Führen auf Augenhöhe

Buch Führen auf Augenhöhe

Kollegen und Teams motivieren und leiten

Cornelsen Scriptor,


Rezension

Das titel­gebende Führen auf Augenhöhe wird auch als laterales Führen bezeichnet. Oder man könnte sagen: Führen ohne Führerschein, ohne offizielle Führungsle­git­i­ma­tion. Ein wichtiges An­wen­dungs­ge­biet ist das Pro­jek­t­man­age­ment, wo es u. U. keinen weisungs­befugten Vorge­set­zten gibt, wo es aber trotzdem irgendwie vorangehen muss. Laterales Führen eignet sich nach Meinung der Autoren generell als Führungsmod­ell der Zukunft. In der, wie es immer wieder heißt, komplexer werdenden und sich rasant verändernden Wirtschaftswelt ist laterales Führen gemäß den Autoren die Methode, die die Kreativität und die Motivation der Mitarbeiter am meisten fördert. Das Buch von Jörg Brandt und Kirsten Oehmke wirkt wie ein Grund­la­gensem­i­nar zum Thema. Sie arbeiten mit schulbuchmäßigen Be­griffs­de­f­i­n­i­tio­nen und deklinieren Varianten durch. Das Ganze kreist ziemlich theoretisch um sich selbst, u. a. weil das Ziel allen un­ternehmerischen Handelns – der Kunde – so gut wie nicht vorkommt. BooksInShort empfiehlt das Buch vor allem angehenden Pro­jek­t­man­agern, die sich einen ersten Überblick verschaffen wollen.

Take-aways

  • Laterales Führen ist Führen ohne Weisungs­befug­nis, etwa in der Pro­jek­tar­beit.
  • Laterales Führen ist kein Griff in die ma­nip­u­la­tive Trickkiste, sondern nutzt die legitimen Formen jeder Art von Kom­mu­nika­tion.
  • Nur wer von seiner Aufgabe selbst überzeugt ist, kann andere überzeugen und motivieren.
  • Wertschätzung, eine angenehme Ar­beit­sat­mo­sphäre, Vertrauen und Beziehungspflege sind die Grund­kom­po­nen­ten der Führung auf Augenhöhe.
  • Es ist effizient und zeugt von Wertschätzung, wenn Sie alle vorhandenen In­for­ma­tio­nen offenlegen und Herrschaftswis­sen nicht zurückzuhalten.
  • Auch beim lateralen Führen müssen die Ziele klar definiert sein.
  • Laterales Führen weckt die Eigenständigkeit, Eigen­mo­ti­va­tion, Leis­tungs­bere­itschaft und Kreativität der Kollegen und Mitarbeiter.
  • Die Führungsauf­gabe besteht darin, alle Kom­mu­nika­tion­sebe­nen im Auge zu behalten und alle Charak­ter­typen innerhalb einer Gruppe zu integrieren.
  • Der Ar­beits­di­a­log sollte stets offen und kon­sen­sori­en­tiert geführt werden.
  • Sprechen Sie Konflikte möglichst umgehend an und führen Sie sie auf eine sachliche Ebene.
 

Zusammenfassung

Laterales Führen

Alles hört auf mein Kommando – so lautet etwas überspitzt die Kurzfassung des hi­er­ar­chis­chen Führungsmod­ells. Der Leiter steht an der Spitze und trifft die Entschei­dun­gen. Die Mitarbeiter erfüllen die Aufgaben und Anweisungen pflicht­be­wusst, pünktlich und korrekt; die Leistung wird kon­trol­liert. Derartige steile Hierarchien können durchaus zum Erfolg führen. In einer Wirtschaftswelt, die sich immer schneller verändert, erweist sich das System aber oft als zu träge. Befehlsempfängern fehlt die Eigen­mo­ti­va­tion. Nicht einmal eine üppige Bezahlung als äußerer Leis­tungsan­reiz kann diesen Mangel kom­pen­sieren. Gegen allzu autoritäres, hi­er­ar­chis­ches Führen bildet sich sogar Widerstand: Dienst nach Vorschrift, Krankfeiern, Sabotage.

„Führen steht für Ein­flussnahme.“

Das hi­er­ar­chis­che Modell geht überwiegend davon aus, dass die Menschen zur Arbeit gezwungen werden müssen oder dass sie ihrer Arbeit aus Gründen nachgehen, die nichts oder nur wenig mit ihren Aufgaben zu tun haben. Das laterale Führen oder Führen auf Augenhöhe hingegen geht davon aus, dass die Mitarbeiter Eigen­ver­ant­wor­tung übernehmen, sich selbst motivieren und sich entfalten wollen. Hier liegt ein Potenzial, das es zu nutzen gilt. Vor allem Pro­jek­t­man­ager, die keine Weisungs­befug­nis gegenüber den anderen Pro­jek­t­mi­tar­beit­ern haben, leiten ihre Kollegen mithilfe legitimer Formen von Bee­in­flus­sung, um ihre Ziele erreichen zu können.

Führen durch Bee­in­flus­sung

Mit Bee­in­flus­sung sind weder Ma­nip­u­la­tio­nen noch mikropoli­tis­che Tricks oder Macht­spielchen gemeint, die Kollegen und Mitarbeiter in­stru­men­tal­isieren sollen. Das würde nicht dem Wertekanon des lateralen Führens entsprechen. Grund­vo­raus­set­zun­gen einer positiven Ein­flussnahme sind vielmehr Aufmerk­samkeit, Fre­undlichkeit, Höflichkeit den Kollegen oder Team­mit­gliedern gegenüber und das Herstellen einer guten Ar­beit­sat­mo­sphäre. Durch umfassende In­for­ma­tion­sweit­er­gabe bringen Sie Ihre Wertschätzung zum Ausdruck. In­for­ma­tio­nen als Machtmittel zurückzuhalten, wäre nicht sach­di­en­lich, sondern de­mo­tivierend, ja u. U. sogar kon­trapro­duk­tiv: Auch die Mitarbeiter könnten anfangen, In­for­ma­tio­nen zu ver­schweigen.

„Wo immer Menschen sich begegnen, findet Kom­mu­nika­tion und damit Ein­flussnahme statt.“

Führen auf Augenhöhe beruht in jeder Hinsicht auf Gegen­seit­igkeit. Jeder Teilnehmer geht den anderen gegenüber die Verpflich­tung ein, sich der Sache zu widmen. Eine Festigung der sozialen Beziehungen kann ebenso hilfreich sein wie au­then­tis­ches und sym­pa­this­ches Auftreten. Sie müssen sich nicht ein­schme­icheln. Ermutigen, Beziehungen aufbauen und verstärken, Verständigung optimieren, Emotionen wecken, Einverständnis und Vertrauen herstellen, die Zielo­ri­en­tierung fördern, überzeugen, Feedback geben, Mitarbeiter einbinden – all das sind positive Einflussmöglichkeiten. Alles, was blockiert, ist der lateralen Führung abträglich.

Führen durch Überzeugung

Ihre eigene Überzeugung ist eine Grund­vo­raus­set­zung für die Überzeugung der Mitarbeiter und die Ver­trauens­bil­dung in der Gruppe. Mithilfe von W-Fragen (Weshalb? Wozu? Womit? Wie? Mit wem?) können Sie Ihre persönliche Überzeugung klären und sie anschließend auf andere übertragen. Dadurch entsteht ein part­ner­schaftliches Verhältnis. Vertrauen ermöglicht es, Aufgaben und Ve­r­ant­wor­tung zu übertragen. Diese Art von umfassender Delegierung verflacht automatisch die Hierarchie.

Führen durch Zielsetzung

Ein zentraler Punkt des lateralen Führens ist eine konkrete Zielsetzung. Vage For­mulierun­gen wie „Sie müssen besser werden“ reichen nicht aus. Das Ziel soll eine echte Her­aus­forderung darstellen, damit die nötigen Kräfte freigesetzt werden. Ide­al­er­weise verbinden sich die un­ternehmerischen Ziele mit den persönlichen Zielen der Mitarbeiter. Dies entspricht der ver­bre­it­eten Praxis des „Management by Objectives“. Gemäß der bekannten SMART-Formel sollen Ziele spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert sein. Je besser es gelingt, ein Ziel emotional zu besetzen, es quasi in eine bildhafte Vision zu gießen, umso höher wird die Eigen­mo­ti­va­tion der Mitarbeiter oder der Teamkol­le­gen sein. Versetzen Sie sich nacheinan­der in die Position eines Träumers, eines Realisten und eines Kritikers, so gelingt es Ihnen leichter, das Ziel optimal zu erfassen.

Führen durch wertschätzende Beziehungen

In der alltäglichen lateralen Führungsar­beit kommt es darauf an,

  • alle gleich zu behandeln,
  • alle wertschätzend zu behandeln und zu Wort kommen zu lassen,
  • die Schüchternen und Stillen einzubinden,
  • Regeln aufzustellen und ihre Einhaltung zu überwachen,
  • Störungen und sich anbahnende Konflikte sogleich zu benennen,
  • durch Fragen den Arbeits- und Lösung­sprozess vo­ranzubrin­gen und
  • Aussagen und Ergebnisse in neutraler Weise zusam­men­z­u­fassen.
„Es geht bei Führung auf Augenhöhe um Kooperation und Vertrauen und das gemeinsame Erreichen von gemeinsam vere­in­barten Zielen.“

Die Teamarbeit kann von einer Vielzahl psy­chosozialer Faktoren beeinflusst werden. Diese schwingen un­ter­schwellig mit und sind nicht ohne Weiteres sichtbar. Sympathie und Antipathie, Misstrauen und Vertrauen sind Beispiele dafür. In in­terkul­turellen Gruppen kommen un­ter­schiedliche kulturelle Prägungen oder Wertvorstel­lun­gen hinzu. Beim Führen auf Augenhöhe müssen Sie diese Faktoren stets aufmerksam im Blick behalten. Ein positives Gruppengefühl ist allerdings nicht notwendi­ger­weise mit einer positiven Grup­pen­leis­tung gle­ichzuset­zen.

„Nur die eigene Überzeugung kann die Grundlage für laterales Führen sein.“

Wis­senschaftliche Studien un­ter­schei­den bestimmte Charak­ter­typen. Wenn Sie diese kennen, können Sie Persönlichkeiten und deren Verhalten besser einschätzen. Daraus ergeben sich gewisse Steuerungs- und Einflussmöglichkeiten im Grup­pen­prozess. In der antiken Tem­pera­menten­lehre unterschied man den Choleriker, den Melan­cho­liker, den Sanguiniker und den Phleg­matiker. Heute kat­e­gorisiert man nach den Dimensionen der so genannten Big Five:

  1. Gelassen­heit vs. Anges­pan­ntheit,
  2. Ex­tra­ver­sion vs. In­tro­ver­sion,
  3. Offenheit vs. Fest­ge­fahren­sein,
  4. soziale Verträglichkeit vs. Egozentrik,
  5. Gewis­senhaftigkeit vs. Un­or­gan­isiertheit.
„Der Dialog ist die dem lateralen Führen angemessene Kom­mu­nika­tions­form.“

Jede Dimension stellt zwei Extreme dar, zwischen denen sich ein Mensch bewegen kann. Sie sind bei keinem Individuum in Reinkultur ausgeprägt. Gerade in Grup­pen­prozessen kann sich jedes Merkmal so oder so auswirken. Wenn Sie diese Dimensionen kennen, können Sie andere leichter erfassen und im Sinne von Wertschätzung, Achtung, Toleranz und Einfühlungsvermögen besser auf sie eingehen. Es ist eine Führungsauf­gabe, Mitarbeiter oder Kollegen und ihren Hintergrund so gut wie möglich zu kennen.

Führen durch Kom­mu­nika­tion

Wo immer Menschen zusam­menkom­men, wird unauswe­ich­lich kom­mu­niziert: verbal wie nonverbal, etwa durch Körpersprache oder Ab­stand­hal­ten. Gestik, Au­genkon­takt, Körperhaltung, Tonlage und Lächeln machen einen Großteil der gesamten Kom­mu­nika­tion aus. Jede Art der Kom­mu­nika­tion ist ein Prozess wech­sel­seit­iger Bee­in­flus­sung. Jede Äußerung setzt sich aus vier Be­standteilen zusammen, die alle beim Führen auf Augenhöhe von Bedeutung sind und beachtet werden sollten:

  1. Auf der Sachebene werden In­for­ma­tio­nen und Fakten mitgeteilt.
  2. Jede Aussage hat eine Selb­stkundgabe über die eigene Befind­lichkeit.
  3. Die Beziehung zum Gegenüber erkennt man u. a. an Tonfall und Mimik.
  4. Der Appell bringt Wünsche, Ratschläge oder Hand­lungsauf­forderun­gen zum Ausdruck.
„Unter sozialer Kompetenz versteht man z. B. die Fähigkeit, Kontakte und Beziehungen zu anderen Menschen herzustellen und diese Beziehungen auch pflegen und aufrechter­hal­ten zu können.“

Die ideale Kom­mu­nika­tions­form des lateralen Führens ist der Dialog, der offene, frei fließende Austausch. Feedback ist ein wichtiges Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel, das hilft, Missverständnisse und Fehlin­ter­pre­ta­tio­nen zu vermeiden, und Wertschätzung zum Ausdruck bringt. Kontroverse Kom­mu­nika­tions­for­men sind Diskussion, Disput und Debatte. Auch wenn der ein­heitss­tif­tende Dialog schwierig zu realisieren ist, sollten Sie danach streben, hi­er­ar­chis­che Elemente aus der Führungsar­beit her­auszuhal­ten.

„Au­genkon­takt ist die ver­trauens­bildende Maßnahme schlechthin.“

Legen Sie sich Rechen­schaft über Ihre eigenen Reaktionen ab: Sind Sie trotzig, ober­lehrerhaft, streng, überfürsorglich? Noch wichtiger ist es im Grup­pen­prozess, die Gefühle der anderen wahrzunehmen und zu verstehen, evtl. eigene Abneigungen abzubauen, mit Emotionen positiv umzugehen und Beziehungen bewusst zu pflegen. Laterales Führen ist im Wesentlichen Beziehungs­man­age­ment.

Führen durch Motivieren

Sie müssen selbst von Ihrer Aufgabe und Ihren Zielen begeistert sein, sonst wird die Übernahme einer Führungsauf­gabe schwierig. Für jeden Mitarbeiter und Kollegen findet sich eine Aufgabe, die seinen Fähigkeiten und seinem Charak­ter­ty­pus entspricht und die ihn so stark emotional berührt, dass er sich von sich aus engagiert. Zudem neigen Menschen zur Grup­pen­bil­dung, weil sie dadurch Rückhalt und Sicherheit bekommen. Auch diesen Effekt sollten Sie zur Leis­tungssteigerung und Mo­ti­va­tionsverstärkung nutzen.

Führen durch Kon­sensentschei­dung

Der ergeb­nisof­fene Dialog und das kreativitätssteigernde Brain­storm­ing sind wesentliche Bausteine, um zu einer möglichst ein­vernehm­lichen Problemlösung zu gelangen. Falls dieses Ziel nicht erreicht wird, lassen Sie einen Per­spek­tiven­wech­sel zu und unterziehen Sie das Projekt durch ver­schiedene „Brillen“ noch einmal einer Revision.

Führen durch Konfliktbewältigung

Der offene Konflikt ist der Worst Case der Führungsar­beit. Sprechen Sie daher jedes Anzeichen für einen Konflikt frühzeitig an. Konflikte sind emotional und eskalieren leicht. Die letzten Stufen sind erreicht, wenn der Konflikt per­son­al­isiert wird, in offene Aggression und Gewalt umschlägt und manchmal bis zum Ver­nich­tungswillen führt.

„Konflikte lösen emotionale Reaktionen aus. Sie verändern unseren emotionalen Zustand und stoßen die archaischen Reaktionen von Flucht oder Angriff an.“

Erarbeiten Sie Lösungsvorschläge, bewerten Sie sie und setzen Sie den oder die besten um. Nach einer bestimmten Frist kann die Situation neu bewertet werden. Notfalls können Sie einen externen Klärungshelfer, also einen Schlichter, beiziehen. Mit seiner Hilfe sollen sowohl die Sachver­halte als auch die Gefühlslage diskus­sion­s­los auf den Tisch gelegt werden. So kann der Konflikt wieder in eine offene Dialogform zurückgeführt werden.

Über die Autoren

Jörg Brandt ist Dipl.-Sozialpädagoge. Er arbeitet als Trainer für Führung, Kom­mu­nika­tion und Stress­man­age­ment und leitet ein Weit­er­bil­dungszen­trum. Kirsten Oehmke ist Therapeutin für klinische Hypnose und Trainerin für Kom­mu­nika­tion, Selb­st­man­age­ment und Motivation.