Sie übertrainiert sind, kann so das Leistungsniveau erhalten werden. Visualisieren ist immer dann das Mittel der Wahl, wenn Bewegungsabläufe möglichst perfekt ausgeführt werden sollen, z. B. beim Kunstturnen, beim Schießen oder beim Eiskunstlauf. Beschreiben Sie einen Bewegungsablauf in allen Details und stellen Sie ihn sich dann im entspannten Zustand vor. Ebenso können Sie einen Parcours im Kopf durchgehen oder aber den Erfolg visualisieren, der dann zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird.
- Denken: Wie Sie sich fühlen, hängt entscheidend davon ab, was Sie denken. Je nachdem, wie Sie eine Situation wahrnehmen und bewerten, ist sie positiv oder negativ. Profisportler haben ein Gedankenset parat, das sie jederzeit motivierend unterstützt. Kommen negative Gedanken auf, packen Sie sie vorübergehend in eine imaginäre Box, sonst stören sie während des Wettkampfs Ihre Konzentration. Lenken Sie dafür mit positiven Affirmationen („Ich weiß, ich kann das!“) Ihr Denken, Fühlen und Handeln in Richtung Erfolg.
- Atmen: Sie können Ihre Atmung einsetzen, um Ihren Erregungszustand zu steuern. Ihre Selbstkontroll- und Ihre Handlungskompetenz lassen sich dadurch optimieren. Die Atmung kann Sie sowohl beruhigen, wenn Sie im Wettkampf sehr nervös sind, wie auch mit frischer Energie aktivieren, wenn die nötige Spannung nachlässt.
- Regeneration: Sie können nicht immer Vollgas geben. Wenn Sie Verletzungen und Leistungsrückgang vermeiden wollen, ist Erholung ein Muss. Das gilt auch für den Hobbysportler. Ihr Körper sendet Signale – z. B. Schlafprobleme, Gewichtsschwankungen, Immunschwäche, Gereiztheit oder Angst –, die auf Erholungsbedarf hindeuten. Spätestens dann wird es Zeit für körperliche und geistige Regeneration. Diese kann in Form von autogenem Training, ausreichendem Schlaf, gesunder Ernährung, Yoga, Musikhören oder Spazierengehen stattfinden.
- Bevor es ernst wird im Wettkampf, müssen Sie trainieren und sich vorbereiten. Wichtig ist es, wettkampfähnliche Bedingungen zu schaffen, damit Sie den Ernstfall realitätsnah üben können. Jetzt ist der richtige Moment, um zu lernen, wie Sie mit erschwerten Bedingungen umgehen. Vorbereitete „Wenn-dann-Strategien“ lassen Sie im Wettkampf cool und flexibel auf Störfaktoren reagieren. Zur spezifischen Wettkampfplanung machen Sie sich eine Checkliste. Darauf halten Sie alles fest: die Anreise, das Organisatorische am Wettkampftag und was sonst noch wichtig für Sie ist, damit Sie im richtigen Moment Ihre Topleistung bringen können.
- Am Wettkampftag selbst beginnt die mentale Vorbereitung direkt nach dem Aufwachen. Schon in diesem Moment müssen Sie sich positiv einstellen, für negative Gedanken ist jetzt kein Raum. Ein bisschen Nervosität darf aber schon sein. Wer unmittelbar vor dem Beginn in eine Startapathie verfällt, lenkt sich ab besten gezielt ab. Ein Gespräch mit dem Trainer, irgendetwas beobachten, Rockmusik, all das kann die Starre auflösen. Anders bei Startfieber (feuchte Hände, Durchfall, Übelkeit): Hier helfen mentale Techniken zur Beruhigung, wie entspannende Musik, Selbstgespräche oder Entspannungsatmen. Die mentale Herausforderung unterscheidet sich je nach Sportart erheblich. Wenn Sie Direktkontakt mit dem Gegner haben (z. B. Fußball, Kampfsport), müssen Sie im Gegeneinander Ihre Emotionen viel mehr im Griff haben als z. B. Skispringer, die nacheinander starten. Beim Nebeneinander (z. B. Schwimmen, Langlauf) besteht die mentale Stärke darin, gleichzeitig zu realisieren, was die Gegner machen, und für sich zu entscheiden, wie man selbst vorgeht. Egal ob Sportarten mit „Alles-oder-Nichts-Momenten“ (z. B. Tennis) oder mit Pausen (z. B. Eishockey), immer muss der Athlet sich neu motivieren. Das klappt nur, wenn Sie es im Training gezielt geübt haben. Selbstkontrolle, Selbstverantwortung und die Körpersprache eines Siegers führen im Wettkampf zur Bestleistung. Olympische Spiele haben ein ganz eigenes Flair, das den einen zu Höchstleistungen treibt, während es den anderen lähmt. Die Balance zu halten zwischen dem Sich-Einlassen auf das neuartige Erlebnis und dem Festhalten an der Wettkampfvorbereitung ist nicht leicht. Bei solchen Turnieren haben Sie meist nur eine Chance zu zeigen, was Sie draufhaben. Kein Wunder also, wenn die Stresshormone verrücktspielen. Mit Erholungsmanagement und Trainern, die den Medienkontakt regeln, sind Sie bestens gewappnet.
- Ob Erfolg oder Niederlage, beides muss nach dem Wettkampf verarbeitet werden. Nehmen Sie sich genügend Zeit dafür, planen Sie Ruhe ein, bewegen Sie sich aber trotz Trainingspause ausreichend. Auf keinen Fall dürfen Sie auf das Debriefing verzichten. Dabei lassen Sie Ihren Emotionen erst mal freien Lauf. Gönnen Sie sich dann Distanz und Entspannung, um anschließend zu analysieren, was gut und was schlecht gelaufen ist. Zum Schluss werden die weiteren Maßnahmen erarbeitet. Und: Sie haben sich jetzt eine Belohnung verdient.
- Der Wettkampf ist nicht das Ende, es geht weiter und Sie müssen mental stark bleiben. Das heißt nichts anderes, als dass Sie Verantwortung dafür übernehmen, was Sie tun, dass Sie die Situation akzeptieren und sich auf Ihre Aufgabe konzentrieren. Jetzt ist es an der Zeit, neue Kraft zu tanken, sich aber auch selbst Grenzen zu setzen und mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben, etwa wenn die Medien Sie ins Rampenlicht zerren. Vor allem aber hören Sie nicht auf, Zuversicht auszustrahlen und gerade auch nach Misserfolgen an sich zu glauben.
Mentale Stärke im Beruf
Auch wenn Sie kein Spitzensportler sind, ist mentale Stärke etwas, was Sie im Alltag weiterbringt. Das Berufsleben ist ja oft nicht weniger wettkampfbetont als der Sport. Hier wie dort müssen Sie Ihre Aufgaben bewältigen. Ihren Chef und Ihre Arbeitsbedingungen werden Sie zwar auch mit mentaler Stärke nicht nach Ihren Wünschen formen können. Aber immerhin reduzieren Sie damit Ihren Stress und können sich besser durchsetzen. Im Job geht es bergauf, sobald Sie gelernt haben, Herausforderungen anzunehmen und mit Stress richtig umzugehen. Übernehmen Sie Verantwortung, stellen Sie sich vor, Sie wären bereits am Ziel, treffen Sie Entscheidungen bewusst, managen Sie Ihre Gefühle und schließen Sie stets eine Sache erst ab, bevor Sie mit der nächsten beginnen.