Die 7 Todsünden im Wissensmanagement

Buch Die 7 Todsünden im Wissensmanagement

Kardinaltugenden für die Wissensökonomie

Frankfurter Allgemeine Buch,


Rezension

Ursula Schneider nimmt kein Blatt vor den Mund – sie fährt grosses Geschütz auf gegen die Be­ratungs-Kurp­fuscher, die Heils­botschaften verkünden und zu jeder Man­age­ment-Mode ein passendes Buch parat haben. Dass Wis­sens­man­age­ment aber mehr sein kann als nur eine Mode, legt die Autorin in ihrem kritischen, mitunter sogar sarkastis­chen Lehrbuch überzeugend dar. Hier wird von Grund auf eine umfassende Beschrei­bung von Wis­sens­man­age­ment und den Wegen dorthin gegeben, didaktisch klar und nachvol­lziehbar. Gele­gentliche Ab­schwei­fun­gen und Redundanzen münden schliesslich immer in präzise Schlüsse. Praxistipps finden sich leider nur sporadisch. Keine leichte Lektüre, zumal die Autorin bewusst auf Beispiele verzichtete, um nicht „den Blick einzuengen“. Das Buch eignet sich v. a. als Prüfwerkzeug für Wis­sens­man­age­ment-Konzepte. BooksInShort empfiehlt es allen, die kurz vor einem eigenen Wis­sens­man­age­ment-Pro­jekt stehen und einen Überblick gewinnen bzw. Fehler vermeiden wollen.

Take-aways

  • Wis­sens­man­age­ment ist in aller Munde; betrieben wird aber vielfach planloses Daten­man­age­ment.
  • Wis­sens­man­age­ment ist eine neue Perspektive auf sämtliche Un­ternehmen­sprozesse.
  • Der Zweck: Mitarbeiter sind über den Wis­sens­stand der anderen informiert und handeln entsprechend.
  • Definieren Sie Wissen nicht endgültig – es wird sonst schema­tisiert und eingepfer­cht.
  • Setzen Sie sich mit den Zielen von Wis­sens­man­age­ment und Ihrer eigenen Vorstellung von Wissen auseinander.
  • Gehen Sie davon aus, dass das Leben in ihrer Or­gan­i­sa­tion chaotisch und komplex ist.
  • Vermeiden Sie eine Trennung von Wis­sens­man­age­ment und -en­twick­lung: Wissen geht alle Mitarbeiter an.
  • Delegieren Sie die Entwicklung des Wis­sens­man­age­ments nicht nach unten oder aussen.
  • Zeigen Sie Mut zur Lücke und schulen Sie Ihre Mitarbeiter in der Wis­sens-Auslese.
  • Schaffen Sie sich ein Con­trol­lingver­fahren mit einfachen Kennzahlen, damit Sie sich nicht zu lange mit der Messung von Wissen aufhalten.
 

Zusammenfassung

Wis­sens­man­age­ment – mehr als eine Mode

Wis­sens­man­age­ment – die Schaffung, Bewahrung und Nutzung von Wissen – ist zu einer wahren Mode geworden. Gewöhnlich laufen diese Moden nach demselben Schema ab: erste Begegnung mit dem Thema, überwältigende Euphorie, Desillusion, sodann Besinnung auf sachliches Lernen der Konzepte, Resümee der Ergebnisse und Übergang zur Routine – das nächste Modethema mit Heilsver­sprechen steht bereit.

„Wis­sens­man­age­ment im Zeichen dieser sieben Sünden ist viel Lärm um nichts. Es wird vergehen wie andere Moden im Management.“

Der Sinn von Wis­sens­man­age­ment besteht in Folgendem:

  • Ko­or­di­na­tion zwischen Un­ternehmen­steilen, indem Mitarbeiter über den Wis­sens­stand der anderen informiert sind und danach handeln.
  • Bessere Ausnutzung bereits errungenen Wissens – damit „eine Hand weiss, was die andere weiss“.
  • Innovation – durch Verbindung der in­tellek­tuellen Kapazitäten zu einem „Gross­rech­ner“.
„Gute Auf­tragge­ber sind solche, die ihre strate­gis­chen Aufgaben nicht an Berater abschieben, sondern die Regie behalten und die Be­rater­leis­tung sehr bewusst einsetzen.“

Wis­sens­man­age­ment ist keine Ergänzung, sondern eine neue Perspektive auf sämtliche Un­ternehmen­sprozesse. Sie muss die komplette Or­gan­i­sa­tion überdachen. Wissen ist ähnlich der Technik eine ermöglichende Ressource, doch der Erfolg liegt nicht auf der Hand. Oft kann man nicht eindeutig beweisen, dass bestimmte Ergebnisse überhaupt durch Wis­sens­man­age­ment verursacht wurden.

Was ist Wissen?

Wissen kann vieles sein: ein Ergebnis, das es zu bewahren gilt – indem ein Unternehmen ständig neues Wissen generiert, muss dieses geordnet und selektiert werden. Oder aber auch ein „Status quo des Irrtums“ – es darf also möglichst nicht in Muster oder Formen gepresst werden, sondern muss an un­ter­schiedliche Kontexte anpassbar sein. Wissen un­ter­schei­det sich von klassischen Produkten in dreierlei Hinsicht:

  1. Es verbraucht sich nicht – im Gegenteil: Jeder Gebrauch vertieft Wissen und erweitert es.
  2. Wenn Sie Wissen weitergeben, werden Sie nicht ärmer – im Gegenteil: Teilen macht Sie reicher, weil Ihr Wissen in der Interaktion wächst und optimiert wird.
  3. Wis­sensnutzung ist unabhängig von den Pro­duk­tion­skosten. Um es zu generieren, sind bestimmte, feste Aufwen­dun­gen nötig – die massenweise Ausbeutung fällt finanziell kaum ins Gewicht.

Sünde Nr. 1: Wissen wird ganz klar und eindeutig definiert

Das menschliche Gehirn funk­tion­iert, anders als der Computer, ohne feste De­f­i­n­i­tio­nen. Wer Ideen definiert, macht sie unbeweglich, statisch, engstirnig. Wer Wissen definiert, schränkt es ein. Es bleibt ein unscharfer Begriff – durch definierende Werkzeuge und Methoden entgeht de­mentsprechend stets ein Teil. Indem Sie Wissen auswerten, nähern Sie sich im Unternehmen Ihrer in­di­vidu­ellen Definition: „Wertvolles Wissen“ – das ist ökonomisch gesehen alles, was Marktwert schafft. Doch das wissen Sie immer erst hinterher – auch Ver­gle­ich­swerte sind rar, Wissen ist äusserst heterogen. Wis­sens­man­age­ment muss Instrumente entwickeln, die gutes von schlechtem Wissen trennen; keine en­g­maschi­gen Netze, sondern Sortier­maschi­nen sind gefragt. Diese Trennung ist aber von vornherein nicht möglich – also muss man abwägen, nicht zu viel zu unterdrücken, aber auch nicht alles zuzulassen. Unternehmen, die Innovation wollen, werden keine Handbücher und In­tranet­seiten zum Wis­sens­man­age­ment erstellen. Sie müssen guten Boden bereiten, indem sie den Dialog in der Or­gan­i­sa­tion fördern und Budgets für Sonderideen vorhalten. Falsch ist, das „herrschende Wissen“ für verbindlich zu erklären und überall zu verbreiten. Es engt Mitarbeiter ein, konserviert Strukturen und verhindert Innovation. Aus der Praxis ist bekannt, dass neue Tech­nolo­gien selten von Unternehmen erfunden werden, die eine alte Technologie per­fek­tion­iert haben; sie sind zu einseitig festgelegt.

Sünde Nr. 2: Wissen kann universell übertragen werden

Die Übertragung von Wissen wird vielfach behindert: Die eine Seite muss geben wollen und können, die andere muss aufnehmen wollen und können. In kon­textbe­zo­ge­nen Kulturen (weltweit in der Überzahl) kommt es auf die Reputation und den Status des Senders an. Wissen ist oft mehrdeutig, in­ter­pre­ta­tions­bedürftig und darum schlecht ver­mit­tel­bar. Or­gan­i­sa­tion­sstruk­turen, Sprach-, Kul­tu­run­ter­schiede und feste Standards hemmen den In­for­ma­tions­fluss. Wissen einfach in stan­dar­d­isierten Formaten bere­itzustellen, ähnelt der Idee des Nürnberger Trichters – Fast Food der Wis­sensver­mit­tlung, oberflächlich und inkom­pat­i­bel. Menschliche Gehirne sind individuell verschieden – jedes lernt anders und anderes. Daher bedeutet Wis­sens­man­age­ment v. a. die In­stal­la­tion einer Trans­fer­kul­tur, die Schulung der Lern­willigkeit seiner Mitarbeiter und des Dialogs.

Sünde Nr. 3: Trennung von Wis­senspro­duk­tion und -management

Die Wis­sensvor­bere­itung wird vielfach von der Wis­sensar­beit getrennt, um eine höhere Effizienz zu erreichen. Die Folge sind oft neue Schnittstellen und eine Ver­langsamung der Kom­mu­nika­tion sowie das Wuchern von or­gan­isatorischen Stab­sstellen, die später wieder abgebaut werden müssen. Schlimm­sten­falls entwickelt sich eine Kaste von Modezaren, die das Modell für eigene Interessen miss­brauchen bzw. sich durch Herrschaftswis­sen abheben. Die Masse der Nutzer wird von Wis­senszuliefer­ung abhängig und verliert die Eigenständigkeit, selbst welches zu entwickeln. Auch ist Wissen im Prinzip ganzheitlich und unteilbar: Es kann nicht in Komponenten zerstückelt werden, die je nach Bedarf einfach in einen Prozess eingespeist werden. Stattdessen muss jeder Mitarbeiter Wis­sens­man­age­ment betreiben und jederzeit weit­erkom­mu­nizieren können. Unterstützen Sie in jeder Abteilung schlanke, flexible Ser­viceein­rich­tun­gen als interne oder externe Di­en­stleis­tung. Nur so bleibt eine Or­gan­i­sa­tion reaktionsfähig und als Ganze lernfähig.

Sünde Nr. 4: Wis­sens­man­age­ment von der Stange

Oft wird Wis­sens­man­age­ment ungeachtet seiner Bedeutung nach unten wegdelegiert und seine Leitung sogar nach aussen verlagert. Der Fehler: Es kann nicht eine Abteilung oder ein Team Wis­sens­man­age­ment bauen wie ein neues Bürogebäude. Wis­sens­man­age­ment ist ganzheitlich und muss darum vom ganzen Unternehmen angegangen werden. Wird das alles von oben nicht kon­trol­liert, macht sich schnell Wildwuchs breit. Wird es aber nur verordnet, ohne vorher „Mark­t­forschung“ zu betreiben, ist mit Misserfolg zu rechnen. Die meisten Wis­sens­man­age­ment-Pro­jekte machen sich nicht einmal die Mühe, vorher den Bedarf zu erforschen. Passt dann das Konzept nicht auf die Un­ternehmensstruk­tur, wird eine weitere Un­ternehmens­ber­atung mit der Anpassung beauftragt – Sie werfen gutem Geld schlechtes hinterher. Warten Sie nicht, bis Berater alles gründlich durchdacht haben; damit verzögern Sie die Entschei­dung und geben Wet­tbe­werb­svorteile preis.

Sünde Nr. 5: Gesammelt wird alles, was unter die Finger kommt

Viele Unternehmen unterschätzen die Datenfülle und kon­servieren nach dem Prinzip „Viel hilft viel“ so viel wie möglich. Speicher ist billig, „Management by Eichhörnchen“ schützt vor Schuldzuweisun­gen und verschafft das gute Gefühl, Vorräte zu haben. Doch wer etwas sucht, erstickt im Wust des Überflüssigen. Grundlage ist ein Missverständnis: Viele glauben, je mehr Information, desto sicherer die Entschei­dung. Doch so funk­tion­iert das Gehirn nicht – es selektiert radikal, wägt zukünftige Eventualitäten ab und trifft dann echte Entschei­dun­gen. In Ex­per­i­menten wurde gezeigt, wie sich das Entschei­dungsver­hal­ten hochge­bilde­ter Test­per­so­nen unter dem Stress übermässiger und mehrdeutiger In­for­ma­tio­nen dramatisch ver­schlechtert. Reizüberflutete Entscheider vere­in­fachen und sind bereit, inhumane Konfliktlösungen anzuwenden, oder sie fliehen vor der Entschei­dung. Das Internet ist solch ein gi­gan­tis­cher Speicher, der wesentliches und un­wesentliches Wissen massenweise enthält – die komplette Sichtung wird nicht zuletzt auch zum Zeitproblem. Dafür gibt es drei Arten der Abhilfe:

  1. Technische Lösungen umfassen Such­maschi­nen, Filter und andere Software.
  2. Psy­chol­o­gis­che Lösungen trainieren die Mitarbeiter in Selektionsfähigkeit und Loslassenkönnen.
  3. Bi­ol­o­gisch-neu­rol­o­gis­che Lösungen versuchen, das Auf­fas­sungs-, Konzen­tra­tions- und Erin­nerungsvermögen der Mitarbeiter zu Höchstleis­tun­gen zu motivieren.

Sünde Nr. 6: Wissen wird nur gemessen, nicht entwickelt

Von Anfang an wurde versucht, das „unmessbare“ Wissen zu messen – damit es sich auch im Rechnungs- und Berichtswe­sen nieder­schlage. Schnell bürgerte sich der Begriff „In­tellek­tuelles Kapital“ ein. Doch alles in Cash auszudrücken, birgt Risiken: Es führt zu kurzfristi­gen Per­spek­tiven und zur Vernachlässigung all dessen, was sich eben nicht in Geld ausdrücken lässt. Grundsätzlich wird aber vergessen, dass Messen nicht Managen ist. Man ist besessen vom Design eines Messsystems und vom Messvorgang an sich und vergisst darüber allzu leicht den Zweck der ganzen Übung.

Sünde Nr. 7: Theorie statt Praxis

Es droht der alte Fehler, zuerst scheinbar perfekte Systeme zu gestalten und sie erst bei Überführung in die Realität durch Nachbesserun­gen an die „fehler­haften“ Menschen anzupassen. Und oftmals nicht einmal das – der umgekehrte Weg scheint vielen gedanken­losen Entschei­dern der kostengünstigere, nämlich die Mitarbeiter an das System anzupassen. Was natürlich nicht gelingen kann und zu De­mo­ti­va­tion und entsprechen­der Flucht von Wissen führt. Diese Irrtümer sollen dann an­schliessend mittels moralischer Appelle und Incentives im­ple­men­tiert werden, was jedoch nur weitere Geld­ver­schwen­dung bedeutet.

Sieben Tugenden

Demgegenüber stehen die sieben Tugenden:

  1. Setzen Sie sich mit den Zielen von Wis­sens­man­age­ment und Ihrer eigenen Vorstellung von Wissen auseinander. Machen Sie sich klar, was Sie wirklich wollen.
  2. Akzeptieren Sie, dass Leben, auch in Ihrer Or­gan­i­sa­tion, nie geordnet, sondern immer chaotisch, unbestimmt und komplex vonstatten geht. Arbeiten Sie mit den Menschen, nicht gegen ihre Natur.
  3. Wissen geht alle an – delegieren Sie seine Or­gan­i­sa­tion daher nicht an Spezial­is­ten, sondern beteiligen Sie alle am Entwickeln und Bewahren von Wissen.
  4. Treffen Sie im Vorstand echte Entschei­dun­gen – entwickeln Sie Strategien, geben Sie Ziele vor.
  5. Zeigen Sie Mut zur Lücke: Berücksichtigen Sie auch Verfahren, wie Sie überflüssige Daten loswerden und überflüssiges Wissen wieder verlernen.
  6. Schaffen Sie sich ein Con­trol­lingver­fahren mit einfachen Kennzahlen auf Basis strate­gis­cher Ableitungen, die nur beschränkt gültig sind.
  7. Nehmen Sie die Kultur ernst; versuchen Sie nicht, Ihren Mi­tar­beit­ern Ver­hal­tensweisen, Ziele, Verfahren und Werkzeuge aufzupfropfen.

Über die Autorin

Dr. Ursula Schneider leitet das Institut für In­ter­na­tionales Management an der Universität Graz. Bis Ende 2000 hatte sie darüber hinaus die Stu­di­en­gangsleitung der „European Studies in Human Resource Development“. Bereits 1996 verfasste sie das erste deutschsprachige Buch zum Thema Wis­sens­man­age­ment.