Nachhaltige Logistik – wie geht das?
Wenn von der Reduktion der CO2-Emissionen gesprochen wird, ist meist nur die Rede vom privaten Autoverkehr. Gemäß der Internationalen Energieagentur ist aber in den OECD-Ländern der Transportsektor für immerhin 30 % der CO2-Emissionen verantwortlich. Bislang wurde von der Logistik vor allem zweierlei verlangt: Sie soll eine weltweite Arbeits- und Standortteilung erlauben, also die entsprechenden Güterströme ermöglichen, und sie soll dies auch noch zu vertretbaren Kosten bewerkstelligen. Die Faktoren Umweltschutz und Einsparung von schädlichen Klimagasen standen bisher überhaupt nicht im Pflichtenheft der Logistik. Das muss und wird sich zukünftig ändern. Der Begriff der Nachhaltigkeit muss ins Vokabular der Logistikmanager überführt werden. Was aber versteht man unter diesem Begriff? Eine der vielen möglichen Definitionen beschreibt ein nachhaltiges System als ein System mit Rahmenbedingungen, die sich nicht verändern, sodass keine anderen Faktoren angepasst werden müssen. Unsere Umwelt verändert sich allerdings fortwährend, und teilweise haben die von Menschen verursachten Emissionen einen großen Anteil daran. Nachhaltigkeit lässt sich letztlich nicht eindeutig definieren, sondern ist eher eine regulative Idee, die das Handeln bestimmen soll. Derzeit ist die Logistik Teil des Problems und noch nicht Teil der Lösung.
„Als Folge der Globalisierung sind der weltweite Güterverkehr und mit ihm die über sein Ausmaß bestimmenden Logistiksysteme zu einem vordringlichen Problemfeld geworden.“
Der Anpassungsdruck ist allerdings heute bereits spürbar. Fossile Energieträger sind endlich, und mit ihrer Verknappung werden die Preise in den Himmel schießen. Treibstoff wird deutlich teurer, sodass die Logistikkosten unterschiedlicher Verkehrsträger, die mit Öl, Benzin oder Diesel vorankommen, entsprechend steigen werden. Bei Schiffen macht der Treibstoffkostenanteil rund 21 % aus. Noch höher ist dieser Anteil beim Lkw-Transport (33 %), und besonders gravierend wirken sich Kostensteigerungen bei der Luftfracht aus, wo der Treibstoffkostenanteil 42 % beträgt.
Engpässe in der Verkehrsinfrastruktur
Unternehmen sind es gewohnt, wirtschaftliches Handeln so zu betrachten, als spielten Zeit und Entfernung keine Rolle. Seit David Ricardo die Theorie der komparativen Kostenvorteile aufgestellt hat, gehen sie davon aus, dass für alle ein Vorteil entsteht, wenn jeder das herstellt, was er am kosteneffizientesten produzieren kann. Der Transport allerdings verlangt Zeit und Raum. Beides ist begrenzt, weil Waren u. U. nicht rechtzeitig ankommen, wenn der Raum durch Barrieren verstellt ist. Diese Barrieren sind z. B. Staus. Staus sind so etwas wie die Umweltsünde par excellence: Die Luft wird verpestet, und trotzdem wird keine wirtschaftliche Leistung erzeugt, sondern aufgrund der Verzögerungen sogar verhindert. Gemäß der EU-Komission betragen die volkswirtschaftlichen Kosten von Staus europaweit rund 1 % des Bruttoinlandsprodukts. Zwischen Kapazitäten und Bedarf bei der Verkehrsplanung klafft bereits heute eine riesige Lücke, die sich zukünftig weiter vergrößern wird. Engpässe entwickeln eine Eigendynamik, die sich zum Teufelskreis für den Verkehrsfluss hochschrauben kann: Eine Verstopfung der Straßen führt zu einer reduzierten Fahrzeugproduktivität. Diese wiederum erzwingt zusätzliche Lkw-Kapazitäten, die wiederum die Verstopfung der Straßen steigern usw. Die Verkehrswege sind die Engstellen für logistische Prozesse. Steht der Verkehr, lahmt auch die Wirtschaft.
Öffentlicher Druck und staatliche Interventionen
So genannte „externe Kosten“ werden künftig verstärkt internalisiert, d. h. den Verursachern der Umweltbelastung in Rechnung gestellt werden. Das kann durch Emissionszertifikate, Mautgebühren und Ökosteuern geschehen. Der Staat wird sich zum Verwalter freier Güter wie Luft und Wasser machen und nach dem Verursacherprinzip Umweltsündern das Leben erschweren. Der Klimagipfel in Kopenhagen 2009 hat das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, bekräftigt. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Schadstoffemissionen sämtlicher Industrienationen bis 2050 um 80 % reduziert werden. Zukünftig werden sich Wirtschaftsunternehmen überlegen müssen, ob der 50%ige Lohnkostenvorteil einer Produktion in Asien überhaupt legitim ist, wenn dafür die Schadstoffemissionen um 1000 % steigen.
Das Problem der Messbarkeit
Wie kann Nachhaltigkeit in der Logistik umgesetzt werden? Die Frage ist eng mit der Frage nach der Messbarkeit von Nachhaltigkeit verknüpft. Derzeit sind so genannte Kohlendioxid-Fußabdrücke im Gespräch, mit denen produktbezogen festgestellt werden kann, wie viel des schädlichen Gases bei der Produktion in die Atmosphäre gelangt. Der Gedanke dahinter: Wenn Unternehmen beispielsweise durch die Aufforstung des Regenwaldes genauso viel Kohlendioxid binden, wie sie durch die Produktion freisetzen, verhalten sie sich formal emissionsneutral. Allerdings müsste eine Klimakennzahl, die auch die Vorprodukte und Handelswege einschließt, erst noch gefunden werden. Überdies ist Kohlendioxid nicht die einzige klimaschädliche Substanz; auch durch weitere Gase, giftige Chemikalien oder Blei wird die Umwelt stark geschädigt. Diese Umweltschäden müssten durch eine noch zu definierende Nachhaltigkeitskennzahl ausgedrückt werden.
Technologien zur Förderung der Nachhaltigkeit
Im Logistikbereich gibt es etliche neue Technologien, die den Treibstoffverbrauch senken und sich positiv auf das Klima auswirken. Viele dieser Technologien sind schon weitgehend ausgereift, andere sind erst im Ansatz zu erkennen. Ihre Rolle für eine nachhaltige Logistik ist nicht zu unterschätzen. Einige Beispiele:
- Schadstoffarme Antriebe: Sie werden derzeit vor allem im Pkw-Bereich entwickelt, aber die immer niedrigeren Vorgaben der EU für Lkw werden die Industrie auch in diesem Segment über Elektroantriebe, Start-Stopp-Technik, Bremsenergierückgewinnung, Leichtbauweise und niedrige Luftwiderstandswerte nachdenken lassen.
- Alternative Treibstoffe: Biodiesel und Ethanol sind stark im Kommen. Allerdings sind beide Kraftstoffe problematisch, weil sie meist eine geringere Effizienz aufweisen, andere schädliche Treibhausgase emittieren und ihr Einsatz auch durch nationale Gesetze begrenzt wird: In Deutschland darf derzeit nur ein Anteil von 6,75 % Biokraftstoff beigemischt werden.
- Einsatz von Gigalinern: Das sind überlange Lkws mit einem Gewicht von bis zu 60 Tonnen. Kalkulationen gehen davon aus, dass eine Laderaumerhöhung um 50 % zu einer Reduktion des Schadstoffausstoßes von 20 % führen kann.
- SkySails auf Schiffen: In der Tradition hanseatischer Kaufleute, die mit ihren Segelschiffen sozusagen „null Emissionen“ verursachten, bedient sich die SkySails-Technologie riesiger Zugdrachen, die einem Schiff zusätzliche Fahrt verleihen. Die Drachen werden an Leinen bis in eine Höhe von 300 Metern geschickt, wo die Winde stark und stetig wehen. Selbst große Containerschiffe sparen mit dieser preisgekrönten Technologie zwischen 10 und 35 % ihres konventionellen Treibstoffs.
Modellvorschläge einer nachhaltigen Logistik
Das Spielfeld für Optimierungen ist groß. An erster Stelle muss es eine Neubewertung des Push- und des Pull-Prinzips in der Warenflusssteuerung geben. Das Pull-Prinzip dominierte die Logistik der vergangenen Jahrzehnte: Waren wurden dann angefordert, wenn sie gebraucht wurden. Push bezeichnet dagegen einen angebotsorientierten Warenfluss: Werden Waren momentan nicht benötigt, müssen die Lager gefüllt werden. Das Pull-Prinzip wurde in den 90er Jahren vor allem durch immer kürzere Produktlebenszyklen und eine hohe Variantenvielfalt notwendig. Lager mussten abgebaut und Just-in-time-Lieferprozesse hergestellt werden. Wenn kein größeres Lager vorhanden ist oder viele Produktvarianten es erfordern, werden die Losgrößen und Transportaufträge zwangsweise sehr klein. Das Lager rollt sozusagen auf der Straße. Allerdings setzt dieses Logistikmodell eine funktionierende Transportkette voraus und klammert mögliche Transportprobleme und die Kosten für die Umwelt vollständig aus.
„Nachhaltigkeit kann nicht als finale Zustandsbeschreibung verstanden, sondern muss als regulative Leitidee gedacht werden.“
Der Bedarf an Waren kann je nach Branche täglich um bis zu 50 % schwanken und benötigt deshalb sehr kurze Reaktionszeiten. Das hat dazu geführt, dass selbst bei einer engen Verzahnung zwischen Herstellern und Zulieferern wieder Pufferlager aufgebaut wurden, um den Nachfragesog auch dann bedienen zu können, wenn die Lieferung nicht zeitnah erfolgen kann.
„Komplexe Geschäftsmodelle können eine logistische Prozess- und Netzwerkarchitektur nach sich ziehen, die in sich selbst dann nur noch begrenzte Spielräume für Anpassungen an die Erfordernisse der Nachhaltigkeit aufweisen.“
Unter dem Stichwort „Load-Leveling“ lassen sich Transportkapazitäten besser ausnutzen, wenn die Lieferplanung nicht allzu rigide gehandhabt wird. Wenn beispielsweise das Lieferserviceversprechen von 24 Stunden auf 48 Stunden heraufgesetzt wird, schafft das Freiräume, die dazu beitragen, Kleinstlieferungen zu vermeiden und vorhandene Transporter besser auszunutzen. Natürlich muss das im Extremfall durch Zugeständnisse beim Kunden (schnelle Lieferung als Premiumprodukt und normale Lieferung mit entsprechenden Preisabschlägen) erreicht werden. Die Renaissance von Pufferspeichern und einer erhöhten Lieferzeit schafft die notwendigen Ressourcen für nachhaltige Logistik: Längere Lieferzeiten und weniger Zeitdruck ermöglichen den Umstieg auf umweltfreundlichere Transportwege, z. B. vom Kerosin schluckenden Expressflug auf die Schiene.
Anpassungsvorschläge für Geschäftsmodelle
Wenn Unternehmen mit nachhaltiger Logistik erfolgreich sein wollen, gehören nicht nur die Logistikprozesse selbst, sondern ganze Geschäftsmodelle auf den Prüfstand. Vor allem für transportintensive Unternehmensmodelle lohnt es sich, über Alternativen nachzudenken. Möglichkeiten sind:
- Kundennahe Produktion und Beschaffung: Nach dem Motto „Produziere da, wo du verkaufst“ könnte es in vielen Branchen zu einer Re-Regionalisierung kommen. Gepaart mit „Local Sourcing“, also der regionalen Beschaffung, lassen sich auf diese Weise viele Tausend Transportkilometer und CO2-Emissionen sparen.
- Einfachheit statt Komplexität: Eine Wirtschaft, die auf unzähligen Varianten aufbaut, treibt die Kosten an mehreren Punkten in die Höhe. Man benötigt größere Vorräte und muss steigende Rüst- und Sortenwechselkosten tragen. Beim Transport können Varianten nicht gestapelt oder Paletten und Gitterboxen nicht randvoll gepackt werden. Die administrativen Kosten steigen ebenfalls durch eine größere Zahl von Bestellungen, Rechnungen, Retouren und Reklamationen. Vereinfachung von Produkten bedeutet: bessere Planbarkeit, höhere Auslastung und Kopplung von Kostenminimierungs- und Umweltschutzzielen.