Virtuelle Führung ist nichts Neues
Forscher sagen voraus, dass in wenigen Jahren rund 30 % aller Festangestellten weltweit virtuell zusammenarbeiten werden. Doch ganz so neu ist diese Situation nicht: Auch in früheren Zeiten waren Mitarbeiter nicht immer am gleichen Ort versammelt. Schon König Artus musste seine Gefolgsleute auf sich einschwören. Nur so konnte der Zusammenhalt während der langen Zeiträumen, in denen man sich nicht sah, gewahrt werden. Im virtuellen Zeitalter ist das nicht anders. Es ist wichtig, dass Sie als Führungskraft zwischen Ihnen und Ihren Teammitgliedern ein starkes emotionales Band knüpfen. Wenn Sie nicht heute schon virtuell führen, werden Sie es in Zukunft höchstwahrscheinlich tun. Es ist einfach Teil unseres Arbeitsalltags.
Distanz schafft Unsicherheit
Die übliche Organisation der Teamarbeit lässt sich nicht einfach auf die virtuelle Realität übertragen. Wenn Mitarbeiter lange Zeit auf sich gestellt sind und keine unmittelbare Reaktionen auf ihre Leistungen bekommen, werden sie unsicher. Fragen können oft nicht spontan geklärt werden, Kurzfristigkeit ist fast unmöglich, und oft ist erst mit dem Endresultat der Erfolg oder Misserfolg einer Aufgabe zu sehen. Die Freiheit und Distanz der virtuellen Zusammenarbeit erfordern Nähe und Grenzen an anderer Stelle: durch emotionale Verbundenheit und richtige Kommunikation.
„Für den Mitarbeiter in der Ferne sind Sie das tragende Bindeglied zwischen ihm und ‚seiner‘ Firma.“
Vermeiden Sie ein Zuviel an Kommunikation. Das sind beispielsweise E-Mails, die mit ausschweifenden Erklärungen Seiten füllen. Nicht für alle Situationen und Angelegenheiten sind E-Mails geeignet. Im persönlichen Gespräch lassen sich viele Probleme leichter klären. Rufen Sie also kurz an oder nutzen Sie, wann immer möglich, die Gelegenheit zu einem Gespräch unter vier Augen – besonders, wenn Sie merken, dass die Kommunikation in eine falsche Richtung läuft und es zu Missverständnissen kommt. Reagieren Sie schnell und unmittelbar auf Probleme. Seien Sie für Ihre Mitarbeiter erreichbar und kommunizieren Sie auf Augenhöhe. Wenn Sie nachvollziehbar und transparent handeln, entstehen viele Komplikationen gar nicht erst.
Gruppe oder Team – ein wichtiger Unterschied
Eine Gruppe und ein Team sind nicht dasselbe. In einer Gruppe trägt jeder einzelne Mitarbeiter unabhängig von den Kollegen etwas zur Zielerreichung bei. In einem Team kann eine Einzelperson nur im Zusammenspiel mit den anderen das Ziel erreichen; man muss sich austauschen und abstimmen. Das ist der entscheidende Unterschied.
„Führung auf Distanz bedeutet, dass Sie vorrangig über Ergebnisse führen.“
Je nachdem, mit welcher Organisationsform Sie es zu tun haben, müssen Sie ein anderes Führungsverhalten an den Tag legen. Im ersten Fall beschäftigen Sie sich hauptsächlich mit Einzelpersonen. Sie verteilen Aufgaben und führen die einzelnen Bausteine oder Arbeitsergebnisse zusammen. Im zweiten Fall koordinieren Sie mehr und kümmern sich um die Kommunikation. Der Kontakt unter den Teammitgliedern ist viel enger. Wenn Sie mit einer Mischform aus Gruppe und Team arbeiten – was im Arbeitsalltag meistens der Fall ist –, sollten Sie sich klarmachen, welche Anteile bei welchen Aufgaben vorherrschen.
Ziele gleichen den physischen Abstand aus
Ergebnisorientiertes Führen ist mit Zielen verbunden: Management by Objectives. Das Problem der virtuellen Zusammenarbeit ist, dass sie wenig fehlerfreundlich ist. Korrekturen können nicht so leicht zwischendurch vorgenommen werden. Oberflächlich formulierte Ziele werden verfehlt. Und: Haben Sie die Ziele zu allgemein formuliert, lassen sie sich am Ende nur schwer kontrollieren. Mit der richtigen Zielformulierung dagegen können Sie Ihren Mitarbeitern ideale Mittel zur Zielerreichung auf den Weg geben. Achten Sie bei der Zieldefinition darauf, dass Sie nicht zu ungenau formulieren und dass Sie gleichzeitig die Erfüllung nicht mit zu engen Zielen behindern.
„Sie brauchen keine Zustimmung von Ihrem Mitarbeiter, wohl aber Akzeptanz.“
Ein grundsätzlicher Vorteil einer Distanzbeziehung zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern ist, dass die Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Mitarbeiter erweitert werden. Wenn sie lernen, damit umzugehen, erleben sie die Arbeit als selbststeuernd und wachsen an ihren Aufgaben.
SMART-Ziele schälen alle Belange heraus
Wie steht es um die Qualität eines Ziels? Erfasst die Zielformulierung alles Nötige? Die SMART-Kriterien verraten es Ihnen. Mit den fünf Buchstaben überprüfen Sie Ihre Zielvorgaben:
- S = spezifisch: Stellen Sie klar, was sich wo und wie verändern soll. Interpretationsspielräume sind wenig hilfreich. Wenn Sie beispielsweise schreiben: „Ziel ist es, die Kunden noch optimaler zu betreuen“, lässt sich das sehr vielseitig auslegen. Klarer ist diese Formulierung: „Betreuen Sie die Kunden so, dass bei der nächsten Kundenbefragung die Zufriedenheit mit der Dienstleistung um 20 % gestiegen ist.“
- M = messbar: Messbar machen Sie ein Ziel, wenn Sie ganz genau klären, an welchen Zahlen Sie den Erfolg festmachen. Legen Sie die quantitative Messgröße fest. Wenn man einem Projektleiter das persönliche Entwicklungsziel setzt, „sich stärker für die Belange seines Projekts einzusetzen“, ist das kaum messbar. Sie können aber beispielsweise festhalten, dass die Beteiligten den Verlauf von Meetings und das Verhalten des Projektleiters evaluieren; dass sie bewerten, wie er Probleme dargestellt hat, wie er auf Konflikte eingegangen ist, wie er mit versteckten Risiken umgegangen ist, wie er Beteiligte eingebunden hat usw. Wenn 50 % der Bewertungen gut sind, kann das Ziel als erreicht angesehen werden.
- A = attraktiv: Wenn Sie ein Ziel so formulieren, als ob es schon erreicht wäre, wirkt das nicht nur motivierend, es erleichtert es Ihnen auch, Zwischenziele zu vereinbaren. Die Formulierung könnte z. B. lauten: „Sie haben neue Kunden für unsere Dienstleistung gewonnen. Davon haben Sie mindestens 20 unser Angebot so nahegebracht, dass sie einen Auftrag platziert haben.“ Hier lassen sich zehn erfolgreiche Angebote als Zwischenziel bestimmen. Ihr Mitarbeiter hat dadurch eine höhere Selbstkontrolle über sich und seinen Weg zum Ziel, er erlebt Autonomie und Selbstständigkeit – ein wichtiges Gefühl für die Grundmotivation und seine Bindung an Sie als Führungskraft.
- R = realistisch: Ist das Ziel überhaupt zu erreichen? Das Verständnis davon, was als realistisch gilt, kann sehr unterschiedlich sein. Persönlichkeit, Befugnisse und Ressourcen spielen eine Rolle. Wichtig ist, dass ein Ziel fordert. Es darf aber nicht überfordern. Ihr Mitarbeiter muss das Gefühl haben, dass er es schaffen kann. Sollten Sie die Balance zwischen Forderung und Überforderung hinkriegen, haben Sie einen Pluspunkt. Anspruchsvolle Ziele verstehen Ihre Mitarbeiter als Vertrauen in ihr Können.
- T = terminiert: Schließlich sind klare Termine wichtig. Start und Ende geben Ihnen einen Kontrollrahmen, der übrigens auch wieder als sinnvoll erlebt wird und positiv auf die Motivation wirkt.
Wenn sich Ziele streiten
Vermeiden Sie die „Zieleuphorie“, bei der Sie sich in Zielformulierungen verheddern. Manchmal gibt es einfach klar definierte Aufgaben, die erledigt werden müssen und keiner Zielformulierung bedürfen. Und vor allem gibt es Prioritäten. Benennen Sie diese ganz klar. Unter Stress verliert ein Mitarbeiter sonst schnell den Überblick. Passen Sie auf, wenn ein Mitarbeiter verschiedenen Abteilungen verpflichtet ist. Wenn nicht klar ist, wo die Prioritäten sind, kann der Mitarbeiter zwischen den Fronten zerrieben werden.
Bindekraft schlägt Fliehkraft
Fliehkräfte zerren an den Enden Ihres Teams und drohen es auseinanderzureißen. Kontaktarmut, Misstrauen, Zielkonflikte, kulturelle Unterschiede, Autonomiestreben und unterschiedliches Leistungsengagement sind solche Fliehkräfte. Virtuelle Zusammenarbeit ist davon naturgemäß noch stärker betroffen als reguläre Teamarbeit. Dagegen kommen Sie nur mit Bindekräften an. Eine davon liegt im Kommunizieren, besonders in Form positiver Rückmeldung. Niemand möchte das fünfte Rad am Wagen sein. Dem Gefühl fehlender Anerkennung sollten Sie unbedingt entgegenwirken. Sehen Sie die Leistungen Ihrer Mitarbeiter nicht als selbstverständlich an. Sprechen Sie über Erfolge, erkennen Sie an, was geschafft wurde.
„Je geringer der Kontakt, desto schwächer die Bindung.“
Gerechtigkeit, Identifikation, Zielkonsens, Zugehörigkeit und Vertrauen sind weitere Bindekräfte. Gerade für das Vertrauen gilt: Ohne geht es nicht. Bei jeder Zusammenarbeit treten Ungereimtheiten auf. Wenn Sie nicht vertrauen können, sind Sie schnell einmal bloß noch am Kontrollieren – und haben ein Zeitproblem. Vertrauen ist immer personengebunden und entsteht nicht aus dem Nichts. Wir brauchen Erlebnisse, Zeichen, die Vertrauen wachsen lassen. Dann werden die Kommunikation und die Zusammenarbeit insgesamt leichter.
„Jedes Teammitglied sollte in die gleiche Richtung denken, fühlen und handeln.“
Die letzte Bindekraft heißt mentale Vernetzung. Sie bewirkt, dass alle Teammitglieder in die gleiche Richtung gehen, dass sie ähnlich fühlen und denken. Verschiedene Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was kollegiale Zusammenarbeit oder Führung bedeutet. Hier geht es um mentale Modelle. Wenn die aufeinandertreffen, entstehen Störungen. Im normalen Arbeitsalltag werden solche Störungen schnell und auf informellen Wegen beseitigt. Im virtuellen Team allerdings können sie kaum zur Sprache kommen. Es sei denn, Sie als Führungskraft bringen Sie auf die Agenda. Nutzen Sie Gelegenheiten dafür und besprechen Sie diese Bilder in den Köpfen. Fragen Sie, warum sich eine Person so und so verhalten hat und warum eine andere es anders erwartet hat. Wenn die Mitarbeiter die Unterschiede entdecken, vernetzen sie sich mental. Denken Sie immer daran, dass die Bindekräfte nicht nur aufgebaut werden müssen. Sie brauchen auch Pflege.
Wenn sich Menschen streiten
Für den Fall, dass unter den Teammitgliedern ein Konflikt ausbricht, braucht es Vorüberlegungen und einen Plan zum Konfliktmanagement. Jeder Mensch weiß, dass es Konflikte gibt, aber niemand begrüßt sie freudig und die meisten Menschen reagieren sehr empfindlich darauf. Schuldzuweisungen und überbordende Gefühle helfen nicht und müssen rausgehalten werden. Meistens ist es hilfreich, ein persönliches Treffen für die Konfliktbearbeitung zu vereinbaren. Ist das nicht möglich, wählen Sie ein Medium mit großem Informationsreichtum: Eine Videokonferenz bietet mehr Informationen als E-Mails; die Beteiligten sehen sich, und das erleichtert vieles.
Achten Sie auf sich selbst
Sie als Führungskraft geben anderen Menschen einen Rahmen vor. Aber geben Sie sich den auch selbst? Fragen Sie sich, was Ihnen Orientierung gibt. Brauchen Sie Standards oder feste Absprachen zur Kommunikation? Hilft es Ihnen beispielsweise, wenn Sie auf jede Mail die kurze Antwort „Erhalten“ bekommen? Oder brauchen Sie am Ende der Woche einen Bericht, der auch einen Blick auf den kommenden Montag oder auf den nächsten gemeinsamen Termin wirft? Es fragt sich außerdem, wie viel Rückkopplung Sie erwarten. Wie stellen Sie sich eine Zusammenarbeit im Team vor?
„Als soziale Wesen sind wir emotional auf positive Rückmeldungen aus der Umwelt angewiesen.“
Die Antworten auf diese Fragen geben Ihnen Sicherheit und Orientierung im Alltag. Das ist besonders nötig, wenn Sie über Zielvereinbarungen führen und Ihre Mitarbeiter viel von ihren eigenen Persönlichkeiten in die Teamarbeit einfließen lassen.