Codes

Buch Codes

Die geheime Sprache der Produkte

Institut für Verswirtschaft,


Rezension

Wo genau im Hirn werden Kaufentschei­dun­gen getroffen? Nicht im Stammhirn, sondern im Stirnhirn, so die Erkenntnis des Neu­ro­mar­ket­ings. Das vielfältig vernetzte Stirnhirn decodiert die Signale, die von Pro­duk­tver­pack­un­gen, Wer­beanzeigen und TV-Spots ausgehen. Das Konzept des Neu­ro­mar­ket­ings ist anspruchsvoll, doch die Autoren sind darum bemüht, es verständlich zu vermitteln: Sie benötigen weder krachend bunten Werbestil noch akribisch durch­struk­turi­erten Textaufbau, um dem Leser diese „Geheimwis­senschaft“ zu vermitteln. Sie verwenden Nor­mal­sprache und unmittelbar ein­leuch­t­ende Szenarien. Mit Verstand ausgewählte, an­schauliche Bild­beispiele in dem großzügig il­lus­tri­erten Buch tragen zum Verständnis bei. Man gewinnt den Eindruck, dass die Autoren wissen, wovon sie reden. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Werbe-, Marketing- und Kom­mu­nika­tion­sstrate­gen, die wissen wollen, wie sie die Wünsche ihrer Kunden gezielt ansprechen.

Take-aways

  • Das menschliche Gehirn verbindet physische Reize und Wahrnehmungen mit übertragenen Bedeutungen.
  • Diese Übertra­gun­gen lernen wir von Kindes­beinen an und speichern sie im Gehirn als mentale Konzepte.
  • Eine Kaufentschei­dung basiert nicht nur auf dem Ge­brauch­snutzen des Produkts, sondern wird zu einem Großteil vom mentalen Konzept bestimmt.
  • Der Konsument möchte neben dem Pro­duk­t­ge­brauch ein weit­erge­hen­des implizites Ziel, eine Wunscherfüllung erreichen, z. B. eine Statuserhöhung.
  • Die möglichst genaue Erfassung des impliziten Ziels ist die Haup­tauf­gabe vor der eigentlichen Produkt- und Wer­begestal­tung.
  • Bei der Gestaltung von Produkten und Wer­be­botschaften gilt es Signale zu setzen, die das implizite Ziel direkt ansprechen, damit der Konsument intuitiv reagiert.
  • Wichtigstes Kriterium für die richtige Erfassung des Ziels ist Belohnung.
  • Ziele lenken die Aufmerk­samkeit der Kunden: Man sieht nur, was man sehen will.
  • Durch nachhaltige Gewöhnung werden Marken­pro­dukte mit Zielen aufgeladen.
  • Der Preis ist ein wichtiges Pro­duk­tsig­nal: Ein hoher Preis suggeriert Qualität.
 

Zusammenfassung

Affen kaufen nichts

Trotz 98 % genetischer Übere­in­stim­mung: Mensch und Affe un­ter­schei­den sich stark, vor allem in den Hirn­re­gio­nen. Beim Menschen ist das so genannte Stirnhirn, auch Frontal­lap­pen genannt, sehr viel ausgeprägter. Hinter der men­schlichen hohen Stirn und in einigen anderen Hirn­re­gio­nen werden un­mit­tel­bare Sinneseindrücke wie Wärme, räumliche Entfernung, Kraftaufwand, Oberflächenbeschaf­fen­heit und vieles mehr im Laufe eines lebenslan­gen Lern­prozesses zu mentalen Konzepten verknüpft. Deshalb sprechen wir z. B. von einem „warmherzi­gen Menschen“, von einem „entfernten Bekannten“, von „dis­tanziertem Verhalten“, wir fühlen uns „unter Druck“ oder genießen den „sahnigen Geschmack“. Solche mentalen Konzepte kennt der Affe nicht. Deswegen kann man ihm über entsprechende Signale auch nichts kom­mu­nizieren – und nichts verkaufen. Spätestens beim „sahnigen Geschmack“ befinden wir uns in der Welt der Produkte.

Vom Begreifen der Umwelt

Die Lebenslern­er­fahrung des Menschen wird von Neu­rowis­senschaftlern auch „Statistik der Umwelt“ genannt. Wiederholte Erfahrungen werden zu Wissen verknüpft und als angenehm oder unangenehm bewertet. Das beginnt bereits bei der Geburt, mit der Erfahrung von Hell und Dunkel.

„Ein physikalis­ches Signal, z. B. ‚Temperatur‘ oder ‚Oberflächen­struk­tur‘, aktiviert im Gehirn ein entsprechen­des mentales Konzept.“

Das an­schauliche Wort „begreifen“ ist ein Schlüsselbegriff für diesen Lebenslern­prozess. Die Hände und auch der Mund spielen vor allem in der frühkindlichen Phase eine überragende Rolle. Der Lebenslern­prozess hört jedoch nie auf und wird im Lauf der Zeit immer dif­feren­zierter. Alle unsere Sinneseindrücke und die daraus entste­hen­den Begriffe sind kon­textbe­zo­gen; sie sind Rück­kop­pelun­gen aus konkreten Zusammenhängen unserer Umwelt.

Das Gehirn entschlüsselt Codes

Um die ungeheure Masse der Sinneseindrücke und Signale bewältigen zu können, muss das Gehirn sehr effizient arbeiten. Es filtert viele Details heraus und speichert nur charak­ter­is­tis­che Eckdaten; so ähnlich wie Kinder ein Haus zeichnen: unten ein Viereck und obendrauf ein Dreieck.

„Wir können ein Auto als Auto erkennen, auch wenn wir eine solche Art von Auto noch nie gesehen haben.“

Das Er­fahrungswis­sen ist implizites, unbewusstes Wissen. Wird dieses implizite Wissen aktiviert, handeln wir intuitiv. Die Erfahrung, dass man bei einer Fam­i­lien­feier fein gemahlenen Pul­verkaf­fee mit intensivem Duft statt schwach riechenden, löslichen Kaffee trinkt, wird zum Code für „Gemein­schaft“ und „Wertschätzung“. Neu­ro­mar­ket­ing decodiert solch implizites Wissen und baut es wiederum als Produktcode in Ver­pack­un­gen und Werbung ein. Die Signale, die von Produkt und Werbung ausgehen, sprechen dann den Autopiloten – das implizite Wissen des Kunden – an und bee­in­flussen so die Kaufentschei­dung. Viele Studien liefern Erken­nt­nisse über die Wirkung von Signalen auf Hirn­re­gio­nen. Nutzt man diese Erken­nt­nisse in der Werbung, treten herkömmliche geschmäcklerische Diskus­sio­nen, ob eine Produkt- oder eine Anzeigengestal­tung „schön“ oder „sympathisch“ ist, in den Hintergrund; denn darauf kommt es gar nicht mehr an.

Placebos wirken, Codes wirken

Placebos, also Schein­medika­mente ohne Wirkstoff, die bei phar­mazeutis­chen Tests eine große Rolle spielen, verdeut­lichen die Wirkungsweise derartiger Signale: Ohne dass z. B. Aspirin gegeben wird, ist eine Wirkung nachweisbar, weil das implizite Er­fahrungswis­sen, der Code, aktiviert wird. Die Kopf­schmerzen vergehen, obwohl im Placebo keine Acetyl­sal­i­cylsäure vorhanden ist.

„Nicht jedes Detail zählt. Wichtig sind die kon­sti­tu­ieren­den Merkmale.“

Nicht nur die Optik, also Farben, Typografie und Bilder, spielen eine große Rolle im Neu­ro­mar­ket­ing, sondern auch die Haptik, der Tastsinn. In der Warenwelt nutzt man kon­textbe­zo­gene Signalcodes in vielfältiger Weise:

  • Light­pro­dukte (etwa Chips, Käse, fettarme Milch) werden in Ver­pack­un­gen mit entsättigten, leichten Farben angeboten. Dieses eine kon­sti­tu­ierende Signal genügt für die Pro­duk­t­botschaft; der Kunde erkennt den Artikel sofort als Light­pro­dukt.
  • Ein Weinglas mit Stiel sig­nal­isiert erhöhten Genuss. In Italien oder Frankreich, wo Weintrinken alltäglich ist, wird der Wein oft aus dem Wasserglas getrunken.
  • Schwarz, die Farbe des Un­der­state­ments, wird bei vielen Pre­mi­umpro­duk­ten verwendet. Es betont die vornehme Distanz zur schreienden Buntheit der gewöhnlichen Warenwelt. Mintunter wird auch das saubere Weiß in diesem Sinn verwendet. Dies zeigt: Oft gibt es mehrere Lösungen für ein Kom­mu­nika­tion­sprob­lem. Weiß kann ebenso wie Schwarz ein Signal für das mentale Konzept „Un­ter­schei­dung/Distanz“ sein.
  • Die wischende Fin­ger­be­we­gung, mit der ein iPhone bedient wird, spricht nicht dieselbe Zielgruppe an wie etwa der Kraftgriff, mit dem man einen BlackBerry hält.
  • Die taillierte Flasche des Joghurt­drinks Activia sig­nal­isiert Wohlgefühl und aktiviert das implizite Ziel „Schlanksein“.
  • Eine kleine Verpackung von Katzen­fut­ter ist das richtige Signal für das Ziel „Verwöhnen der Katze“.
  • Für das Konzept „starke Reinigung“ kommt nur ein Verschluss infrage, der entsprechend viel Kraft beim Öffnen verlangt.

Die Konsumziele definieren

Für den Produkt- und Werbe­designer steht in der Regel der Ge­brauch­snutzen an erster Stelle. Dieser wird auch expliziter Nutzen genannt. Eine gelungene Nutzensignal­isierung findet sich bei aus­tralis­chen Nescafé-Produkt „Short Black“: Die Verpackung ist klein, kompakt und schwarz. Das entspricht dem Produkt: konzen­tri­erter, kräftiger schwarzer Kaffee. Der Ge­brauch­snutzen allein reicht aber nicht zur Pro­duk­t­d­if­feren­zierung aus; hier kommt der implizite Nutzen ins Spiel. Dessen Definition ist denn auch eine wichtige Aufgabe des Neu­ro­mar­ket­ings. Bestimmen Sie den impliziten Nutzen – etwa im Agen­tur­brief­ing – möglichst genau, statt einfach nur zu fordern, dass ein Produkt „emo­tion­al­isiert“ werden soll:

  • Alko­hol­freies Bier muss gut schmecken, seine isotonische Wirkung spricht darüber hinaus Sportler an; de­mentsprechend lässt sich das Image aufladen. Das implizite Ziel ist hier Fitness, Dynamik.
  • Ein implizites Ziel bei der Zubereitung von Pudding ist mütterliche Fürsorge, Trost. Der im Grunde ebenso geschmei­dige Joghurt wird dagegen nicht mit diesem Konzept in Verbindung gebracht.
  • Deo dient der Hemmung von Schweiß; der implizite Nutzen ist erhöhte Attraktivität.
  • Trans­port­mit­tel sind häufig Sta­tussym­bole. Zudem lassen sie sich mit Sportlichkeit oder erhöhter Sicherheit verbinden; manchmal müssen mehrere Ziele kombiniert und je nach Produkt und Image gewichtet werden.
„Man ist immer wieder verblüfft, was Menschen alles übersehen, wenn es gerade nicht relevant für ihr Ziel ist.“

Um erfolgreich verkaufen zu können, müssen Pro­duk­t­nutzen, Signale und Ziele zueinan­der­passen. Bei allem Spielraum für gestal­ter­ische Kreativität geben die Ziele klare und eindeutige Leitplanken für die Gestaltung.

Ziele finden

Der Entschei­dung­sprozess beim Kauf ist eine neuronale Wech­sel­wirkung zwischen Bekanntem, Erinnertem, Wünschen bzw. Zielen und den Signalen des Produkts. Er spielt sich im so genannten Stirnhirn ab. Angesichts der Fülle von Pro­duk­tange­boten im Su­per­mark­tre­gal scannt der Autopilot in Sekun­den­bruchteilen: Was brauche ich? Was ist mir wichtig? Was will ich erreichen?

„Die Höhe des Preises ist ein Code für Qualität.“

Im Gegensatz zur Meinung vieler Werber ist oft nicht das Gefühl das auss­chlaggebende Kriterium bei einer Kaufentschei­dung, sondern die Aussicht auf Belohnung. Lohnenswerte Ziele sind Status, Sicherheit, Gesundheit, Genuss, Wärme, Gebor­gen­heit, Sauberkeit (auch moralischer Art: Fair Trade, Bio), Fürsorge, Stolz und Anerkennung. Bei der berufstätigen jungen Frau, die in der Du-darfst-Wer­bung ihre schlanke Figur in einer Spiegelung wahrnimmt, wird das Ziel „Stolz auf sich sein“ ange­sprochen. Das Produkt, so die Wahrnehmung, hilft bei der Zielerfüllung.

Wir sehen nur, was wir sehen wollen

Geben Sie sich keinen Illusionen hin: Die Kunden vergleichen, und Ihre Produkte stehen nicht allein im Regal. Wenn es der Konkurrenz gelingt, die Übere­in­stim­mung der Signale mit den Wünschen und Zielen besser zu kom­mu­nizieren, werden natürlich deren Produkte bevorzugt. Allerdings sind nicht alle Menschen gleich, sie haben un­ter­schiedliche Ziele. Über das Ziel lässt sich die Aufmerk­samkeit des Kunden lenken. Wenn der Kunde dieses intuitiv und rasch erkennen kann, nimmt sein Gehirn, das so viele Reize filtern muss, nur noch wahr, was zum Ziel führt.

Marken prägen

Eine Sache ist es, die Ziele und Wünsche der Konsumenten zu erkennen und den impliziten Nutzen in Pro­duk­tsig­nale zu codieren. Dadurch werden Marken mit Zielen aufgeladen. Mehrere Hersteller von Bodylotion sprechen den gleichen expliziten Nutzen an, nämlich den Ge­brauch­szweck „Feuchtigkeit für die Haut“. Darüber hinaus sind mehrere potenzielle implizite Ziele denkbar, die die Produkte dif­feren­zieren. Davon sind die Marken geprägt: „hochw­er­tiges Produkt, Schönheit“ (dafür steht L’Oréal), „Sparen“ (dafür steht eine Han­dels­marke). Viele Tra­di­tion­s­marken gehören mit­tler­weile zu unserem Lebenser­fahrungswis­sen. Die runde, dunkelblaue Dose mit der schneeweißen Schrift ist Nivea. Das mentale Konzept „un­kom­plizierte Pflege für den Alltag“ lässt sich auch auf andere Produkte des Hauses übertragen. Ebenso steht die Farbe Lila für eine bestimmte Schokolade und ist als Signal übertragbar.

Ziele und Preis

Der Preis ist ein wichtiges Pro­duk­tsig­nal. Ein hoher Preis heisst hohe Qualität. Und Qualität ist ein implizites Ziel. Menschen sind bereit, dafür mehr zu zahlen. Das Merkmal „teuer“ wirkt sich etwa beim Wein sogar direkt auf die Geschmack­sempfind­ung aus: Teurer Wein wird als besonders gut wahrgenom­men. Man kann Produkte über implizite Ziele teurer verkaufen: etwa über eine schlüssig kom­mu­nizierte Geschichte, über den Status, den das Produkt verleiht, über seine Beson­der­heit oder Ein­ma­ligkeit. So werden in der Möbelbranche Einze­lan­fer­ti­gun­gen oder gebrauchte Möbel (Antiquitäten) zu hohen Preisen verkauft.

Produkteinführung und Innovation

Wenn man auf der Suche nach In­no­va­tio­nen ist, lohnt es sich, den Rahmen möglichst breit zu stecken. Der Teemarke Shuyao gelang es, mehr zu verkaufen, indem sie das Teetrinken in den Kontext der Arbeitswelt und damit in Konkurrenz zum Kaf­feekon­sum setzte. Damit dies funk­tion­ierte, mussten dieselben Ziele ange­sprochen werden, die man mit dem Kaf­feekon­sum verfolgt. Shuyao-Tee wird aus einem besonderen Gefäß, das einer Sport­trink­flasche ähnelt, getrunken und ist schnell trinkfertig. Der Konsum von Tee ist dadurch nicht kom­plizierter als der von Kaffee. In der Werbung wird die Flasche mit einem Kraftgriff gehalten; mit diesem Signal wurde der Shuyao-Tee mit der Arbeitswelt verkoppelt, wo man das größte zusätzliche Ab­satzpoten­zial sah.

Über die Autoren

Christian Scheier ist Geschäftsführer der Decode Mar­ket­ing­ber­atung und einer der führenden Neu­ro­mar­ket­ing-Ex­perten in Deutschland. Der Sozial­wis­senschaftler Dirk Bayas-Linke ist Mitarbeiter bei De­code-Mar­ket­ing. Johannes Schneider ist Wer­bepsy­chologe mit langjähriger Erfahrung in in­ter­na­tionalen Agenturen und Partner bei De­code-Mar­ket­ing.