Ausverkauf Deutschland

Buch Ausverkauf Deutschland

Wie ausländische Investoren unser Land übernehmen

Econ,


Rezension

Erst warnte Thilo Sarrazin vor Deutsch­lands Abschaffung, nun beklagt Constantin Schreiber den ökonomischen Ausverkauf des Landes. So knallig wie das Cover sind auch manche Thesen, die im Buch aufgestellt werden. Keine Frage: Schreiber, der fürs Auswärtige Amt in Berlin arbeitet, will provozieren. Man fragt sich: Verkauft sich Deutschland wirklich so billig? Aber auch: Ist das wirklich so schlimm? Egal ob man Schreibers Meinung teilt, seine Beispiele rütteln wach und sen­si­bil­isieren für die Nachteile von Glob­al­isierung und Pri­vatisierung direkt vor unserer Haustür. Der klare Aufbau und die Kästen, die den Text mit kurzen Un­ternehmen­sporträts oder weiterführenden Infos anreichern, sind ansprechend. Nicht nötig gewesen wären die häufigen Wieder­hol­un­gen und das Hin und Her zwischen ver­schiede­nen Themen. Und ob die im Lit­er­aturverze­ich­nis angegebenen Quellen – fast ausschließlich Weblinks – die Re­galleben­szeit von Schreibers Buch überdauern, darf bezweifelt werden. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die sich um die Zukunft der deutschen Wirtschaft sorgen.

Take-aways

  • Deutsch­lands beste Unternehmen werden von ausländischen Investoren aufgekauft.
  • Die Gründe: Glob­al­isierung, Wirtschaft­skrise, schwache Politiker und gierige Manager.
  • Unternehmen sind auf fremdes Geld angewiesen; Deutsch­lands Reichtum schwindet.
  • Am stärksten investieren Chinesen, Russen, Inder und Araber.
  • Bei vielen In­vesti­tio­nen geht es vor allem um den Transfer von Know-how.
  • Die Investoren nehmen sich geballt bestimmte Regionen Deutsch­lands vor.
  • Die Glob­al­isierung war so lange gut für Deutschland, wie deutsche Unternehmen im Ausland billig produzieren konnten. Jetzt wendet sich das Blatt.
  • Anders als in Deutschland schotten sich viele Unternehmen im Ausland gegenüber fremden Teilhabern ab.
  • Politik und Unternehmen müssen ausländische Beteili­gun­gen beschränken.
  • Ein deutscher Staatsfonds, der im Notfall den Ausverkauf wichtiger Firmen verhindert, wäre hilfreich.
 

Zusammenfassung

Deutschland auf dem Wühltisch der Welt

Im März 2009 sicherten sich die Scheichs aus Abu Dhabi mit rund 2 Milliarden Dollar eine saftige Scheibe von Mercedes. Als größter Einze­lak­tionär halten sie nun über die Aabar Investment Public Joint Stock Company 9,1 % des Autobauers mit dem Stern. Ähnlich sieht es bei vielen anderen Dax-Un­ternehmen aus: Kaum eine der deutschen Tra­di­tions­fir­men ist ausschließlich in deutscher Hand. Überall mischen ausländische Investoren mit, die ihr Mit­spracherecht clever ausnutzen, um eigene Unternehmen im Ausland zu protegieren und ihre Tochter­fir­men mit lukrativen Aufträgen zu versorgen.

„Es wäre naiv, im flächen­deck­enden Aufkauf Deutsch­lands etwas anderes sehen zu wollen als einen ökonomischen Raubzug.“

So geschehen im Fall von Mercedes: Die Modelle Sprinter, Unimog und G-Klasse werden nicht mehr in Deutschland, sondern in Algerien hergestellt. Noch dazu wird die Produktion in Nordafrika vom ehemaligen deutschen An­la­gen­bauer Ferrostaal koordiniert, der den Scheichs bereits zu 70 % gehört. Rund 720 Millionen Dollar an In­vesti­tio­nen fließen statt nach Deutschland nun nach Algerien. Hierzulande freuen sich nicht wenige darüber, wenn Investoren aus dem Ausland zugreifen und ihr Geld in deutsche Unternehmen pumpen. Allerdings besteht die Gefahr, dass mit den Firmen auch deutsche Werte, politische Er­run­gen­schaften und unser Lebensstil auf den Wühltisch kommen.

Die „großen Vier“ und ihre Einkauf­swun­schlis­ten

Zwischen 2005 und 2008 sanken die Di­rek­t­in­vesti­tio­nen der USA in Deutschland um 5,46 %. Im gleichen Zeitraum stiegen die In­vesti­tio­nen aus China um 94 %, jene aus Indien um 277 % und jene aus Russland um sagenhafte 317 %. Zusammen mit den Arabern bilden Russland, China und Indien die „großen Vier“ der Aus­landsin­ve­storen, die sich die Filetstücke der deutschen Industrie schnappen. Jedes Land hat seine eigenen Vorlieben, denen man bereits heute entnehmen kann, wo es als Nächstes investieren wird:

  1. Die Araber setzen vor allem auf Luxus und Limousinen. Globale Marken, Lifestyle-Un­ternehmen und Werften gehören zu den bevorzugten Objekten. Als es darum ging, Opel zu retten, sahen die Araber von einem Einstieg ab, denn mit Mit­telk­lassewa­gen kann man in der auf Prestige aus­gerichteten arabischen High Society kaum punkten. Nach Mercedes könnten BMW und Audi auf der Wunschliste der Araber landen.
  2. Die Inder investieren vor allem im IT-Bereich und in der Mode- und Tex­til­branche. Kein anderes Schwellen­land ist so stark mit deutschen Unternehmen verbandelt wie Indien. Mit rund 500 Millionen arbeitenden Menschen können indische Tex­tilun­ternehmen billig produzieren. Was ihnen für einen Er­oberungs­feldzug in Europa fehlt, ist eine gute Ver­trieb­sin­fra­struk­tur. Und die bieten deutsche Unternehmen, so etwa der im Jahr 2007 pleit­ege­gan­gene Bek­lei­dung­shan­del Wehmeyer. Ein Inder kaufte das marode Geschäft und nutzt seitdem die Ver­trieb­sstruk­tur, um eigene, in Indien hergestellte Bekleidung in Deutschland und bald auch im restlichen Europa zu vertreiben.
  3. Die Chinesen konzen­tri­eren sich derzeit auf massen­taugliche Produkte. Anders als die Inder sind sie in diesem Bereich aber nicht mehr nur auf der Suche nach Artikeln, die sie kopieren können, sondern wollen auch selbst verstehen, wie die Technik funk­tion­iert, in­ter­essieren sich also für das entsprechende Know-how. Außerdem auf der Einkauf­s­liste aus Fernost: der deutsche Wald. Weil China fast abgeholzt ist und Deutschland immer noch viel Wald hat, kaufen die Chinesen derzeit große Flächen, um aus dem deutschen Wald Kleinholz zu machen.
  4. Die Russen, besser gesagt: einige russische Unternehmen, verfügen über eine höhere Finanzkraft denn je. Autos, Schiffe, Bahnen, Flugzeuge – alles soll nach Russland, denn das Land hat zwar viele billige Arbeitskräfte, aber keine Topmarken. Außerdem haben die Russen einen weiteren Trumpf in der Hand: Rohstoffe. Allein ihre Erdgas­re­ser­ven umfassen rund ein Drittel der gesamten weltweiten Vorräte. Der Zugriff auf das ressource­n­arme Deutschland eröffnet große Ab­satzchan­cen.

Investition oder Ausverkauf?

Gemäß dem Nation Brand Index von 2008, der Länder der Welt nach ihrer Reputation bewertet, steht Deutschland in Sachen Image auf Platz eins. Deutschland ist also so sympathisch wie noch nie – aber leider auch abgebrannt. Auf der Liste der reichsten Länder der Welt erreichte es 2009 gerade noch Platz 25, während es 1993 noch auf Platz sieben war. Deutschland ist abhängig von fremdem Geld. Tra­di­tion­s­marken wie Junghans, Wolf, Märklin, Rosenthal oder Schiesser kämpfen ums Überleben oder haben den Kampf bereits aufgegeben. Wenn der Gerichtsvol­lzieher vor der Tür steht, sehnen sich deutsche Unternehmen nach ausländischen Investoren, die frisches Geld in die maroden Kassen spülen. Doch wann handelt es sich um Investoren, die das Unternehmen tatsächlich sanieren wollen, und wann um Abzocker, die nur nach leichter Beute suchen?

„Kein anderes Schwellen­land übernimmt mehr westliche Unternehmen als Indien.“

Die Alar­m­glocken sollten schrillen, wenn folgende typische Ausverkauf­s­merk­male gegeben sind:

  • Die En­twick­lung­sun­ter­schiede zwischen den Geschäftspartnern sind hoch: Wenn ein hochtech­nol­o­gis­ches Unternehmen an eine ausländische Firma gehen soll, die eher als Lowtech-Her­steller bekannt ist, ist allerhöchste Vorsicht geboten.
  • Reiches Schwellen­land kauft in­sol­venzbedro­htes Unternehmen: Unternehmen aus einem höher en­twick­el­ten Land mit fi­nanziellen Schwierigkeiten sind meist ein gefundenes Fressen für solvente Käufer aus dem weniger en­twick­el­ten Ausland.
  • Die Übernahme ist politisch motiviert: Wenn das ausländische Unternehmen eine Marionette des Staates ist (wie das beim russischen Unternehmen GAZ der Fall war, im Zusam­men­hang mit der vereitelten Übernahme von Opel), dann sollte jedem klar sein: Die Investition dient vor allem dem Transfer von Know-how und Tech­nolo­gien.
  • Es geht um Schlüssel­branchen: Wenn sich ausländische Investoren für die Branchen In­fra­struk­tur, Telekom­mu­nika­tion und Maschi­nen­bau in­ter­essieren, wollen sie auch die Produktion früher oder später in ihr Heimatland holen.

In­ve­storen­typen und -strategien

Die „großen Vier“ gehen meist nach dem gleichen Prinzip vor:

  • Phase eins: Sie siedeln sich sys­tem­a­tisch in Clustern an, z. B. China in Hamburg, Indien in Frankfurt, die Golf-Araber in München und Stuttgart, Russland in Rostock und Leipzig.
  • Phase zwei: Die hiesigen Unternehmen werden infiltriert, es werden also ganz harmlos Anteile erworben oder nicht ganz so harmlos Mehrheiten gekauft und Führungskräfte aus­ge­tauscht.
  • Phase drei: Die ver­w­ert­baren Tech­nolo­gien, Patente und Pro­duk­tion­san­la­gen werden ins Heimatland exportiert und die Produktion dorthin verlagert. In Deutschland bleibt dann nur das Fir­menskelett.
„Die Situation ist paradox: Je mehr Geld aus China oder der Taiga zu uns kommt, desto schneller geht es mit Deutschland bergab.“

Unter den Investoren gibt es sowohl klassische „Heuschrecken“ (aufkaufen, auffressen, abziehen) als auch „Latenztypen“ (die sich strategisch in Stellung bringen und zum richtigen Zeitpunkt zuschlagen) sowie „Ausbluter“ (permanenter, tröpfchen­weiser Abfluss von Technologie und Know-how).

Abu Dhabi geht es vor allem ums Prestige und um den Konkur­ren­zkampf mit Dubai. Die Waffen: gigantische Projekte wie der Medientower Twofour54, Wel­traumtech­nolo­gie, hochkarätige Sportevents oder Kernenergie. China setzt auf Spionage. Die Kom­mu­nis­tis­che Partei lässt regelmäßig untersuchen, welche westlichen Unternehmen für China interessant sind. Dann werden strategisch passende chinesische Unternehmen per Staatsfonds für den Einkauf im Westen aus­ges­tat­tet. Die ausländischen Manager schleichen nicht selten mit Spi­onagekam­eras durch die deutschen Werkshallen, um Daten an den großen Bruder in China weit­erzuleiten. Respekt haben die „großen Vier“ vor gar nichts, denn Deutschland ist für sie zwar tech­nol­o­gisch immer noch interessant, politisch aber eine kleine Nummer. Wenn sie überhaupt vor irgendetwas Angst haben, dann vor der westlichen Demokratie.

Die Ursachen: Glob­al­isierung, Finanzkrise, Politikschwäche

Wie kam es überhaupt dazu, dass Deutsch­lands Unternehmen heute vor dem Ausverkauf stehen? Zwei Faktoren verstärkten sich gegenseitig:

„Wenn die reichen Blender aus der Ferne mit ihren gi­gan­tis­chen Projekten und ihrer Geldmacht zum Angriff blasen, lassen sich gerade die Deutschen allzu leicht einschüchtern.“

Erstens die Glob­al­isierung – sie führte dazu, dass unter westlicher Leitung im Ausland billiger produziert wurde. Mehr und mehr geht die Regie nun aber in die Hände jener Staaten über, die produzieren, während die westlichen Nationen leer ausgehen, weil sie zu teuer sind. Gle­ichzeitig schotten sich die ausländischen Investoren in ihrem Heimatland ab. Als Deutscher im Emirat ein Hotel eröffnen? Unmöglich.

„Deutschland muss sich wehren, und zwar an allen Fronten.“

Der zweite Faktor: die Finanzkrise. Sie war der Brandbeschle­u­niger für die massenhafte Beteiligung ausländischer Investoren. Seit der Krise hängen viele Unternehmen am Tropf der Geldgeber aus Russland und Fernost. Die Politik verfällt in eine Angststarre und schaut tatenlos zu, sie pri­vatisiert ihr „Tafelsilber“ und überlässt das Geschehen den Kräften des Marktes. Dort gelten alle möglichen Prinzipien – das Konzept Gemeinwohl gehört aber eher nicht dazu. Gerade die Finanzkrise wird dazu führen, dass der Staat weiter sparen muss und öfters mal ein Auge zudrückt, wenn sich ausländische Investoren unter dem Deckmantel der Investition ganze In­dus­triezweige ein­ver­leiben.

Die Schuldigen: unsere Elite

Wer ist schuld daran, dass dem Ausverkauf Deutschland Tür und Tor geöffnet werden? Es sind vor allem die angeblichen deutschen Eliten: Un­ternehmens­ber­ater, die nur glücklich sind, wenn in den Firmen auf Teufel komm raus gespart wird. Manager, die sich von Kurzfristver­trag zu Kurzfristver­trag hangeln, keine Ve­r­ant­wor­tung für ihr Unternehmen übernehmen und sich möglichst schnell selbst die Taschen vollstopfen. Ehemalige Politiker wie Gerhard Schröder, die gleich nach dem Ende ihrer politischen Karriere in den Auf­sicht­srat ausländischer Unternehmen wechseln oder als In­dus­trielob­by­is­ten anheuern. Anwälte, die mit dem Be­ratungs­feld Mergers & Ac­qui­si­tions Geld scheffeln, indem sie als Schattenmänner Fusionen und Übernahmen vorbereiten.

Was Deutschland gegen den Ausverkauf tun kann

Die Glob­al­isierung wird niemand aufhalten können. Aber es gibt ein paar Möglichkeiten, den Ausverkauf Deutsch­lands zumindest zu ver­langsamen. Die Politik muss darüber wachen, dass nicht jeder, der in Deutschland einkaufen will, das auch darf.

„Nur wer anderen als Vorbild dient, kann die Menschen begeistern und sie dazu bringen, stolz auf das Land zu sein, in dem sie leben.“

Das Risikobe­gren­zungs­ge­setz von 2008, das u. a. eine Max­i­mal­beteili­gung fremder Investoren von 25 % und ein Vetorecht der Regierung vorsieht, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Gut wäre zudem ein eigener Staatsfonds, der im Notfall den Ausverkauf wichtiger deutscher Firmen verhindert. Deutschland muss seine In­no­va­tio­nen, z. B. grüne Tech­nolo­gien, viel stärker forcieren und die Entwicklung exklusiver Technik vo­rantreiben. Schließlich schwebt immer noch der de­mografis­che Hammer über uns: Wir brauchen mehr Kinder und passende Be­treu­ung­sein­rich­tun­gen. Und wir brauchen eine qual­i­fizierte Zuwanderung. Außerdem muss Deutschland selb­st­be­wusster werden: Wir lassen uns schnell einschüchtern. Doch dazu besteht kein Grund, denn im Gegensatz zu den autoritären Mächten China und Russland ist Deutschland eine liberale, demokratis­che Gesellschaft und kann stolz darauf sein.

Über den Autor

Constantin Schreiber ist Jurist und Journalist und war von 2006 bis Anfang 2009 Ko­r­re­spon­dent der Deutschen Welle in Dubai. Seither ist er im Auswärtigen Amt in Berlin für Me­di­en­pro­jekte Deutsch­lands in der arabischen Welt tätig.