Wenn Godzilla plötzlich im Laden steht
Firmen sind zunehmend mit einer aggressiven Spezies konfrontiert: wütenden Kunden. Solche, die 30 Minuten in der Warteschleife der Hotline hängen, ehe ihr Anruf entgegengenommen wird. Oder solche, die darauf warten, begrüßt zu werden, während hinter der Ladentheke minutenlang niemand vom Computer aufschaut. Kunden gewinnen geht anders.
„Alles, was Sie tun, wirkt sich auf die Gefühlslage Ihrer Kunden aus.“
Aber auch den Wert einer Reklamation sollten Sie nicht unterschätzen. Reklamationen sind deshalb wertvoll, weil sie Kundenerfahrungen aus erster Hand darstellen, anders als so manche spätere Befragung zur Kundenzufriedenheit. Der wütende Kunde hat immerhin den Weg zu Ihnen in den Laden auf sich genommen oder 30 Minuten am Telefon auf Sie gewartet. Er interessiert sich also für Ihr Unternehmen. Nutzen Sie diese Chance! Wenn Sie sein Vertrauen zurückgewinnen, haben Sie u. U. einen Stammkunden gewonnen.
Wie ein normaler Kundenprozess störungsfrei abläuft
Das A und O im Umgang mit Kunden besteht darin, eine persönliche Beziehung aufzubauen und zu halten. Gehen Sie so vor:
- Begrüßen Sie den Kunden, egal ob in der persönlichen Begegnung, am Telefon oder auf der Website. Signalisieren Sie so schnell wie möglich, dass Sie seine Anwesenheit bemerkt haben, auch wenn Sie gerade alle Hände voll zu tun haben.
- Spiegeln Sie Aussagen, Körpersprache und sonstiges Verhalten des Kunden, wenn Sie sich mit ihm austauschen. So kommen Sie auf die gleiche Wellenlänge. Hören Sie ihm zu, lassen Sie ihn Dinge anschauen und ausprobieren, geben Sie ihm Informationen. Dadurch wird er sich verstanden fühlen, und die Beziehung vertieft sich.
- Erörtern Sie das Problem des Kunden und seine wahren Bedürfnisse durch Fragen. Kunden wissen oft gar nicht, was sie eigentlich wollen.
- Teilen Sie Ihr Fachwissen, Ihre Erfahrung mit dem Kunden und zeigen Sie Problemlösungen auf. Das gilt für die Finanzberatung ebenso wie für den Heimwerkermarkt.
- Bestärken Sie den Kunden zum Abschluss in seinem Verhalten. Dadurch hinterlassen Sie einen guten Eindruck.
„Proaktive Kunden können ungeduldig werden und scheinen nicht sehr umgänglich oder manchmal sogar aggressiv zu sein.“
Achten Sie darauf, dass Sie während des ganzen Gesprächs einen netten Tonfall haben und den Kunden nicht überwältigen.
Holen Sie den Kunden dort ab, wo er steht
Nicht immer läuft ein Kundenkontakt so mustergültig ab, denn jeder Kunde ist anders. Wenn Sie jedoch die grundlegenden Verhaltenstypen und -muster kennen, wird Ihnen der Kontakt mit dem wütenden Kunden – Ihre eigentliche Bewährungsprobe – erleichtert. Solche Muster, die so genannten Language-and-Behaviour-Profile (LAB), gelten übrigens für jeden menschlichen Kontakt, auch im Privatleben. Wenn Sie und Ihre Mitarbeiter diese Profile auch im Alltag berücksichtigen und die adäquaten Verhaltensweisen quasi einüben, sind Sie für den Umgang mit wütenden Kunden besser gerüstet. Durch die LAB-Profile lernen Sie den „Subtext“ des Kunden besser verstehen. Einige Beispiele für LAB-Profile:
- Proaktiv oder reaktiv: Proaktive Menschen warten nicht gern und sind ungeduldig. Dafür entscheiden sie schnell. Wenn Sie diese Eigenschaften beim Kunden spüren, stellen Sie ihn zufrieden, indem Sie sagen: „Wird sofort erledigt!“ Reaktive Menschen hingegen wollen in Ruhe überlegen, Informationen sammeln, Vor- und Nachteile abwägen. Ihnen kommen Sie entgegen mit Formulierungen wie „Überlegen Sie es sich“ oder mit der Frage „Was meinen Sie?“.
- Auf etwas zu oder von etwas weg: Kunden, die auf einen Sacherwerb aus sind, streben auf ein Ziel zu. Wenn Sie ebenfalls dieses Ziel fokussieren, haben Sie den Kunden auf Ihrer Seite. Andere Kunden haben ein Problem: einen platten Reifen, Geld zur Anlage, Sorge vor Einkommensverlust im Alter usw. Davon möchten sie weg, sie benötigen z. B. eine Reparatur oder eine Lebensversicherung. Präsentieren Sie sich oder Ihr Produkt hier als Problemlöser.
- Außengesteuert oder innengesteuert: Extrovertierte Menschen, mit denen Sie als Verkäufer oft leicht ins Gespräch kommen, folgen gerne den Empfehlungen Dritter. Das können Freunde sein. Aber auch Warentests und natürlich die Werbung beeinflussen solche Kunden. Wenn Sie über das Internet verkaufen, verweisen Sie sie am besten auf Ihre Referenzliste. Im Laden zeigen Sie ihnen Ihren meistverkauften Artikel. Eher introvertierte Menschen entscheiden hingegen lieber selbst und mögen es gar nicht, wenn man ihnen sagt, was sie tun sollen. Ihnen begegnen Sie mit offenen Fragen wie „Gefällt Ihnen das?“, „Entspricht das Ihren Vorstellungen?“ und einer einladenden Sprache. Werbebotschaften wie „Das sollten Sie sich nicht entgehen lassen“ wirken hier bloß abschreckend. Wenn ein Kunde einfach beschreibt, was er denkt, haben Sie es mit einem innengesteuerten Menschen zu tun, wenn er keine Meinung hat eher mit einem außengesteuerten.
- Optionen oder Prozeduren: Wer eine Vielzahl von Optionen schätzt, sucht bisweilen noch weitere Alternativen, selbst wenn schon ein attraktives Angebot vorliegt. Solche Kunden können Sie an sich binden, indem Sie einen Regelbruch andeuten („Ausnahmsweise …“) oder eine weitere Option aufzeigen, etwa beim Handyvertrag oder bei einer Reklamation. Eine stärkere Kundenbindung erreichen Sie auch durch die ausführliche Erklärung des Gebrauchs eines technischen Utensils oder des richtigen Wegs zur Geldanlage. Ihr Kunde wird Ihre Mühe belohnen.
- Personen- oder Objektbezug: Kunden unterscheiden sich auch darin, dass sie entweder auf Sie als Person oder aber auf die Sache selbst stärker fixiert sind. Erstere sprechen auf Gefühle, Beziehungen und Begeisterung an, Letztere auf Systeme, Prozesse, Daten und Fakten.
„Selbst wenn alles glatt läuft, wird der Umgang mit Kunden immer schwieriger. Die Kunden erwarten heutzutage Produkte und Dienstleistungen in makelloser Qualität.“
Es kommt aber nicht nur auf den Eindruck an, den Sie von einem Kunden gewinnen, sondern auch auf die jeweilige Verkaufssituation. Menschen verhalten sich u. U. beim Kauf einer Haartönung ganz anders als beim Kauf einer Musikanlage oder beim Abschluss einer Versicherung. Wichtig ist, dass Sie das Verhalten des Kunden in der jeweiligen Verkaufssituation spiegeln.
Umgang mit wütenden Kunden
Ist ein Kunde verärgert – egal ob zu Recht oder zu Unrecht –, besteht die akute Gefahr, dass sie ihn an die Konkurrenz verlieren. Sie dürfen nun auf keinen Fall:
- das Problem einer anderen Abteilung in die Schuhe schieben oder sonst wie die Verantwortung abwälzen,
- mit einer Bemerkung wie „Ich kenne das Problem“ den Eindruck vermitteln, Mängel und Fehlleistungen seien bei Ihrer Firma die Regel,
- einfach cool bleiben (auch wenn dies vielen Callcenter-Mitarbeitern eingeschärft wird).
„Menschen mit einem optionalen Muster weigern sich, einen festgelegten Prozess zu durchlaufen.“
Was Sie dagegen tun sollten, ist mitleiden. Die Emotionen des Kunden stehen im Vordergrund. Verhalten Sie sich folgendermaßen:
- Spiegeln Sie seinen Tonfall und zeigen Sie sich überrascht über den Mangel oder das Problem. Erfahrungsgemäß ist es wirkungsvoll, das Kundenproblem dreimal im Tonfall des Kunden zu spiegeln, um die Situation zu entkrampfen: „Die Lieferung ist immer noch nicht bei Ihnen?“ – „Wie ist das denn nur möglich?“ – „Ich kann das nicht verstehen. Jetzt wollen wir keine Zeit mehr verschwenden.“
- Bieten Sie Ihre Hilfe an, und zwar sofort. Bringen Sie allmählich wieder Ruhe in Ihren Tonfall. Dadurch fühlt sich der Kunde verstanden und ernst genommen. Achten Sie während des gesamten Gesprächs darauf, ob er im jeweiligen Moment proaktiv oder reaktiv, außen- oder innengesteuert ist. Solange er sich aufgebracht verhält, ist er proaktiv. Entsprechend reagieren Sie. Eine Reklamation ist eine typische Von-etwas-fort-Situation.
- Bieten Sie Optionen an. Entweder lässt sich die Bestellung ausführen oder der Mangel beheben. Oder aber das ist nicht möglich – dann erkundigen Sie sich, was der Kunde wünscht. Bieten Sie ihm zwei Möglichkeiten als Ausgleich an: Ersatz, Rückerstattung des Geldes, Gutschrift und dergleichen. Ihre Mitarbeiter sollten hierfür einen Ermessensspielraum haben. Wollen Sie das Geld nicht zurückerstatten, sollten Sie diese für den Kunden schlechte Nachricht mit zwei, drei guten Nachrichten verbinden: „Ich kann leider nicht …, aber ich kann xy machen und ich kann yz versuchen.“
- Wecken Sie zum Abschluss eine positive Erwartung für die Zukunft: „Was kann ich noch für Sie tun?“ Oder: „Sie können mich jederzeit wieder anrufen.“ Versuchen Sie dabei authentisch und nicht floskelhaft oder übertrieben förmlich zu wirken. Der letzte Eindruck ist immer der bleibende.
Kundenbeziehungen pflegen
Orientieren Sie sich schon bei der Auswahl Ihrer Kundendienstmitarbeiter an den LAB-Profilen. Sehr proaktive Personen eignen sich gut für die Akquise oder in einem Ladengeschäft, aber vielleicht nicht so sehr für das Warten auf Reklamationsanrufe. Eher personenbezogene Menschen mit Empathie brauchen Sie am Empfang. Für die Bankberatung eignen sich objektbezogene Menschen, die Prozeduren lieben. Jeder hat seine Stärken.
„Untersuchungen zeigen, dass ein Eingehen auf die Emotionen von Kunden der Schlüssel einer erfolgreichen Kundenbindung ist.“
Alle Mitarbeiter müssen darin geschult werden, die LAB-Profile zu verinnerlichen und flexibel darauf zu reagieren. Denn diese Profile gelten nur situativ; sie können sich bei einem Kunden auch verändern, sogar während ein und desselben Kundenkontakts. Gerade beim Reklamationsgespräch kann sich ein Kunde zunächst sehr proaktiv verhalten, dann aber in den reaktiven Modus wechseln. Darauf müssen die Mitarbeiter reagieren können.
„Damit ein Wiedergutmachungssystem funktioniert, brauchen die Mitarbeiter mit Kundenkontakt klare Richtlinien und Vorgaben, bis zu welcher Höhe sie etwas gewähren dürfen, um dann nach eigenem Ermessen sinnvoll handeln zu können.“
Das gilt besonders für Servicemitarbeiter mit lang anhaltendem Kundenkontakt, z. B. bei einer Flug- oder Schiffsreise. Erfolgreich agiert hier nur, wer seine Teams sehr gut auf Verhaltensschemata wie die LAB-Profile schult, wer sie darauf einstellt, die Sicht der Kunden einzunehmen. Feedbackprozesse seitens der Vorgesetzten, Kollegen und auch der Kunden unterstützen die Mitarbeiter.
„Wenn Organisationen ihre Mitarbeiter darin schulen, flexibel auf die sich wandelnden Kundenbedürfnisse einzugehen, werden sie am Ende reich belohnt.“
Ein Beispiel für vorbildlich gemanagte Kundenbeziehungen ist die amerikanische Lebensmittelkette Maple Leaf, die 2008 nach Listeriose-Todesfällen offen dazu beigetragen hat, den Skandal aufzuklären, sich zu entschuldigen, die Betroffenen zu entschädigen und eine Wiederholung zu vermeiden. So konnte sie das Kundenvertrauen zurückgewinnen.