Talente machen den Unterschied
Ohne die 20 besten Mitarbeiter wäre sein Unternehmen eine Computerfirma wie jede andere auch – sagt Microsoft-Gründer Bill Gates. Gute und passende Mitarbeiter zu haben, ist erfolgsentscheidend. Die Suche nach Talenten, der so genannte War for Talents, ist in der Personalarbeit ein Dauerthema, unabhängig von konjunkturellen Schwankungen. Als Talente gelten vergleichsweise wenige Mitarbeiter; sie werden auch High Potentials oder A-Performer genannt. Erfahrungsgemäß können Firmen ungefähr 10–20 % ihrer Belegschaft zu ihnen zählen. Diese Kollegen sind etwa doppelt so produktiv wie durchschnittliche Mitarbeiter. Das Problem ist: Die Gesellschaft altert, Fachkräfte werden zusehends rar, und Unternehmen müssen sich Märkten anpassen, die sich immer schneller verändern. Talente sind sich dieser Situation und ihres Wertes bewusst: Gerade die Topleute stehen ihren Arbeitgebern nicht besonders loyal gegenüber, sondern sind sehr wechselbereit.
Talentmanagement – nicht für alle
Konzentrieren Sie Ihr strategisches Personalmanagement auf die Gruppe der Talentiertesten – auch wenn sich einige nicht Geförderte ausgeschlossen fühlen oder einige Geförderte übertriebene Ansprüche stellen werden. Die Vorteile eines Talentmanagementsystems überwiegen: Sie werden als Arbeitgeber attraktiver, binden Topkräfte, entwickeln diese weiter und schaffen sich dadurch markante Wettbewerbsvorteile. In vielen Unternehmen gibt es bereits Elemente eines Talentmanagements. Ob es sich für ein Unternehmen lohnt, ein strategisches Talentmanagementsystem einzurichten, hängt nicht von der Unternehmensgröße ab. Relevant ist, ob Sie erwarten, besonders stark vom demografischen Wandel oder vom Fachkräftemangel getroffen zu werden. Außerdem ist das Talentmanagement – also im Grunde das interne Recruiting – umso wichtiger für Sie, wenn Ihr Unternehmen aufgrund mangelnder Bekanntheit oder eines zu kleinen Budgets nur schwer an externe Talente herankommt.
Kernfragen eines Talentmanagementsystems
Talentmanagement hat mehrere Aspekte. Auf die folgenden vier Kernfragen sollte Ihr Talentmanagementsystem Antworten geben:
- Attraction: Besitzt Ihr Unternehmen die Attraktivität, externe Talente anzulocken, und die Fähigkeiten, interne zu identifizieren?
- Development: Hat Ihr Unternehmen ein System, Talente weiterzuentwickeln?
- Retention: Gelingt es Ihrem Unternehmen, Talente zu belohnen und zu halten?
- Placement: Verlaufen Stellenbesetzungen und Karrierewege so, dass Talente tatsächlich auf die passenden, aussichtsreichen Posten gelangen?
Wie Sie Talente identifizieren
Hüten Sie sich davor, die aktuelle Leistung als den entscheidenden Indikator für Talent und damit für Beförderungen zu nutzen: Wer gut verkauft, muss noch lange nicht gut führen können. Ein modernes Beurteilungsmodell betrachtet in erster Linie die Indikatoren Kompetenz (Fähigkeiten) und Potenzial (Entwicklungsmöglichkeiten) eines Mitarbeiters, weniger den Indikator Performance (Leistung). Zu den Talenten zählt, wer hohes Potenzial und hohe Kompetenz hat. Wer aktuell keine Leistung bringt, wird möglicherweise einfach im falschen Bereich eingesetzt und kann dort seine Fähigkeiten nicht umsetzen.
„Die Zeiten, in denen sich Unternehmen die Bewerber – insbesondere hoch leistungsmotivierte Talente – aussuchen konnten, sind vorbei.“
Mit Fragebögen können Sie ausloten, ob ein bestimmter Mitarbeiter für höhere Aufgaben infrage kommt. Bewerten Sie Punkte wie „Der Mitarbeiter geht Problemlösungen strukturiert an“ oder „Der Mitarbeiter ist bestrebt, neue Erfahrungen zu sammeln“. Messen Sie anschließend die Kompetenzen des Kandidaten, am besten anhand situativer Verfahren wie Assessment-Centern. Die Reaktionen in den realistischen Arbeitssituationen geben Aufschluss über die Fähigkeiten. Eine Talentidentifikation allein auf Mitarbeitergespräche zu stützen, ist nicht ratsam. Vorgesetzte bewerten nämlich eher die Leistung als die Kompetenz eines Mitarbeiters.
„Lohnenswert ist der Aufbau eines Talentmanagements unabhängig von der Größe des Unternehmens.“
Potenzial ist noch schwieriger zu messen als Kompetenz. Das liegt am Wesen der Sache: Mit Potenzial ist die Befähigung gemeint, Aufgaben zu erledigen, die man bislang noch nicht bewältigen musste. Wenn Sie also jemanden zu höheren Aufgaben berufen, ist immer auch etwas Spekulation im Spiel. Zur Einschätzung des Potenzials können Sie wiederum Assessment-Center nutzen: Versetzen Sie den Mitarbeiter dabei nicht in sein vertrautes Umfeld, sondern in ein herausforderndes, z. B. eines mit Führungsverantwortung. Führungsmotivation spielt bei der Potenzialbeurteilung eine sehr wichtige Rolle. Daneben können Sie auf andere Potenzialtreiber achten, z. B. die Lern- und Veränderungsfähigkeit oder die Intelligenz.
Talente gewinnen
Fachkräfte sind rar auf dem Arbeitsmarkt. Um bei Leistungsträgern Interesse zu wecken, muss Ihr Unternehmen attraktiv sein; Sie brauchen somit eine für Talente interessante Arbeitgebermarke. Diese lässt sich etwa durch Sponsoring aufbauen oder indem Sie gute Plätze in Firmenrankings anstreben. Wer als attraktiver Arbeitgeber gilt, erhält bis zu doppelt so viele Bewerbungen und hat eine um ein Drittel niedrigere Fluktuationsrate. Stellen Sie Ihre Bemühungen unter ein passendes Motto. Gute Beispiele sind „Be Lufthansa“ oder „BMW coolest Job“. Anzeigen per Online-Jobbörse sind günstiger und effektiver als klassische Stellenanzeigen. Ein unternehmenseigenes Karriereportal im Internet ist eine wichtige Anlaufstelle für Interessenten. Den Vorteilen von Social-Media-Netzwerken steht der mögliche Kontrollverlust über die Informationen gegenüber, weshalb viele Firmen in diesem Bereich noch zögern. Über Candidate-Relation-Management entwickeln Sie schon früh eine Beziehung zu potenziellen Mitarbeitern – noch bevor diese sich bewerben. Gehen Sie vor Abschluss des Studiums auf sie zu, z. B. indem Sie ihnen Praktika oder Abschlussarbeiten anbieten. Gratifikationsprogramme („Mitarbeiter werben Mitarbeiter“) sind ebenfalls aussichtsreich.
„Der Aufwand sollte für die Durchführenden möglichst gering gehalten werden – insbesondere die Anzahl der zu bewertenden Kriterien sollte möglichst überschaubar bleiben.“
Achten Sie beim Auswahlverfahren darauf, Bewerbern rasch zu antworten: Viele haben mehrere Bewerbungen gleichzeitig laufen. Formulieren Sie Absagen freundlich. Paten- oder Mentoringprogramme kosten wenig, bringen aber viel. Auch Onboarding-Programme für neue Kollegen sind sinnvoll: Sie können vom Einarbeitungsplan bis hin zu After-Work-Treffen reichen. Oft entscheidet sich in den ersten Monaten, ob ein Mitarbeiter sich ans Unternehmen gebunden fühlt. Talenten sind qualitativ-inhaltliche Faktoren bei der Arbeitsplatzwahl sehr wichtig. Finanzielle Anreize spielen eine Rolle, noch bedeutender aber sind Entscheidungsbefugnisse und flexible Arbeitszeitgestaltung. Kinderbetreuungsmöglichkeiten und Firmensportklubs werden ebenfalls sehr geschätzt.
Ein Kompetenzmodell entwickeln
Stellen Sie ein Kompetenzmodell auf, das vorgibt, wie die Kompetenzen Ihrer Mitarbeiter erhoben werden. Achten Sie darauf, dass es auch wirklich für alle Angestellten genutzt wird. Da im Unternehmen verschiedene Kompetenzen gefragt sind, muss dieses Modell differenzieren. In so genannten Job Families oder Stellenbündeln sind die Stellen aufgeführt, deren Anforderungen vergleichbar sind. Job Families kann es beliebig viele geben, verbreitet sind zwei: eine für Führungskräfte und eine für Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben. Unterscheiden Sie zwischen Soll- und Kann-Kriterien. Versuchen Sie, bei der Definition Ihrer Kriterien und Lernziele möglichst konkret zu sein – nur so bleiben die Ergebnisse vergleichbar. Subjektive Bewertungsspielräume gilt es so weit wie möglich zu minimieren.
Mitarbeitergespräche nicht überfrachten
Die Bewertung der Mitarbeiterkompetenzen ist zum großen Teil Aufgabe der jeweiligen Vorgesetzten. Damit diese relativ einheitliche Maßstäbe anlegen, also objektiv bleiben, müssen sie geschult werden. Stellen Sie Ihren Führungskräften ein Handbuch für Mitarbeitergespräche zur Verfügung und nutzen Sie es zu Trainingszwecken. Überfrachten Sie das Mitarbeitergespräch nicht mit zu vielen Themen, sondern konzentrieren Sie sich auf die Bewertung des Mitarbeiters nach den Kriterien des Kompetenzmodells und auf die Personalentwicklung. Das Thema Gehalt sollten Sie vom Beurteilungsgespräch trennen und mit klaren Zielvereinbarungen objektivieren. Zu vermeiden ist die Vereinbarung von Zielen, die zu kompliziert sind, sich nicht messen lassen oder mit der Arbeit des Mitarbeiters nichts zu tun haben. Mithilfe prozentualer Erreichungsgrade der einzelnen Ziele ergibt sich ein Gesamturteil. Das Ergebnis ist dem Betroffenen in jedem Fall mitzuteilen – alles andere wäre kontraproduktiv. Auf dem Ergebnis aufbauend werden Lernziele vereinbart und Instrumente gewählt, z. B. Lehrgänge oder Coachings, die in einer Personalentwicklungsmatrix zusammengefasst sind.
Talente binden und platzieren
Firmen setzen materielle und karriereorientierte Anreize ein, um die Fluktuation von fähigem Personal zu verhindern. Beim Performance-Management, das Leistung belohnt, haben sich Zielvereinbarungen bewährt. Das Karrieremanagement vieler Unternehmen sieht bislang allein die so genannte Führungslaufbahn vor. Deren Kernaufgabe ist die disziplinarische Mitarbeiterführung, ergänzt um fachliche Aufgaben. Letztere überwiegen hingegen bei zwei anderen Karrieremodellen: dem des Projektmanagers und dem des Spezialisten. Beide sind unverzichtbar geworden, doch Projektlaufbahnen und Fachlaufbahnen haben sich noch nicht als gleichwertige Karrieremodelle etabliert – obwohl beiden eine hohe unternehmerische Bedeutung zukommt. Achten Sie auf die Gleichberechtigung der drei Karrierewege und definieren Sie vergleichbare Hierarchie- und Vergütungsstufen. Schlüsselpositionen im Unternehmen müssen nicht Führungspositionen sein; es kann sich auch um wichtige Positionen handeln, für die ein systematisches Nachfolgemanagement betrieben wird. Letzteres verhindert, dass bei der Stellenbesetzung nicht nur die Kompetenzen des Vorgängers berücksichtigt werden, sondern dass auch neue Anforderungsprofile eine Rolle spielen. Das einheitliche Kompetenzmodell liefert die Kriterien für die Kandidatenauswahl. Auf so genannten Nachfolgekonferenzen vergleichen Sie das definierte Soll-Profil der zu besetzenden Stelle mit den Ist-Profilen der Kandidaten.
Der HR-Bereich setzt um
Zuständig für die Implementierung des Talentmanagements ist der Bereich Human Resources (HR). Er setzt das System anhand der strategischen Unternehmensziele um. Dafür sollte der HR-Bereich intern am besten als so genannter Businesspartner aufgestellt sein, d. h. die Personalabteilung spielt nicht die Rolle des Dienstleisters, sondern gestaltet die Unternehmensstrategie mit. Den Erfolg Ihrer Bemühungen im Talentmanagement messen Sie anhand unternehmensspezifischer Kennzahlen oder Key Performance Indicators, wie z. B. der Anzahl der Bewerbungen oder der Fluktuationsrate.
Klippen fürs Talentmanagement
Wer erfährt, dass er zu einem Talentpool gehört, bekommt schnell das Gefühl, Teil einer auserwählten Elite zu sein. Prüfen Sie vorab, ob Ihr Betriebsklima eine solche Spannung verkraftet. Auf jeden Fall sollten nicht nur Ihre Führungskräfte auf der Chefetage vom Nutzen der gezielten Talentförderung überzeugt sein, sondern auch die mittlere Führungsebene. Unterbinden Sie den Missbrauch der Talentförderung durch so genanntes Wegloben: Manch eine Führungskraft entledigt sich unliebsamer Mitarbeiter, indem sie diesen ein hohes Potenzial bescheinigt. So etwas kann durch ein einheitliches Identifikationsverfahren verhindert werden. Ebenso gilt es zu verhindern, dass erfolglose Führungskräfte als Projektmanager aufs Abstellgleis geschoben werden – dafür ist der Job des Projektmanagers zu wichtig.