Keine Entwarnung
Eben noch von der Rezession gezeichnet, sind die Auftragsbücher deutscher Unternehmen wieder voll. Auch weltweit deutet Mitte 2010 kaum etwas auf die Wirtschaftskrise hin, die noch bis zum Sommer 2009 Arbeitslosigkeit, Firmenbankrotte und Privatkonkurse mit sich brachte. Kann also Entwarnung gegeben werden? Lieber nicht. Die USA zählen immer noch auf den Konsum ihrer Bürger als Wirtschaftsmotor, und große Banken ächzen unter den Belastungen des Rettungsmarathons. Die Schulden – die Wurzel der Krise – sind keineswegs getilgt, sondern haben sich lediglich vom Konsumenten zum Staat verlagert. Stellen Sie sich daher auf eine lange Zeit geringen Wachstums ein.
Eine kurze Geschichte der Krise
In den Jahren 1997–2006 kannten die Immobilienpreise in den USA und anderswo nur eine Richtung: nach oben. War es realistisch anzunehmen, dass sie niemals fallen könnten? Wohl kaum. Dennoch schienen genau das alle zu glauben. Es entstand eine Blase, die sich enorm vergrößerte, als die Banken auch quasi mittellosen Kunden den Hauskauf auf Kredit schmackhaft machten. Die daraus entstandenen Hypotheken wurden gebündelt und als verbriefte Produkte an Investoren verkauft, denen die Zinsen der US-Staatsanleihen zu gering waren. 2006 schließlich endete der Aufwärtstrend im Immobiliensektor. Die Preise machten kehrt, ein Hypothekarkredit nach dem anderen fiel aus. Die Blase zerplatzte im August 2007. Banken wollten sich untereinander kein Geld mehr leihen, aus Furcht davor, die wertlosen Hypothekarverbriefungen (nun „toxische Papiere“ genannt) würden das jeweils andere Institut in den Ruin treiben – die Finanzkrise war geboren. 2008 wurde aus ihr eine Wirtschaftskrise.
„Ein auf immer mehr Verschuldung basierender Boom ist zu Ende.“
Mit spektakulären Rettungsaktionen bewahrten Regierungen so genannte „systemrelevante“ Banken vor dem Untergang. Ein paar Käufe von toxischen Papieren hier, einige Kapitalerhöhungen dort, kombiniert mit historisch niedrigen Zinsen, das schien die geeignete Medizin für die erkrankten Banken zu sein. Ein erster Blick auf die Bankzahlen bestätigen die Heilung offenbar: Die Gewinne steigen. Doch trauen Sie dem nicht. Durch die Niedrigzinspolitik steht den Banken viel billiges Geld zum Wirtschaften zur Verfügung – eine Situation, die nicht ewig andauern kann.
Auf der Suche nach dem nächsten Schuldner
Was passiert, wenn Schulden über längere Zeit stärker wachsen als das Einkommen, hat die Immobilienblase gezeigt. Seinen Anfang genommen hat der Immobilienboom beim US-Bürger und seinem Konsum. Würde der Amerikaner plötzlich nichts mehr kaufen, bräche die weltweite Wirtschaftsleistung um 18 % ein. Zugleich haben die Schulden der amerikanischen Konsumenten ein derart hohes Niveau erreicht, dass man 4 Billionen Dollar brauchen würde, nur um die Verbindlichkeiten auf ihren langfristigen Mittelwert zu senken. Wenn es aber nun im privaten Sektor an Geld fehlt, wer oder was soll die Wirtschaft antreiben? Weltweit gibt es auf diese Frage zwei Antworten: niedrige Zinsen und staatliche Konjunkturprogramme. Der Staat gibt nun das Geld aus und wird der neue Schuldner. Doch Staatsschulden treiben die Zinsen auch für Private in die Höhe. Zudem zeigen Untersuchungen, dass eine Verschuldung von über 90 % des Sozialprodukts das Wachstum anhaltend dämpft.
„Nach der Krise ist nichts wie zuvor.“
Der Ausweg aus diesem Dilemma heißt Exportüberschuss. Es gilt also, mehr zu exportieren als zu importieren. Dafür müssen die heimischen Produkte aber günstiger werden, damit sie für andere Länder preislich attraktiv sind. Das könnte Lohnkürzungen und Preisverfall, also Deflation, nach sich ziehen. Die Alternative ist Inflation, die den Wert der Schulden verringern würde. Ob uns Deflation oder Inflation bevorsteht, ist nicht klar. Die Angst vor einer Rezession sitzt jedenfalls tief – sie ebnet den Weg für billiges Geld und für Inflation.
Die Welt wird eine andere sein
Diese Trends werden die Welt, wie wir sie kennen, verändern:
- Der starke Staat kehrt zurück: Die Politik wird sich immer mehr in die Wirtschaft einmischen, sei es durch die Einführung neuer Regeln und Normen, durch Konjunkturprogramme, durch protektionistische Maßnahmen gegen fremde Marktteilnehmer zum Schutz der heimischen Wirtschaft oder durch Notverstaatlichungen.
- Die Werte der Konsumenten ändern sich: Nach Jahren des grenzenlosen Konsums sitzen die Konsumenten auf einem Schuldenberg. Sparen wird zum Trend. Discounter verzeichnen bereits jetzt Umsatzsteigerungen. Leitungswasser wird Mineralwasser vorgezogen. Die Menschen arbeiten länger und nehmen Zweitjobs an, weil ihre Altersvorsorge der Finanzkrise zum Opfer gefallen ist. Pensionäre haben weniger Geld zum Ausgeben, ebenso wie deren Kinder, die die Alten nun stärker finanziell unterstützen müssen. Arbeitsplätze bei etablierten Unternehmen in der Old Economy werden begehrter als Jobs in der als unsicher geltenden Finanzbranche. Dies alles wirkt sich auf die gesellschaftlichen Werte aus. Soziale Unruhen sind nicht auszuschließen, da viele Menschen ihre gesamten Ersparnisse verloren haben.
- Unternehmen kämpfen um Wachstum: Kostensenkungsprogramme und staatliche Unterstützung werden den Unternehmen nur kurzfristig zu befriedigenden Renditen verhelfen. Wahrscheinlich ist, dass der geringere Konsum und höhere Steuern die Gewinne dämpfen werden. Der Konkurrenzkampf zwischen den Firmen wird angesichts der Schlacht um Marktanteile zunehmen. Das Management wird sich bald weniger an den Aktionären und vermehrt an den Interessen der Stakeholder, z. B. der Mitarbeiter, orientieren. Machen Sie sich darauf gefasst, dass sich ganze Branchen grundlegend verändern werden – Ihre womöglich auch. Unwirtschaftliche Unternehmen haben die Krise nicht überlebt. Sie sind von Wettbewerbern übernommen worden oder haben fusioniert. Dieser Trend wird sich fortsetzen.
- Investoren werden realistischer: Aggressives Wachstum ist passé. Investoren halten nun Ausschau nach starken Bilanzen, kontinuierlichen Dividenden und langfristigen Strategien. Unterbewertete Aktien sind begehrter als nebulöse Wachstumsaussichten.
Die Krise als Chance
Nutzen Sie die Krise als Chance! Es geht um die Verbesserung Ihrer langfristigen Marktposition. Ein Blick auf den Automarkt der 1930er Jahre veranschaulicht dies: Vor der Großen Depression dominierten General Motors und Ford Motor Company mit je einem Drittel des Marktes den Wettbewerb. Die Krise brach die Branchenstrukturen auf, sodass am Ende General Motors 15 % und der Aufsteiger Chrysler 19 % Marktanteil hinzugewannen. Währenddessen blieb Ford zurück. Was war der Trick von General Motors? Das Unternehmen hatte erkannt, dass die Kunden weniger Geld hatten. Darum verlagerte man den Marketingschwerpunkt von der Luxuslimousine zum Kleinwagen. Chrysler gab mehr für Marketing, Werbung und Forschung aus, steigerte dabei aber die Produktivität und reduzierte die Kosten.
Die Verteidigung zuerst
Eine gute Verteidigung ist die Basis für einen effizienten Angriff. Daher:
- Sichern Sie die finanziellen Grundlagen: Hohe Kassenbestände und niedrige Verschuldung – sprich: genügend Liquidität – sind angesagt. Nur wenn das der Fall ist, können Sie die für die Zukunft notwendigen Investitionen tätigen. Durchforsten Sie Ihre Verträge mit Lieferanten und stellen Sie sich die Frage, ob die Konditionen noch zeitgemäß sind. In einer Zeit schlechter Konjunktur für ganze Branchen sollten Sie nicht an früher verhandelte hohe Preise gebunden sein. Nutzen Sie die Vorhersagen von Wirtschaftsexperten zur Konjunktur, um Ihr Lager entsprechend anzupassen. Bei der Finanzierung nehmen Sie sich am besten ein Beispiel an McDonald’s: Das Unternehmen nahm in der Niedrigzinsperiode Anfang der 1970er Jahre Geld auf, um die Expansion voranzutreiben. Als Ende der 70er aber die Zinsen nach oben kletterten, baute McDonald’s die Schulden ab, anstatt den Investoren Dividenden zukommen zu lassen.
- Sichern Sie die geschäftlichen Grundlagen: Kurzfristige Kosten sind rasch gesenkt und vor allem am Anfang der Konjunkturflaute effektiv. Denken Sie aber auch auf lange Sicht. Bauen Sie Kapazitäten in der Produktion ab, erhöhen Sie die Effizienz und lagern Sie Tätigkeiten, die nicht zum Kerngeschäft gehören, an Dritte aus. Eliminieren Sie aber nichts, was wesentlich zu Ihrem Geschäftserfolg beiträgt, z. B. gute Mitarbeiter. Wenn Sie diese in der Krise ziehen lassen, wird es Ihnen im Aufschwung leidtun. Besser sind Arbeitszeitkürzungen, unbezahlter Urlaub oder Jobrochaden innerhalb des Unternehmens. Die niederländische Fluggesellschaft KLM machte es vor: 2009 mussten ihre Piloten auch am Boden bei der Abfertigung mithelfen.
- Sichern Sie Ihre Einnahmen: Jobverlust, Schuldenabbau und Probleme bei der Finanzierung machen Ihren Kunden das Leben schwer. Machen Sie es ihnen leichter, indem Sie Ihre Preise senken. Das geht natürlich nur dann, wenn Sie auch Ihre Kosten reduzieren können. Andernfalls reduzieren Sie den Inhalt in der Verpackung und behalten Sie den Preis bei. Oder unterteilen Sie Ihre Dienstleistung in eine günstige Standardvariante und eine Premiumvariante mit höherem Preis. So machte es der Lkw-Vermieter U-Haul in der Rezession Anfang der 1990er Jahre: Als die Gewinne mehr und mehr schrumpften, bot er seinen Kunden, die die Lkws für den Umzug nutzten, Verpackungsmaterial an – mit positiver Wirkung auf die Gewinnspanne.
In die Offensive gehen
Um im harten Wettbewerb einen Schritt vorwärtszukommen, müssen Sie mit diesen Maßnahmen in die Offensive gehen:
- Legen Sie das Augenmerk auf Innovation: Innovation gibt Unternehmen in schlechten Zeiten Auftrieb. Da der Büromaschinenhersteller IBM in den 1930er Jahren die Forschung und Entwicklung vorantrieb, konnte er in dieser Zeit dreimal so viele Produktneuheiten vorstellen wie in den 20ern.
- Verstehen Sie Ihre Kunden: Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre erfand der Konsumgüterhersteller Procter & Gamble Marktforschungsmethoden, die noch heute in Gebrauch sind. Auch Sie sollten versuchen, Ihre Kunden zu verstehen. Zum Beispiel werden heute die günstigeren Eigenmarken gegenüber den Markenartikeln immer beliebter. Halten Sie sich aber nicht nur über die Konsumenten, sondern auch über die Schachzüge der Regierungen auf dem Laufenden.
- Fahren Sie Werbung und Marketing hoch: Die Wirkung von Werbung ist schwer nachzuvollziehen, weshalb in Abschwungphasen die Ausgaben dafür häufig gekürzt werden. Ein schwerwiegender Fehler! Wenn Sie jetzt den Markt intensiv bearbeiten, ist Ihnen die Aufmerksamkeit so gut wie sicher.
- Setzen Sie Ihre Mitbewerber unter Druck: Der Wettbewerb wird härter, zumal neue Mitbewerber – u. U. aus ganz anderen Ländern und Sektoren – in den Markt eintreten. Erfinden Sie das Spiel neu, oder versuchen Sie zumindest, Ihre Stärken auszuspielen. Die japanischen Bierhersteller hatten in den 1990er Jahren mit stagnierendem Absatz zu kämpfen. Als 1997 die Branche übereinkam, dass das Verfallsdatum auf neun Monate ab Abfüllung festgesetzt sein sollte, gelang Asahi-Bier der Coup: Asahi-Bier – so wurde geworben – sei das frischeste, da bereits dreimonatiges Bier vom Markt genommen werde.
- Investieren Sie für die Zukunft: Kaufen Sie nun, da die Preise gesunken sind, schwächelnde Konkurrenten. Oder trennen Sie sich von Geschäftsbereichen, mit denen Sie nicht zufrieden sind.
- Erfinden Sie das Geschäft neu: Ganze Geschäftsmodelle stehen nun auf dem Prüfstand. Prüfen Sie auch Ihres. Werden Sie z. B. Billiganbieter, betreten Sie neue Geschäftsfelder oder denken Sie über mögliche Varianten der Zusammenarbeit mit Ihren Lieferanten nach.