Verdienen am Neuen Markt
Abzocken an der Börse heisst das neueste Gesellschaftsspiel. Wer nicht mitspielt, gehört zu den ewig Gestrigen. Doch seit kurzem liefern die Börsennachrichten täglich nur noch Schreckensmeldungen. Viele Anleger haben – gerade am Neuen Markt – viel Geld in den Sand gesetzt. Das muss nicht sein. Auch heute noch können Anleger am Neuen Markt Geld verdienen.
„Niemand fragt nach Zinsen und Preisen. Es sind nur noch Modewerte mit gigantischem Kurs-Gewinn-Verhältnis gefragt.“
Prüfen Sie also Ihre Aktien sorgfältig. Trennen Sie sich von Titeln, wenn Gewinnwarnungen ausgegeben werden oder an den Bilanzen herumgefeilt wird. Misstrauisch sollten Sie werden, wenn das Unternehmen zahlreiche unwesentliche Mitteilungen herausgibt, um im Gespräch zu bleiben. Und wenn Altaktionäre schon bald nach der Sechsmonats-Sperrfrist verkaufen. Oder wenn die Firma gar eigene Aktien zurückkauft, anstatt zu investieren.
Zauberwort Wachstum
Die Euphorie über den Neuen Markt lockte viele Neulinge an die Börse – und ins Verderben. Eigene Gier und Naivität waren oft schuld, wenn der Ehemann die Urlaubskasse der Familie leerte, die Frau das Familiensilber verpfändete und Eltern die Sparbücher ihrer Kinder plünderten – und am Schluss von riesigen Schuldenberge gedrückt wurden. Aber auch die Banken und Fonds haben wenig getan, um die Anleger aufzuklären. Im Gegenteil: Immer weiter haben sie neue Fonds für enge Märkte aufgelegt. Und die Medien übertrafen sich mit gegenseitigen Sensations-Geschichten fast täglich aufs Neue.
„Manchmal trage ich mich mit dem Gedanken, mich von der Börse ganz zu verabschieden. Der Spielkasino-Charakter wird immer grösser, ebenso der Einfluss von Spielern und Zockern.“
Anfang 2000 drohte der Neue Markt zu einem reinen Spekulationsobjekt zu verkommen. Niemand schien mehr nachzurechnen, ob die gehandelten Kurse noch jemals durch künftige Gewinne gerechtfertigt sein könnten. So wurde z. B. Trickfilmproduzent und Verleiher EM-TV, eine der bekanntesten Aktien am Neuen Markt, so hoch gehandelt, dass die Firma fast ebenso viel wert war wie die vier DAX-Grosskonzerne Adidas, Linde, Karstadt-Quelle und Degussa zusammen. Ein Wahnsinn!
„Überdurchschnittliche Kursgewinne der letzten fünf Jahre dürfen nicht zu entsprechenden Hochrechnungen auf die nächsten fünf Jahre verleiten.“
Das Zauberwort hiess Wachstum. Und jeder dachte: So viele Käufer können sich doch nicht irren. Von heute auf morgen wurden neue ökonomische Regeln entdeckt. Zum Beispiel: Gewinne sind schädlich, weil sie von geringer Investitionslust zeugen, während Verluste hohes Wachstum versprechen. Und: Nicht das Kurs-Gewinn-Verhältnis muss man beachten, sondern das Kurs-Umsatz-Verhältnis. Anfang 2000 drohte die Kursexplosion. Die Deutsche Bank warnte vor Kurssturz und Panik. Für Warburg Dillon Read, Tochter der Schweizer UBS, kein Hinderungsgrund, noch zu diesem Zeitpunkt Branchenindex-Zertifikate auf dem Neuen Markt anzubieten und so die Kurse weiter zu pushen.
Sie dürfen kein Herdentier sein
Speziell für den Neuen Markt, generell aber für alle Börsengeschäfte gilt: Lösen Sie sich vom Herdentrieb. Wenn der Leithammel einen Abhang hinunterspringt, folgen ihm die anderen Schafe nach. Das ist fatal – auch an der Börse. Eine Untersuchung der Yale-Universität belegt: Vor dem grossen Crash 1987 war den meisten Anlegern klar, dass die Aktienkurse viel zu hoch waren. Doch keiner stiess seine Papiere ab. Die Spekulanten sahen nur noch, was sie sehen wollten: Bei steigenden Kurse verkauft man nicht. Und wo alle hingehen, muss doch was zu holen sein. Mit dem Crash kam das böse Erwachen.
Börsenerfolge machen blind
Wenn’s an der Börse läuft, verlieren auch sonst so besonnene Leute ihre kritische Urteilsfähigkeit. Nur noch Statistiken und Zahlen werden herangezogen, die die eigene Meinung und das eigene Gefühl bestätigen. Dreht dann die Stimmung, wird der Rückschlag umso heftiger. Das muss nicht sein: Ein bewährtes Hilfsmittel, mit dem Sie sowohl den übergrossen Optimismus als auch den Pessimismus und über(ver)kaufte Börsen messen können, ist der Vier-Wochen-Durchschnitt. Steigt oder fällt ein Aktienindex im Vergleich zu einem kurzfristigen Durchschnitt zu rasant, dann hat die Börse übertrieben und ist zumindest für eine kurzfristige Korrektur anfällig.
Auch Analysten sind keine Hellseher
Merken Sie sich eines: Auch Analysten sind keine Hellseher. Sie hüten sich vor eindeutigen Urteilen. Denn die Gefahr ist gross, dass sie danebenliegen – und ihren Job verlieren. Die Folge: Immer mehr Analysten schliessen sich der Meinung einiger weniger an. Hinzu kommt: Zu dem Zeitpunkt, wenn eine Analyse veröffentlich wird, ist es für Sie als Anleger eh schon zu spät zum Handeln. Die Börse hat bereits reagiert.
„Je schneller Privatanleger und Institutionelle die Heimtücken und Fallen der Börsen zu Beginn des 21. Jahrhunderts durchschauen lernen, desto weniger können sie zu Opfern werden.“
Noch etwas sollte Sie stutzig machen: Keiner sägt sich den Ast ab, auf dem er selbst sitzt. Beispiel: Die Deutsche Telekom brachte im Jahr 2000 ihre Tochter T-Online und weitere eigene Aktien an die Börse. Ein gewaltiges Business für Investmentbanker. Wen wundert’s, kamen doch von den grossen US-Geldhäusern keine negativen Kommentare zur Deutschen Telekom, obwohl der Kurs der Aktie in den ersten drei Monaten 2000 fast senkrecht in die Höhe stieg, die Firma gleichzeitig aber immer weniger verdiente. Wer will sich schon die schönen Kurse durch negative Analysen verderben?
Statistiken lügen
Mit Zahlen kann man alles beweisen. Wird eine Statistik direkt nach einem Höchststand erstellt, erscheinen 40 %-Kursausschläge vor 20 oder 30 Jahren nur noch als unwesentliche Kurskorrektur. Noch etwas: Behandeln Sie Statistiken aus den 90er Jahren besonders vorsichtig. Die meisten sind seit 1997 nicht mehr repräsentativ. Die Fondsmanager kaufen seither in wesentlich höherem prozentualen Anteil als früher Aktien, die in den breiten europäischen und amerikanischen Indizes enthalten sind. Und vergessen Sie nicht: Es gab und gibt immer wieder Jahre einer scheinbar endlosen Hausse und dann Zeiten der Flaute. Nach einer Reihe von aussergewöhnlichen Börsenjahren ist die Wahrscheinlichkeit jetzt wieder sehr viel grösser, dass eine mehrjährige Korrekturphase einsetzt, die gewisse Übertreibungen ausgleicht.
Auch in New York kocht man nur mit Wasser
Lassen Sie sich von News aus New York nicht verrückt machten. Mal wartet die Börsenwelt gespannt auf die neuesten Produktionszahlen, dann sind Angaben über Beschäftigungszahlen angekündigt. Doch die Aussagekraft ist oft gleich null. Ein Beispiel: Am 3. September 1999 wurde bekannt gegeben, dass die Entwicklung der Lohnstückkosten im letzten Berichtsmonat plus 0,2 % betragen habe. Erwartet wurden hingegen 0,3 %. Diese nichts sagende Differenz genügte jedoch, um in New York eine Kursrallye auszulösen. Der Nasdaq-Index stieg um 3 %. Man belauert sich gegenseitig und schaut, wie die Hauptmasse der Börsenteilnehmer auf die US-Zahlen reagiert. Mit sorgfältiger Analyse hat das nichts mehr zu tun, solche Kurssteigerungen lassen sich nur massenpsychologisch erklären. Doch erfolgreich sind diese Spekulanten auf Dauer nicht: Sehr häufig kommt es schon Minuten nach der ersten hysterischen Bewegung zu einer Gegenreaktion, weil einige Analysten die Zahlen genauer unter die Lupe genommen haben.
Verheissungsvolle Lockvogel-Angebote
Noch eine Anlegerfalle. Am 22. Juli meldete die renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Deutsche Aktien übergewichten. Merrill Lynch: Chemietitel und Autowerte sind interessant.“ Was soll eine solche Meldung für den Leser? Diejenigen, die diese Empfehlung gaben, haben ihre Käufe mit Sicherheit schon unter Dach und Fach. Könnte es also sein, dass die Veröffentlichung für Merrill Lynch einen ganz anderen Zweck hatte? Beispielsweise diesen: Potenzielle Käufer neugierig machen, damit die Investmentbank für sich und ihre Kunden leichter verkaufen konnte? Tatsache ist: Am 22. Juli und in den darauf folgenden Wochen waren massive Verkäufe deutscher Aktien zu beobachten. Die VW-Aktie fiel von 57 auf 48 Euro, die im FAZ-Artikel besonders erwähnte Bayer-Aktie sank von 40 auf 36 Euro, und die Auto- und Chemieaktien zählten gerade nicht zu den Favoriten der Mitte Oktober 1999 beginnenden Aktienhausse in Deutschland.
Auf Fonds-Profis ist kein Verlass
Aktienfonds werden zwar von Profis gemanagt. Aber das heisst noch gar nichts. Nur 5 % der aktiv gemanagten Fonds haben nach Aussage einer Langzeitstudie über die Wertentwicklung britischer Pensionsfonds zwischen 1988 und 1997 den Index deutlich übertroffen. Der Grund für die schlechte Arbeit der Fondsmanager: Viele junge Händler stehen unter einem sehr hohen Erfolgsdruck. Jeder ist bestrebt, im Trend der Mehrheit zu liegen, dann kann man ihm keine Vorwürfe machen. Deshalb handelt er wie die Herde. Die Finanzverwalter drängen zur selben Zeit in dasselbe Marktsegment hinein und treiben die Kurse in nicht mehr rational nachvollziehbare Höhen.
„Der US-Ökonom Terrance Odean stellte bei der Auswertung von 35 000 Depots einer Bank fest, dass es meist Männer sind, die sich selbst überschätzen.“
Ein Tipp: Kaufen Sie keinesfalls die siegreichen Fonds des Vorjahres. Den Siegern fliesst im folgenden Jahr zwar viel Kapital zu. Doch die Wiederholung des Erfolges ist schwierig: Auch bei einer Länder- und Branchenrotation müssen die Fondsmanager immer wieder die richtigen Werte auswählen. Und das ist oft Glückssache.
Suchen Sie unterbewertete Titel
Orientieren Sie sich nicht nur an Aktienindizes wie Dow Jones, DAX und NEMAX. Seit 1996 liefern diese ein falsches Bild von den Aktienmärkten. Der Grund: Die Fonds kaufen fast ausschliesslich die in den Indizes enthaltenen Aktien und treiben diese nach oben. Die Indizes vermitteln also nicht mehr ein repräsentatives Gesamtbild. Noch vor 20 Jahren war es unwichtig, ob und in welchem Index sich eine Aktie befand. Heute ist es nur noch interessant, ob eine Aktie im DAX, Nasdaq oder NEMAX geführt wird. Dann lässt sich ein Kauf immer rechtfertigen.
„Im Grunde ist die Überreaktion auf Zahlen aus New York ein Zeichen von höchster Unsicherheit.“
Es kommt zu einer Kettenreaktion: Analysten empfehlen eine Aktie zum unbedingten Kauf – Strong Buy. Die Fondsmanager nehmen die Aktie in überdurchschnittlichen Mengen ins Depot. Aufgrund des Kursanstiegs erhöht sich die Marktkapitalisierung. Die Deutsche Börse entscheidet, dass die Aktie stärker im Index gewichtet werden muss. Und weitere Fondskäufe setzen ein, weil die Fondsmanager nun mehr Anteile von diesem Unternehmen halten müssen, um den Index nachzubilden. Fazit: Gute Chancen bei völlig unterbewerteten Titeln werden nicht wahrgenommen, weil man sich in einer steilen Aktienhausse wähnt, während der man nicht mehr an der Börse einzusteigen wagt.
Fusionen freuen nur das Portemonnaie der Topmanager
Nehmen Sie sich vor der Fusions-Euphorie in Acht. In den letzten Jahren wurden durch gigantische Übernahmeschlachten ohnehin schon überbewertete Aktien noch weiter nach oben getrieben. Bei den meisten Fusionen hätten die Aktionäre das beste Geschäft gemacht, wenn sie ihre Titel bei Bekanntgabe des Zusammenschlusses schleunigst verkauft hätten. So war es beim Zusammenschluss von Sandoz und Ciba-Geigy zu Novartis, Schweizer Bankgesellschaft und Schweizer Bankverein zu UBS wie auch bei Vodafone und Mannesmann und DaimlerChrysler.
„Der Herdentrieb der Fondsmanager sorgt dafür, dass lange Zeit immer wieder dieselben von Analysten angepriesenen Aktien bevorzugt gekauft werden.“
Weshalb also überhaupt Mega-Fusionen? Für das Top-Management sind sie eine ideale Möglichkeit, um den eigenen Lohn noch weiter hinaufzuschrauben. Nach der Mannesmann-Übernahme durch Vodafone sank der Kurs nur noch. Trotzdem verlangte Vodafone-Chef Chris Gent eine Prämie von 30 Millionen Mark.