Führen auf Distanz

Buch Führen auf Distanz

Virtuelle Zusammenarbeit in der Praxis

Cornelsen Scriptor,


Rezension

Kein Zweifel, virtuelle Führung ist ein Zukun­ft­s­thema. Immer öfter arbeiten Teams auf Distanz zusammen, nicht selten über Länder und Kontinente hinweg. Dafür braucht es andere Führungsmeth­o­den als für herkömmliche Teams. Denn die Distanz schafft von Anfang an Un­sicher­heit und gefährdet den Zusam­men­halt der Mitarbeiter. Deshalb muss die Führungskraft im Grunde ausgleichen, was durch das Virtuelle verloren geht. Noch einen anderen wichtigen Aspekt, der in der Literatur häufig un­dif­feren­ziert betrachtet wird, greifen die Autoren auf: Gruppen und Teams sind nicht dasselbe. Je nachdem ob man es mit dem einen oder dem anderen zu tun hat, muss die Führung anders ausfallen. Die Autoren entfalten das Thema sachlich und mit viel Bewährtem, wobei sie eher Soziologen als den bekannten Busi­ness-Gu­rus folgen. BooksInShort empfiehlt das Buch Führungskräften, die mit virtuellen Teams arbeiten oder die sich in Zukunft dieser Her­aus­forderung stellen müssen.

Take-aways

  • In wenigen Jahren werden weltweit 30 % aller Fes­tangestell­ten virtuell zusam­me­nar­beiten.
  • Virtuelle Zusam­me­nar­beit verlangt eine andere Art der Führung.
  • Durch die Distanz haben Sie weniger Einfluss auf den Mitarbeiter und er ist auf sich allein gestellt.
  • Distanz verringert die Bindung und schafft Un­sicher­heit. Geben Sie Ihren Mi­tar­beit­ern deshalb Sicherheit.
  • Gleichen Sie die physische Distanz durch die Bindung an ein Ziel und durch Emotionen aus.
  • Vermeiden Sie zu viele und zu lange E-Mails. Vieles lässt sich mit einem persönlichen Gespräch besser klären.
  • Eine Gruppe ist nicht dasselbe wie ein Team. Entsprechend un­ter­schiedlich müssen die Führungsmeth­o­den sein.
  • Führen Sie über Zielvere­in­barun­gen. Die Ziele müssen spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert, kurz „SMART“ sein.
  • Kon­tak­tar­mut, Misstrauen, Zielkon­flikte, kulturelle Un­ter­schiede, Au­tonomiestreben und un­ter­schiedliches Engagement können ein Team zerreißen.
  • Die wichtigsten Bindekräfte im virtuellen Team sind Anerkennung, Vertrauen und mentale Vernetzung.
 

Zusammenfassung

Virtuelle Führung ist nichts Neues

Forscher sagen voraus, dass in wenigen Jahren rund 30 % aller Fes­tangestell­ten weltweit virtuell zusam­me­nar­beiten werden. Doch ganz so neu ist diese Situation nicht: Auch in früheren Zeiten waren Mitarbeiter nicht immer am gleichen Ort versammelt. Schon König Artus musste seine Gefol­gsleute auf sich einschwören. Nur so konnte der Zusam­men­halt während der langen Zeiträumen, in denen man sich nicht sah, gewahrt werden. Im virtuellen Zeitalter ist das nicht anders. Es ist wichtig, dass Sie als Führungskraft zwischen Ihnen und Ihren Team­mit­gliedern ein starkes emotionales Band knüpfen. Wenn Sie nicht heute schon virtuell führen, werden Sie es in Zukunft höchst­wahrschein­lich tun. Es ist einfach Teil unseres Ar­beit­sall­t­ags.

Distanz schafft Un­sicher­heit

Die übliche Or­gan­i­sa­tion der Teamarbeit lässt sich nicht einfach auf die virtuelle Realität übertragen. Wenn Mitarbeiter lange Zeit auf sich gestellt sind und keine un­mit­tel­bare Reaktionen auf ihre Leistungen bekommen, werden sie unsicher. Fragen können oft nicht spontan geklärt werden, Kurzfristigkeit ist fast unmöglich, und oft ist erst mit dem Endresultat der Erfolg oder Misserfolg einer Aufgabe zu sehen. Die Freiheit und Distanz der virtuellen Zusam­me­nar­beit erfordern Nähe und Grenzen an anderer Stelle: durch emotionale Ver­bun­den­heit und richtige Kom­mu­nika­tion.

„Für den Mitarbeiter in der Ferne sind Sie das tragende Bindeglied zwischen ihm und ‚seiner‘ Firma.“

Vermeiden Sie ein Zuviel an Kom­mu­nika­tion. Das sind beispiel­sweise E-Mails, die mit auss­chweifenden Erklärungen Seiten füllen. Nicht für alle Situationen und An­gele­gen­heiten sind E-Mails geeignet. Im persönlichen Gespräch lassen sich viele Probleme leichter klären. Rufen Sie also kurz an oder nutzen Sie, wann immer möglich, die Gelegenheit zu einem Gespräch unter vier Augen – besonders, wenn Sie merken, dass die Kom­mu­nika­tion in eine falsche Richtung läuft und es zu Missverständnissen kommt. Reagieren Sie schnell und unmittelbar auf Probleme. Seien Sie für Ihre Mitarbeiter erreichbar und kom­mu­nizieren Sie auf Augenhöhe. Wenn Sie nachvol­lziehbar und transparent handeln, entstehen viele Kom­p­lika­tio­nen gar nicht erst.

Gruppe oder Team – ein wichtiger Unterschied

Eine Gruppe und ein Team sind nicht dasselbe. In einer Gruppe trägt jeder einzelne Mitarbeiter unabhängig von den Kollegen etwas zur Ziel­er­re­ichung bei. In einem Team kann eine Einzelper­son nur im Zusam­men­spiel mit den anderen das Ziel erreichen; man muss sich austauschen und abstimmen. Das ist der entschei­dende Unterschied.

„Führung auf Distanz bedeutet, dass Sie vorrangig über Ergebnisse führen.“

Je nachdem, mit welcher Or­gan­i­sa­tions­form Sie es zu tun haben, müssen Sie ein anderes Führungsver­hal­ten an den Tag legen. Im ersten Fall beschäftigen Sie sich hauptsächlich mit Einzelper­so­nen. Sie verteilen Aufgaben und führen die einzelnen Bausteine oder Ar­beit­sergeb­nisse zusammen. Im zweiten Fall ko­or­dinieren Sie mehr und kümmern sich um die Kom­mu­nika­tion. Der Kontakt unter den Team­mit­gliedern ist viel enger. Wenn Sie mit einer Mischform aus Gruppe und Team arbeiten – was im Ar­beit­sall­tag meistens der Fall ist –, sollten Sie sich klarmachen, welche Anteile bei welchen Aufgaben vorherrschen.

Ziele gleichen den physischen Abstand aus

Ergeb­nisori­en­tiertes Führen ist mit Zielen verbunden: Management by Objectives. Das Problem der virtuellen Zusam­me­nar­beit ist, dass sie wenig fehler­fre­undlich ist. Korrekturen können nicht so leicht zwis­chen­durch vorgenommen werden. Oberflächlich formulierte Ziele werden verfehlt. Und: Haben Sie die Ziele zu allgemein formuliert, lassen sie sich am Ende nur schwer kon­trol­lieren. Mit der richtigen Zielfor­mulierung dagegen können Sie Ihren Mi­tar­beit­ern ideale Mittel zur Ziel­er­re­ichung auf den Weg geben. Achten Sie bei der Zield­e­f­i­n­i­tion darauf, dass Sie nicht zu ungenau formulieren und dass Sie gle­ichzeitig die Erfüllung nicht mit zu engen Zielen behindern.

„Sie brauchen keine Zustimmung von Ihrem Mitarbeiter, wohl aber Akzeptanz.“

Ein grundsätzlicher Vorteil einer Dis­tanzbeziehung zwischen Ihnen und Ihren Mi­tar­beit­ern ist, dass die Entschei­dungs- und Hand­lungsspielräume der Mitarbeiter erweitert werden. Wenn sie lernen, damit umzugehen, erleben sie die Arbeit als selb­st­s­teuernd und wachsen an ihren Aufgaben.

SMART-Ziele schälen alle Belange heraus

Wie steht es um die Qualität eines Ziels? Erfasst die Zielfor­mulierung alles Nötige? Die SMART-Kri­te­rien verraten es Ihnen. Mit den fünf Buchstaben überprüfen Sie Ihre Zielvor­gaben:

  • S = spezifisch: Stellen Sie klar, was sich wo und wie verändern soll. In­ter­pre­ta­tion­sspielräume sind wenig hilfreich. Wenn Sie beispiel­sweise schreiben: „Ziel ist es, die Kunden noch optimaler zu betreuen“, lässt sich das sehr vielseitig auslegen. Klarer ist diese For­mulierung: „Betreuen Sie die Kunden so, dass bei der nächsten Kun­den­be­fra­gung die Zufrieden­heit mit der Di­en­stleis­tung um 20 % gestiegen ist.“
  • M = messbar: Messbar machen Sie ein Ziel, wenn Sie ganz genau klären, an welchen Zahlen Sie den Erfolg festmachen. Legen Sie die quan­ti­ta­tive Messgröße fest. Wenn man einem Pro­jek­tleiter das persönliche En­twick­lungsziel setzt, „sich stärker für die Belange seines Projekts einzusetzen“, ist das kaum messbar. Sie können aber beispiel­sweise festhalten, dass die Beteiligten den Verlauf von Meetings und das Verhalten des Pro­jek­tleit­ers evaluieren; dass sie bewerten, wie er Probleme dargestellt hat, wie er auf Konflikte eingegangen ist, wie er mit versteckten Risiken umgegangen ist, wie er Beteiligte eingebunden hat usw. Wenn 50 % der Bewertungen gut sind, kann das Ziel als erreicht angesehen werden.
  • A = attraktiv: Wenn Sie ein Ziel so formulieren, als ob es schon erreicht wäre, wirkt das nicht nur motivierend, es erleichtert es Ihnen auch, Zwis­chen­ziele zu vereinbaren. Die For­mulierung könnte z. B. lauten: „Sie haben neue Kunden für unsere Di­en­stleis­tung gewonnen. Davon haben Sie mindestens 20 unser Angebot so na­hege­bracht, dass sie einen Auftrag platziert haben.“ Hier lassen sich zehn er­fol­gre­iche Angebote als Zwis­chen­ziel bestimmen. Ihr Mitarbeiter hat dadurch eine höhere Selb­stkon­trolle über sich und seinen Weg zum Ziel, er erlebt Autonomie und Selbstständigkeit – ein wichtiges Gefühl für die Grund­mo­ti­va­tion und seine Bindung an Sie als Führungskraft.
  • R = realistisch: Ist das Ziel überhaupt zu erreichen? Das Verständnis davon, was als realistisch gilt, kann sehr un­ter­schiedlich sein. Persönlichkeit, Befugnisse und Ressourcen spielen eine Rolle. Wichtig ist, dass ein Ziel fordert. Es darf aber nicht überfordern. Ihr Mitarbeiter muss das Gefühl haben, dass er es schaffen kann. Sollten Sie die Balance zwischen Forderung und Überforderung hinkriegen, haben Sie einen Pluspunkt. Anspruchsvolle Ziele verstehen Ihre Mitarbeiter als Vertrauen in ihr Können.
  • T = terminiert: Schließlich sind klare Termine wichtig. Start und Ende geben Ihnen einen Kon­troll­rah­men, der übrigens auch wieder als sinnvoll erlebt wird und positiv auf die Motivation wirkt.

Wenn sich Ziele streiten

Vermeiden Sie die „Ziele­uphorie“, bei der Sie sich in Zielfor­mulierun­gen verheddern. Manchmal gibt es einfach klar definierte Aufgaben, die erledigt werden müssen und keiner Zielfor­mulierung bedürfen. Und vor allem gibt es Prioritäten. Benennen Sie diese ganz klar. Unter Stress verliert ein Mitarbeiter sonst schnell den Überblick. Passen Sie auf, wenn ein Mitarbeiter ver­schiede­nen Abteilungen verpflichtet ist. Wenn nicht klar ist, wo die Prioritäten sind, kann der Mitarbeiter zwischen den Fronten zerrieben werden.

Bindekraft schlägt Fliehkraft

Fliehkräfte zerren an den Enden Ihres Teams und drohen es au­seinan­derzureißen. Kon­tak­tar­mut, Misstrauen, Zielkon­flikte, kulturelle Un­ter­schiede, Au­tonomiestreben und un­ter­schiedliches Leis­tungsen­gage­ment sind solche Fliehkräfte. Virtuelle Zusam­me­nar­beit ist davon naturgemäß noch stärker betroffen als reguläre Teamarbeit. Dagegen kommen Sie nur mit Bindekräften an. Eine davon liegt im Kom­mu­nizieren, besonders in Form positiver Rückmeldung. Niemand möchte das fünfte Rad am Wagen sein. Dem Gefühl fehlender Anerkennung sollten Sie unbedingt ent­ge­gen­wirken. Sehen Sie die Leistungen Ihrer Mitarbeiter nicht als selbstverständlich an. Sprechen Sie über Erfolge, erkennen Sie an, was geschafft wurde.

„Je geringer der Kontakt, desto schwächer die Bindung.“

Gerechtigkeit, Iden­ti­fika­tion, Zielkonsens, Zugehörigkeit und Vertrauen sind weitere Bindekräfte. Gerade für das Vertrauen gilt: Ohne geht es nicht. Bei jeder Zusam­me­nar­beit treten Un­gereimtheiten auf. Wenn Sie nicht vertrauen können, sind Sie schnell einmal bloß noch am Kon­trol­lieren – und haben ein Zeitproblem. Vertrauen ist immer per­so­n­enge­bun­den und entsteht nicht aus dem Nichts. Wir brauchen Erlebnisse, Zeichen, die Vertrauen wachsen lassen. Dann werden die Kom­mu­nika­tion und die Zusam­me­nar­beit insgesamt leichter.

„Jedes Team­mit­glied sollte in die gleiche Richtung denken, fühlen und handeln.“

Die letzte Bindekraft heißt mentale Vernetzung. Sie bewirkt, dass alle Team­mit­glieder in die gleiche Richtung gehen, dass sie ähnlich fühlen und denken. Ver­schiedene Menschen haben un­ter­schiedliche Vorstel­lun­gen davon, was kollegiale Zusam­me­nar­beit oder Führung bedeutet. Hier geht es um mentale Modelle. Wenn die aufeinan­dertr­e­f­fen, entstehen Störungen. Im normalen Ar­beit­sall­tag werden solche Störungen schnell und auf informellen Wegen beseitigt. Im virtuellen Team allerdings können sie kaum zur Sprache kommen. Es sei denn, Sie als Führungskraft bringen Sie auf die Agenda. Nutzen Sie Gele­gen­heiten dafür und besprechen Sie diese Bilder in den Köpfen. Fragen Sie, warum sich eine Person so und so verhalten hat und warum eine andere es anders erwartet hat. Wenn die Mitarbeiter die Un­ter­schiede entdecken, vernetzen sie sich mental. Denken Sie immer daran, dass die Bindekräfte nicht nur aufgebaut werden müssen. Sie brauchen auch Pflege.

Wenn sich Menschen streiten

Für den Fall, dass unter den Team­mit­gliedern ein Konflikt ausbricht, braucht es Vorüberlegungen und einen Plan zum Kon­flik­t­man­age­ment. Jeder Mensch weiß, dass es Konflikte gibt, aber niemand begrüßt sie freudig und die meisten Menschen reagieren sehr empfindlich darauf. Schuldzuweisun­gen und überbordende Gefühle helfen nicht und müssen raus­ge­hal­ten werden. Meistens ist es hilfreich, ein persönliches Treffen für die Kon­flik­t­bear­beitung zu vereinbaren. Ist das nicht möglich, wählen Sie ein Medium mit großem In­for­ma­tion­sre­ich­tum: Eine Videokon­ferenz bietet mehr In­for­ma­tio­nen als E-Mails; die Beteiligten sehen sich, und das erleichtert vieles.

Achten Sie auf sich selbst

Sie als Führungskraft geben anderen Menschen einen Rahmen vor. Aber geben Sie sich den auch selbst? Fragen Sie sich, was Ihnen Ori­en­tierung gibt. Brauchen Sie Standards oder feste Absprachen zur Kom­mu­nika­tion? Hilft es Ihnen beispiel­sweise, wenn Sie auf jede Mail die kurze Antwort „Erhalten“ bekommen? Oder brauchen Sie am Ende der Woche einen Bericht, der auch einen Blick auf den kommenden Montag oder auf den nächsten gemeinsamen Termin wirft? Es fragt sich außerdem, wie viel Rückkopplung Sie erwarten. Wie stellen Sie sich eine Zusam­me­nar­beit im Team vor?

„Als soziale Wesen sind wir emotional auf positive Rückmeldungen aus der Umwelt angewiesen.“

Die Antworten auf diese Fragen geben Ihnen Sicherheit und Ori­en­tierung im Alltag. Das ist besonders nötig, wenn Sie über Zielvere­in­barun­gen führen und Ihre Mitarbeiter viel von ihren eigenen Persönlichkeiten in die Teamarbeit einfließen lassen.

Über die Autoren

Detlev Stabenow ist Psychologe und Pädagoge. Er ist Leiter eines Instituts für Train­er­fort­bil­dung und Per­son­alen­twick­lung. Andrea Stabenow arbeitet in freier Praxis als Psy­chother­a­peutin und Su­per­vi­sorin. Davor war sie in einer Jus­tizvol­lzugsanstalt tätig.