Wissensmanagement – mehr als eine Mode
Wissensmanagement – die Schaffung, Bewahrung und Nutzung von Wissen – ist zu einer wahren Mode geworden. Gewöhnlich laufen diese Moden nach demselben Schema ab: erste Begegnung mit dem Thema, überwältigende Euphorie, Desillusion, sodann Besinnung auf sachliches Lernen der Konzepte, Resümee der Ergebnisse und Übergang zur Routine – das nächste Modethema mit Heilsversprechen steht bereit.
„Wissensmanagement im Zeichen dieser sieben Sünden ist viel Lärm um nichts. Es wird vergehen wie andere Moden im Management.“
Der Sinn von Wissensmanagement besteht in Folgendem:
- Koordination zwischen Unternehmensteilen, indem Mitarbeiter über den Wissensstand der anderen informiert sind und danach handeln.
- Bessere Ausnutzung bereits errungenen Wissens – damit „eine Hand weiss, was die andere weiss“.
- Innovation – durch Verbindung der intellektuellen Kapazitäten zu einem „Grossrechner“.
„Gute Auftraggeber sind solche, die ihre strategischen Aufgaben nicht an Berater abschieben, sondern die Regie behalten und die Beraterleistung sehr bewusst einsetzen.“
Wissensmanagement ist keine Ergänzung, sondern eine neue Perspektive auf sämtliche Unternehmensprozesse. Sie muss die komplette Organisation überdachen. Wissen ist ähnlich der Technik eine ermöglichende Ressource, doch der Erfolg liegt nicht auf der Hand. Oft kann man nicht eindeutig beweisen, dass bestimmte Ergebnisse überhaupt durch Wissensmanagement verursacht wurden.
Was ist Wissen?
Wissen kann vieles sein: ein Ergebnis, das es zu bewahren gilt – indem ein Unternehmen ständig neues Wissen generiert, muss dieses geordnet und selektiert werden. Oder aber auch ein „Status quo des Irrtums“ – es darf also möglichst nicht in Muster oder Formen gepresst werden, sondern muss an unterschiedliche Kontexte anpassbar sein. Wissen unterscheidet sich von klassischen Produkten in dreierlei Hinsicht:
- Es verbraucht sich nicht – im Gegenteil: Jeder Gebrauch vertieft Wissen und erweitert es.
- Wenn Sie Wissen weitergeben, werden Sie nicht ärmer – im Gegenteil: Teilen macht Sie reicher, weil Ihr Wissen in der Interaktion wächst und optimiert wird.
- Wissensnutzung ist unabhängig von den Produktionskosten. Um es zu generieren, sind bestimmte, feste Aufwendungen nötig – die massenweise Ausbeutung fällt finanziell kaum ins Gewicht.
Sünde Nr. 1: Wissen wird ganz klar und eindeutig definiert
Das menschliche Gehirn funktioniert, anders als der Computer, ohne feste Definitionen. Wer Ideen definiert, macht sie unbeweglich, statisch, engstirnig. Wer Wissen definiert, schränkt es ein. Es bleibt ein unscharfer Begriff – durch definierende Werkzeuge und Methoden entgeht dementsprechend stets ein Teil. Indem Sie Wissen auswerten, nähern Sie sich im Unternehmen Ihrer individuellen Definition: „Wertvolles Wissen“ – das ist ökonomisch gesehen alles, was Marktwert schafft. Doch das wissen Sie immer erst hinterher – auch Vergleichswerte sind rar, Wissen ist äusserst heterogen. Wissensmanagement muss Instrumente entwickeln, die gutes von schlechtem Wissen trennen; keine engmaschigen Netze, sondern Sortiermaschinen sind gefragt. Diese Trennung ist aber von vornherein nicht möglich – also muss man abwägen, nicht zu viel zu unterdrücken, aber auch nicht alles zuzulassen. Unternehmen, die Innovation wollen, werden keine Handbücher und Intranetseiten zum Wissensmanagement erstellen. Sie müssen guten Boden bereiten, indem sie den Dialog in der Organisation fördern und Budgets für Sonderideen vorhalten. Falsch ist, das „herrschende Wissen“ für verbindlich zu erklären und überall zu verbreiten. Es engt Mitarbeiter ein, konserviert Strukturen und verhindert Innovation. Aus der Praxis ist bekannt, dass neue Technologien selten von Unternehmen erfunden werden, die eine alte Technologie perfektioniert haben; sie sind zu einseitig festgelegt.
Sünde Nr. 2: Wissen kann universell übertragen werden
Die Übertragung von Wissen wird vielfach behindert: Die eine Seite muss geben wollen und können, die andere muss aufnehmen wollen und können. In kontextbezogenen Kulturen (weltweit in der Überzahl) kommt es auf die Reputation und den Status des Senders an. Wissen ist oft mehrdeutig, interpretationsbedürftig und darum schlecht vermittelbar. Organisationsstrukturen, Sprach-, Kulturunterschiede und feste Standards hemmen den Informationsfluss. Wissen einfach in standardisierten Formaten bereitzustellen, ähnelt der Idee des Nürnberger Trichters – Fast Food der Wissensvermittlung, oberflächlich und inkompatibel. Menschliche Gehirne sind individuell verschieden – jedes lernt anders und anderes. Daher bedeutet Wissensmanagement v. a. die Installation einer Transferkultur, die Schulung der Lernwilligkeit seiner Mitarbeiter und des Dialogs.
Sünde Nr. 3: Trennung von Wissensproduktion und -management
Die Wissensvorbereitung wird vielfach von der Wissensarbeit getrennt, um eine höhere Effizienz zu erreichen. Die Folge sind oft neue Schnittstellen und eine Verlangsamung der Kommunikation sowie das Wuchern von organisatorischen Stabsstellen, die später wieder abgebaut werden müssen. Schlimmstenfalls entwickelt sich eine Kaste von Modezaren, die das Modell für eigene Interessen missbrauchen bzw. sich durch Herrschaftswissen abheben. Die Masse der Nutzer wird von Wissenszulieferung abhängig und verliert die Eigenständigkeit, selbst welches zu entwickeln. Auch ist Wissen im Prinzip ganzheitlich und unteilbar: Es kann nicht in Komponenten zerstückelt werden, die je nach Bedarf einfach in einen Prozess eingespeist werden. Stattdessen muss jeder Mitarbeiter Wissensmanagement betreiben und jederzeit weiterkommunizieren können. Unterstützen Sie in jeder Abteilung schlanke, flexible Serviceeinrichtungen als interne oder externe Dienstleistung. Nur so bleibt eine Organisation reaktionsfähig und als Ganze lernfähig.
Sünde Nr. 4: Wissensmanagement von der Stange
Oft wird Wissensmanagement ungeachtet seiner Bedeutung nach unten wegdelegiert und seine Leitung sogar nach aussen verlagert. Der Fehler: Es kann nicht eine Abteilung oder ein Team Wissensmanagement bauen wie ein neues Bürogebäude. Wissensmanagement ist ganzheitlich und muss darum vom ganzen Unternehmen angegangen werden. Wird das alles von oben nicht kontrolliert, macht sich schnell Wildwuchs breit. Wird es aber nur verordnet, ohne vorher „Marktforschung“ zu betreiben, ist mit Misserfolg zu rechnen. Die meisten Wissensmanagement-Projekte machen sich nicht einmal die Mühe, vorher den Bedarf zu erforschen. Passt dann das Konzept nicht auf die Unternehmensstruktur, wird eine weitere Unternehmensberatung mit der Anpassung beauftragt – Sie werfen gutem Geld schlechtes hinterher. Warten Sie nicht, bis Berater alles gründlich durchdacht haben; damit verzögern Sie die Entscheidung und geben Wettbewerbsvorteile preis.
Sünde Nr. 5: Gesammelt wird alles, was unter die Finger kommt
Viele Unternehmen unterschätzen die Datenfülle und konservieren nach dem Prinzip „Viel hilft viel“ so viel wie möglich. Speicher ist billig, „Management by Eichhörnchen“ schützt vor Schuldzuweisungen und verschafft das gute Gefühl, Vorräte zu haben. Doch wer etwas sucht, erstickt im Wust des Überflüssigen. Grundlage ist ein Missverständnis: Viele glauben, je mehr Information, desto sicherer die Entscheidung. Doch so funktioniert das Gehirn nicht – es selektiert radikal, wägt zukünftige Eventualitäten ab und trifft dann echte Entscheidungen. In Experimenten wurde gezeigt, wie sich das Entscheidungsverhalten hochgebildeter Testpersonen unter dem Stress übermässiger und mehrdeutiger Informationen dramatisch verschlechtert. Reizüberflutete Entscheider vereinfachen und sind bereit, inhumane Konfliktlösungen anzuwenden, oder sie fliehen vor der Entscheidung. Das Internet ist solch ein gigantischer Speicher, der wesentliches und unwesentliches Wissen massenweise enthält – die komplette Sichtung wird nicht zuletzt auch zum Zeitproblem. Dafür gibt es drei Arten der Abhilfe:
- Technische Lösungen umfassen Suchmaschinen, Filter und andere Software.
- Psychologische Lösungen trainieren die Mitarbeiter in Selektionsfähigkeit und Loslassenkönnen.
- Biologisch-neurologische Lösungen versuchen, das Auffassungs-, Konzentrations- und Erinnerungsvermögen der Mitarbeiter zu Höchstleistungen zu motivieren.
Sünde Nr. 6: Wissen wird nur gemessen, nicht entwickelt
Von Anfang an wurde versucht, das „unmessbare“ Wissen zu messen – damit es sich auch im Rechnungs- und Berichtswesen niederschlage. Schnell bürgerte sich der Begriff „Intellektuelles Kapital“ ein. Doch alles in Cash auszudrücken, birgt Risiken: Es führt zu kurzfristigen Perspektiven und zur Vernachlässigung all dessen, was sich eben nicht in Geld ausdrücken lässt. Grundsätzlich wird aber vergessen, dass Messen nicht Managen ist. Man ist besessen vom Design eines Messsystems und vom Messvorgang an sich und vergisst darüber allzu leicht den Zweck der ganzen Übung.
Sünde Nr. 7: Theorie statt Praxis
Es droht der alte Fehler, zuerst scheinbar perfekte Systeme zu gestalten und sie erst bei Überführung in die Realität durch Nachbesserungen an die „fehlerhaften“ Menschen anzupassen. Und oftmals nicht einmal das – der umgekehrte Weg scheint vielen gedankenlosen Entscheidern der kostengünstigere, nämlich die Mitarbeiter an das System anzupassen. Was natürlich nicht gelingen kann und zu Demotivation und entsprechender Flucht von Wissen führt. Diese Irrtümer sollen dann anschliessend mittels moralischer Appelle und Incentives implementiert werden, was jedoch nur weitere Geldverschwendung bedeutet.
Sieben Tugenden
Demgegenüber stehen die sieben Tugenden:
- Setzen Sie sich mit den Zielen von Wissensmanagement und Ihrer eigenen Vorstellung von Wissen auseinander. Machen Sie sich klar, was Sie wirklich wollen.
- Akzeptieren Sie, dass Leben, auch in Ihrer Organisation, nie geordnet, sondern immer chaotisch, unbestimmt und komplex vonstatten geht. Arbeiten Sie mit den Menschen, nicht gegen ihre Natur.
- Wissen geht alle an – delegieren Sie seine Organisation daher nicht an Spezialisten, sondern beteiligen Sie alle am Entwickeln und Bewahren von Wissen.
- Treffen Sie im Vorstand echte Entscheidungen – entwickeln Sie Strategien, geben Sie Ziele vor.
- Zeigen Sie Mut zur Lücke: Berücksichtigen Sie auch Verfahren, wie Sie überflüssige Daten loswerden und überflüssiges Wissen wieder verlernen.
- Schaffen Sie sich ein Controllingverfahren mit einfachen Kennzahlen auf Basis strategischer Ableitungen, die nur beschränkt gültig sind.
- Nehmen Sie die Kultur ernst; versuchen Sie nicht, Ihren Mitarbeitern Verhaltensweisen, Ziele, Verfahren und Werkzeuge aufzupfropfen.
Dr. Ursula Schneider leitet das Institut für Internationales Management an der Universität Graz. Bis Ende 2000 hatte sie darüber hinaus die Studiengangsleitung der „European Studies in Human Resource Development“. Bereits 1996 verfasste sie das erste deutschsprachige Buch zum Thema Wissensmanagement.