The Innovator's Dilemma

Buch The Innovator's Dilemma

Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren

Vahlen,
Erstausgabe:1997


Rezension

1967 wurde in der Schweiz die erste Quarz-Arm­ban­duhr entwickelt. Die Vertreter der ehrwürdigen Schweizer Uhrenin­dus­trie rümpften die Nasen: So einen un­po­et­is­chen Mist wolle der Kunde nicht. In Japan ging man ganz anders mit der Idee um – und profitierte vom Siegeszug der neuen Technologie. Egal ob die Quarzuhr am Handgelenk, das Smartphone in der Hosentasche oder das ul­tra­le­ichte Notebook im Rucksack: Viele der Massen­pro­dukte von heute entsprangen irgendwann einmal als disruptive In­no­va­tio­nen den Köpfen und Händen aus­ge­flippter Freaks. Unzählige Branchen­riesen bezahlten ihr Naserümpfen mit dem Leben. Andere bekamen rechtzeitig Wind von der neuen Entwicklung und sicherten sich eine Pole­po­si­tion im neu entste­hen­den Markt. In The Innovator’s Dilemma liefert Clayton M. Christensen schlüssige Erklärungen und an­schauliche Beispiele für die fatale Behäbigkeit der Großen sowie – wenn auch etwas unscharfe – Tipps, wie auch Branchen­riesen dem traurigen Schicksal der Dinosaurier entgehen können. BooksInShort empfiehlt diesen (für den deutschsprachi­gen Markt ak­tu­al­isierten) Wirtschafts­buchk­las­siker Un­ternehmern und Strategen, die rechtzeitig anfangen wollen, darüber nachzu­denken.

Take-aways

  • Etablierte Unternehmen scheitern oft auf der Höhe ihres Erfolgs, da sie blind für revolutionäre In­no­va­tio­nen sind.
  • Sie hören auf ihre Kunden und verbessern ihre Produkte evolutionär – doch das geht nicht für immer gut.
  • Disruptive Tech­nolo­gien beginnen ihren Siegeszug aus einer Marktnische heraus.
  • Wach­s­tum­sori­en­tierte Konzerne können oder wollen sich die anfangs beschei­de­nen Gewinnspan­nen nicht leisten.
  • Manche überlassen Start-ups das Feld in der Hoffnung, später einsteigen zu können.
  • Inzwischen werden die disruptiven Produkte immer besser und machen den Etablierten in höher­preisi­gen Mark­t­seg­menten Konkurrenz.
  • Fast alle Versuche, eine disruptive Innovation innerhalb der bestehenden Strukturen einzuführen, sind gescheitert.
  • Kaufen Sie lieber ein Start-up oder gründen Sie eine unabhängige Un­ternehmen­sein­heit.
  • Diese sollte nicht zu groß sein und zu dem anvisierten Markt passen. So begeistern bereits kleine Erfolge.
  • Spüren Sie neue Märkte auf, indem Sie Kunden bei der Anwendung innovativer Produkte beobachten.
 

Zusammenfassung

Die Logik des Scheiterns

Warum scheitern er­fol­gre­iche Unternehmen? Weshalb verschlief der Branchen­primus Xerox die Entwicklung hin zu Tis­chkopiergeräten, und aus welchem Grund sprangen die Musiklabels nicht auf den Down­load­trend auf? Auf dem Zenit ihres Erfolges trafen diese und unzählige ver­gle­ich­bare Unternehmen Entschei­dun­gen, die ihren Niedergang besiegelten. Die Logik des Scheiterns erschließt sich aus drei Faktoren:

  1. Disruptive Tech­nolo­gien: Sie bringen neue Produkte für noch zu erfindende Märkte hervor. Evolutionäre Tech­nolo­gien dagegen verbessern Produkte für die Stammkund­schaft.
  2. Die Technologie überholt das Marktbedürfnis: Im Eifer, hochw­er­tigere Produkte zu entwickeln, geht der Blick für die Erwartungen und den Geldbeutel der Kunden verloren.
  3. Rationale In­vesti­tio­nen: Mit disruptiven Tech­nolo­gien ist anfangs kaum Geld zu verdienen. Aus der Sicht einer etablierten Firma wäre es irrational, auf sie zu setzen.

Warten, bis es fast zu spät ist

Die Geschichte der Com­put­ertech­nolo­gie beweist: Etablierte Unternehmen haben bei evolutionären In­no­va­tio­nen die Nase vorn. So konnten in den 1980ern die Hersteller von Mini­com­put­ern mit 8-Zoll-Laufw­erken weit bessere Konditionen in Bezug auf Kapazität, Kosten pro Megabyte Speicher und Zu­griff­szeit liefern. Die neuen Desk­top-Com­puter mit ihren 5¼-Zoll-Laufw­erken waren in all diesen Punkten unterlegen. Aber: Sie waren 1000 $ billiger pro Stück und wogen weniger als ein Drittel der herkömmlichen Geräte – eine klassische disruptive Innovation. Weshalb begannen die er­fol­gre­ichen Hersteller von Mini­com­put­ern nicht einfach, auch Desktops herzustellen? An mangelndem technischen Know-how lag es nicht. Nein, sie versäumten den Einstieg, weil ihre Stammkunden kein Interesse daran hatten. Die Firmen waren mit dem einen Ohr dicht am Kunden – und auf dem anderen taub.

„So wie die ersten Flugver­suche des Menschen scheiterten, weil man gegen die Naturge­setze ankämpfte, scheitern Führungskräfte an disruptiven In­no­va­tio­nen, wenn sie gegen diese Prinzipien ankämpften.“

Auch der legendäre Kam­er­a­her­steller Leica verkannte die Zeichen der Zeit. Noch 1995 konnte die Firma die Nachfrage nach der Kultkamera kaum erfüllen. Zehn Jahre später stand das Unternehmen vor dem Abgrund. Die Macher der elitären Luxuskamera hatten die Dig­i­tal­tech­nik unterschätzt. Mit dem Massenmarkt der Dig­italk­a­m­eras, die der analogen Fotografie in Sachen Bildqualität lange nicht das Wasser reichen konnten, wollten sie nichts zu tun haben. Auf einer Fotomesse hefteten sich Le­ica-Man­ager stolz Buttons mit der Aufschrift an die Brust: „Ich bin ein Filmdi­nosaurier.“ Sie glaubten, die digitale Revolution aussitzen zu können. 2006 kam dann die erzwungene Wende: Das Unternehmen schaltete vollständig auf das digitale Pre­mi­um­seg­ment um.

Werte unter In­no­va­tions­druck

Das Wertesystem eines Produkts bildet die relative Bedeutung bestimmter Eigen­schaften ab und legt fest, zu welchen Kosten sich diese produzieren und vermarkten lassen. Ein Hersteller von Mini­com­put­ern, der an ver­gle­ich­sweise hohe Brut­to­gewin­n­mar­gen in seinem Kun­denseg­ment gewöhnt ist, wird sich nur ungern auf die im Desk­topseg­ment üblichen niedrigeren Margen einlassen. Die disruptive Innovation fügt sich nicht in sein bestehendes Wertesystem ein – sie wirft es über den Haufen. Para­dox­er­weise sind es oft die Entwickler der etablierten Unternehmen, die ohne Auftrag oder Budget disruptive Tech­nolo­gien erfinden. Die er­fol­gre­iche Vermarktung aber gelingt dann den Neulingen der Branche. Warum? Weil die Mark­t­forscher der etablierten Unternehmen sich auf den bestehenden Kundenstamm konzen­tri­eren und so zum irrigen Schluss kommen, dass die Nachfrage fehle. Für die Branchenführer geht das so lange gut, bis die neuen Produkte die alten überholt haben. In der Dig­i­tal­fo­tografie war das 2002 der Fall, als digitale Sensoren eine bessere Auflösung und Farbe erreichten als der tra­di­tionelle 35-Mil­lime­ter-Film.

Die Pre­mi­um­falle

Wertesys­teme sind flexibel nach oben, also in Richtung höherer Preis- und Qualitätssegmente mit ihren deutlich größeren Gewinnspan­nen. Aber der Weg nach unten, in die Low-End-Märkte, ist etablierten Unternehmen verbaut, allein weil dort deren hohe Fixkosten nicht gedeckt würden. Die Krux an der Sache: Die Neue­in­steiger, die mit disruptiven Tech­nolo­gien zunächst niedrig­preisige Mark­t­seg­mente bedienen, streben irgendwann nach oben und machen den Etablierten Konkurrenz. Dort, wo sie vorher po­si­tion­iert waren, entsteht ein Vakuum, das neue, disruptive Tech­nolo­gien anzieht, und die Spirale dreht sich weiter. Stellen Sie sich den Mitarbeiter eines Branchenführers vor, der seinen Vorge­set­zten von der Einführung eines innovativen Niedrig­preis­pro­dukts überzeugen will. Die erste Frage des Vorge­set­zten lautet: Gibt es dafür schon einen Markt? Und die zweite: Wie erreichen wir die nötigen Margen? Eine Entschei­dung für das Risiko wäre irrational, die Gefahr des Scheiterns groß. Aus Sicht der Führungskraft ist es am vernünftigsten, die aus­ge­trete­nen Pfade zu optimieren. Alles andere könnte seine Karriere gefährden.

Wege aus dem In­no­va­tions­dilemma

Die Theorie der Ressourcenabhängigkeit besagt, dass Kunden und Investoren die Hand­lungs­frei­heit von Unternehmen einschränken, weil sie diesen die Mittel zum Überleben zur Verfügung stellen. Was können Führungskräfte tun, um diese Abhängigkeit zu brechen? Neue Produkte und Ideen gegen alle Widerstände im Unternehmen und bei den Kunden durchzuboxen, wäre eine Option. Sie ähnelt jedoch den ersten Flugver­suchen der Menschen, die sich Federn an die Kleider hefteten und damit gegen die Naturge­setze anzukämpfen versuchten. Doch erst als sie sich diese zunutze machten, hoben sie wirklich ab. Genauso müssen Sie vorgehen, um den Wandel erfolgreich zu managen:

  • Gründen Sie neue Or­gan­i­sa­tion­sein­heiten für Neukunden, die sich einzig um Projekte zur Entwicklung und Vermarktung disruptiver Tech­nolo­gien kümmern. Die Einheiten sollten nicht zu groß sein, sodass bereits kleine Fortschritte als Erfolge gefeiert werden können.
  • Iden­ti­fizieren Sie mithilfe von Ver­such-und-Ir­rtum-Prozessen frühzeitig Fehler im Pro­duk­t­de­sign und passen Sie es Schritt für Schritt an die Kundenbedürfnisse an.
  • Stellen Sie für die disruptiven Tech­nolo­gien Ressourcen des Gesam­tun­ternehmens zur Verfügung, entwickeln Sie aber ein unabhängiges Werte- und Prozesssys­tem.
  • Suchen Sie aktiv nach neuen Märkten, anstatt darauf zu warten, dass sich bestehende Kunden für die In­no­va­tio­nen in­ter­essieren.

Klein, aber fein

In­no­va­tionsführerschaft ist bei disruptiven Tech­nolo­gien er­fol­gsentschei­dend. Allerdings stehen Manager großer Unternehmen vor einem Wach­s­tums­dilemma: Sie müssen ihre Wach­s­tum­srate halten oder sogar steigern, damit die Aktienkurse weiter nach oben gehen. Kleine Märkte bieten nicht genug Volumen, als dass diese Erwartungen erfüllt werden könnten. Viele Unternehmen warten deshalb, bis ein neuer Markt sich so weit entwickelt hat, dass er für sie interessant ist. Man kann auch sagen: bis es zu spät ist. Oder aber sie investieren von Anfang an Unmengen an Geld und versuchen dann, ihre Kunden zum Kauf des neuen Produkts zu überreden. Diesen Weg beschritt Apple 1993 bei der Vermarktung des Newton, des ersten Personal Digital Assistant (PDA) – ohne Erfolg. Der Newton war ein wirtschaftlicher Flop. Das Konzept „Reverse Innovation“ von General Electrics hingegen ist ein Beispiel für die er­fol­gre­iche Überwindung des Wach­s­tums­dilem­mas großer Konzerne: Im Zuge dieses Projekts lässt GE kleinere und billigere medi­zinis­che Geräte für En­twick­lungs- und Schwellenländer durch eigenständige Or­gan­i­sa­tion­sein­heiten vor Ort entwickeln, die die gesamte Wertschöpfungskette kon­trol­lieren.

Warum zu viel Leistung schadet

Disruptive In­no­va­tio­nen können in ihren Kern­merk­malen den aus­gereiften, nach und nach verbesserten Produkten der Haup­tan­bi­eter nicht das Wasser reichen. Allerdings verändern sie die Grundlagen des Wettbewerbs, da sie oft preisgünstiger, be­nutzer­fre­undlicher und zuverlässiger sind. Finden Sie heraus, was ein disruptives Produkt für Ihre Stammkunden un­in­ter­es­sant macht. Meist sind das genau die Merkmale, die es in noch un­ent­deck­ten Märkten zum Verkaufshit werden lassen. Beispiel Google Docs: Das Cloud-Com­put­ing-Pro­gramm ermöglicht die webbasierte Nutzung und Bearbeitung von Dokumenten. Es bietet deutlich weniger Funk­tion­alitäten als die neueste Version von Microsoft Word. Allerdings wird geschätzt, dass 90 % der Word-Nutzer ohnehin nur 10 % aller Möglichkeiten des ver­bre­it­eten Textver­ar­beitung­spro­gramms kennen. Warum sollten sie nicht auf das un­kom­pliziert­ere und billigere Google-Pro­dukt umsteigen? Zunächst gab sich Microsoft gelassen. Dessen Hauptkunden – große Unternehmen, mit denen es eine Brut­to­gewin­n­marge von 80 % erzielt – in­ter­essierten sich nicht dafür. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Denn auch Google Docs verbessert sich kon­tinuier­lich hin­sichtlich Sicherheit und Funk­tion­alität. Lange hat Microsoft abgewartet und schließlich doch reagiert: Ab 2012 sollen 90 % aller Entwickler im Unternehmen an Cloud-Com­put­ing-Tech­nolo­gien arbeiten.

Ressourcen, Prozesse, Werte

Eine Or­gan­i­sa­tion ist nicht automatisch so gut wie die Summe ihrer Mitarbeiter. Um disruptive In­no­va­tio­nen erfolgreich zu meistern, muss sich Ihr Unternehmen als Ganzes verändern. Angenommen, Sie sind in Ihrem Bereich führend. Im Unternehmen gibt es ausreichend Ressourcen, also Know-how und Kapital, um eine disruptive Innovation einzuführen. Aber sind Sie mit den optimalen Pro­duk­tion­sprozessen vertraut? Könnte es lohnend sein, Komponenten einzukaufen, statt sie selbst herzustellen? Bisher lehnten Sie Neueinführungen, die weniger als einen bestimmten Min­dest­gewinn versprachen, aufgrund der hohen Fixkosten im Unternehmen ab. Passen das neue Produkt und der anvisierte Markt zu diesen Werten? Wenn nicht, haben Sie drei Möglichkeiten: Sie können ein neues Unternehmen hinzukaufen, den so gut wie aus­sicht­slosen Versuch unternehmen, die eigene Firma von innen heraus zu reformieren, oder aber eine unabhängige Un­ternehmen­sein­heit gründen. Wenn Sie sich für den Kauf entscheiden, analysieren Sie die Stärken des neuen Un­ternehmens. Sind es seine Prozesse und Werte, dann wäre eine Integration in den Mut­terkonz­ern schädlich, weil diese nur verwässert würden. Sind es hingegen die Ressourcen, dann können Sie von einer Integration profitieren. Die Gründung einer neuen Or­gan­i­sa­tion­sein­heit ist dann optimal, wenn der neue Markt neue Kosten­struk­turen erfordert und wenn die erwarteten Wach­s­tum­saus­sichten für Ihr Unternehmen zu niedrig sind.

Pioniere in neuen Märkten

Wie aber sollen Manager die Chancen disruptiver Tech­nolo­gien bewerten, wenn ihre gesamte Ausbildung und Erfahrung auf evolutionären Neuerungen beruht? Ein Beispiel für die er­fol­gre­iche Eroberung eines neuen Marktes ist der japanische Mo­tor­rad­her­steller Honda. 1959 en­twick­el­ten seine Ingenieure ein schnelles, leis­tungsstarkes Straßenmotorrad speziell für den amerikanis­chen Markt – und scheiterten damit grandios. Die japanischen Honda-Ver­triebler selbst waren mit den in ihrer Heimat beliebten „Supercubs“ unterwegs, kleinen, wendigen und preisgünstigen Maschinen, die sich auch abseits der Straße bestens bewährten. Einige Amerikaner wurden darauf aufmerksam und fragten, wo sie diese Gelände­maschi­nen bekommen könnten. Man war durch Zufall auf eine Goldmine gestoßen. Hondas Erfolg im zweiten Anlauf beweist: Beim Aufspüren neuer Märkte müssen Sie nicht unbedingt auf Anhieb die richtige Strategie finden. Verschießen Sie nicht alles Pulver auf einmal und zeigen Sie Mut zur rechtzeit­i­gen Umkehr. Und: Beobachten Sie die Kunden bei der Anwendung von neuen Produkten, statt sie nach ihren Bedürfnissen zu fragen.

Über die Autoren

Clayton M. Christensen ist Professor für Business Ad­min­is­tra­tion an der Harvard University. Kurt Matzler lehrt als Professor für Strate­gis­ches Management an der Universität Innsbruck und arbeitet mit Geschäftsführer Stephan Friedrich von den Eichen für die Man­age­ment­ber­atung Innovative Management Partner (IMP), die sich auf den Aufbau von In­no­va­tion­ssys­te­men spezial­isiert hat.