Organizational Burnout

Buch Organizational Burnout

Das versteckte Phänomen ausgebrannter Organisationen

Gabler,


Rezension

Ein in­ter­es­san­ter Ansatz: Durchaus bekannte Führung­sprob­leme werden, Puz­zleteilchen gleich, zu einem Bild zusam­menge­setzt, das dem Burnout von Personen verblüffend ähnelt. Ein Or­ga­ni­za­tional Burnout ist ein Zustand tiefer Erschöpfung und Be­we­gung­sunfähigkeit einer Or­gan­i­sa­tion, den sie gemäß Autor Gustav Greve nicht aus eigener Kraft überwinden kann. Ein externer Helfer muss her, und hier bietet der Autor gleich sich selbst und seinen Be­ratungsansatz an. Zu Beginn geht es recht flott los, der Leser hat zahlreiche Aha-Er­leb­nisse und ihm leuchtet schnell ein, dass sich die eigene Or­gan­i­sa­tion – sei sie pri­vatwirtschaftlich, non-profit oder auch öffentlich – im Or­ga­ni­za­tional Burnout befinden könnte. Bei der Suche nach den Gründen landet der Autor allerdings dort, wo geschätzte 90 % der Man­age­mentlit­er­atur bereits angekommen sind: bei Führung­sprob­le­men. Sollte man die empfohlene Therapie in einem Satz beschreiben, würde er lauten: Coach engagieren, Spitzen­man­age­ment austauschen und ver­trauensvollen Neustart beginnen. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Führungskräften in aus­ge­bran­nten oder vom Ausbrennen bedrohten Or­gan­i­sa­tio­nen.

Take-aways

  • Ein Or­ga­ni­za­tional Burnout ist ein Zustand tiefer, anhaltender Erschöpfung eines Un­ternehmens.
  • Er ähnelt dem Burnout von Personen und verläuft wie eine Spirale: Es geht immer tiefer und immer schneller hinunter.
  • Marktferne Or­gan­i­sa­tio­nen und öffentliche Ver­wal­tun­gen sind anfälliger für Burnout als Unternehmen unter Markt- und Wet­tbe­werb­s­druck.
  • Aus­gangspunkt für ein Burnout ist oft lang anhaltender Erfolg, der nachlässig macht.
  • Führungs- und Kom­mu­nika­tion­sprob­leme schleichen sich ein, Fehler werden vertuscht und auf andere abgeschoben, Vertrauen geht verloren.
  • Die Führung reagiert mit immer höheren An­forderun­gen, das mittlere Management und die Mitarbeiter flüchten in Zynismus und innere Kündigung.
  • Schließlich resignieren die Mitarbeiter und die Führung verliert endgültig die Kontrolle: Das Burnout wird chronisch.
  • Aus diesem Zustand findet eine Or­gan­i­sa­tion ohne externe Hilfe praktisch nicht heraus.
  • Ein Coach unterstützt den schwierigen Prozess der Diagnose und Akzeptanz des Burnouts.
  • Als Therapie gegen Or­ga­ni­za­tional Burnout eignen sich: gute Führung, Vertrauen, Kom­mu­nika­tion und neue Er­fol­gser­leb­nisse.
 

Zusammenfassung

Aus­ge­bran­nte Or­gan­i­sa­tio­nen

Von einem Or­ga­ni­za­tional Burnout spricht man, wenn drei Merkmale erfüllt sind:

  1. Die Or­gan­i­sa­tion befindet sich in einer Phase tiefer, anhaltender Erschöpfung.
  2. Sie kann sich nicht aus eigener Kraft aus diesem Zustand befreien und erholen.
  3. Die Situation wird als Problem erkannt und als unerwünscht eingestuft.
„Wären Or­gan­i­sa­tio­nen keine sozialen Systeme, wären sie immun gegen ein Or­ga­ni­za­tional Burnout. Nur soziale Systeme erfüllen die Vo­raus­set­zung, sich selbst zu steuern, zu lernen, zu entwickeln, sich zu engagieren und ggf. auszubren­nen.“

Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei der Or­gan­i­sa­tion um ein Wirtschaft­sun­ternehmen, eine öffentliche Verwaltung oder eine Non-Profit-Or­gan­i­sa­tion handelt. Sie alle sind soziale Systeme und können gleichermaßen betroffen sein. Ein Or­ga­ni­za­tional Burnout ist allerdings nicht die Summe der in­di­vidu­ellen Burnouts der Mitarbeiter oder Führungskräfte. Es ist ein eigenständiges Symptom einer Or­gan­i­sa­tion, und deren einzelne Elemente, d. h. die Mitarbeiter, müssen nicht notwendi­ger­weise ebenfalls ausgebrannt sein. Allerdings gibt es Analogien bei den Ursachen und beim Verlauf in­di­vidu­eller und or­gan­isatorischer Burnouts.

Wann kommt es zum Or­ga­ni­za­tional Burnout?

Manche Or­gan­i­sa­tio­nen sind anfälliger für Burnout als andere. Un­ter­schiede zeigen sich besonders in den Dimensionen Alter, Größe und Marktbezug:

  • Ältere Or­gan­i­sa­tio­nen sind anfälliger als jüngere: Nach einigen Man­age­ment­pe­ri­o­den war „alles schon mal da“, die Gründungsführung ist nicht mehr im Amt, man hat sich vom ursprünglichen, gemeinsam getragenen Zweck entfernt, gemeinsame Werte und gegen­seit­iges Vertrauen schwinden.
  • Größere Or­gan­i­sa­tio­nen sind anfälliger als kleinere: Hier spielt vor allem die Größe der Un­tere­in­heiten eine Rolle, nicht die der gesamten Or­gan­i­sa­tion. Ist eine Abteilung so groß, dass eine Führungskraft die Mitarbeiter nicht mehr namentlich benennen kann, wird Führung durch Kom­mu­nika­tion unmöglich und es werden Regeln aufgestellt. Ähnliche Mechanismen treten auch bei steilen Hierarchien auf.
  • Marktferne Or­gan­i­sa­tio­nen sind anfälliger als marktnahe: In marktnahen Unternehmen sorgen Markt und Wettbewerb für eine rasche Korrektur von Fehlentschei­dun­gen und Fehlbe­set­zun­gen. Dieses Korrektiv ist in Unternehmen mit regulierten Märkten (z. B. Kranken­ver­sicherun­gen) verlangsamt und fehlt bei öffentlichen In­sti­tu­tio­nen völlig.
„Hin­sichtlich eines Or­ga­ni­za­tional Burnout ist nichts gefährlicher als der anhaltende Erfolg.“

Das alles sind begünstigende, aber noch nicht hin­re­ichende Bedingungen für ein Or­ga­ni­za­tional Burnout: Auch wenn ein System alt, groß und marktfern ist, muss es nicht unbedingt ausgebrannt sein. Dazu braucht es mehr, nämlich in erster Linie anhaltenden Erfolg, der müde, arrogant und nachlässig macht und dazu führt, dass Marktveränderungen nicht erkannt oder nicht ernst genommen werden. Es braucht ein Top­man­age­ment, das Misserfolge ignoriert und Fehler gar nicht erst zulässt oder sie jeweils auf das mittlere Management und die operative Ebene abschiebt. Es braucht eine Verhaltens- und Fehlerkul­tur, bei der alle sich gern am Nebenmann orientieren, dem Mainstream folgen und eigene Wege meiden, auch wenn diese objektiv richtig wären. Besonders anfällig für ein Burnout sind Or­gan­i­sa­tio­nen während einer Fusion oder Übernahme.

Ablauf eines Burnouts von Or­gan­i­sa­tio­nen

Ein Or­ga­ni­za­tional Burnout läuft in vier Phasen ab, die sich teilweise überschnei­den und eine Vielzahl von Symptomen aufweisen:

  1. Latentes Burnout: Erste Misserfolge am Markt und nach­lassende Produktivitätskennz­if­fern werden von allen beschönigt. Immer mehr interne Sitzungen und Bericht­spflichten kommen auf. Es gibt eine beginnende Ressourcenverk­nap­pung. Führung findet kaum noch statt und erreicht die unteren Ebenen nicht mehr.
  2. Akutes Burnout: Un­sicher­heit und Angst vor Fehlern bei Führungskräften und Mi­tar­beit­ern machen sich breit. Es kommt zu gegen­seit­i­gen Schuldzuweisun­gen und allseits steigenden Ansprüchen, Zynismus als Zeichen innerer Kündigung, Leis­tungssim­u­la­tion statt Performance und einem frostigen In­no­va­tion­sklima.
  3. Chronisches Burnout: Das Management igelt sich ein und ist immer häufiger abwesend, Resignation und Ohn­machts­gefühle machen sich breit. Manager werden überraschend aus­ge­tauscht, die Fluktuation steigt. Das Management proklamiert wieder einmal den „Neustart“.
  4. Letales Burnout: Management und Mitarbeiter sind enttäuscht voneinander, misstrauen sich und kom­mu­nizieren nicht mehr. Die Führung verliert endgültig die Kontrolle über be­triebliche Vorgänge, alle sehnen einen großen Knall herbei. In einer Situation von Hoff­nungslosigkeit und Depression unternimmt niemand etwas gegen den „Or­gan­i­sa­tion­ssuizid“.
„Die heroische Sozial­isierung unserer Führungskräfte lässt Schwäche oder gar Versagen nicht zu. Genau die aber müsste man sich eingestehen, wenn man auch nur in Erwägung ziehen wollte, dass die eigene Or­gan­i­sa­tion von dem ,Virus‘ erfasst sein könnte.“

Nicht in allen Or­gan­i­sa­tio­nen treten diese Symptome gleichermaßen und in dieser Reihenfolge auf, sie lassen sich aber im Großen und Ganzen immer wieder beobachten. Die Symptome der ersten Phase sind möglicher­weise nur harmlose Schwankun­gen im Geschäftsablauf. Dennoch sollte man stets ein drohendes Or­ga­ni­za­tional Burnout im Blick haben und ggf. Maßnahmen einleiten. In der frühen Phase reichen geringe In­ter­ven­tio­nen, um ein Burnout abzuwenden. Wird jedoch zu Beginn nichts unternommen, besteht die Gefahr einer Spirale, die das System aus eigener Kraft nicht wieder verlassen kann.

Diagnose und Akzeptanz

Bei der Diagnose ist externe Unterstützung ratsam, denn für eine Selb­st­di­ag­nose fehlen in der Regel die Vo­raus­set­zun­gen: Es sind ja vor allem Führung­sprob­leme, die ein Or­ga­ni­za­tional Burnout auslösen, und das können erfolgsverwöhnte und unfehlbare Manager nur schwer zugeben. Die Selb­st­di­ag­nose scheiterte bisher auch am fehlenden Krankheits­bild Or­ga­ni­za­tional Burnout.

„Durch Machtausübung werden – im Unterschied zu Führung und Vertrauen – selten bessere Prozesse oder höherwertiges Wissen produziert.“

Zunächst muss das Top­man­age­ment die Diagnose akzeptieren. Dafür ist die Fähigkeit zu Selb­stkri­tik er­forder­lich, aber in der Realität sind eher Un­fehlbarkeit­sansprüche und Realitätsver­weigerung anzutreffen. Im zweiten Schritt wird das mittlere Management mit der Diagnose kon­fron­tiert und erst im dritten Schritt die operativen Mitarbeiter. Diese Reihenfolge ist un­verzicht­bar, denn es braucht die Akzeptanz des Top­man­age­ments, damit sich die nach­ge­ord­neten Ebenen überhaupt aus der Deckung wagen.

„Die Therapie ist gut beraten, an der Or­gan­i­sa­tion­sstruk­tur zunächst nicht zu rütteln. Wir müssen an den Inhalten, nicht an der Form arbeiten.“

Häufig akzeptiert die Führung das Krankheits­bild Or­ga­ni­za­tional Burnout, sobald sie – z. B. durch einen Coach – mit den Symptomen kon­fron­tiert wird. Ist das nicht der Fall, sind Befragungen von Mi­tar­beit­ern, Führungskräften, Kunden und Lieferanten er­forder­lich, um der Topführung möglichst umfassend die Symptome vor Augen führen zu können. Mangelt es an Akzeptanz im mittleren Management oder bei den Mitarbeiten, helfen so genannte Analo­gieforen, in denen eine Szene vorgespielt wird, damit die Teilnehmer Burnout-Sit­u­a­tio­nen bei Kunden oder Lieferanten besser erkennen können. Dass auch die eigene Or­gan­i­sa­tion betroffen ist, wird von den Teilnehmern dann schnell erkannt.

„Auf­bauor­gan­i­sa­tio­nen sind leicht zu verändern, Un­ternehmen­skul­turen aber sind tief verwurzelte Ver­hal­tensweisen, deren Veränderung nur langsam möglich ist.“

An die Akzeptanz schließt sich die selb­stkri­tis­che Analyse der Vorgeschichte an. Wichtig ist dabei, gegen­seit­ige Schuldzuweisun­gen zu vermeiden, die den Weg für Lösungen verbauen würden. Das Management sollte ein hi­er­ar­chiefreies Projektteam damit beauftragen, die Ursachen des Burnouts zu benennen und die Folgen für die Or­gan­i­sa­tion aufzuzeigen. Während dieser Phase muss unbedingt auf schnelle Sofortlösungen verzichtet werden, denn diese haben ja auch in der Ver­gan­gen­heit nicht funk­tion­iert. Neben einem ausgeprägten Teamansatz ist bei der Diagnose ein externer Or­gan­i­sa­tion­scoach praktisch un­verzicht­bar – seine Arbeit gleicht einer ärztlichen Behandlung bei bestimmten Krankheitssymp­tomen. Verzichten sollte man auf eine klassische Un­ternehmens­ber­atung, denn die üblichen Con­sultin­gansätze zum Change-Man­age­ment oder zur Geschäft­sprozes­sop­ti­mierung würden gerade nicht aus der Burnout-Spi­rale her­aushelfen und das Misstrauen der Beschäftigten nur verstärken.

Selb­s­theilung aus­geschlossen

Wer ein System tatsächlich verändern will, muss die Verteilung von Macht infrage stellen. Das lassen diejenigen, die über Macht verfügen, nor­maler­weise nicht zu. Nötig wären Par­tizipa­tion und Delegation, Information und Kom­mu­nika­tion, um die Ursachen des Burnouts zu behandeln. Mit haus­in­ter­nen Therapien wird die Macht nicht neu verteilt, sondern man doktert nur oberflächlich an Symptomen herum und weckt falsche Hoffnungen. Das kann die Lage zunächst scheinbar verbessern. Aber schon bald wird das Burnout umso schneller fortschre­iten. Das Unternehmen kann ein Or­ga­ni­za­tional Burnout nie aus eigener Kraft heilen. Es bedarf pro­fes­sioneller Begleitung durch einen erfahrenen und fachlich wie psy­chol­o­gisch kompetenten Coach.

Therapieansätze gegen Or­ga­ni­za­tional Burnout

Damit sie erfolgreich ist, darf die Therapie nicht unter Zeitdruck stattfinden. Der Coach muss bei seiner Arbeit mit den Führungskräften und Mi­tar­beit­ern dort ansetzen, wo das Burnout entstanden ist. Das sind in der Regel die folgenden Bereiche:

  • Kom­mu­nika­tion: Sie ist die notwendige Vo­raus­set­zung und damit der „Trans­mis­sion­sriemen“ für die nach­fol­gen­den Elemente. Gestörte Kom­mu­nika­tion ist eine der Haup­tur­sachen für das Burnout, daher muss die neue Kom­mu­nika­tion empfängeror­i­en­tiert, wahrhaftig, positiv und direkt sein sowie neben den formellen auch informelle Kanäle einbeziehen.
  • Führung: Sie ist das beste Mittel gegen Or­ga­ni­za­tional Burnout. Manchmal lässt sich die vorhandene Führung re­vi­tal­isieren; wenn möglich sollte die Spitze aus­ge­tauscht werden. Schnell und gut funk­tion­iert oft auch der Einsatz eines In­ter­ims­man­agers, solange es sich bei dieser Person nicht um den typischen Voll­strecker oder Abwickler handelt. Je nach Burnout-Phase un­ter­schei­den sich die wichtigsten Botschaften der neuen oder erneuerten Führung. Immer aber geht es darum, das Vertrauen der Mitarbeiter wiederzugewin­nen.
  • Strategie: Zunächst braucht es klare, ehrliche und nicht top-down vermittelte, sondern intensiv kom­mu­nizierte Ziele. Anschließend muss festgelegt werden, wie die Ziele gemeinsam erreicht werden können und welche Ressourcen dafür er­forder­lich sind. Die Ziele müssen am­bi­tion­iert sein und der bekannten SMART-Formel (spezifisch – messbar – anspruchsvoll – realistisch – terminiert) entsprechen.
  • Prozesse: Es geht nicht darum, alle Prozesse zu verändern, sondern nur solche zu behandeln, die ins Burnout geführt haben oder künftig wieder hineinführen könnten. Bei Prozessänderungen ist Par­tizipa­tion das Gebot der Stunde: Das Management bestimmt das Ob, aber die Betroffenen können das Wie mit­gestal­ten.
  • Or­gan­i­sa­tion: Veränderungen der Auf­bauor­gan­i­sa­tion sind nicht zielführend. Wichtiger ist es, für Kontinuität zu sorgen, bei Zen­tralein­heiten und Stab­sstellen anzusetzen und Ve­r­ant­wor­tung zu dezen­tral­isieren.
  • Kultur: In einer von Burnout befallenen Or­gan­i­sa­tion fehlt es an Teamgeist, und den gilt es wieder­herzustellen. Das geschieht am besten über Erfolge. Falls diese ausbleiben, reichen oft Er­fol­gs­geschichten, die zur Not auch erfunden sein können. Die Führungskräfte müssen im Unternehmen unterwegs sein und mit ihren Leuten sprechen, aber sie dürfen sich dabei nicht überhasten. Kultur verändert sich nicht über Nacht.

Über den Autor

Gustav Greve war Consultant und Partner bei der Un­ternehmens­ber­atung Arthur D. Little und Geschäftsführer des Wirtschafts- und Zukun­fts­forschungsin­sti­tuts Prognos, bevor er sich im Jahr 2004 als Or­gan­i­sa­tions­ber­ater selbstständig machte.