Pizza Globale

Buch Pizza Globale

Ein Lieblingsessen erklärt die Weltwirtschaft

Econ,


Rezension

Du bist, was du isst. Dieser bekannte Spruch von Ernährungs­ber­atern erhält bei Paul Trummer eine zusätzliche Dimension. In seinem packenden Buch zeigt der Wis­senschaft­sjour­nal­ist, dass bewusste Ernährung nicht nur eine Frage der persönlichen Gesundheit ist. Die Art, wie die Menschen mit der Lebens­mit­tel­pro­duk­tion umgehen, spiegelt viele drängende Probleme der gesamten Welt wider. Hungersnöte, Umweltver­schmutzung, Ausbeutung oder Armut sind die Folge von weltweiten Es­s­ge­wohn­heiten: Bequem, schnell und billig soll es sein. Diesen Zusam­men­hang erläutert Trummer ohne Aufgeregth­eit oder moralischen Zeigefinger. Ganz nüchtern präsentiert er die Fakten und die Auswirkun­gen der in­dus­triellen Nahrungsmit­tel­pro­duk­tion anhand der beliebten Tiefkühlpizza. Dabei macht Trummer klar, dass für ihn wie für den Leser das gleiche Gebot gilt: ve­r­ant­wortlich handeln beim Einkauf von Lebens­mit­teln. BooksInShort ist der Meinung: Jedem, der die globalen Wirtschaft­szusam­menhänge der Nahrungsmit­tel­pro­duk­tion und seinen eigenen Einfluss darauf verstehen möchte, ist das Buch sehr zu empfehlen.

Take-aways

  • Die in­dus­trielle Produktion von Nahrungsmit­teln schafft zahlreiche globale Probleme.
  • Jeder einzelne Käufer trägt zu den Folgen der heutigen Lebens­mit­tel­her­stel­lung bei.
  • Nahrung soll schnell verfügbar, bequem zu konsumieren und billig sein. Den Preis dafür zahlen andere: die Umwelt, die Tiere und die Kleinbauern in der Dritten Welt.
  • Die Produktion einer Tiefkühlpizza hat nichts mit den Wer­be­botschaften der Hersteller zu tun.
  • Ohne Chemie ist die in­dus­trielle Fertigung von Lebens­mit­teln nicht möglich.
  • Wenige Konzerne beherrschen den Markt und treiben die Masse der Kleinbauern in finanzielle Abhängigkeit und Armut.
  • Die Sub­ven­tion­spoli­tik der In­dus­trien­atio­nen bedroht die Märkte in den En­twick­lungsländern.
  • Die gesund­heitlichen Folgen von Gentechnik und Zusatzstof­fen sind nicht geklärt.
  • In den billigen Trans­portkosten werden die Folgen der Umweltver­schmutzung nicht mit berücksichtigt.
  • Mit einem bewussten Einkauf von Nahrungsmit­teln können Sie zur Lösung der Probleme beitragen.
 

Zusammenfassung

Ernährung im 21. Jahrhundert

Das Thema globale Ernährung betrifft längst nicht mehr nur die Frage der Armutsbekämpfung. Es leiden zwar immer noch Hunderte Millionen von Menschen auf der ganzen Welt an Hunger, doch zusätzlich verursachen die modernen tech­nol­o­gis­chen Möglichkeiten der Nahrungsmit­tel­pro­duk­tion ganz neue Probleme, die sich rasant weltweit verbreiten – obwohl jährlich der Ertrag an Lebens­mit­teln gesteigert wird. Dazu zählen zunehmende Umweltver­schmutzung, höhere Anfälligkeit für Krankheiten, Ausbeutung von Arbeitskräften, Ver­schwinden der Pflanzen- und Tiervielfalt durch Gen­ma­nip­u­la­tio­nen, Wet­tbe­werb­sverz­er­run­gen durch staatliche Sub­ven­tio­nen und sogar die Verschärfung der Armut.

„Menschen auf der ganzen Welt essen heute dieselben Dinge, die sie vor 20, 30 Jahren nicht einmal kannten.“

Ein Grund für diese Entwicklung ist die zunehmende Angleichung der weltweiten Es­s­ge­wohn­heiten und der Nahrungsmit­tel­pro­duk­tion. Auf allen Kontinenten verliert der Akt des Essens an Bedeutung. Die Zeit soll so effektiv wie möglich genutzt werden. Das heißt: Essen muss schnell verfügbar, ohne großen Aufwand kon­sum­ier­bar und nicht teuer sein. Diese Ansprüche lassen sich nur durch eine in­dus­trielle Fertigung bedienen. Die Be­quem­lichkeit der Konsumenten hat jedoch ihren Preis. So haben die meisten Menschen keine Ahnung mehr, wie Lebens­mit­tel überhaupt entstehen oder wie gesund gekocht wird. Sie wissen nicht, dass ihre Nahrung ohne Chemie weder haltbar noch billig wäre, dass die in­dus­trielle Produktion die Natur gefährdet und dass die moderne Ernährungsweise die Basis vieler Krankheiten ist. Immer mehr Menschen essen zu fett, zu süß und zu viel. Übergewicht ist zu einem der drängendsten Probleme geworden.

„Wir haben noch nie so viel industriell produzierte Nahrung zu uns genommen wie heute.“

Besonders anschaulich lassen sich die Veränderungen der globalen Ernährungsweisen an der Pizza aus der Tiefkühltruhe il­lus­tri­eren. Das einstige Mahl der Armen in Neapel zählt heute überall auf der Welt zur Lieblingsspeise, wenn es um schnelle Kost geht. Einfach und mit großer Vielfalt zuzu­bere­iten, ist die Pizza ein Pa­rade­pro­dukt für die Industrie.

Das Geheimnis der Tiefkühlpizza

Ver­brauch­er­schützer fordern seit Langem eine ehrliche und deutliche Kennze­ich­nung der Zutaten in Lebens­mit­teln. Nicht zuletzt auf Druck der Politik veröffentlichen die Hersteller tatsächlich immer mehr In­for­ma­tio­nen über ihre Produkte. So erfahren die Konsumenten etwa den genauen Nährstof­fge­halt ihres Essens in Form von Fett-, Zucker- oder Salzwerten. Auch die Zutaten werden inzwischen detailliert aufgelistet. Aber weiß der Käufer einer Pizza z. B., was die Zutaten mod­i­fizierte Stärke, Laktose oder Mal­todex­trin überhaupt sind, wie sie hergestellt werden und was sie bewirken?

„Die Land­wirtschaft als Rohstoff­pro­duzent sieht sich einer immer größer werdenden Marktmacht der Konzerne gegenüber, die in den Händen weniger Einkäufer konzen­tri­ert ist.“

Die Antwort lautet in der Regel Nein. Die meisten Konsumenten wissen nicht, dass es sich dabei um chemische Zusatzstoffe handelt, die Tiefkühlpizzen erst in­dus­tri­etauglich machen. Die im Labor erzeugten Zutaten sorgen nicht nur dafür, dass in­dus­trielle Lebens­mit­tel länger haltbar und schnell zu erzeugen sind. Sie sind auch kostengünstiger zu produzieren und garantieren einen stabileren Geschmack als natürliche Rohstoffe. Deshalb wimmelt es gerade in Tiefkühlpizzen nur so von künstlichen Aromen, Kon­servierungsstof­fen oder An­tiox­i­dantien, die meist unter einer E-Nummer auf der Verpackung angegeben werden. Das E steht dabei für essbar. Ob diese zuge­lasse­nen Zusatzstoffe allerdings wirklich gesund­heitlich un­prob­lema­tisch sind, darüber streiten sich die Experten.

„Die Bausteine aus dem Labor sind oft günstiger zu erzeugen und konstanter im Geschmack als natürliche Rohstoffe.“

Sicher ist, dass die Verwendung chemischer Zutaten bis hin zum fast vollständigen Ersatz von Kräutern, Obst oder Gewürzen nichts mit den Ver­sprechun­gen der Werbung zu tun hat. Tiefkühlpizzen entstehen auch nicht im tra­di­tionellen Steinofen, sondern in riesigen Fab­rikhallen, in denen große Maschinen Teig kneten, Gemüse schneiden oder Käse raspeln. Die Zutaten werden über endlos lange Fließbänder zusam­menge­bracht, die Pizzen schließlich in einem Metallungetüm bei 300 Grad gebacken. Nach einem Schock­ge­frieren werden die unzähligen identischen Produkte automatisch verpackt und in die Supermärkte ab­trans­portiert. Mit der bis ins Detail geplanten, sterilen Produktion können z. B. die rund 100 Mitarbeiter des Herstellers Hasa aus Magdeburg pro Tag bis zu 200 000 Pizzen fertigen.

Der Teig

Teig ist ein einfaches Produkt aus Wasser, Hefe, Salz, Öl und Weizenmehl. Doch seine in­dus­trielle Produktion stellt nicht nur Millionen von Piz­za­kon­sumenten auf dem Globus zufrieden. Die Massen­fer­ti­gung von Teig ist auch ein lukratives Geschäft, das die Land­wirtschaft rev­o­lu­tion­iert, Bauern in Abhängigkeiten zwingt, Börsen­speku­lanten ermutigt sowie Armut und Hungersnot verschärft.

„Tatsächlich scheint die Einbringung von fremden Genen in das Erbgut aktuell eher eine Sache des Glücks denn eine exakte An­gele­gen­heit zu sein.“

Der Drang nach immer mehr land­wirtschaftlichen Ernteerträgen hat zur Entwicklung von leis­tungsstarkem Saatgut geführt, mit dem große Konzerne wie Monsanto oder DuPont Milliarden Dollar verdienen. Die Lei­d­tra­gen­den sind die Bauern: Sie müssen die er­tragsstarken Samen jedes Jahr aufs Neue kaufen und begeben sich somit in finanzielle Abhängigkeiten. Denn im Gegensatz zum natürlichen Saatgut von früher bilden die Laborsamen keine Nachkommen. Zudem sind sie anfälliger für Krankheiten, was den Einsatz von Pestiziden erfordert, von dem die großen Konzerne erneut profitieren.

„Der Preisdruck der großen Konzerne im Kampf um Kunden bedroht viele Milchbauern in weniger begünstigten Lagen akut in ihrer Existenz.“

Das er­tra­gre­iche Geschäft mit land­wirtschaftlichen Rohstoffen hat dazu geführt, dass Getreide heute eines der be­liebtesten Han­del­sob­jekte der Börsen ist. Der Nachteil: Spekulanten können leicht Bauern überall auf der Welt in den Ruin treiben. Bestes Beispiel dafür war die letzte Lebens­mit­telkrise in den Jahren 2008 und 2009, in der die Zahl der Hunger leidenden Menschen weltweit wieder anstieg. Die Europäische Union versucht das Sterben der Kleinbauern mithilfe von Sub­ven­tio­nen aufzuhalten. Doch damit sind weitere globale Probleme wie Überpro­duk­tion, Umweltver­schmutzung oder die Zerstörung ausländischer Märkte durch eine verbilligte Ausfuhr verbunden.

Die Tomatensoße

Die Tomaten für die Pizza werden nicht selten von illegalen Ein­wan­der­ern aus Afrika geerntet, die für einen Hungerlohn arbeiten und unter unwürdigen sozialen Bedingungen leben. Darüber hinaus ist der Gemüseanbau weltweit von einem hohen Pes­tizidein­satz geprägt, der das Trinkwasser, die Arten­vielfalt und die Gesundheit bedroht.

Die Salami

Auch die auf Pizzen so beliebte Salami birgt viele Probleme. Selbst wenn es sich dabei um ein Qualitätsprodukt und nicht um verklebte, mit Zusatzstof­fen gespickte Wurstabfälle handelt, ist sie heute meist das Ergebnis einer Massen­pro­duk­tion, der Millionen von Tieren zum Opfer fallen. Oft leben sie unter fragwürdigen Bedingungen und werden auch trotz rechtlicher Auflagen qualvoll getötet. Weitere Her­aus­forderun­gen der Fleis­ch­pro­duk­tion sind der hohe CO2-Ausstoß durch die Massen­tier­hal­tung und die Gefahren des zunehmenden Einsatzes von gen­tech­nisch verändertem Futter. Letzteres wird von einigen wenigen Konzernen wie Monsanto, Syngenta und Bayer kon­trol­liert. Durch den weltweit steigenden Anbau von Gensoja – u. a. aufgrund der wachsenden Nachfrage aus Europa – ver­schwindet in Südamerika immer mehr Regenwald, was wiederum die Klimaveränderung verschärft.

Der Käse

Speku­la­tio­nen an den Börsen sind auch eine Bedrohung für die Käse­hersteller. Denn für die betroffenen Milchbauern gilt eine staatlich festgelegte Men­gen­be­gren­zung. Diese macht sie sehr anfällig für Welt­mark­t­preise, die an den Börsen stark schwanken. So deckt der Milchpreis sehr häufig nicht die anfallenden Pro­duk­tion­skosten, und viele Bauern geben auf. Um das zu verhindern, versuchen die Regierungen wiederum, mit Sub­ven­tio­nen die Höfe zu stützen. Weitere prob­lema­tis­che Themen sind die Züchtung von Hochleis­tungskühen, die Auswirkun­gen der Fütterung mit Gengetreide und Antibiotika, die Ver­schwen­dung von Überpro­duk­tio­nen oder der Einsatz von Käseimitaten.

Die Gewürze

Wortwörtlich getoppt wird der Zutatenmix der Tiefkühlpizza schließlich von den Geschmacksveredlern, den Gewürzen. Ob Salz, Oregano, Speiseöle oder Hefe, auch hier bestimmen einige wenige Konzerne, was die Menschen auf dem Globus zu schmecken bekommen. Und das läuft nicht ohne Risiken ab. Ob die noch ungeklärten Folgen der Genhefe, die Gefahren für das Grundwasser durch den Salzabbau, Pestizide in Kräutern oder die chemische Behandlung von Olivenölen: Die Auswirkun­gen der in­dus­triellen Fertigung reichen viel weiter als bis zum heimischen Ofen und Teller.

Lieferung zum Nulltarif

Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Tiefkühlpizza ist ihre schnelle Verfügbarkeit an fast jedem Ort der Welt. Doch damit sich der Aufwand für die in­dus­triellen Anbieter lohnt, darf die Lieferung in die Supermärkte kaum etwas kosten. Die Reise eines Containers mit in China pro­duzierten Pizzen nach Hamburg kostet gerade einmal 250 $. Das macht etwa 2 Cent pro Pizzakarton. Seit man die In­fra­struk­tur der Häfen und der Bahn an die Maße der Container angepasst hat und der Welthandel u. a. durch den Abbau der Zölle lib­er­al­isiert wurde, gibt es für das Versenden von Massengütern rund um den Globus kein Halten mehr.

„In Deutschland sind es laut Schätzungen rund 10 % aller Lebens­mit­tel, die ungeöffnet weggeworfen werden.“

Von dieser Entwicklung haben vor allem die westlichen Konsumenten durch ein steigendes Pro­duk­tange­bot profitiert. Verloren haben dagegen die Kleinbauern in den ärmeren Ländern, deren Märkte durch billige Einfuhren z. B. aus Europa zerstört wurden. Darüber hinaus ist die Umwelt Lei­d­tra­gende der weltweiten Ver­schif­fung von Waren. Denn der Transport über mehrere Tausend Kilometer verursacht nicht nur einen deutlich höheren CO2-Ausstoß als die heimische Produktion: Die Kosten dafür werden in den Preisen erst gar nicht berücksichtigt.

Jeder Einzelne kann handeln

Die In­dus­tri­al­isierung in der Nahrungsmit­tel­pro­duk­tion hat ihre Grenzen erreicht. Mehr geht nicht, da die globalen Probleme wie Hunger, Klimaveränderung oder Ausbeutung schon heute nicht mehr gelöst werden. Jeder einzelne Konsument kann jedoch dazu beitragen, dass die Versorgung von Lebens­mit­teln wieder auf eine gesunde Basis gestellt wird. Mit jedem bewussten Kauf können Sie dazu beitragen, dass Kleinbauern wieder größere Chancen gegenüber den In­dus­triekonz­er­nen haben, dass die natürlichen Ressourcen und die Tiere geschützt werden, dass bi­ol­o­gis­cher Anbau ohne Pestizide und Gentechnik gefördert wird, dass weltweit ein fairer Handel herrscht und dass tatsächlich niemand mehr auf der Welt Hunger leiden muss.

„Der billige Transport hat die Bezugsquellen für unsere Nahrung kräftig verschoben.“

Vo­raus­set­zung dafür ist eine Veränderung der persönlichen Es­s­ge­wohn­heiten. Zuallererst sollten Sie sich aus­ge­wo­gener ernähren. Das heißt: mehr Ge­trei­deerzeug­nisse, Kartoffeln, Gemüse und Obst. Weniger sollten Sie dagegen zu Fleisch, Süßigkeiten, Limonaden und salzigen Produkten wie Chips greifen. Außerdem sollten mehr Bioprodukte gekauft werden. Da allerdings nicht überall Bio drin ist, wo Bio draufsteht, gilt es, auf das EU-Biogütesiegel zu achten. Ein weiterer Tipp: saisonale und regionale Lebens­mit­teln kaufen. Wer die negativen Folgen von Tiefkühlwaren vermeiden möchte, sollte darüber hinaus auch wieder das Kochen am eigenen Herd erlernen. Für Geldanleger und Investoren gilt es außerdem, akribisch zu prüfen, wohin genau ihr Geld fließt und was Fonds beim Streben nach höchstmöglichem Profit wirklich anstellen.

Über den Autor

Paul Trummer lebt als Wirtschaft­sjour­nal­ist in Wien. Er hat Be­trieb­swirtschaft und Jour­nal­is­mus studiert. Nach Stationen bei sueddeutsche.​de und Financial Times Deutschland kehrte er 2007 nach Österreich zurück und schreibt nun für die Wiener Tageszeitung Kurier.