Deutschland auf dem Wühltisch der Welt
Im März 2009 sicherten sich die Scheichs aus Abu Dhabi mit rund 2 Milliarden Dollar eine saftige Scheibe von Mercedes. Als größter Einzelaktionär halten sie nun über die Aabar Investment Public Joint Stock Company 9,1 % des Autobauers mit dem Stern. Ähnlich sieht es bei vielen anderen Dax-Unternehmen aus: Kaum eine der deutschen Traditionsfirmen ist ausschließlich in deutscher Hand. Überall mischen ausländische Investoren mit, die ihr Mitspracherecht clever ausnutzen, um eigene Unternehmen im Ausland zu protegieren und ihre Tochterfirmen mit lukrativen Aufträgen zu versorgen.
„Es wäre naiv, im flächendeckenden Aufkauf Deutschlands etwas anderes sehen zu wollen als einen ökonomischen Raubzug.“
So geschehen im Fall von Mercedes: Die Modelle Sprinter, Unimog und G-Klasse werden nicht mehr in Deutschland, sondern in Algerien hergestellt. Noch dazu wird die Produktion in Nordafrika vom ehemaligen deutschen Anlagenbauer Ferrostaal koordiniert, der den Scheichs bereits zu 70 % gehört. Rund 720 Millionen Dollar an Investitionen fließen statt nach Deutschland nun nach Algerien. Hierzulande freuen sich nicht wenige darüber, wenn Investoren aus dem Ausland zugreifen und ihr Geld in deutsche Unternehmen pumpen. Allerdings besteht die Gefahr, dass mit den Firmen auch deutsche Werte, politische Errungenschaften und unser Lebensstil auf den Wühltisch kommen.
Die „großen Vier“ und ihre Einkaufswunschlisten
Zwischen 2005 und 2008 sanken die Direktinvestitionen der USA in Deutschland um 5,46 %. Im gleichen Zeitraum stiegen die Investitionen aus China um 94 %, jene aus Indien um 277 % und jene aus Russland um sagenhafte 317 %. Zusammen mit den Arabern bilden Russland, China und Indien die „großen Vier“ der Auslandsinvestoren, die sich die Filetstücke der deutschen Industrie schnappen. Jedes Land hat seine eigenen Vorlieben, denen man bereits heute entnehmen kann, wo es als Nächstes investieren wird:
- Die Araber setzen vor allem auf Luxus und Limousinen. Globale Marken, Lifestyle-Unternehmen und Werften gehören zu den bevorzugten Objekten. Als es darum ging, Opel zu retten, sahen die Araber von einem Einstieg ab, denn mit Mittelklassewagen kann man in der auf Prestige ausgerichteten arabischen High Society kaum punkten. Nach Mercedes könnten BMW und Audi auf der Wunschliste der Araber landen.
- Die Inder investieren vor allem im IT-Bereich und in der Mode- und Textilbranche. Kein anderes Schwellenland ist so stark mit deutschen Unternehmen verbandelt wie Indien. Mit rund 500 Millionen arbeitenden Menschen können indische Textilunternehmen billig produzieren. Was ihnen für einen Eroberungsfeldzug in Europa fehlt, ist eine gute Vertriebsinfrastruktur. Und die bieten deutsche Unternehmen, so etwa der im Jahr 2007 pleitegegangene Bekleidungshandel Wehmeyer. Ein Inder kaufte das marode Geschäft und nutzt seitdem die Vertriebsstruktur, um eigene, in Indien hergestellte Bekleidung in Deutschland und bald auch im restlichen Europa zu vertreiben.
- Die Chinesen konzentrieren sich derzeit auf massentaugliche Produkte. Anders als die Inder sind sie in diesem Bereich aber nicht mehr nur auf der Suche nach Artikeln, die sie kopieren können, sondern wollen auch selbst verstehen, wie die Technik funktioniert, interessieren sich also für das entsprechende Know-how. Außerdem auf der Einkaufsliste aus Fernost: der deutsche Wald. Weil China fast abgeholzt ist und Deutschland immer noch viel Wald hat, kaufen die Chinesen derzeit große Flächen, um aus dem deutschen Wald Kleinholz zu machen.
- Die Russen, besser gesagt: einige russische Unternehmen, verfügen über eine höhere Finanzkraft denn je. Autos, Schiffe, Bahnen, Flugzeuge – alles soll nach Russland, denn das Land hat zwar viele billige Arbeitskräfte, aber keine Topmarken. Außerdem haben die Russen einen weiteren Trumpf in der Hand: Rohstoffe. Allein ihre Erdgasreserven umfassen rund ein Drittel der gesamten weltweiten Vorräte. Der Zugriff auf das ressourcenarme Deutschland eröffnet große Absatzchancen.
Investition oder Ausverkauf?
Gemäß dem Nation Brand Index von 2008, der Länder der Welt nach ihrer Reputation bewertet, steht Deutschland in Sachen Image auf Platz eins. Deutschland ist also so sympathisch wie noch nie – aber leider auch abgebrannt. Auf der Liste der reichsten Länder der Welt erreichte es 2009 gerade noch Platz 25, während es 1993 noch auf Platz sieben war. Deutschland ist abhängig von fremdem Geld. Traditionsmarken wie Junghans, Wolf, Märklin, Rosenthal oder Schiesser kämpfen ums Überleben oder haben den Kampf bereits aufgegeben. Wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, sehnen sich deutsche Unternehmen nach ausländischen Investoren, die frisches Geld in die maroden Kassen spülen. Doch wann handelt es sich um Investoren, die das Unternehmen tatsächlich sanieren wollen, und wann um Abzocker, die nur nach leichter Beute suchen?
„Kein anderes Schwellenland übernimmt mehr westliche Unternehmen als Indien.“
Die Alarmglocken sollten schrillen, wenn folgende typische Ausverkaufsmerkmale gegeben sind:
- Die Entwicklungsunterschiede zwischen den Geschäftspartnern sind hoch: Wenn ein hochtechnologisches Unternehmen an eine ausländische Firma gehen soll, die eher als Lowtech-Hersteller bekannt ist, ist allerhöchste Vorsicht geboten.
- Reiches Schwellenland kauft insolvenzbedrohtes Unternehmen: Unternehmen aus einem höher entwickelten Land mit finanziellen Schwierigkeiten sind meist ein gefundenes Fressen für solvente Käufer aus dem weniger entwickelten Ausland.
- Die Übernahme ist politisch motiviert: Wenn das ausländische Unternehmen eine Marionette des Staates ist (wie das beim russischen Unternehmen GAZ der Fall war, im Zusammenhang mit der vereitelten Übernahme von Opel), dann sollte jedem klar sein: Die Investition dient vor allem dem Transfer von Know-how und Technologien.
- Es geht um Schlüsselbranchen: Wenn sich ausländische Investoren für die Branchen Infrastruktur, Telekommunikation und Maschinenbau interessieren, wollen sie auch die Produktion früher oder später in ihr Heimatland holen.
Investorentypen und -strategien
Die „großen Vier“ gehen meist nach dem gleichen Prinzip vor:
- Phase eins: Sie siedeln sich systematisch in Clustern an, z. B. China in Hamburg, Indien in Frankfurt, die Golf-Araber in München und Stuttgart, Russland in Rostock und Leipzig.
- Phase zwei: Die hiesigen Unternehmen werden infiltriert, es werden also ganz harmlos Anteile erworben oder nicht ganz so harmlos Mehrheiten gekauft und Führungskräfte ausgetauscht.
- Phase drei: Die verwertbaren Technologien, Patente und Produktionsanlagen werden ins Heimatland exportiert und die Produktion dorthin verlagert. In Deutschland bleibt dann nur das Firmenskelett.
„Die Situation ist paradox: Je mehr Geld aus China oder der Taiga zu uns kommt, desto schneller geht es mit Deutschland bergab.“
Unter den Investoren gibt es sowohl klassische „Heuschrecken“ (aufkaufen, auffressen, abziehen) als auch „Latenztypen“ (die sich strategisch in Stellung bringen und zum richtigen Zeitpunkt zuschlagen) sowie „Ausbluter“ (permanenter, tröpfchenweiser Abfluss von Technologie und Know-how).
Abu Dhabi geht es vor allem ums Prestige und um den Konkurrenzkampf mit Dubai. Die Waffen: gigantische Projekte wie der Medientower Twofour54, Weltraumtechnologie, hochkarätige Sportevents oder Kernenergie. China setzt auf Spionage. Die Kommunistische Partei lässt regelmäßig untersuchen, welche westlichen Unternehmen für China interessant sind. Dann werden strategisch passende chinesische Unternehmen per Staatsfonds für den Einkauf im Westen ausgestattet. Die ausländischen Manager schleichen nicht selten mit Spionagekameras durch die deutschen Werkshallen, um Daten an den großen Bruder in China weiterzuleiten. Respekt haben die „großen Vier“ vor gar nichts, denn Deutschland ist für sie zwar technologisch immer noch interessant, politisch aber eine kleine Nummer. Wenn sie überhaupt vor irgendetwas Angst haben, dann vor der westlichen Demokratie.
Die Ursachen: Globalisierung, Finanzkrise, Politikschwäche
Wie kam es überhaupt dazu, dass Deutschlands Unternehmen heute vor dem Ausverkauf stehen? Zwei Faktoren verstärkten sich gegenseitig:
„Wenn die reichen Blender aus der Ferne mit ihren gigantischen Projekten und ihrer Geldmacht zum Angriff blasen, lassen sich gerade die Deutschen allzu leicht einschüchtern.“
Erstens die Globalisierung – sie führte dazu, dass unter westlicher Leitung im Ausland billiger produziert wurde. Mehr und mehr geht die Regie nun aber in die Hände jener Staaten über, die produzieren, während die westlichen Nationen leer ausgehen, weil sie zu teuer sind. Gleichzeitig schotten sich die ausländischen Investoren in ihrem Heimatland ab. Als Deutscher im Emirat ein Hotel eröffnen? Unmöglich.
„Deutschland muss sich wehren, und zwar an allen Fronten.“
Der zweite Faktor: die Finanzkrise. Sie war der Brandbeschleuniger für die massenhafte Beteiligung ausländischer Investoren. Seit der Krise hängen viele Unternehmen am Tropf der Geldgeber aus Russland und Fernost. Die Politik verfällt in eine Angststarre und schaut tatenlos zu, sie privatisiert ihr „Tafelsilber“ und überlässt das Geschehen den Kräften des Marktes. Dort gelten alle möglichen Prinzipien – das Konzept Gemeinwohl gehört aber eher nicht dazu. Gerade die Finanzkrise wird dazu führen, dass der Staat weiter sparen muss und öfters mal ein Auge zudrückt, wenn sich ausländische Investoren unter dem Deckmantel der Investition ganze Industriezweige einverleiben.
Die Schuldigen: unsere Elite
Wer ist schuld daran, dass dem Ausverkauf Deutschland Tür und Tor geöffnet werden? Es sind vor allem die angeblichen deutschen Eliten: Unternehmensberater, die nur glücklich sind, wenn in den Firmen auf Teufel komm raus gespart wird. Manager, die sich von Kurzfristvertrag zu Kurzfristvertrag hangeln, keine Verantwortung für ihr Unternehmen übernehmen und sich möglichst schnell selbst die Taschen vollstopfen. Ehemalige Politiker wie Gerhard Schröder, die gleich nach dem Ende ihrer politischen Karriere in den Aufsichtsrat ausländischer Unternehmen wechseln oder als Industrielobbyisten anheuern. Anwälte, die mit dem Beratungsfeld Mergers & Acquisitions Geld scheffeln, indem sie als Schattenmänner Fusionen und Übernahmen vorbereiten.
Was Deutschland gegen den Ausverkauf tun kann
Die Globalisierung wird niemand aufhalten können. Aber es gibt ein paar Möglichkeiten, den Ausverkauf Deutschlands zumindest zu verlangsamen. Die Politik muss darüber wachen, dass nicht jeder, der in Deutschland einkaufen will, das auch darf.
„Nur wer anderen als Vorbild dient, kann die Menschen begeistern und sie dazu bringen, stolz auf das Land zu sein, in dem sie leben.“
Das Risikobegrenzungsgesetz von 2008, das u. a. eine Maximalbeteiligung fremder Investoren von 25 % und ein Vetorecht der Regierung vorsieht, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Gut wäre zudem ein eigener Staatsfonds, der im Notfall den Ausverkauf wichtiger deutscher Firmen verhindert. Deutschland muss seine Innovationen, z. B. grüne Technologien, viel stärker forcieren und die Entwicklung exklusiver Technik vorantreiben. Schließlich schwebt immer noch der demografische Hammer über uns: Wir brauchen mehr Kinder und passende Betreuungseinrichtungen. Und wir brauchen eine qualifizierte Zuwanderung. Außerdem muss Deutschland selbstbewusster werden: Wir lassen uns schnell einschüchtern. Doch dazu besteht kein Grund, denn im Gegensatz zu den autoritären Mächten China und Russland ist Deutschland eine liberale, demokratische Gesellschaft und kann stolz darauf sein.