Aufbruch – Unser Energiesystem im Wandel

Buch Aufbruch – Unser Energiesystem im Wandel

Der veränderte Rahmen für die kommenden Jahrzehnte

FinanzBuch,


Rezension

Man stelle sich eine Zukunft vor, in der Menschen ihre Wa­gen­burg­men­talität überwinden und freiwillig auf engerem Raum zusam­men­leben; in der Autos mit Wasserstoff angetrieben werden und keine Sta­tussym­bole sind, sondern einzig dem Zweck dienen, Personen und Dinge von A nach B zu befördern; eine Welt, in der Amerikaner von Afrikanern nach­haltiges Wirtschaften lernen und in der es kein einziges Atom­kraftwerk mehr gibt. „Träum weiter“, werden viele sagen. Die Autoren zeichnen den Traum vom post­fos­silen Zeitalter dennoch nach, nüchtern, unpolemisch und mithilfe vieler Kur­ven­di­a­gramme, die in einem Punkt gipfeln, der ihrer Meinung nach bereits hinter uns liegt: dem Peak Oil. Dieser ist für die Mehrheit der Autofahrer, En­ergiekonz­erne und Öl ex­portieren­den Länder ein Albtraum, weshalb die schmer­zlichen Tatsachen seit Jahren unter den Tisch gekehrt werden. Die Autoren sind sich der Be­har­rungskräfte bewusst, träumen ihren Traum aber trotzdem zu Ende – weil er früher oder später zwingend Wirk­lichkeit wird. BooksInShort empfiehlt das Buch Politikern und Un­ternehmern, die sich rechtzeitig auf die En­ergiewende einstellen wollen.

Take-aways

  • Der Peak Oil liegt bereits hinter uns, der Peak Gas wird in ca. 15 Jahren erreicht sein.
  • Ex­plodierende Erdölpreise sind nur ein Vorbote von dem, was uns bei allen fossilen Energieträgern blüht.
  • Das technisch nutzbare Potenzial von Wind- und Sonnenen­ergie wird derzeit nur zu einem Bruchteil ausgereizt.
  • Um die zurückgehende Ölförderung auszu­gle­ichen, müssen neue Tech­nolo­gien viel schneller entwickelt werden.
  • China ist heute der größte Produzent und Konsument re­gen­er­a­tiver Energien.
  • Afrika hat gigantische Potenziale für Wind- und So­laren­ergie.
  • Weniger entwickelte Länder können sich früher als die In­dus­trien­atio­nen von fossilen Energien lösen.
  • Im Zuge des Wandels wird es zu Machtver­schiebun­gen zwischen Staaten und Wirtschaft­szweigen kommen.
  • Die „Business as usual“-Fraktion verteidigt den fossilen Status quo um jeden Preis.
  • Der Übergang zu nach­halti­gen Strukturen wird die Leben­squalität aller Menschen verbessern.
 

Zusammenfassung

Peak Oil – Schnee von gestern?

Das Überschre­iten des Förder­max­i­mums beim Erdöl (der so genannte Peak Oil) ist kein Zukun­ftsszenario, sondern bereits eingetreten. Obwohl der Preis für Rohöl explodiert ist, stagniert die weltweite Förderung seit 2005. Einige Ökonomen behaupten, dass hohe Ölpreise wegen steigender Ex­plo­rationsin­vesti­tio­nen mehr Ölfunde zur Folge hätten. Doch das Gegenteil ist der Fall: Das meiste Öl wurde zu Zeiten niedriger Ölpreise gefunden. Tatsächlich gibt es immer weniger Ex­plo­rationser­folge, doch Regierungen, Ölfirmen und von diesen abhängige Forschungsin­sti­tute reden die Höhe der verbleiben­den Ölreserven konsequent schön. Neuere Funde etwa legen nahe, dass die Reserven der OPEC-Staaten vor gut 20 Jahren um den Faktor drei überschätzt wurden. Nach einer vor­sichti­gen Schätzung wird die Ölförderung weltweit jährlich um 2–3 % abnehmen. Bis 2030 ergäbe sich daraus ein Minus von insgesamt 50 %. Dabei wird die auf dem Weltmarkt verfügbare Ölmenge vo­raus­sichtlich um 80–90 % zurückgehen, weil die Öl fördernden Länder dieses zunehmend für den Eigenge­brauch reklamieren werden.

Keine Zukunft für Erdgas und Kohle

Beim Erdgas sieht es nicht wesentlich anders aus. Selbst wenn man davon ausgeht, dass man in den kommenden Jahren weitere Erdgasfunde macht, wird das globale Fördermaximum vo­raus­sichtlich zwischen 2020 und 2030 erreicht sein. Seit 2005 sorgt der Boom bei der Förderung von Schiefergas in der US-En­ergiebranche für Euphorie. Doch die Methode – das so genannte Cracking – gefährdet durch das Einpressen giftiger Chemikalien die Grund­wasserver­sorgung von Millionen Menschen, und die Diskussion darüber hat gerade erst begonnen. Es ist kaum zu erwarten, dass Cracking in Europa Fuß fasst. Die weltweiten Kohlere­ser­ven wurden ebenfalls deutlich überschätzt. Die gängige Behauptung, dass Kohle noch jahrhun­derte­lang verfügbar sein werde, lässt sich empirisch nicht untermauern. Und die Technologie des Abtrennens und Einlagerns von CO2 ist reine Zukun­ftsmusik. Konzerne benutzen sie als Feigenblatt, um heute noch den Bau neuer Kohlekraftwerke zu recht­fer­ti­gen.

Totgeburt Kernenergie

Mit der viel beschwore­nen Renaissance der Kernenergie ist es nicht weit her. Der Versuch einer Wieder­bele­bung ist eher ein verzweifeltes Aufbäumen gegen den Trend. Das Risikopoten­zial der Kernenergie ist gigantisch. Es sind Risiken, die nicht ver­sicherbar sind und bei einem Unfall der All­ge­mein­heit aufgehalst werden. Trotz dieses of­fen­sichtlichen fi­nanziellen Vorteils für die Betreiber sind neue Reak­tor­pro­jekte praktisch unbezahlbar geworden. In Europa und Nordamerika fehlt es an kritischen Komponenten und Fachkräften. Veraltete Reaktoren werden nicht schnell genug ersetzt, um den Anteil von 2 % an der weltweiten En­ergieerzeu­gung konstant halten zu können; und auch die Schätzungen über verfügbare Uran­re­ser­ven wurden stark nach unten korrigiert. Eine Wiederge­burt sieht anders aus.

Mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein

In einem ganzen Jahr verbraucht die Menschheit so viel Energie, wie die Sonne in einer Stunde liefert. Natürlich lässt sich nicht das gesamte the­o­retis­che Potenzial technisch umsetzen. Doch selbst das technisch nutzbare So­lar­poten­zial wird derzeit nur zu 0,1 % ausgereizt – und das der Windenergie zu etwa 0,3 %. Nach wie vor hinkt der Ausbau erneuer­barer Energien dem Rückgang der Ölförderung gefährlich hinterher, obwohl damit große Chancen verbunden sind:

  • Fo­to­voltaikan­la­gen erzeugen mithilfe von Solarzellen elek­trischen Strom, der meist dezentral produziert und ins Netz eingespeist wird. Gute Aussichten bietet die Dünnschicht­tech­nolo­gie. Vorteile sind geringeres Gewicht und niedrigere Ma­te­ri­alkosten.
  • So­larther­mis­che Anlagen bündeln Sonnenlicht in Spiegeln und erzeugen über mit Wasserdampf betriebene Turbinen Energie. Das in der Sahara geplante Projekt „Desertec“ soll beweisen, dass diese Technologie in großem Umfang einsetzbar ist.
  • So­larther­mis­che Wärme wird direkt zur Warmwasser­erzeu­gung und zum Heizen oder Kühlen von Gebäuden verwendet.
  • Wind generiert heute in den EU-Ländern 30-mal mehr Energie als noch vor 15 Jahren. Prognosen wurden wiederholt nach oben korrigiert. Auch die Leistung der Windräder hat sich in dieser Zeit verdreißigfacht.
  • Wasserkraft ist unter den erneuer­baren En­ergiefor­men die älteste, und das Potenzial für Megaanlagen ist bereits ausgeschöpft. Wellen- und Gezeit­enkraftwerke könnten in Zukunft einen zusätzlichen Beitrag leisten.
  • Geothermie nutzt oberflächennahe Wärme (bis in 400 Meter Tiefe) zur Warmwasser­bere­itung, Gebäudeheizung und -kühlung. Mithilfe von Tiefen­geother­mie (unter 400 Meter) wird vor allem Grund­last­strom erzeugt, da die Tiefenwärme das ganze Jahr über genutzt werden kann.
  • Biomasse steht in Konkurrenz zur Nahrungsmit­tel­erzeu­gung. Bis 2030 muss die Produktion von Nahrungsmit­teln um 50 % steigen, damit alle Menschen satt werden. Deshalb hat die Nutzung von Ab­fall­bio­masse sowie von schnell wachsenden, nicht essbaren En­ergiepflanzen Priorität.

Aufstieg und Fall großer Energiemächte

Die geopoli­tis­chen Machtverhältnisse verschieben sich. Die Ära, in der ehemalige europäische Kolonialmächte und die USA ihre en­ergiepoli­tis­chen Interessen durchsetzen konnten, ist endgültig vorbei. Or­gan­i­sa­tio­nen wie die Shanghai Cooperation Or­gan­i­sa­tion (SCO), die 2001 von China, Russland, Kasachstan, Kirgisien, Tad­schik­istan und Usbekistan gegründet wurde, werden ein­flussre­icher. Die Vo­raus­set­zun­gen für den Abschied von fossilen Energieträgern sind weltweit sehr un­ter­schiedlich:

  • Nordamerika: Ein US-Amerikaner verbraucht heute fünfmal mehr Energie als ein Chinese. Vielen Amerikanern fällt es schwer, sich vom „American Way of Life“ zu ve­r­ab­schieden. Die Hoffnung, ihn mithilfe von Schiefergas, Tief­see­bohrun­gen oder dem Ressourcenab­bau in Naturschutzge­bi­eten noch retten zu können, wird sich kaum erfüllen. Um die gewaltigen Potenziale der Wind-, Sonnen- und Ge­ot­her­mieen­ergie zu nutzen, muss hier wie anderswo in ein „in­tel­li­gentes“ Stromnetz („Smart Grid“) investiert werden.
  • OECD-Europa: Bis 2030 werden die benötigten En­ergieim­porte von heute 50 % auf 70 % ansteigen. Angesichts sinkender Vorräte und steigender Preise sind das wirtschaftlich gesehen gefährliche Aussichten. Die Umstellung auf erneuerbare Energien muss sehr schnell erfolgen, wenn Energieengpässen vorgebeugt werden soll.
  • China: 2009 deckte China, der größte Kohlen­dioxid-Emit­tent weltweit, noch fast 70 Prozent seines gewaltigen En­ergiebe­darfs mit Kohle. Gle­ichzeitig ist China der größte Markt für re­gen­er­a­tive Energien, sowohl als Produzent wie auch als Konsument. Es ist weltweit der wichtigste Lieferant seltener Metalle, die beispiel­sweise für Elek­troau­tos gebraucht werden, und hat dadurch einen wichtigen Vorsprung bei der Entwicklung umwelt­fre­undlicher Tech­nolo­gien.
  • Indien: Wind-, Wasser- und Sonnenen­ergie haben in Indien großes Potenzial. Sie könnten bis 2030 mindestens 40 % des heutigen Bedarfs abdecken. Hier wie bei der Elek­tro­mo­bilität zeichnet sich eine enge Kooperation mit China ab.
  • Übergangsstaaten: Die Länder der ehemaligen Sowjetunion, mit Russland an der Spitze, sind ein Rohstoff-El­do­rado. Allerdings wurde die Produktion im vergangenen Jahrzehnt auch nirgendwo sonst so stark ausgeweitet. Langfristig könnte Russland zu einem Exporteur von Wasser und wasser­in­ten­siven Produkten werden, da es – nach Brasilien – über die zweitgrößten Wasser­re­ser­ven verfügt.
  • Mittlerer Osten: Das Potenzial der So­laren­ergie ist enorm. So­larther­mis­che Großkraftwerke könnten Meer- in Süßwasser verwandeln und es damit für die Land­wirtschaft nutzbar machen.
  • Ostasien: Der Primären­ergiebe­darf wird sich bis 2030 mindestens verdoppeln, ohne dass dieser Tatsache eine wesentliche Ausweitung der Förderung fossiler Energieträger gegenüberstünde. Es wird befürchtet, dass vermehrt Ölpalmen angebaut werden, was zur Zerstörung von Regenwäldern und einem CO2-Anstieg führen würde.
  • Afrika: Afrikaner verbrauchen zur Hälfte erneuerbare Energien, vor allem Holz. Allerdings ist dieses oft nur in der Theorie erneuerbar, etwa bei To­tal­ent­wal­dung. Die Potenziale für Wind- und So­laren­ergie sind gigantisch, auch wegen der enormen Landmasse. Afrikas relative Unabhängigkeit von fossilen Brennstof­fen könnte sich als Vorteil her­ausstellen.
  • Lateinamerika: Hier liefern erneuerbare Energien, vor allem die Wasserkraft, bereits heute 63 % des Stroms. Erneuerbare Energien könnten fossile Brennstoffe schon in wenigen Jahrzehnten vollständig ersetzen.
  • OECD-Region Pazifik: Japan besitzt keine eigenen fossilen Rohstoffe und wird sich noch schneller als andere Regionen auf erneuerbare umstellen müssen. Australien könnte sich vom Exporteur fossiler und nuklearer Brennstoffe zum Exporteur von Energieträgern entwickeln, die aus erneuer­baren Quellen stammen.

Der Weg ins postfossile Zeitalter

Die in­dus­trielle Revolution spaltete die Welt in arme und reiche Regionen. Einkommen und Rohstof­fver­brauch in den Industrieländern ex­plodierten, während der Rest der Welt stagnierte oder zurückfiel. Der ungleiche Zugang zu Ressourcen ist der Kern dieses Problems, und die legitime Forderung nach gleichen Emis­sion­srechten für alle Menschen seine Kehrseite. Die relative Rückständigkeit vieler Schwellen- und En­twick­lungsländer könnte sich langfristig aber als Vorteil erweisen: Sie werden gewisse En­twick­lungsphasen überspringen und keine Verluste aus schon bald obsoleten In­fra­struk­turen für fossile Energien erleiden. Kurzfristige Erhöhungen der Fördermengen werden als positive Nachrichten gefeiert. In Wirk­lichkeit ist das eine gefährliche Irreführung. Denn derartige Überraschungs­funde erhöhen nur den Verbrauch und damit die Abhängigkeit von fossilen Brennstof­fen; sie verhindern eine rechtzeit­ige Entwöhnung und ver­schlim­mern so mit­tel­fristig die Ver­sorgungssi­t­u­a­tion.

„Wirtschaften heißt, mit knappen Gütern zu haushalten. Aus­gerech­net bei dem knappsten (den endlichen Energieträgern) und dem wichtigsten Gut (unserer Atmosphäre) bestehen wir auf ,Dump­ing­preisen‘.“

Der Peak Oil hat die wirtschaftlichen Ver­w­er­fun­gen der vergangenen Jahre wesentlich mit verursacht. Die Ausbeutung von Erdöl, Gas und Kohle ist direkt oder indirekt für den Klimawandel, die Verknappung wichtiger Mineralien, den globalen Wasser­man­gel, sinkende Ernteerträge und viele andere Katas­tro­phen ve­r­ant­wortlich. Gle­ichzeitig hat das fossile Zeitalter einen ungeheuren In­no­va­tion­ss­chub mit sich gebracht. Erfindungen wie die Elektrizität oder moderne Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel können für einen geordneten Übergang genutzt werden. Die Leitplanken hierfür sind:

  • Ve­r­all­ge­meiner­barkeit: Alle Menschen heute und in Zukunft müssen gle­ich­berechtigten Zugang zu Energie, Flächen, Wasser und Rohstoffen erhalten. Ein nach­haltiges Modell geht von einem Pro-Kopf-En­ergie­ver­brauch von 1,5–2 Kilowatt aus. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 2009 5,1 Kilowatt und in Indien 0,7 Kilowatt.
  • En­ergieef­fizienz: Billige Energie galt lange als Wirtschaftsmo­tor, ist in Wirk­lichkeit aber nichts als ein Freibrief für Ver­schwen­dung. Hohe En­ergiepreise bringen In­no­va­tio­nen hervor und steigern die Wet­tbe­werbsfähigkeit.
  • Erneuerbare Energien: Strom und Treibstoffe müssen gänzlich aus erneuer­baren Quellen hergestellt werden. Allerdings erfordert dies einen gewaltigen Kapital- und Kräfteaufwand. Ein Schlaraf­fen­land unbegrenzt verfügbarer Energie wird es nie geben.
  • Effiziente Raum- und Sied­lungsstruk­turen: Nähe wird aufgewertet, Menschen und Produkte reisen weniger. Ziel ist es, Mobilitätsbedürfnisse ohne weite Wege und hohen En­ergie­ver­brauch zu erfüllen – mithilfe der eigenen Körperkraft (Gehen, Radfahren) und elek­tro­n­is­cher Kom­mu­nika­tion.

Über die Autoren

Martin Zerta, Werner Zittel und Jörg Schindler arbeiten für die Ludwig-Bölkow-Sys­temtech­nik GmbH, ein Be­ratung­sun­ternehmen für Energie und Umwelt. Hiromichi Yanagihara war bis 2010 als Entwickler innovativer Fahrzeugkonzepte bei Toyota tätig.