Peak Oil – Schnee von gestern?
Das Überschreiten des Fördermaximums beim Erdöl (der so genannte Peak Oil) ist kein Zukunftsszenario, sondern bereits eingetreten. Obwohl der Preis für Rohöl explodiert ist, stagniert die weltweite Förderung seit 2005. Einige Ökonomen behaupten, dass hohe Ölpreise wegen steigender Explorationsinvestitionen mehr Ölfunde zur Folge hätten. Doch das Gegenteil ist der Fall: Das meiste Öl wurde zu Zeiten niedriger Ölpreise gefunden. Tatsächlich gibt es immer weniger Explorationserfolge, doch Regierungen, Ölfirmen und von diesen abhängige Forschungsinstitute reden die Höhe der verbleibenden Ölreserven konsequent schön. Neuere Funde etwa legen nahe, dass die Reserven der OPEC-Staaten vor gut 20 Jahren um den Faktor drei überschätzt wurden. Nach einer vorsichtigen Schätzung wird die Ölförderung weltweit jährlich um 2–3 % abnehmen. Bis 2030 ergäbe sich daraus ein Minus von insgesamt 50 %. Dabei wird die auf dem Weltmarkt verfügbare Ölmenge voraussichtlich um 80–90 % zurückgehen, weil die Öl fördernden Länder dieses zunehmend für den Eigengebrauch reklamieren werden.
Keine Zukunft für Erdgas und Kohle
Beim Erdgas sieht es nicht wesentlich anders aus. Selbst wenn man davon ausgeht, dass man in den kommenden Jahren weitere Erdgasfunde macht, wird das globale Fördermaximum voraussichtlich zwischen 2020 und 2030 erreicht sein. Seit 2005 sorgt der Boom bei der Förderung von Schiefergas in der US-Energiebranche für Euphorie. Doch die Methode – das so genannte Cracking – gefährdet durch das Einpressen giftiger Chemikalien die Grundwasserversorgung von Millionen Menschen, und die Diskussion darüber hat gerade erst begonnen. Es ist kaum zu erwarten, dass Cracking in Europa Fuß fasst. Die weltweiten Kohlereserven wurden ebenfalls deutlich überschätzt. Die gängige Behauptung, dass Kohle noch jahrhundertelang verfügbar sein werde, lässt sich empirisch nicht untermauern. Und die Technologie des Abtrennens und Einlagerns von CO2 ist reine Zukunftsmusik. Konzerne benutzen sie als Feigenblatt, um heute noch den Bau neuer Kohlekraftwerke zu rechtfertigen.
Totgeburt Kernenergie
Mit der viel beschworenen Renaissance der Kernenergie ist es nicht weit her. Der Versuch einer Wiederbelebung ist eher ein verzweifeltes Aufbäumen gegen den Trend. Das Risikopotenzial der Kernenergie ist gigantisch. Es sind Risiken, die nicht versicherbar sind und bei einem Unfall der Allgemeinheit aufgehalst werden. Trotz dieses offensichtlichen finanziellen Vorteils für die Betreiber sind neue Reaktorprojekte praktisch unbezahlbar geworden. In Europa und Nordamerika fehlt es an kritischen Komponenten und Fachkräften. Veraltete Reaktoren werden nicht schnell genug ersetzt, um den Anteil von 2 % an der weltweiten Energieerzeugung konstant halten zu können; und auch die Schätzungen über verfügbare Uranreserven wurden stark nach unten korrigiert. Eine Wiedergeburt sieht anders aus.
Mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein
In einem ganzen Jahr verbraucht die Menschheit so viel Energie, wie die Sonne in einer Stunde liefert. Natürlich lässt sich nicht das gesamte theoretische Potenzial technisch umsetzen. Doch selbst das technisch nutzbare Solarpotenzial wird derzeit nur zu 0,1 % ausgereizt – und das der Windenergie zu etwa 0,3 %. Nach wie vor hinkt der Ausbau erneuerbarer Energien dem Rückgang der Ölförderung gefährlich hinterher, obwohl damit große Chancen verbunden sind:
- Fotovoltaikanlagen erzeugen mithilfe von Solarzellen elektrischen Strom, der meist dezentral produziert und ins Netz eingespeist wird. Gute Aussichten bietet die Dünnschichttechnologie. Vorteile sind geringeres Gewicht und niedrigere Materialkosten.
- Solarthermische Anlagen bündeln Sonnenlicht in Spiegeln und erzeugen über mit Wasserdampf betriebene Turbinen Energie. Das in der Sahara geplante Projekt „Desertec“ soll beweisen, dass diese Technologie in großem Umfang einsetzbar ist.
- Solarthermische Wärme wird direkt zur Warmwassererzeugung und zum Heizen oder Kühlen von Gebäuden verwendet.
- Wind generiert heute in den EU-Ländern 30-mal mehr Energie als noch vor 15 Jahren. Prognosen wurden wiederholt nach oben korrigiert. Auch die Leistung der Windräder hat sich in dieser Zeit verdreißigfacht.
- Wasserkraft ist unter den erneuerbaren Energieformen die älteste, und das Potenzial für Megaanlagen ist bereits ausgeschöpft. Wellen- und Gezeitenkraftwerke könnten in Zukunft einen zusätzlichen Beitrag leisten.
- Geothermie nutzt oberflächennahe Wärme (bis in 400 Meter Tiefe) zur Warmwasserbereitung, Gebäudeheizung und -kühlung. Mithilfe von Tiefengeothermie (unter 400 Meter) wird vor allem Grundlaststrom erzeugt, da die Tiefenwärme das ganze Jahr über genutzt werden kann.
- Biomasse steht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung. Bis 2030 muss die Produktion von Nahrungsmitteln um 50 % steigen, damit alle Menschen satt werden. Deshalb hat die Nutzung von Abfallbiomasse sowie von schnell wachsenden, nicht essbaren Energiepflanzen Priorität.
Aufstieg und Fall großer Energiemächte
Die geopolitischen Machtverhältnisse verschieben sich. Die Ära, in der ehemalige europäische Kolonialmächte und die USA ihre energiepolitischen Interessen durchsetzen konnten, ist endgültig vorbei. Organisationen wie die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), die 2001 von China, Russland, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan gegründet wurde, werden einflussreicher. Die Voraussetzungen für den Abschied von fossilen Energieträgern sind weltweit sehr unterschiedlich:
- Nordamerika: Ein US-Amerikaner verbraucht heute fünfmal mehr Energie als ein Chinese. Vielen Amerikanern fällt es schwer, sich vom „American Way of Life“ zu verabschieden. Die Hoffnung, ihn mithilfe von Schiefergas, Tiefseebohrungen oder dem Ressourcenabbau in Naturschutzgebieten noch retten zu können, wird sich kaum erfüllen. Um die gewaltigen Potenziale der Wind-, Sonnen- und Geothermieenergie zu nutzen, muss hier wie anderswo in ein „intelligentes“ Stromnetz („Smart Grid“) investiert werden.
- OECD-Europa: Bis 2030 werden die benötigten Energieimporte von heute 50 % auf 70 % ansteigen. Angesichts sinkender Vorräte und steigender Preise sind das wirtschaftlich gesehen gefährliche Aussichten. Die Umstellung auf erneuerbare Energien muss sehr schnell erfolgen, wenn Energieengpässen vorgebeugt werden soll.
- China: 2009 deckte China, der größte Kohlendioxid-Emittent weltweit, noch fast 70 Prozent seines gewaltigen Energiebedarfs mit Kohle. Gleichzeitig ist China der größte Markt für regenerative Energien, sowohl als Produzent wie auch als Konsument. Es ist weltweit der wichtigste Lieferant seltener Metalle, die beispielsweise für Elektroautos gebraucht werden, und hat dadurch einen wichtigen Vorsprung bei der Entwicklung umweltfreundlicher Technologien.
- Indien: Wind-, Wasser- und Sonnenenergie haben in Indien großes Potenzial. Sie könnten bis 2030 mindestens 40 % des heutigen Bedarfs abdecken. Hier wie bei der Elektromobilität zeichnet sich eine enge Kooperation mit China ab.
- Übergangsstaaten: Die Länder der ehemaligen Sowjetunion, mit Russland an der Spitze, sind ein Rohstoff-Eldorado. Allerdings wurde die Produktion im vergangenen Jahrzehnt auch nirgendwo sonst so stark ausgeweitet. Langfristig könnte Russland zu einem Exporteur von Wasser und wasserintensiven Produkten werden, da es – nach Brasilien – über die zweitgrößten Wasserreserven verfügt.
- Mittlerer Osten: Das Potenzial der Solarenergie ist enorm. Solarthermische Großkraftwerke könnten Meer- in Süßwasser verwandeln und es damit für die Landwirtschaft nutzbar machen.
- Ostasien: Der Primärenergiebedarf wird sich bis 2030 mindestens verdoppeln, ohne dass dieser Tatsache eine wesentliche Ausweitung der Förderung fossiler Energieträger gegenüberstünde. Es wird befürchtet, dass vermehrt Ölpalmen angebaut werden, was zur Zerstörung von Regenwäldern und einem CO2-Anstieg führen würde.
- Afrika: Afrikaner verbrauchen zur Hälfte erneuerbare Energien, vor allem Holz. Allerdings ist dieses oft nur in der Theorie erneuerbar, etwa bei Totalentwaldung. Die Potenziale für Wind- und Solarenergie sind gigantisch, auch wegen der enormen Landmasse. Afrikas relative Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen könnte sich als Vorteil herausstellen.
- Lateinamerika: Hier liefern erneuerbare Energien, vor allem die Wasserkraft, bereits heute 63 % des Stroms. Erneuerbare Energien könnten fossile Brennstoffe schon in wenigen Jahrzehnten vollständig ersetzen.
- OECD-Region Pazifik: Japan besitzt keine eigenen fossilen Rohstoffe und wird sich noch schneller als andere Regionen auf erneuerbare umstellen müssen. Australien könnte sich vom Exporteur fossiler und nuklearer Brennstoffe zum Exporteur von Energieträgern entwickeln, die aus erneuerbaren Quellen stammen.
Der Weg ins postfossile Zeitalter
Die industrielle Revolution spaltete die Welt in arme und reiche Regionen. Einkommen und Rohstoffverbrauch in den Industrieländern explodierten, während der Rest der Welt stagnierte oder zurückfiel. Der ungleiche Zugang zu Ressourcen ist der Kern dieses Problems, und die legitime Forderung nach gleichen Emissionsrechten für alle Menschen seine Kehrseite. Die relative Rückständigkeit vieler Schwellen- und Entwicklungsländer könnte sich langfristig aber als Vorteil erweisen: Sie werden gewisse Entwicklungsphasen überspringen und keine Verluste aus schon bald obsoleten Infrastrukturen für fossile Energien erleiden. Kurzfristige Erhöhungen der Fördermengen werden als positive Nachrichten gefeiert. In Wirklichkeit ist das eine gefährliche Irreführung. Denn derartige Überraschungsfunde erhöhen nur den Verbrauch und damit die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen; sie verhindern eine rechtzeitige Entwöhnung und verschlimmern so mittelfristig die Versorgungssituation.
„Wirtschaften heißt, mit knappen Gütern zu haushalten. Ausgerechnet bei dem knappsten (den endlichen Energieträgern) und dem wichtigsten Gut (unserer Atmosphäre) bestehen wir auf ,Dumpingpreisen‘.“
Der Peak Oil hat die wirtschaftlichen Verwerfungen der vergangenen Jahre wesentlich mit verursacht. Die Ausbeutung von Erdöl, Gas und Kohle ist direkt oder indirekt für den Klimawandel, die Verknappung wichtiger Mineralien, den globalen Wassermangel, sinkende Ernteerträge und viele andere Katastrophen verantwortlich. Gleichzeitig hat das fossile Zeitalter einen ungeheuren Innovationsschub mit sich gebracht. Erfindungen wie die Elektrizität oder moderne Kommunikationsmittel können für einen geordneten Übergang genutzt werden. Die Leitplanken hierfür sind:
- Verallgemeinerbarkeit: Alle Menschen heute und in Zukunft müssen gleichberechtigten Zugang zu Energie, Flächen, Wasser und Rohstoffen erhalten. Ein nachhaltiges Modell geht von einem Pro-Kopf-Energieverbrauch von 1,5–2 Kilowatt aus. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 2009 5,1 Kilowatt und in Indien 0,7 Kilowatt.
- Energieeffizienz: Billige Energie galt lange als Wirtschaftsmotor, ist in Wirklichkeit aber nichts als ein Freibrief für Verschwendung. Hohe Energiepreise bringen Innovationen hervor und steigern die Wettbewerbsfähigkeit.
- Erneuerbare Energien: Strom und Treibstoffe müssen gänzlich aus erneuerbaren Quellen hergestellt werden. Allerdings erfordert dies einen gewaltigen Kapital- und Kräfteaufwand. Ein Schlaraffenland unbegrenzt verfügbarer Energie wird es nie geben.
- Effiziente Raum- und Siedlungsstrukturen: Nähe wird aufgewertet, Menschen und Produkte reisen weniger. Ziel ist es, Mobilitätsbedürfnisse ohne weite Wege und hohen Energieverbrauch zu erfüllen – mithilfe der eigenen Körperkraft (Gehen, Radfahren) und elektronischer Kommunikation.