Taoismus für die heutige Zeit
Krisen gibt es immer wieder, kleine und große. Manche sind eine Bedrohung für Ihr Unternehmen, andere eher eine Chance zur Neupositionierung. Die Kriterien für unternehmerischen Erfolg sind durchaus bekannt, nur geht es eben – wie bei der Zubereitung eines gelungenen Menüs – nicht um die einzelnen Zutaten, sondern um deren Zusammenspiel. Wenn Sie Ihr Unternehmen langfristig in der Gewinnzone halten möchten, müssen Sie also wie ein guter Koch vorgehen, der weiß, wie sich die Ingredienzen ergänzen, wie die Reihenfolge und das Timing sein müssen, damit am Schluss ein Gaumenschmaus entsteht. Der Taoismus beherzigt dies: Auch hier geht es nicht um ein beliebiges Mischmasch von Einzelteilen, sondern um das, was alles zusammenhält, um eine ganzheitliche Perspektive. Der Taoismus erklärt das Leben nicht, aber er schafft einen Zugang zu ihm.
„Der strategische Rat, den das
Tao-Te-King seit nunmehr 2300 Jahren bereithält, kann auch heute helfen, ein stabiles Fundament für Geschäfte und Unternehmen zu legen.“
Tao heißt „Weg“; der Weg ist im Taoismus die Grundlage allen Seins. Der Kerntext des Taoismus ist das Tao-Te-King, ein schmales Werk, das zur Lebensführung, aber auch zur Menschenführung anleitet. Offenbar wurde es für Machthaber verfasst, und genau deshalb ist es auch für die Wirtschaftselite des 21. Jahrhunderts lesenswert. Obwohl das Buch über 2000 Jahre alt ist, liefert es erstaunliche Antworten auf moderne Themen. Taoisten waren schon im alten China unkonventionell und der moderne Taoist ist nicht anders: Er ist im Denken frei; er fliegt um die Welt, nutzt das Internet, liebt die Großstadt, ist gleichzeitig mit traditionellen Lehren, Meditation und Tai-Chi vertraut und fühlt sich in der Natur zu Hause.
Die zentralen Begriffe
Ein zentraler Begriff im Taoismus ist „wu-wei“ – oft übersetzt als Nichthandeln. Damit ist aber nicht gemeint, dass man die Hände in den Schoß legt, sondern vielmehr, dass man eine Situation erst richtig einschätzt und danach erst entscheidet, ob man handelt oder nicht. Das setzt Intuition und sicheren Instinkt voraus. Man muss mit sich und der Welt in Einklang sein. Lernen können Sie das durch Kalligrafie, Musik, Meditation und Kampfkünste. Warren Buffett beispielsweise ist nicht so reich geworden, weil er überall mitmischt, sondern weil er auf Grundregeln, Entwicklungstendenzen und Strategien setzt, weil er die Einfachheit beherrscht. Solange Sie glauben, etwas erzwingen zu müssen, gefährden Sie den Erfolg, vor allem dann, wenn Sie Ihre Stärken und Schwächen nicht kennen und arrogant statt kooperativ handeln.
„Moderne Taoisten sind uneingeschränkte Experten in ihrem Metier, aber genau das Gegenteil von Spezialisten mit Tunnelblick.“
Eine weitere Säule des Taoismus und ein wichtiges Merkmal von Geschäftsbeziehungen ist Vertrauen. Sie können eine Menge Klauseln in Ihre Verträge schreiben, doch ohne Vertrauen erleiden gemeinsame Projekte Schiffbruch. Zudem strebt der Taoismus nach Win-win-Situationen – das zahlt sich auch im Geschäftsleben aus. Wo Mitarbeiter sich wohlfühlen, sind sie kreativ und schöpfen ihre Möglichkeiten effektiv aus. Selbst bei Themen wie Umweltschutz und sozialer Verantwortung lassen sich Win-win-Situationen schaffen, wie viele grüne Geschäftsmodelle auch großer Unternehmen zeigen. Gewinn auf Kosten der Umwelt oder anderer Menschen zu machen, läuft dem taoistischen Prinzip zuwider. Vielmehr wird auf Beständigkeit und Nachhaltigkeit geschaut und Wert auf langfristige Perspektiven gelegt. Deshalb sollte man sich auch nicht leichtfertig von Führungskräften trennen. Diese wiederum sollten sich in Reduktion und Einfachheit üben, sich nicht andauernd überall einmischen und die Dinge lieber laufen lassen. Manager neigen dazu, aus Angst vor Kontrollverlust ihre Aufgabenliste ständig zu erweitern. Dabei liegt die Kunst in der Einfachheit; diese gilt es zu kultivieren.
Kampflos gewinnen
Natürlich möchten Sie nicht auf der Verliererseite stehen: Wenn Sie Win-win-Situationen schaffen, kann das auch gar nicht passieren. Kooperation und Offenheit im Geschäftsleben erlauben eine nicht konkurrierende Konkurrenz, und davon profitieren Sie folgendermaßen: Sie erhöhen Ihre Glaubwürdigkeit, erhalten mehr Informationen und finden dadurch neue Geschäftsmöglichkeiten. Ganz ohne Stress wird Ihr Arbeitsalltag wohl nicht ablaufen, das ist aber kein Grund, aggressiv zu werden. Mit Spannungen umzugehen und für Harmonie zu sorgen, müssen Sie eben lernen. Dann kann Ihr Team sich schnell wieder auf seine eigentliche Aufgabe besinnen und angeknackste Geschäftsbeziehungen werden sich entspannen.
„Zu viel der Aufregung, zu viel des Einmischens kann eine delikate Angelegenheit kaputt machen.“
Flexibilität ist heute unumgänglich. Sie müssen sich immer wieder anpassen und gegen Routine angehen, auch wenn diese – z. B. im Kundenservice – manches erleichtern mag. Hinterfragen Sie Ihr Verhalten und fördern Sie in Ihrem Unternehmen die Lernkultur, damit Wissen nicht nur von oben nach unten, sondern in alle Richtungen strömt. Der taoistische Weg bedeutet, dass Sie vorausschauend auf Details achten und ständig Wartungsarbeiten vornehmen, sodass eine Generalsanierung gar nicht erst nötig wird. General Motors hat das versäumt: Das Unternehmen reagierte zu spät auf die Änderungen am Markt und geriet in der Folge ordentlich ins Trudeln. Anders Toyota: Dort pflegt man die Kultur des kontinuierlichen Optimierens, im Fertigungsprozess genauso wie im Personalbereich.
Führen im taoistischen Stil
Als Chef müssen Sie nicht herrschen und befehlen, um die Ressourcen und Potenziale Ihrer Mitarbeiter auszuschöpfen. Die Elemente eines kooperativen Führungsstils sind Motivation und Inspiration. Das Tao-Te-King rät Ihnen, Ihre Macht als Chef nicht jeden Tag zu demonstrieren. Sie sind ohnehin der Stärkere. Wenn Sie den anderen mehr Spielraum lassen, sorgen Sie für eine Atmosphäre, in der die Mitarbeiter mit Begeisterung arbeiten und sich weiterentwickeln können. Die besten Führungspersönlichkeiten bleiben im Hintergrund, konzentrieren sich auf die Mitarbeiter, die sie führen, statt sich selbst, und handeln so, wie sie denken und reden.
„Taoisten betrachten Machtgerangel als für alle Beteiligten letztlich destruktiv, als Ausdruck von Überheblichkeit und Blindheit gegenüber verfügbaren Potenzialen.“
Erinnern Sie sich an „wu-wei“ – das bedeutet ja nicht Passivität, sondern dass Sie mit Leichtigkeit durch den Alltag gehen. Wer zu viel fordert und kontrolliert, macht alles unnötig kompliziert. Unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter und geben Sie ihnen die Richtung vor. Dafür ist vor allem Ihr Vorbild ausschlaggebend. Sie dürfen selbstsicher auftreten, aber Arroganz und Überheblichkeit schaden. Höchstleistungen bringen Ihre Mitarbeiter dagegen dann, wenn sie Sie bewundern – für Ihren Arbeitsstil, Ihre Geduld, Ihre Ruhe, dafür, dass Sie zuhören und gute Entscheidungen treffen. Halten Sie sich immer den Standpunkt des Tao-Te-King vor Augen, nach dem man den Menschen, die man führt, dienen sollte. Klingt vielleicht uncool, aber es zahlt sich letztlich für Sie aus, wenn die Bedingungen für Ihre Mitarbeiter genauso hervorragend sind wie der Service für Ihre Kunden.
„Probleme vorherzusehen und korrigierend einzugreifen, bevor sie außer Kontrolle geraten, kann Geld sparen, Einnahmen erhöhen, die Wettbewerbsfähigkeit verbessern und dem Unternehmen dabei helfen, zu überleben.“
Ohne Kommunikation läuft in einem Unternehmen gar nichts. „Tzu-jan“ bedeutet, natürlich, authentisch und in Einklang mit sich selbst zu sein. Dies ist der Schlüssel zu erfolgreicher Kommunikation. Sie müssen sich nämlich zuerst einmal mit sich selbst verständigen, also auf Ihre innere Stimme hören, bevor Sie die Informationen von anderen aufnehmen und verarbeiten können. Als ausgeglichenem Teamchef fällt es Ihnen leicht, Ihre Mitarbeiter zu führen. Andere Meinungen und unterschiedliche Herangehensweisen sind konstruktiv, also seien Sie offen dafür.
„Ein kluges taoistisches Unternehmen gestaltet seine Büroräumlichkeiten so, dass alle gerne darin ihre Zeit verbringen.“
Emotionale Intelligenz wird oft noch unterschätzt, dabei ist sie laut Studien von Daniel Goleman und anderen entscheidend für Ihren Erfolg als Führungskraft. Wenn Emotionen hochkochen, können Sie mit Feinfühligkeit die Wogen wieder glätten. Die Mitarbeiter sehen es gerne, wenn Sie in ihrem Interesse handeln, wenn es auch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ein Win-win-Denken gibt. Herb Kelleher, der ehemalige CEO von Southwest Airlines, hatte immer die Fürsorge der Belegschaft im Auge, und diese dankte es ihm, indem sie sich in hohem Maß mit dem Unternehmen identifizierte. Vergessen Sie nicht, dass Ihre Charaktereigenschaften das Verhalten und die Leistungen Ihrer Mitarbeiter beeinflussen. Wenn Sie in Ihren Handlungen konsistent sind, werden Ihre Mitarbeiter sich um gute Leistungen bemühen.
Sich wohlfühlen und Stress abbauen
Kein Zweifel, eine angenehme Umgebung steigert die Leistungsbereitschaft. Büroräume sollten also ein Umfeld sein, das motiviert und die Kommunikation fördert. Gestalten Sie die Räume nach Gesichtspunkten des Feng-Shui. Diese uralte chinesische Tradition zielt darauf ab, Gebäude so zu gestalten und Räume so einzurichten, dass die Menschen sich darin wohlfühlen. Wer sich gut fühlt, ist motiviert und produktiv. Richten Sie Räume ein, die der Entspannung und Ruhe dienen, und solche, die für die Kommunikation vorgesehen sind. Ein Fenster mit Blick ins Grüne ist ideal. Wo es das nicht gibt, können natürliche Materialien, Wasser, Holz und Pflanzen die Kraft der Natur ins Büro holen.
„Ein von Ballast befreiter Geist ermöglicht es, neue Ideen, Vorschläge und Anregungen schneller aufzugreifen.“
Bekämpfen Sie Stress nicht mit einer Kanne Kaffee, einem Glas Whisky oder ein paar Tafeln Schokolade, damit ruinieren Sie nur Ihre Gesundheit. Lernen Sie, ruhig und in Ihrem eigenen Rhythmus zu leben. Tai-Chi lehrt Sie diesen Rhythmus, und Meditation lässt Sie emotional ausgeglichen werden. Gerade als Führungskraft brauchen Sie ein hohes Energieniveau. Erhalten Sie sich dieses durch Ruhezeiten in Ihrem Tagesablauf – da genügt oft schon ein kleiner Spaziergang. Sie sollten nicht zu viel im Kopf haben: Nur wenn der Geist offen und frei ist, werden Sie auch unter Stress effizient arbeiten. Versuchen Sie ein Stück weit zur Lebenshaltung eines Kleinkindes zurückzufinden: authentisch, natürlich, flexibel, spontan und randvoll mit Energie.
Richtig handeln in Krisenzeiten
Wirtschaftskrisen kommen nicht aus dem Nichts. Den kritischen Stimmen wird nur nicht zugehört. Unternehmen wie Merrill Lynch, Lehman Brothers und andere hatten offensichtlich kein bzw. ein falsches Gefühl für Risiko. Ein nach taoistischen Regeln handelnder CEO wendet vorsichtige Strategien an. Wachsamkeit, organisches Wachstum und kleine Schritte führen zum Erfolg, nicht die schnelle Abkürzung. Das Gute an der Krise ist aber, dass sie Gelegenheit gibt, Managementfehler zu korrigieren und die Wahrnehmung zu schärfen. Offenbar trauen wir gerade den einfachsten und wesentlichsten Dingen nicht und sollten uns doch genau daran orientieren.
„Die Krise unterstreicht auch die Botschaft des
Tao-Te-King für moderne Geschäftsleute: Werfen Sie einen ganzheitlichen Blick auf Fragen der Unternehmensstrategie.“
Wenn Sie noch immer auf schnelle Gewinne aus sind, verstehen Sie den Shareholder-Value falsch. Kurz- und langfristige Gewinne müssen aufeinander abgestimmt sein, wenn alle Beteiligten auf lange Sicht profitieren und auch künftige Generationen noch in Wohlstand leben sollen. Planen Sie deshalb alle Schritte, die Sie unternehmen, sorgfältig und in Einklang mit den zentralen taoistischen Werten: Beständigkeit, Nachhaltigkeit und langfristige Effizienz. Kurzsichtigkeit ist der letzten Krise vorausgegangen: Viele Menschen ignorierten erkennbare Risiken einfach, um das schnelle Geld zu machen. Befolgen Sie den Rat des Tao-Te-King, maßzuhalten und zu erkennen, wann es genug ist.
„Beständigkeit, Nachhaltigkeit und langfristige Effizienz stehen im Zentrum taoistischen Denkens.“
Leider führen auch taoistische Prinzipien nicht automatisch auf die Erfolgsspur. Aber gerade wenn wichtige Aufgaben anstehen, finden Sie im Tao strategischen Rat, allem voran „wu-wei“. Im richtigen Moment richtig zu handeln, kann Sie davor bewahren, Ihr Unternehmen an die Wand zu fahren. Es hilft Ihnen ebenso, es aus der Krise zu führen. Vorausgesetzt, Sie sind mit sich und Ihrer Umgebung in Einklang.