Nachhaltige Logistik

Buch Nachhaltige Logistik

Antworten auf eine globale Herausforderung

Springer,


Rezension

Schnelle Waren­liefer­ung ermöglicht eine knappe Lager­hal­tung, kann aber auch bedingen, dass ein nicht voll aus­ge­lasteter Lkw zweimal fahren muss, um die gleiche Menge abzuliefern. Anders gesagt: Laufen die be­trieblichen Prozesse perfekt, hat der Umweltschutz das Nachsehen. So etwas nennt man dann neudeutsch einen Trade-off, also einen Zielkon­flikt. Das Buch von Bretzke und Barkawi steckt voller Zielkon­flikte. Schließlich wurde im Zeitalter des Out­sourcings, der Glob­al­isierung und der Just-in-time-Pro­duk­tion selten darauf geachtet, dass minimale Kosten auf der einen Seite (Unternehmen) höhere Kosten auf der anderen Seite (Umwelt) mit sich bringen. Die beiden Autoren sen­si­bil­isieren für dieses Thema und beleuchten die ver­schiede­nen Treiber für eine nachhaltige Logistik. Diese muss sich für eine bessere Ökobilanz von vielen Selbstverständlichkeiten der 90er Jahre ve­r­ab­schieden und sich selbst neu erfinden. Das Thema ist spannend und hochaktuell. Allerdings hätte es noch lese­fre­undlicher aufgear­beitet werden können: Die Kapitel des Buches sind zu lang, die Gliederung zu grob, und der Stil ist gespickt mit Bandwurmsätzen und viel Tech­nikvok­ab­u­lar. BooksInShort empfiehlt das Buch Lo­gis­tik­man­agern, BWL-Studieren­den, Verkehr­swis­senschaftlern und Politkern.

Take-aways

  • Umweltschutz fehlt bisher im Pflicht­en­heft der Logistik – dabei ist der Trans­port­sek­tor für einen Großteil der CO2-Emis­sio­nen ve­r­ant­wortlich.
  • Steigende En­ergiekosten, Engpässe beim Verkehrs­fluss und staatlichen In­ter­ven­tio­nen werden Anpassungen in der Logistik erzwingen.
  • Verstopfte Verkehr­swege sind die Engstellen für sämtliche Lo­gis­tikprozesse.
  • Regionale Beschaffung und Belieferung führen zu ver­ringerten Emissionen.
  • Eine Lohnkosteneinsparung im Ausland recht­fer­tigt keine 1000%ige Erhöhung der Schad­stof­fe­mis­sio­nen durch Transporte.
  • Nach­haltigkeit kann derzeit noch nicht zufrieden­stel­lend gemessen werden.
  • Just-in-time-Pro­duk­tion führt zu schlecht aus­ge­lasteten Trans­port­fahrzeu­gen.
  • Statt des Pull-Prinzips muss in der Logistik wieder das Push-Prinzip forciert werden.
  • Puffer­spe­icher und längere Lieferzeiten ermöglichen den Umstieg auf umwelt­fre­undlichere Trans­portwege.
  • Halten Sie die Pro­duk­tkom­plexität so gering wie möglich: Das ermöglicht bessere Planbarkeit und geringere Kosten.
 

Zusammenfassung

Nachhaltige Logistik – wie geht das?

Wenn von der Reduktion der CO2-Emis­sio­nen gesprochen wird, ist meist nur die Rede vom privaten Autoverkehr. Gemäß der In­ter­na­tionalen En­ergieagen­tur ist aber in den OECD-Ländern der Trans­port­sek­tor für immerhin 30 % der CO2-Emis­sio­nen ve­r­ant­wortlich. Bislang wurde von der Logistik vor allem zweierlei verlangt: Sie soll eine weltweite Arbeits- und Stan­dort­teilung erlauben, also die entsprechen­den Güterströme ermöglichen, und sie soll dies auch noch zu vertret­baren Kosten be­w­erk­stel­li­gen. Die Faktoren Umweltschutz und Einsparung von schädlichen Klimagasen standen bisher überhaupt nicht im Pflicht­en­heft der Logistik. Das muss und wird sich zukünftig ändern. Der Begriff der Nach­haltigkeit muss ins Vokabular der Lo­gis­tik­man­ager überführt werden. Was aber versteht man unter diesem Begriff? Eine der vielen möglichen De­f­i­n­i­tio­nen beschreibt ein nach­haltiges System als ein System mit Rah­menbe­din­gun­gen, die sich nicht verändern, sodass keine anderen Faktoren angepasst werden müssen. Unsere Umwelt verändert sich allerdings fortwährend, und teilweise haben die von Menschen verur­sachten Emissionen einen großen Anteil daran. Nach­haltigkeit lässt sich letztlich nicht eindeutig definieren, sondern ist eher eine regulative Idee, die das Handeln bestimmen soll. Derzeit ist die Logistik Teil des Problems und noch nicht Teil der Lösung.

„Als Folge der Glob­al­isierung sind der weltweite Güterverkehr und mit ihm die über sein Ausmaß bes­tim­menden Lo­gis­tiksys­teme zu einem vor­dringlichen Problemfeld geworden.“

Der An­pas­sungs­druck ist allerdings heute bereits spürbar. Fossile Energieträger sind endlich, und mit ihrer Verknappung werden die Preise in den Himmel schießen. Treibstoff wird deutlich teurer, sodass die Lo­gis­tikkosten un­ter­schiedlicher Verkehrsträger, die mit Öl, Benzin oder Diesel vorankommen, entsprechend steigen werden. Bei Schiffen macht der Treib­stof­fkos­tenan­teil rund 21 % aus. Noch höher ist dieser Anteil beim Lkw-Trans­port (33 %), und besonders gravierend wirken sich Kosten­steigerun­gen bei der Luftfracht aus, wo der Treib­stof­fkos­tenan­teil 42 % beträgt.

Engpässe in der Verkehrsin­fra­struk­tur

Unternehmen sind es gewohnt, wirtschaftliches Handeln so zu betrachten, als spielten Zeit und Entfernung keine Rolle. Seit David Ricardo die Theorie der kom­par­a­tiven Kosten­vorteile aufgestellt hat, gehen sie davon aus, dass für alle ein Vorteil entsteht, wenn jeder das herstellt, was er am kosten­ef­fizien­testen produzieren kann. Der Transport allerdings verlangt Zeit und Raum. Beides ist begrenzt, weil Waren u. U. nicht rechtzeitig ankommen, wenn der Raum durch Barrieren verstellt ist. Diese Barrieren sind z. B. Staus. Staus sind so etwas wie die Umweltsünde par excellence: Die Luft wird verpestet, und trotzdem wird keine wirtschaftliche Leistung erzeugt, sondern aufgrund der Verzögerungen sogar verhindert. Gemäß der EU-Komis­sion betragen die volk­swirtschaftlichen Kosten von Staus europaweit rund 1 % des Brut­toin­land­spro­dukts. Zwischen Kapazitäten und Bedarf bei der Verkehrs­pla­nung klafft bereits heute eine riesige Lücke, die sich zukünftig weiter vergrößern wird. Engpässe entwickeln eine Eigen­dy­namik, die sich zum Teufel­skreis für den Verkehrs­fluss hochschrauben kann: Eine Verstopfung der Straßen führt zu einer reduzierten Fahrzeug­pro­duk­tivität. Diese wiederum erzwingt zusätzliche Lkw-Kapazitäten, die wiederum die Verstopfung der Straßen steigern usw. Die Verkehr­swege sind die Engstellen für logistische Prozesse. Steht der Verkehr, lahmt auch die Wirtschaft.

Öffentlicher Druck und staatliche In­ter­ven­tio­nen

So genannte „externe Kosten“ werden künftig verstärkt in­ter­nal­isiert, d. h. den Verur­sach­ern der Umwelt­be­las­tung in Rechnung gestellt werden. Das kann durch Emis­sion­sz­er­ti­fikate, Mautgebühren und Ökosteuern geschehen. Der Staat wird sich zum Verwalter freier Güter wie Luft und Wasser machen und nach dem Verur­sacher­prinzip Umweltsündern das Leben erschweren. Der Klimagipfel in Kopenhagen 2009 hat das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, bekräftigt. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Schad­stof­fe­mis­sio­nen sämtlicher In­dus­trien­atio­nen bis 2050 um 80 % reduziert werden. Zukünftig werden sich Wirtschaft­sun­ternehmen überlegen müssen, ob der 50%ige Lohnkosten­vorteil einer Produktion in Asien überhaupt legitim ist, wenn dafür die Schad­stof­fe­mis­sio­nen um 1000 % steigen.

Das Problem der Messbarkeit

Wie kann Nach­haltigkeit in der Logistik umgesetzt werden? Die Frage ist eng mit der Frage nach der Messbarkeit von Nach­haltigkeit verknüpft. Derzeit sind so genannte Kohlen­dioxid-Fußabdrücke im Gespräch, mit denen pro­duk­t­be­zo­gen fest­gestellt werden kann, wie viel des schädlichen Gases bei der Produktion in die Atmosphäre gelangt. Der Gedanke dahinter: Wenn Unternehmen beispiel­sweise durch die Aufforstung des Regenwaldes genauso viel Kohlen­dioxid binden, wie sie durch die Produktion freisetzen, verhalten sie sich formal emis­sion­sneu­tral. Allerdings müsste eine Kli­makenn­zahl, die auch die Vorprodukte und Handelswege einschließt, erst noch gefunden werden. Überdies ist Kohlen­dioxid nicht die einzige klimaschädliche Substanz; auch durch weitere Gase, giftige Chemikalien oder Blei wird die Umwelt stark geschädigt. Diese Umweltschäden müssten durch eine noch zu definierende Nach­haltigkeitskenn­zahl ausgedrückt werden.

Tech­nolo­gien zur Förderung der Nach­haltigkeit

Im Lo­gis­tik­bere­ich gibt es etliche neue Tech­nolo­gien, die den Treib­stof­fver­brauch senken und sich positiv auf das Klima auswirken. Viele dieser Tech­nolo­gien sind schon weitgehend ausgereift, andere sind erst im Ansatz zu erkennen. Ihre Rolle für eine nachhaltige Logistik ist nicht zu unterschätzen. Einige Beispiele:

  • Schad­stof­farme Antriebe: Sie werden derzeit vor allem im Pkw-Bereich entwickelt, aber die immer niedrigeren Vorgaben der EU für Lkw werden die Industrie auch in diesem Segment über Elek­troantriebe, Start-Stopp-Tech­nik, Brem­sen­ergierückgewinnung, Le­icht­bauweise und niedrige Luftwider­standswerte nachdenken lassen.
  • Alternative Treibstoffe: Biodiesel und Ethanol sind stark im Kommen. Allerdings sind beide Kraftstoffe prob­lema­tisch, weil sie meist eine geringere Effizienz aufweisen, andere schädliche Treib­haus­gase emittieren und ihr Einsatz auch durch nationale Gesetze begrenzt wird: In Deutschland darf derzeit nur ein Anteil von 6,75 % Biokraft­stoff beigemischt werden.
  • Einsatz von Gigalinern: Das sind überlange Lkws mit einem Gewicht von bis zu 60 Tonnen. Kalku­la­tio­nen gehen davon aus, dass eine Laderaumerhöhung um 50 % zu einer Reduktion des Schad­stof­fausstoßes von 20 % führen kann.
  • SkySails auf Schiffen: In der Tradition hanseatis­cher Kaufleute, die mit ihren Segelschif­fen sozusagen „null Emissionen“ verur­sachten, bedient sich die Sky­Sails-Tech­nolo­gie riesiger Zugdrachen, die einem Schiff zusätzliche Fahrt verleihen. Die Drachen werden an Leinen bis in eine Höhe von 300 Metern geschickt, wo die Winde stark und stetig wehen. Selbst große Con­tain­er­schiffe sparen mit dieser preisgekrönten Technologie zwischen 10 und 35 % ihres kon­ven­tionellen Treibstoffs.

Mod­el­lvorschläge einer nach­halti­gen Logistik

Das Spielfeld für Op­ti­mierun­gen ist groß. An erster Stelle muss es eine Neube­w­er­tung des Push- und des Pull-Prinzips in der Waren­flusss­teuerung geben. Das Pull-Prinzip dominierte die Logistik der vergangenen Jahrzehnte: Waren wurden dann angefordert, wenn sie gebraucht wurden. Push bezeichnet dagegen einen ange­bot­sori­en­tierten Warenfluss: Werden Waren momentan nicht benötigt, müssen die Lager gefüllt werden. Das Pull-Prinzip wurde in den 90er Jahren vor allem durch immer kürzere Pro­duk­tleben­szyklen und eine hohe Vari­anten­vielfalt notwendig. Lager mussten abgebaut und Just-in-time-Liefer­prozesse hergestellt werden. Wenn kein größeres Lager vorhanden ist oder viele Pro­duk­t­vari­anten es erfordern, werden die Losgrößen und Trans­portaufträge zwangsweise sehr klein. Das Lager rollt sozusagen auf der Straße. Allerdings setzt dieses Lo­gis­tik­mod­ell eine funk­tion­ierende Trans­portkette voraus und klammert mögliche Trans­port­prob­leme und die Kosten für die Umwelt vollständig aus.

„Nach­haltigkeit kann nicht als finale Zu­s­tands­beschrei­bung verstanden, sondern muss als regulative Leitidee gedacht werden.“

Der Bedarf an Waren kann je nach Branche täglich um bis zu 50 % schwanken und benötigt deshalb sehr kurze Reak­tion­szeiten. Das hat dazu geführt, dass selbst bei einer engen Verzahnung zwischen Herstellern und Zulieferern wieder Pufferlager aufgebaut wurden, um den Nach­frage­sog auch dann bedienen zu können, wenn die Lieferung nicht zeitnah erfolgen kann.

„Komplexe Geschäftsmodelle können eine logistische Prozess- und Net­zw­erkar­chitek­tur nach sich ziehen, die in sich selbst dann nur noch begrenzte Spielräume für Anpassungen an die Er­fordernisse der Nach­haltigkeit aufweisen.“

Unter dem Stichwort „Load-Lev­el­ing“ lassen sich Trans­portka­pazitäten besser ausnutzen, wenn die Liefer­pla­nung nicht allzu rigide gehandhabt wird. Wenn beispiel­sweise das Lieferser­vicev­er­sprechen von 24 Stunden auf 48 Stunden her­aufge­setzt wird, schafft das Freiräume, die dazu beitragen, Kle­in­stliefer­un­gen zu vermeiden und vorhandene Transporter besser auszunutzen. Natürlich muss das im Extremfall durch Zugeständnisse beim Kunden (schnelle Lieferung als Pre­mi­umpro­dukt und normale Lieferung mit entsprechen­den Preisabschlägen) erreicht werden. Die Renaissance von Puffer­spe­ich­ern und einer erhöhten Lieferzeit schafft die notwendigen Ressourcen für nachhaltige Logistik: Längere Lieferzeiten und weniger Zeitdruck ermöglichen den Umstieg auf umwelt­fre­undlichere Trans­portwege, z. B. vom Kerosin schluck­enden Expressflug auf die Schiene.

An­pas­sungsvorschläge für Geschäftsmodelle

Wenn Unternehmen mit nach­haltiger Logistik erfolgreich sein wollen, gehören nicht nur die Lo­gis­tikprozesse selbst, sondern ganze Geschäftsmodelle auf den Prüfstand. Vor allem für trans­port­in­ten­sive Un­ternehmensmod­elle lohnt es sich, über Al­ter­na­tiven nachzu­denken. Möglichkeiten sind:

  • Kundennahe Produktion und Beschaffung: Nach dem Motto „Produziere da, wo du verkaufst“ könnte es in vielen Branchen zu einer Re-Re­gion­al­isierung kommen. Gepaart mit „Local Sourcing“, also der regionalen Beschaffung, lassen sich auf diese Weise viele Tausend Trans­portk­ilo­me­ter und CO2-Emis­sio­nen sparen.
  • Einfachheit statt Komplexität: Eine Wirtschaft, die auf unzähligen Varianten aufbaut, treibt die Kosten an mehreren Punkten in die Höhe. Man benötigt größere Vorräte und muss steigende Rüst- und Sorten­wech­selkosten tragen. Beim Transport können Varianten nicht gestapelt oder Paletten und Gitterboxen nicht randvoll gepackt werden. Die ad­min­is­tra­tiven Kosten steigen ebenfalls durch eine größere Zahl von Bestel­lun­gen, Rechnungen, Retouren und Rekla­ma­tio­nen. Vere­in­fachung von Produkten bedeutet: bessere Planbarkeit, höhere Auslastung und Kopplung von Kosten­min­imierungs- und Umweltschutzzie­len.

Über die Autoren

Wolf-Rüdiger Bretzke ist Mitglied des Beirats und Head of Supply Chain Strategy der auf Logistik spezial­isierten Man­age­ment­ber­atung Barkawi Management Consultants in München. Er war Professor für BWL und Logistik an der Universität Duisburg und lehrt auch heute noch an mehreren Hochschulen. Karim Barkawi ist Gründer und Geschäftsführer der Be­ratungs­ge­sellschaft Barkawi Management Consultants.