Ernährung im 21. Jahrhundert
Das Thema globale Ernährung betrifft längst nicht mehr nur die Frage der Armutsbekämpfung. Es leiden zwar immer noch Hunderte Millionen von Menschen auf der ganzen Welt an Hunger, doch zusätzlich verursachen die modernen technologischen Möglichkeiten der Nahrungsmittelproduktion ganz neue Probleme, die sich rasant weltweit verbreiten – obwohl jährlich der Ertrag an Lebensmitteln gesteigert wird. Dazu zählen zunehmende Umweltverschmutzung, höhere Anfälligkeit für Krankheiten, Ausbeutung von Arbeitskräften, Verschwinden der Pflanzen- und Tiervielfalt durch Genmanipulationen, Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche Subventionen und sogar die Verschärfung der Armut.
„Menschen auf der ganzen Welt essen heute dieselben Dinge, die sie vor 20, 30 Jahren nicht einmal kannten.“
Ein Grund für diese Entwicklung ist die zunehmende Angleichung der weltweiten Essgewohnheiten und der Nahrungsmittelproduktion. Auf allen Kontinenten verliert der Akt des Essens an Bedeutung. Die Zeit soll so effektiv wie möglich genutzt werden. Das heißt: Essen muss schnell verfügbar, ohne großen Aufwand konsumierbar und nicht teuer sein. Diese Ansprüche lassen sich nur durch eine industrielle Fertigung bedienen. Die Bequemlichkeit der Konsumenten hat jedoch ihren Preis. So haben die meisten Menschen keine Ahnung mehr, wie Lebensmittel überhaupt entstehen oder wie gesund gekocht wird. Sie wissen nicht, dass ihre Nahrung ohne Chemie weder haltbar noch billig wäre, dass die industrielle Produktion die Natur gefährdet und dass die moderne Ernährungsweise die Basis vieler Krankheiten ist. Immer mehr Menschen essen zu fett, zu süß und zu viel. Übergewicht ist zu einem der drängendsten Probleme geworden.
„Wir haben noch nie so viel industriell produzierte Nahrung zu uns genommen wie heute.“
Besonders anschaulich lassen sich die Veränderungen der globalen Ernährungsweisen an der Pizza aus der Tiefkühltruhe illustrieren. Das einstige Mahl der Armen in Neapel zählt heute überall auf der Welt zur Lieblingsspeise, wenn es um schnelle Kost geht. Einfach und mit großer Vielfalt zuzubereiten, ist die Pizza ein Paradeprodukt für die Industrie.
Das Geheimnis der Tiefkühlpizza
Verbraucherschützer fordern seit Langem eine ehrliche und deutliche Kennzeichnung der Zutaten in Lebensmitteln. Nicht zuletzt auf Druck der Politik veröffentlichen die Hersteller tatsächlich immer mehr Informationen über ihre Produkte. So erfahren die Konsumenten etwa den genauen Nährstoffgehalt ihres Essens in Form von Fett-, Zucker- oder Salzwerten. Auch die Zutaten werden inzwischen detailliert aufgelistet. Aber weiß der Käufer einer Pizza z. B., was die Zutaten modifizierte Stärke, Laktose oder Maltodextrin überhaupt sind, wie sie hergestellt werden und was sie bewirken?
„Die Landwirtschaft als Rohstoffproduzent sieht sich einer immer größer werdenden Marktmacht der Konzerne gegenüber, die in den Händen weniger Einkäufer konzentriert ist.“
Die Antwort lautet in der Regel Nein. Die meisten Konsumenten wissen nicht, dass es sich dabei um chemische Zusatzstoffe handelt, die Tiefkühlpizzen erst industrietauglich machen. Die im Labor erzeugten Zutaten sorgen nicht nur dafür, dass industrielle Lebensmittel länger haltbar und schnell zu erzeugen sind. Sie sind auch kostengünstiger zu produzieren und garantieren einen stabileren Geschmack als natürliche Rohstoffe. Deshalb wimmelt es gerade in Tiefkühlpizzen nur so von künstlichen Aromen, Konservierungsstoffen oder Antioxidantien, die meist unter einer E-Nummer auf der Verpackung angegeben werden. Das E steht dabei für essbar. Ob diese zugelassenen Zusatzstoffe allerdings wirklich gesundheitlich unproblematisch sind, darüber streiten sich die Experten.
„Die Bausteine aus dem Labor sind oft günstiger zu erzeugen und konstanter im Geschmack als natürliche Rohstoffe.“
Sicher ist, dass die Verwendung chemischer Zutaten bis hin zum fast vollständigen Ersatz von Kräutern, Obst oder Gewürzen nichts mit den Versprechungen der Werbung zu tun hat. Tiefkühlpizzen entstehen auch nicht im traditionellen Steinofen, sondern in riesigen Fabrikhallen, in denen große Maschinen Teig kneten, Gemüse schneiden oder Käse raspeln. Die Zutaten werden über endlos lange Fließbänder zusammengebracht, die Pizzen schließlich in einem Metallungetüm bei 300 Grad gebacken. Nach einem Schockgefrieren werden die unzähligen identischen Produkte automatisch verpackt und in die Supermärkte abtransportiert. Mit der bis ins Detail geplanten, sterilen Produktion können z. B. die rund 100 Mitarbeiter des Herstellers Hasa aus Magdeburg pro Tag bis zu 200 000 Pizzen fertigen.
Der Teig
Teig ist ein einfaches Produkt aus Wasser, Hefe, Salz, Öl und Weizenmehl. Doch seine industrielle Produktion stellt nicht nur Millionen von Pizzakonsumenten auf dem Globus zufrieden. Die Massenfertigung von Teig ist auch ein lukratives Geschäft, das die Landwirtschaft revolutioniert, Bauern in Abhängigkeiten zwingt, Börsenspekulanten ermutigt sowie Armut und Hungersnot verschärft.
„Tatsächlich scheint die Einbringung von fremden Genen in das Erbgut aktuell eher eine Sache des Glücks denn eine exakte Angelegenheit zu sein.“
Der Drang nach immer mehr landwirtschaftlichen Ernteerträgen hat zur Entwicklung von leistungsstarkem Saatgut geführt, mit dem große Konzerne wie Monsanto oder DuPont Milliarden Dollar verdienen. Die Leidtragenden sind die Bauern: Sie müssen die ertragsstarken Samen jedes Jahr aufs Neue kaufen und begeben sich somit in finanzielle Abhängigkeiten. Denn im Gegensatz zum natürlichen Saatgut von früher bilden die Laborsamen keine Nachkommen. Zudem sind sie anfälliger für Krankheiten, was den Einsatz von Pestiziden erfordert, von dem die großen Konzerne erneut profitieren.
„Der Preisdruck der großen Konzerne im Kampf um Kunden bedroht viele Milchbauern in weniger begünstigten Lagen akut in ihrer Existenz.“
Das ertragreiche Geschäft mit landwirtschaftlichen Rohstoffen hat dazu geführt, dass Getreide heute eines der beliebtesten Handelsobjekte der Börsen ist. Der Nachteil: Spekulanten können leicht Bauern überall auf der Welt in den Ruin treiben. Bestes Beispiel dafür war die letzte Lebensmittelkrise in den Jahren 2008 und 2009, in der die Zahl der Hunger leidenden Menschen weltweit wieder anstieg. Die Europäische Union versucht das Sterben der Kleinbauern mithilfe von Subventionen aufzuhalten. Doch damit sind weitere globale Probleme wie Überproduktion, Umweltverschmutzung oder die Zerstörung ausländischer Märkte durch eine verbilligte Ausfuhr verbunden.
Die Tomatensoße
Die Tomaten für die Pizza werden nicht selten von illegalen Einwanderern aus Afrika geerntet, die für einen Hungerlohn arbeiten und unter unwürdigen sozialen Bedingungen leben. Darüber hinaus ist der Gemüseanbau weltweit von einem hohen Pestizideinsatz geprägt, der das Trinkwasser, die Artenvielfalt und die Gesundheit bedroht.
Die Salami
Auch die auf Pizzen so beliebte Salami birgt viele Probleme. Selbst wenn es sich dabei um ein Qualitätsprodukt und nicht um verklebte, mit Zusatzstoffen gespickte Wurstabfälle handelt, ist sie heute meist das Ergebnis einer Massenproduktion, der Millionen von Tieren zum Opfer fallen. Oft leben sie unter fragwürdigen Bedingungen und werden auch trotz rechtlicher Auflagen qualvoll getötet. Weitere Herausforderungen der Fleischproduktion sind der hohe CO2-Ausstoß durch die Massentierhaltung und die Gefahren des zunehmenden Einsatzes von gentechnisch verändertem Futter. Letzteres wird von einigen wenigen Konzernen wie Monsanto, Syngenta und Bayer kontrolliert. Durch den weltweit steigenden Anbau von Gensoja – u. a. aufgrund der wachsenden Nachfrage aus Europa – verschwindet in Südamerika immer mehr Regenwald, was wiederum die Klimaveränderung verschärft.
Der Käse
Spekulationen an den Börsen sind auch eine Bedrohung für die Käsehersteller. Denn für die betroffenen Milchbauern gilt eine staatlich festgelegte Mengenbegrenzung. Diese macht sie sehr anfällig für Weltmarktpreise, die an den Börsen stark schwanken. So deckt der Milchpreis sehr häufig nicht die anfallenden Produktionskosten, und viele Bauern geben auf. Um das zu verhindern, versuchen die Regierungen wiederum, mit Subventionen die Höfe zu stützen. Weitere problematische Themen sind die Züchtung von Hochleistungskühen, die Auswirkungen der Fütterung mit Gengetreide und Antibiotika, die Verschwendung von Überproduktionen oder der Einsatz von Käseimitaten.
Die Gewürze
Wortwörtlich getoppt wird der Zutatenmix der Tiefkühlpizza schließlich von den Geschmacksveredlern, den Gewürzen. Ob Salz, Oregano, Speiseöle oder Hefe, auch hier bestimmen einige wenige Konzerne, was die Menschen auf dem Globus zu schmecken bekommen. Und das läuft nicht ohne Risiken ab. Ob die noch ungeklärten Folgen der Genhefe, die Gefahren für das Grundwasser durch den Salzabbau, Pestizide in Kräutern oder die chemische Behandlung von Olivenölen: Die Auswirkungen der industriellen Fertigung reichen viel weiter als bis zum heimischen Ofen und Teller.
Lieferung zum Nulltarif
Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Tiefkühlpizza ist ihre schnelle Verfügbarkeit an fast jedem Ort der Welt. Doch damit sich der Aufwand für die industriellen Anbieter lohnt, darf die Lieferung in die Supermärkte kaum etwas kosten. Die Reise eines Containers mit in China produzierten Pizzen nach Hamburg kostet gerade einmal 250 $. Das macht etwa 2 Cent pro Pizzakarton. Seit man die Infrastruktur der Häfen und der Bahn an die Maße der Container angepasst hat und der Welthandel u. a. durch den Abbau der Zölle liberalisiert wurde, gibt es für das Versenden von Massengütern rund um den Globus kein Halten mehr.
„In Deutschland sind es laut Schätzungen rund 10 % aller Lebensmittel, die ungeöffnet weggeworfen werden.“
Von dieser Entwicklung haben vor allem die westlichen Konsumenten durch ein steigendes Produktangebot profitiert. Verloren haben dagegen die Kleinbauern in den ärmeren Ländern, deren Märkte durch billige Einfuhren z. B. aus Europa zerstört wurden. Darüber hinaus ist die Umwelt Leidtragende der weltweiten Verschiffung von Waren. Denn der Transport über mehrere Tausend Kilometer verursacht nicht nur einen deutlich höheren CO2-Ausstoß als die heimische Produktion: Die Kosten dafür werden in den Preisen erst gar nicht berücksichtigt.
Jeder Einzelne kann handeln
Die Industrialisierung in der Nahrungsmittelproduktion hat ihre Grenzen erreicht. Mehr geht nicht, da die globalen Probleme wie Hunger, Klimaveränderung oder Ausbeutung schon heute nicht mehr gelöst werden. Jeder einzelne Konsument kann jedoch dazu beitragen, dass die Versorgung von Lebensmitteln wieder auf eine gesunde Basis gestellt wird. Mit jedem bewussten Kauf können Sie dazu beitragen, dass Kleinbauern wieder größere Chancen gegenüber den Industriekonzernen haben, dass die natürlichen Ressourcen und die Tiere geschützt werden, dass biologischer Anbau ohne Pestizide und Gentechnik gefördert wird, dass weltweit ein fairer Handel herrscht und dass tatsächlich niemand mehr auf der Welt Hunger leiden muss.
„Der billige Transport hat die Bezugsquellen für unsere Nahrung kräftig verschoben.“
Voraussetzung dafür ist eine Veränderung der persönlichen Essgewohnheiten. Zuallererst sollten Sie sich ausgewogener ernähren. Das heißt: mehr Getreideerzeugnisse, Kartoffeln, Gemüse und Obst. Weniger sollten Sie dagegen zu Fleisch, Süßigkeiten, Limonaden und salzigen Produkten wie Chips greifen. Außerdem sollten mehr Bioprodukte gekauft werden. Da allerdings nicht überall Bio drin ist, wo Bio draufsteht, gilt es, auf das EU-Biogütesiegel zu achten. Ein weiterer Tipp: saisonale und regionale Lebensmitteln kaufen. Wer die negativen Folgen von Tiefkühlwaren vermeiden möchte, sollte darüber hinaus auch wieder das Kochen am eigenen Herd erlernen. Für Geldanleger und Investoren gilt es außerdem, akribisch zu prüfen, wohin genau ihr Geld fließt und was Fonds beim Streben nach höchstmöglichem Profit wirklich anstellen.