Phänomen Managerismus
Wenn selbstsüchtige, rein profitorientierte Manager ein Unternehmen penetrieren, dann liegt Managerismus vor – ein Begriff, der gewollt abwertend klingt. Manageristen sind nur auf den eigenen Vorteil bedacht und treten meist mit einem Gefolge von Beratern und Bankern auf.
„Die unheilvollen Auswüchse des Managerismus konzentrieren sich in einem Genre von Unternehmen, die eng mit dem Kapitalmarkt verbunden sind und von Managern geleitet werden, denen das eigene Wohl wichtiger ist als das des Unternehmens.“
Seine Wurzeln hat der Managerismus im Taylorismus, der die arbeitenden Menschen als austauschbare Ressourcen betrachtet. Hinzu kam in den 1980er Jahren die Entwicklung des Shareholder-Value-Konzepts, das die Wertsteigerung für die Eigentümer des Unternehmens über das Wohl der anderen Stakeholder, wie Kunden oder Mitarbeiter, stellt. Mit der Globalisierung schwappte diese amerikanische Sichtweise auf Europa über. Die Ablösung des ehrbaren Kaufmanns durch den Kapitalisten – heute oftmals in Gestalt des Private-Equity- oder Hedgefonds-Managers – zeugt vom Werteverfall: Spekulation verdrängt die Sparsamkeit, Vorteilsnahme die Ehrlichkeit, und die Unternehmen werden zu Spielbällen der Manageristen.
Gewinnmaximierung
Das Streben nach Gewinnmaximierung geht mit einer starken Shareholder-Value-Orientierung einher. Der Kapitalmarkt verlangt von den Unternehmen eine ständige Steigerung des Gewinns. Manageristen werden darum erfinderisch und betätigen sich auch bei Geschäften, die nicht dem Kunden dienen.
„Robuste Unternehmen sind kompromisslos am Kunden orientiert und streben unablässig nach Innovation und Perfektion.“
Ein Beispiel ist der Eigenhandel der Banken: Die Institute tätigen Transaktionen für sich selbst statt für den Kunden und spekulieren mit dessen Geld. Statt Nachhaltigkeit zu propagieren und Innovationen voranzutreiben, setzen Manageristen auf geografische Expansion und die Übernahme anderer Unternehmen. Dadurch soll der Gewinn, und somit der Bonus des Manageristen, rasch gesteigert werden. Ein gutes – oder eben schlechtes – Beispiel für die starke Orientierung an den Aktionären ist der US-Mischkonzern General Electric bzw. dessen ehemaliger CEO und Börsenstar Jack Welch. Aber auch der Deutsche Jürgen Schrempp hielt sich in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender von Daimler an diese Doktrin.
Drang nach Größe
Groß muss nicht immer gut heißen. Dennoch streben von Manageristen geführte Unternehmen danach, Marktführer zu werden. Ist das Unternehmen nicht bei der Produktqualität führend oder besonders innovationsfreudig, muss eben der Wettbewerb zurückgedrängt werden. Strafen für Unternehmen wie ABB oder ThyssenKrupp zeugen von den daraus folgenden, bisweilen unerlaubten Machenschaften. Großunternehmen leben ihre Macht aus, indem sie die Preise bei den Lieferanten drücken und auf der Verkaufsseite durch geschicktes Marketing Premiumpreise erzielen. Sie setzen auf Größenvorteile: Hohe Stückzahlen machen niedrige Wertschöpfung und fehlende Innovationen wett. Doch Größenvorteile nehmen ab einem bestimmten Punkt ab, die Bürokratie nimmt überhand. Außerdem verlieren die Mitarbeiter den Bezug zum Unternehmenskoloss.
Kurzfristiges Denken
Manageristen sind Opportunisten. Sie bedenken zwar den nächsten Schritt und seine Auswirkungen auf ihr eigenes Wohlbefinden, doch die langfristige Vision fehlt ihnen. Eine Reorganisation jagt die nächste – Hauptsache, der Managerist hat dem Unternehmen seinen Stempel aufgedrückt. Ein Symptom dieser kurzfristigen Ausrichtung ist die Quartalsberichterstattung – für die meisten börsennotierten Unternehmen eine Pflicht. Ihre Befürworter behaupten, sie bringe Transparenz für die Anleger. In Wahrheit dient sie vor allem den Analysten, deren Aufgabe es ist, die richtigen Zahlen alle drei Monate möglichst genau vorherzusagen. Langfristig orientierte Anleger interessieren sich nicht für die leicht zu manipulierenden Quartalszahlen. Schließlich ist es die Regel, dass die Ergebnisentwicklung eines Unternehmens in Zyklen verläuft. Um aber dem Finanzmarkt einen stabilen Aufwärtstrend vorzugaukeln, müssen Unternehmenslenker tricksen und die Ergebnisse glätten – die ehemaligen Aktionäre des bankrottgegangenen US-Energiehändlers Enron können ein Lied davon singen.
Exzessive Vergütungen
Manageristen verwechseln Unternehmen mit Selbstbedienungsläden. Bereits in den 1980er Jahren schrie die Bevölkerung auf, als sich die Schere zwischen der Vergütung von Führungskräften und jener von Mitarbeitern weiter auftat. Im Jahr 2007 verdiente ein Vorstandsvorsitzender 275 Mal so viel wie ein Arbeiter; gemäß anderen Berechnungen sogar das 400-Fache. Natürlich tragen Führungskräfte mehr Verantwortung als andere Angestellte, doch das rechtfertigt nicht diese unverhältnismäßig hohen Gehälter.
Glamour an der Führungsspitze
Klaus Kleinfeld, der Ex-Siemens-Vorstand, und Ron Sommer, der ehemalige Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, sind gute Beispiele für Selbstdarsteller an der Unternehmensspitze. Manageristen sind ihrer Eitelkeit verpflichtet und schmettern Kritik ab. Das verhindert, dass Fehler zugegeben und Kurskorrekturen vorgenommen werden. Mitarbeiter sind für solche Manager bloß ein Mittel zum Zweck, das man kontrollieren muss. Dass das Wohl des Unternehmens nicht erste Priorität genießt, liegt auf der Hand: Der Managerist trachtet vielmehr danach, sein Imperium aufzubauen und etwas zu hinterlassen, was an ihn erinnert – etwa einen überdimensionierten neuen Firmensitz.
Kostenabwälzung auf die Gemeinschaft
Externalisierung bedeutet, dass die negativen Folgen einer Handlung oder Transaktion Unbeteiligte betreffen. Manageristen versuchen z. B. zu profitieren, indem sie möglichst viele Kosten auf den Steuerzahler abwälzen. Sie verlagern die Produktion ohne Rücksicht auf die Arbeitsplätze in Länder, die es mit dem Umweltschutz nicht so genau nehmen. Sie bestechen Entscheidungsträger, um öffentliche Aufträge zu überhöhten Preisen zu erhalten. Gleichzeitig nutzen manageristisch geführte Unternehmen fleißig staatliche Beihilfen oder lassen sich – wie die Finanzkrise gezeigt hat – gar vollständig vom Steuerzahler vor dem Konkurs retten.
Unzureichende Corporate Governance
Das Thema Corporate Governance wurde in den vergangenen Jahren zwar heftig diskutiert, dennoch kann weiterhin nicht von einer stimmigen und ausreichenden Regulierung gesprochen werden. Interessenkonflikte in den Unternehmensgremien stehen an der Tagesordnung: Vorstandsmitglieder von Dax-Firmen fungieren als Aufsichtsräte in anderen börsenkotierten Gesellschaften, deren Direktoriumsmitglieder zu ihren Bekannten gehören. Statt Aufsicht wird kollegiale Rücksichtnahme geübt, man leistet sich Freundschaftsdienste. Um sich den Anschein gesetzestreuen Gebarens zu geben, wird ein „Corporate Compliance Officer“ installiert: Dieser ist offiziell dafür zuständig, dass das Unternehmen Vorschriften einhält und dass die interne Kontrolle funktioniert – nur ein weiteres bürokratisches Element, das die Unternehmenslenker von ihrer Verantwortung befreit.
Die Kaste der Manageristen und ihre Helfer
Man kann durchaus von einer Kaste der Manageristen sprechen: Sie sind eine Gruppe, die sich mithilfe von Statussymbolen vom Durchschnitt abzuheben versucht, die unter sich bleibt und der Reichtum und Macht wichtiger sind als persönliche Bindung und Verantwortung. Die Konkurrenz untereinander ist groß: Wer wird im nächsten Ranking zum Manager des Jahres gewählt? Wessen MBA von welcher Business-School ist prestigeträchtiger? Der technokratische Zugang zum Management, der Fokus auf Excel-Sheets statt auf weiche Faktoren wie z. B. die Unternehmenskultur verstellt den Manageristen den Blick auf das System als Ganzes. Daher brauchen sie parasitäre Helfer, die sich Management-Consultants nennen. Diese wollen aber auch nichts weiter als Geld verdienen und die neueste Managementmode verkaufen.
Maßnahmen für eine verantwortungsvolle Unternehmensführung
Von alleine werden sich die Manageristen nicht ändern. Sie weitermachen zu lassen wie bisher können wir uns aber nicht leisten – denn der Vertrauensverlust in der Wirtschaft greift auch auf die Gesellschaft über; die Marktwirtschaft selbst gerät in die Krise. Der erste Schritt lautet daher: öffentliche Ächtung der Manageristen. Sie müssen dort gepackt werden, wo es ihnen am meisten wehtut – bei ihrer Eitelkeit. Was können Sie darüber hinaus in Ihrem Unternehmen tun?
- Unternehmen müssen sich neu orientieren, sozusagen ihr Betriebssystem neu aufsetzen. Im Mittelpunkt einer verantwortungsvollen, nachhaltigen Unternehmensführung steht die Robustheit des Unternehmens. Manager müssen wieder Verantwortung für ihr Tun übernehmen und mit ihrem Handel den sozialen Nutzen fördern. Sie sollen Vorbilder für ihre Mitarbeiter sein, was z. B. bedeutet, auf übertriebene Privilegien zu verzichten.
- Verantwortung übernehmen heißt auch, mit seiner Unterschrift zu bürgen. Lassen Sie nicht zu, dass Anträge von mehreren Vorstandsmitgliedern unterschrieben werden, die sich so aus der Verantwortung stehlen wollen.
- Bemessen Sie Boni nicht anhand eindimensionaler Ziele.
- Die Selbstverpflichtung zu ordnungsgemäßer Unternehmensführung funktioniert nicht, das zeigt die Erfahrung überdeutlich. Setzen Sie sich für entsprechende gesetzliche Vorgaben ein.
- Räumen Sie persönlichen Gesprächen den Vorrang vor E-Mails und Powerpoint-Präsentationen ein. Führungskräfte dürfen nicht von der Realität abgeschnitten sein.
- Flexibilität ist unabdingbar: Ersetzen Sie Budgetpläne durch Aktionspläne.
- Stellen Sie sicher, dass der Unternehmenszweck nicht nur als finanzieller Gewinn definiert wird, sondern auch als gesellschaftlicher Beitrag.
- Achten Sie darauf, dass der Firma zu jeder Zeit genügend liquide Mittel zur Verfügung stehen und dass sich die Mitarbeiter mit der Unternehmenskultur identifizieren. Das sichert den Fortbestand des Unternehmens.
- Binden Sie wertschöpfungsorientierte Kernaktionäre an den Betrieb. Die Mitarbeiter brauchen das sichere Gefühl, das eine stabile Eigentümerstruktur mit sich bringt, um sich ohne Arbeitsplatzsorgen ihrer Tätigkeit widmen zu können.
- Stellen Sie wieder den Kunden statt das am Kapitalmarkt orientierte Kosten-Nutzen-Denken in den Mittelpunkt.
- Übernehmen Sie nur in Ausnahmefällen andere Unternehmen; legen Sie stattdessen Wert auf die kontinuierliche Verbesserung der eigenen Fähigkeiten.
- Erhöhen Sie die Wertschöpfungstiefe und verringern Sie das Outsourcing.
- Führen Sie mit einer langfristigen Perspektive, respektieren Sie Ihre Mitarbeiter und besetzen Sie Führungspositionen mit bestehendem Personal.
- Eine dezentrale, flache und vernetzte Organisation vermindert Bürokratie und fördert das unternehmerische Denken.
Was die Politik tun muss
Die Politik sollte eine Maximalgröße für Unternehmen vorschreiben, die Quartalsberichterstattung abschaffen, die persönliche Haftung durchsetzen und die unabhängige Unternehmensaufsicht stärken. Ausgaben von Unternehmen für Lobbying und Berater sowie die Vorstandsgehälter sind zu veröffentlichen. Vergütungen sollten einen nicht monetären Anteil beinhalten und nicht an den Aktienkurs gekoppelt sein.