Neue Spielregeln für die Personalarbeit
Wissen und Information sind in den letzten Jahren zu wichtigen Säulen der Unternehmen westlicher Industrienationen geworden. Entscheidende Wettbewerbsvorteile hängen zunehmend von einem professionellen Wissensmanagement ab. Datenbanken allein reichen dafür nicht aus. Denn Wissen und Kreativität stecken vor allem in den Köpfen der Mitarbeiter. Gleichzeitig erleben die Unternehmen in den Industrienationen einen zunehmenden Fachkräftemangel.
„Wissensarbeiter einer Wissensgesellschaft erwarten innovative Karriere- und Führungskonzepte, die den sich rasant ändernden Arbeitsbedingungen angepasst sind.“
Schon heute können in Deutschland jährlich bis zu 100 000 Positionen nicht besetzt werden. Wer vor diesem Hintergrund die besten Köpfe für das eigene Unternehmen gewinnen will, muss nicht nur innovative Führung bieten, sondern auch neue und attraktive Karrierechancen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung besteht darin, Fachlaufbahnen anzubieten.
Die drei Schichten der modernen Organisation
Zukunftsweisende Organisationen beruhen auf der Vernetzung von drei Schichten:
- Geschäftssystem: Diese Schicht entspricht der traditionellen Unternehmensstruktur. Hier laufen die üblichen Geschäftsprozesse ab, Strategien werden entwickelt und im Rahmen einer Linienhierarchie umgesetzt.
- Projektteams: Im Rahmen von zeitlich begrenzten Projekten oder längerfristigen Netzwerken werden Wissensarbeiter dazu eingesetzt, bereichsintern oder bereichsübergreifend neues Wissen zu erwerben oder zu generieren. Auf dieser Ebene werden auch aufwändige Projekte gemanagt, deren Umfang und Komplexität das Ausmaß traditioneller Führungsaufgaben übersteigt.
- Wissensbasis: Auf dieser Ebene wird das Wissen des Unternehmens bewahrt und in sinnvoller Weise für die Erreichung der Unternehmensziele eingesetzt. Dies geschieht durch Datenbanken, aber auch mithilfe der Unternehmensvision und -kultur. Alle Mitarbeiter haben Zugang zur Wissensbasis.
„Viele karriereorientierte Mitarbeiter wollen eher fachlich fundiert arbeiten, anstatt in die Managementlaufbahn gezwungen zu werden.“
Die drei Schichten sind in modernen Unternehmen intensiv vernetzt. Jede von ihnen ist für den Unternehmenserfolg entscheidend. Aufgrund dieses Umstands gewinnt die Fachlaufbahn gegenüber der traditionellen Führungs- oder Managementlaufbahn zunehmend an Bedeutung. Möglicherweise wird sie in Zukunft sogar wichtiger werden als diese. Das wertet die Mitarbeiter, die als Experten und Fachleute tätig sind, auf und macht sie zu einer wichtigen Zielgruppe für die Personalarbeit.
Drei Typen von Fachlaufbahnen
Je nach Schwerpunktsetzung lassen sich drei Typen von Fachlaufbahnen unterscheiden:
- Spezialistenlaufbahn: Viele Experten empfinden sich als überqualifiziert und sind es nach Meinung ihrer Vorgesetzten auch. Daher ist es wichtig, ihnen einen Aufstieg im Rahmen einer Spezialistenhierarchie zu bieten, der mit keiner oder nur einer geringen Personalverantwortung verbunden ist und kaum Verwaltungsaufgaben beinhaltet. Der Schwerpunkt liegt bei dieser Karriere auf den Fachaufgaben. Dadurch soll strategisch wichtiges Wissen für das Unternehmen gefördert und erhalten werden. Belohnt wird die Aufgabenerfüllung durch eine Karriere, die parallel zu den verschiedenen Leitungsebenen der Führungslaufbahn verläuft. In fast allen Unternehmensbereichen fallen Fachaufgaben an: nicht nur in Forschung und Entwicklung, sondern auch im IT-Bereich, im Personalbereich und der Weiterbildung, im Marketing, im Bereich Planung und Strategie sowie in der Rechtsabteilung.
„Oberstes Ziel einer Spezialistenlaufbahn ist die Förderung, Erhaltung und Belohnung besonderer fachlicher Leistungen in wichtigen Wissensbereichen.“
Beim Design einer Spezialistenlaufbahn ist es hilfreich, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die aus anerkannten Experten, hochrangigen Managern aus den entsprechenden Abteilungen und Personalfachleuten besteht. Dabei müssen Sie vor allem klar unterscheidbare Rangstufen definieren. Typische Positionen innerhalb dieser Hierarchie müssen beschrieben und Gehaltsbandbreiten festgelegt werden. Bei Auswahlverfahren für diese Laufbahn hat sich die Einrichtung eines Auswahlgremiums bewährt. Es ist wichtig, dass das Topmanagement selbst die Einführung einer solchen Laufbahn kommuniziert. Ernennungen in höhere Positionen sollten vorsichtig gehandhabt werden, damit der Anreiz solcher Positionen hochgehalten wird. Bei der Nutzung der Spezialistenlaufbahn gilt es, fachliche Leistung zu belohnen und die Einrichtung nicht als Abstellgleis für erfolglose Manager aus der Führungslaufbahn zu missbrauchen.
- Projektlaufbahn: In vielen modernen Unternehmen wird zunehmend und teilweise bereichsübergreifend in Projekten und Teams gearbeitet. Egal, ob es sich um traditionelle Projekte, Task Forces oder Produktteams handelt – die Komplexität der Aufgaben erfordert oft eine Leitung durch entsprechende Fachleute. Bei größeren Projekten kann eine Projekthierarchie sinnvoll sein – etwa vom einzelnen Teammitglied über Leiter für kleinere Projekte bis hin zum verantwortlichen Projektleiter für kompliziertere Projekte. Die Fähigkeiten, die in der Projekthierarchie die jeweiligen Positionen bestimmen, unterscheiden sich teilweise deutlich von denen, die für eine traditionelle Führungslaufbahn oder eine Spezialistenlaufbahn erforderlich sind. Daher lohnt es sich, auch eine eigene Projektlaufbahn anzubieten. Je nach Aufgabenschwerpunkt der Projekte ist es sinnvoll, eine Durchlässigkeit hin zur Führungslaufbahn oder zur Spezialistenlaufbahn zu ermöglichen.
- Gremienlaufbahn: Information, Kommunikation und Entscheidungsfindung erfordern heutzutage vernetztes, bereichsübergreifendes Denken. Doch die traditionellen Führungsstrukturen sind dafür oft nicht flexibel genug. In dieser Hinsicht hat sich die Einrichtung von Gremien wie Business-Units, Profit-Center-Boards oder Abstimmkreisen bewährt, deren Führungsmitglieder für bestimmte Produkte oder ganze Sortimente verantwortlich sind und diese Aufgabe vor allem durch Gremienarbeit wahrnehmen. Je nach Umfang und Budgetverantwortung solcher Einheiten kann eine Mitgliedschaft in einem Gremium auch hierarchischen Charakter haben: Je wichtiger die Einheit für den Geschäftserfolg, umso höherwertig die Position. Entsprechend lässt sich auch eine Gremienlaufbahn einrichten.
„Die Fachlaufbahn bietet Sicherheit. Denn auch in Krisenzeiten können Unternehmen nicht auf Expertenwissen verzichten.“
Durch die Einführung eines Fachlaufbahnsystems wird den Mitarbeitern die Möglichkeit geboten, ihre jeweiligen Stärken in das Unternehmen einzubringen und auch ohne den Einstieg in die traditionelle Führungshierarchie Karriere zu machen. Es ist sinnvoll, den Wechsel innerhalb der Laufbahnen grundsätzlich zu ermöglichen. Denn das führt zu einer erhöhten Flexibilität bei der Personalentwicklung und schafft zusätzliche Anreize für Spezialisten, in das Unternehmen einzutreten und ihm treu zu bleiben.
Besondere Herausforderungen für die Personalarbeit
Die Einführung eines flexiblen Laufbahnsystems führt zu neuen Anforderungen an die Personalarbeit:
- Klare Laufbahnalternativen: Häufig sind Unternehmen in ihrer Personalarbeit und Führung noch sehr konservativ ausgerichtet. Daher bedarf es bei der Einführung neuer innovativer Laufbahnkonzepte einiger Überzeugungsarbeit. Die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Fachlaufbahnen müssen offen erörtert und die neuen Strukturen klar und deutlich vermittelt werden.
- Feststellen des Interesses und der Möglichkeiten: Zum einen ist es wichtig, durch Befragungen festzustellen, wie stark das Interesse der Mitarbeiter an Fachlaufbahnen überhaupt ist. Zum anderen müssen Sie klären, welche Arten von Fachlaufbahnen am besten zur mittel- und langfristigen Unternehmensplanung passen.
- Gezielte Personalentwicklung: Eine besonders wichtige Aufgabe ist die Auswahl und Förderung der geeigneten Mitarbeiter für die Besetzung der jeweiligen Fachlaufbahnpositionen. Zudem muss der Erfolg der Fachlaufbahnen kontinuierlich evaluiert werden.
Praxiserfahrungen
Der Stand der Einführung von Fachlaufbahnen in den Unternehmen ist sehr unterschiedlich. Bei einer Befragung im Jahr 2009 zeigte sich, dass ein Drittel der ausgewerteten Unternehmen mit Fachlaufbahn diese vor mehr als zehn Jahren eingeführt hat, fast die Hälfte hat diesen Schritt in den letzten fünf Jahren getan. Bei über der Hälfte der Unternehmen wurden Fachlaufbahnen unternehmensweit eingeführt. Ebenfalls haben mehr als die Hälfte der Unternehmen sowohl eine Spezialistenlaufbahn als auch eine Projektlaufbahn eingerichtet, die restlichen Unternehmen boten nur eine Spezialistenlaufbahn.
„Das früher häufig praktizierte Prinzip, dass der fachlich versierteste Mitarbeiter nach bestimmter Betriebszugehörigkeit automatisch zur Führungskraft befördert wird, hat ausgedient.“
Einige Faktoren haben sich bei der Einführung von Fachlaufbahnen als erfolgskritisch erwiesen:
- Wie bei einer Führungslaufbahn sollte nur eine begrenzte Anzahl von Stellen auf den höheren Hierarchiestufen zur Verfügung stehen, um eine Verwässerung des Karrierekonzepts zu vermeiden.
- Die Anforderungskriterien bei den einzelnen Stufen müssen transparent sein. Besonders wichtig ist es, sich bei den Stellenbeschreibungen nicht an momentan im Unternehmen vorhandenen Spezialisten zu orientieren, sondern die objektiven Anforderungen der jeweiligen Position herauszuarbeiten.
- Führungs- und Fachlaufbahnen müssen gleichwertig sein. Das betrifft u. a. den Titel, das Gehalt, Statussymbole wie die Büroausstattung oder die Einordnung der jeweiligen Stelle im Organigramm. Diese Gleichwertigkeit muss auch kommuniziert werden, etwa indem in der Mitarbeiterzeitung über Beförderungen im Rahmen von Fachlaufbahnen informiert wird.
- Auch bei den Fachlaufbahnen sollte es ein objektives und nachvollziehbares Verfahren für die Auswahl und Beförderung der Stelleninhaber geben.
„Die Einführung einer Fachlaufbahn ist nicht nur für die Bindung der vorhandenen, hoch qualifizierten Mitarbeiter, sondern auch für die Rekrutierung geeigneter Bewerber ein wichtiger Bestandteil eines modernen Personalmanagements.“
Da das fachliche Wissen und Können der Mitarbeiter immer mehr an Bedeutung für den Unternehmenserfolg gewinnt, wird die Einführung von Fachlaufbahnen zu einem wichtigen Instrument der Personalarbeit. Diese hat die Aufgabe, die Gewinnung und Bindung hoch qualifizierter Mitarbeiter zu fördern.