Fünf vor zwölf
Die Werbebudgets für Social Media steigen wie in keinem anderen Segment. 78 % der Kunden vertrauen vor allem ihrem persönlichen Netzwerk, nur 14 % geben an, auf Werbung zu hören. Dennoch stößt man beim Surfen oft auf verwaiste Unternehmensprofile und leere Fanpages. Mitmachen kostet ja nichts, scheinen manche Marketingverantwortliche zu glauben und überlassen die Sache vielleicht sogar dem Praktikanten. Andere fürchten den Machtverlust: Von Nutzern erstellte Inhalte in sozialen Netzwerken lassen sich nur schwer kontrollieren. Der Kunde bestimmt die Konditionen, die Inhalte verselbstständigen sich. Deshalb müssen Sie aufrichtig, authentisch und transparent auftreten – alles andere erkennt die Community schnell als durchsichtiges Manöver. Wer heute noch glaubt, Social Media in Zukunft ignorieren zu können, der wird das bald bereuen. Die so genannten Digital Natives – ab 1980 Geborene, die mit dem Internet aufgewachsen sind – mögen zwar noch nicht in den Chefetagen angekommen sein, aber sie werden in naher Zukunft die Kunden und Auftraggeber sein.
Palette der Möglichkeiten
Welche Plattformen und Strategien infrage kommen, hängt von Ihren Zielen und Zielgruppen ab. Möchten Sie neue Märkte erschließen oder bestehende Kunden ansprechen? Sich präsentieren und positionieren oder neue Mitarbeiter gewinnen? Ein lokales oder ein internationales Publikum ansprechen? Jede Plattform hat ihre eigene Sprache. Hier ein Überblick:
- Facebook: Soziales Netzwerk für Privatleute und Marketingplattform für Unternehmen. Über den „Gefällt mir“-Button binden sich Nutzer quasi an eine Seite und werden anschließend über alle Updates automatisch informiert.
- Xing: Plattform für berufliche Kontakte, über die man Businesspartner, Kunden oder Mitarbeiter findet. Unternehmen können geschlossene Benutzergruppen und Foren einrichten.
- Twitter: Mikroblog für Kurznachrichten (Tweets) mit maximal 140 Zeichen. Ziel ist es, mit originellen und nutzwertorientierten Tweets möglichst viele „Follower“ zu gewinnen.
- Qype: Mundpropaganda-Netzwerk für lokales Marketing. Nutzer bewerten Restaurants, Ärzte oder andere Dienstleister; diese können direkt auf das Feedback reagieren.
- YouTube: Internet-Videoportal, das mit Googles Werbesystem AdSense gekoppelt ist und Kunden dadurch gezielt bewerben kann. Fast 10 % des gesamten Datenverkehrs im Internet gehen auf YouTube zurück.
- StudiVZ: Die deutschsprachige Online-Community für Studenten mit einem Ableger für Schüler (SchuelerVZ) und einem für Berufstätige (meinVZ) ermöglicht eine besonders zielgruppengerechte Kommunikation.
- Wer-kennt-wen? Viertgrößtes soziales Netzwerk in Deutschland, in dem überdurchschnittlich viele Nutzer mit niedrigerem Bildungshintergrund aktiv sind.
- LinkedIn: Businessnetzwerk für Kontakte vor allem im englischsprachigen Ausland, mit dem sich die internationale Reputation erhöhen lässt.
- Flickr: Über 5000 hochgeladene Fotos pro Minute, die von Nutzern kommentiert werden. Über das eigene Profil können z. B. Werbefotos in Umlauf gebracht werden.
- Wikipedia: Über die Online-Enzyklopädie lassen sich Trends recherchieren, Informationen über Wettbewerber sammeln und werbewirksame Texte erstellen. Wikis ermöglichen gemeinschaftliche Textarbeit im Unternehmen und die Nutzung von Schwarmintelligenz (Crowdsourcing).
Strategien für soziale Medien
Unternehmen behaupten seit jeher, der Kunde sei König. Im Zeitalter von Web 2.0 müssen sie den Worten Taten folgen lassen. Denn jede Form von Respektlosigkeit spricht sich blitzschnell herum und kann katastrophale Folgen haben. Ein Dell-Kunde etwa trat mit einer vernichtenden Kritik in seinem Blog eine Lawine von Kundenbeschwerden los, die in der Gründung des „Dell-Anti-Fanclubs“ mündeten. Die Unternehmensaktie stürzte um die Hälfte ab. Sie erholte sich erst wieder, als Dell mehrere direkte Feedbackkanäle schuf und konsequent auf Beschwerden und Verbesserungsvorschläge reagierte. Das „Share-Prinzip“ im Social-Media-Marketing bedeutet, dass Sie Ihre Anhänger dazu bringen, positive Inhalte mit anderen zu teilen. Das gelingt allerdings nur, wenn diese Inhalte ein Erlebnis versprechen. Lassen Sie Ihre Kunden mitwirken und eigene Ideen entwickeln. Empfehlungsmarketing wird zur Goldmine, wenn Sie strategisch vorgehen:
- Ziele definieren: Legen Sie fest, welche Märkte und Zielgruppen Sie ansprechen wollen.
- Social-Media-Kompetenz aufbauen: Stellen Sie ein Team mit Vertretern aus den Bereichen Kommunikation, Marketing, Vertrieb, Support und IT zusammen. Veranstalten Sie einen Trainingsworkshop oder engagieren Sie externe Berater.
- Geben und Nehmen: Belohnen Sie Nutzer für ihre Aufmerksamkeit, z. B. mit Gewinnspielen. Wer den besten Text oder Film zu Ihrem Produkt einreicht, wird von der Community zum Sieger erkoren.
- Am Ball bleiben: Halten Sie den Dialog aufrecht. Auch begeisterte Follower einer Marke sind vergesslich und wenden sich Neuem zu, wenn man sie nicht erinnert.
„Social Media haben eine Eigendynamik, die nicht 100%ig steuerbar ist und so manch einem Marketingmanager großes Unbehagen bereitet.“
So wie Privatpersonen sich über Facebook zu Gruppen zusammenschließen, können die Mitarbeiter in einer neuen Unternehmenskultur Teams in sozialen Netzwerken aufbauen, sich austauschen und ihr Wissen über Wikis allen zugänglich machen. Feste Hierarchien werden durch ein Netzwerk aus ebenbürtigen Spezialisten ersetzt. Je mehr Digital Natives auf wichtige Positionen nachrücken, desto selbstverständlicher wird diese Entwicklung.
Marketing unter Freunden
Fragen Sie sich selbst: Würden Sie Ihr Produkt dem engsten Freund empfehlen? Nein? Dann haben Sie ein Problem. Ja? Dann tun Sie es und nutzen Sie die viralen Effekte. 30 Millionen Deutsche ab 14 Jahren sind in Internet-Communitys aktiv. Ein Video über die Beschleunigungskraft eines BMW-Motorrads – das Bike zog ein Tischtuch von einer festlich gedeckten Tafel, ohne dass das Porzellan kaputt ging – wurde über 3 Millionen Mal auf YouTube angeschaut. Bezahlt hat BMW nur für den Film, nicht für dessen Verbreitung. Damit das funktioniert, müssen Sie folgende Punkte beachten:
- Nah an der Zielgruppe: Social-Media-Manager müssen sich für die gleichen Themen begeistern wie ihre potenziellen Kunden. Authentizität ist Trumpf.
- Kontinuität: Planen Sie Aktionen und Aktualisierungen möglichst lange im Voraus und haben Sie Geduld. Wer zu schnell aufgibt, verliert.
- Moderation: Fördern und lenken Sie die Diskussionen in Foren und Unternehmensblogs und halten Sie Störer und Provozierer fern.
- Besucherfrequenz: Binden Sie Kunden durch Online-Events, Chats und Verlosungen.
„Ob Erklärung, Beschwerde, Spaß oder Ernst, die Stimme des Menschen soll echt sein und nicht manipulativ verfälscht werden.“
Das Prinzip des Teilens wird gerade von Facebook perfekt umgesetzt: Durch Schnittstellen zu anderen Communitys, Blogs und Websites multipliziert sich die Wirkung einer erfolgreichen Fanpage. Außerdem bietet das Netzwerk Analysewerkzeuge, mit deren Hilfe die eigene Zielgruppe beworben werden kann – auch lokal. In Berlin gibt es knapp 15 000 Personen, die laut ihrem Facebook-Status verlobt sind. Fotografen und Restaurants können ihnen ihre Dienste anbieten. Beginnen Sie ein Gespräch mit Ihren Kunden und machen Sie diese zu Botschaftern für Ihre Marke, indem Sie einer ausgesuchten Gruppe kostenlose Testprodukte zusenden.
PR in sozialen Netzwerken
Nutzen Sie die vielen kostenlosen Presseportale, um Ihre Pressemitteilungen zu veröffentlichen. Je relevanter und informativer der Inhalt, desto eher werden sie von Suchmaschinen wie Google indiziert und erhalten ein gutes Ranking. Bieten Sie Bloggern, die sich mit für Sie relevanten Themen beschäftigen, gut geschriebene, exklusive Informationen an und schlagen Sie ihnen einen Linktausch vor.
„Social Media sind von ihrer Bedeutung vergleichbar mit der Erfindung des Telefons.“
Pessimisten behaupten, Social Media sei nur für banale Gespräche gut. Optimisten hingegen sind überzeugt, dass jeder erfolgreiche Verkaufsabschluss damit beginnt. Die Businessplattform Xing liefert viele Beispiele dafür, wie Hilfesuchende den perfekten Serviceanbieter, Unternehmen die passenden Mitarbeiter oder Autoren ein spannendes Buchprojekt gefunden haben, und zwar ganz ohne Spam-Mails oder Kaltakquise. Der Schlüssel zum Erfolg liegt im Aufbau und in der Pflege von Netzwerken. Verteilen Sie großzügig Geschenke, etwa in Form eines E-Books. Soziale Netzwerke eignen sich hervorragend für das Employer-Branding, die Unternehmensdarstellung im Netz. Der Kampf um Talente wird in Zukunft eher zunehmen, und da sind diejenigen Firmen klar im Vorteil, die sich in den gleichen Gruppen aufhalten wie die gewünschten Bewerber. Stellen Sie Recruiting-Videos ins Netz, die einen Eindruck vom Arbeitsklima vermitteln und in denen echte Mitarbeiter zu Wort kommen.
Alles Recht im Netz
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Wenn Sie Bilder, Inhalte, Produktlogos oder Texte anderer ins Netz stellen, müssen Sie sich immer die Einwilligung der Abgebildeten bzw. das Einverständnis der Rechteinhaber besorgen. Umgekehrt bleibt einem manchmal nichts anderes übrig, als die zu verklagen, die den eigenen Markennamen unerlaubt benutzen. Der Gefahr ist jedoch groß, dass Sie damit allerdings auch hohen Schaden durch Reputationsverlust anrichten. Vermeiden Sie gerichtliche Auseinandersetzungen wann immer möglich.
„Die einzige Chance, in der Zukunft noch zu verkaufen, liegt darin, dass Verkäufer das Medium Social Media besser verstehen als der Konsument selbst.“
Jedes zweite Unternehmen verbietet seinen Mitarbeitern die Nutzung sozialer Medien. Das ist verständlich, aber kontraproduktiv. Wer ernsthaft Social-Media-Relations betreiben möchte, also den ständigen Kontakt mit Kunden in Blogs, auf Bewertungsportalen und in Communitys pflegen will, der darf seinen Mitarbeitern nicht den Zugang sperren. Besser ist es, klare und konstruktive Regeln aufzustellen: Wann und wie dürfen Mitarbeiter sich auf Facebook und Co. einloggen? Wie ist das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern in den Netzwerken geregelt? Was gilt in Bezug auf „Whistleblowing“, d. h. die anonyme Aufdeckung von Missständen oder Gefahren? Welche Sanktionen greifen bei rufschädigenden Äußerungen? Social-Media-Richtlinien erleichtern den Mitarbeitern die Orientierung in einem unübersichtlichen Gebiet und schützen Sie vor unliebsamen Überraschungen.
Bleiben Sie auf dem Laufenden
Gute wie schlechte Nachrichten entfalten im Netz eine immense Wirkung. Es wäre peinlich, wenn Sie als Betroffener zuletzt davon hören. Richten Sie ein permanentes internes Social-Media-Monitoring ein und nehmen Sie externe Hilfe in Anspruch, um die Wirksamkeit einzelner Kampagnen zu evaluieren. Die Auswertung funktioniert je nach Zielsetzung und Unternehmensgröße sehr unterschiedlich. Entscheidend ist, dass Sie das Feedback im Netz sehr ernst nehmen: Reagieren Sie auf Beschwerden und lösen Sie wenn möglich die Probleme. Machen Sie Meinungsmultiplikatoren ausfindig und kontaktieren Sie diese. Nutzen Sie die Blog-Debatten als Frühwarnsystem. Die Basis für ein professionelles Webmonitoring können Sie übrigens mit kostenfreien Tools wie Google Alerts (Erwähnungen im Internet), Google Groups (Diskussionsforen) oder Social Mention (Social-Media-Plattformen) legen.