EU-Leitfaden für Unternehmen

Buch EU-Leitfaden für Unternehmen

Die Vorgaben der Europäischen Union optimal nutzen

Gabler,


Rezension

Für viele Ve­r­ant­wortliche in europäischen Unternehmen ist Brüssel weit weg – weiter als New York oder Mumbai. Dabei hat die Europäische Union längst enormen Einfluss aufs Business; ihre Richtlinien und Verord­nun­gen bestimmen unseren Geschäftsalltag mehr, als uns bewusst ist. Grund genug also, sich einmal genauer über die EU und die wichtigsten Leitlinien ihrer Politik zu informieren. Britta Kuhn hat in ihrem EU-Leit­faden für Unternehmen In­for­ma­tio­nen zur EU zusam­mengestellt, von der Or­gan­i­sa­tion­sstruk­tur über die wichtigsten Verord­nun­gen bis hin zu möglichen zukünftigen En­twick­lun­gen. Ein so komplexes Thema kann auf knapp 200 Seiten nur oberflächlich behandelt werden. Der Versuch der Autorin, dennoch möglichst viele In­for­ma­tio­nen auf engstem Raum un­terzubrin­gen, macht die Lektüre beschw­er­lich, aber das Buch bietet auf jeden Fall einen guten ersten Überblick zum Thema. BooksInShort empfiehlt es allen Un­ternehmern, die im EU-Raum tätig sind.

Take-aways

  • Die Europäische Union hat ihre Kompetenzen seit ihrer Gründung kon­tinuier­lich erweitert.
  • Die wichtigsten Organe sind der Europäische Rat, der Ministerrat, das Europäische Parlament und der Europäische Gerichtshof.
  • Das nationale Recht wird inzwischen überwiegend von EU-Verord­nun­gen bestimmt.
  • EU-Bürger können sich innerhalb der EU frei bewegen und in jedem Land der Union arbeiten.
  • Eine Europäische Ak­tienge­sellschaft (Societas Europaea) kann nach dem mitteleuropäischen Modell mit Vorstand und Auf­sicht­srat oder dem angelsächsischen mit einem Board of Directors aufgebaut sein.
  • Innereuropäisches Outsourcing wird schwieriger: Die Löhne in den Niedriglohnländern steigen rasch, während sie in den Hochlohnländern stagnieren oder real sogar sinken.
  • Wet­tbe­werb­sver­let­zun­gen können massive Strafen nach sich ziehen.
  • Große Unternehmen haben ihre eigenen Lobbyisten in Brüssel, kleinere können über Verbände und die offizielle In­ter­net­seite der EU Einfluss nehmen.
  • Auch private Unternehmen können Forschungs­gelder der EU beanspruchen.
  • Eine gemeinsame Kon­junk­tur­poli­tik mit eigenen Steuern wird diskutiert.
 

Zusammenfassung

Entwicklung und Struktur der Europäischen Union

1951/52 schlossen sich sechs Staaten – Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande – zur Montanunion zusammen, der Europäischen Gemein­schaft für Kohle und Stahl. Daraus entstand 1957/58 die Europäische Wirtschafts­ge­mein­schaft (EWG), 1965/67 die Europäische Gemein­schaft (EG) und 1992/93 die Europäische Union (EU). Mit den Jahren kamen immer weitere Mitglieder hinzu, zurzeit sind es 27. Inzwischen werden mehr als 80 % des deutschen Rechts von EU-Recht bestimmt – vom An­tidiskri­m­inierungs­ge­setz bis zur Kennze­ich­nungspflicht für Hühnereier. Wer in Deutschland und Europa erfolgreich wirtschaften will, muss diese rechtlichen Grundlagen kennen.

„Über 80 % der in Deutschland geltenden Rechtsakte stammen von der EU.“

Die EU ist in mehrere Organe gegliedert. Der Europäische Rat ist die Zusam­menkunft aller Staats- und Regierungschefs der EU. Der Rat der Europäischen Union, auch Ministerrat genannt, besteht dagegen aus Fach­min­is­tern der Mitgliedsländer. Sie entscheiden jeweils über ihren eigenen Poli­tik­bere­ich. Das Europäische Parlament wird von allen Bürgern der EU direkt gewählt. Seine Befugnisse sind begrenzt, es besitzt jedoch in vielen Bereichen ein Vetorecht. Die Europäische Kommission besteht aus dem Präsidenten und 26 weiteren Kommissaren, die quasi die Aufgaben von EU-Min­is­tern erfüllen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist für das EU-Recht zuständig. Da EU-Recht über nationalem Recht steht, kommt ihm eine enorme Bedeutung zu. Daneben gibt es noch weitere In­sti­tu­tio­nen, wie die Europäische Zentralbank oder den Europäischen Rech­nung­shof.

Der EU-Bin­nen­markt

Seit 1993 gibt es den EU-Bin­nen­markt, der Freizügigkeit für Waren, Personen, Di­en­stleis­tun­gen und Kapital innerhalb der Europäischen Union gewährleistet. Die Produkte und Regeln der einzelnen Länder werden EU-weit anerkannt und einander angeglichen; EU-Gesetze regeln die Details. Der Binnenmarkt hat auch die politische Annäherung der europäischen Staaten vo­r­angetrieben, etwa bei der Währungsunion oder bei der Anpassung nationaler Gesetze. Rund zwei Drittel ihres Außenhandels wickeln die EU-Länder inzwischen innerhalb des Bin­nen­mark­tes ab. Innerhalb der EU gibt es mit­tler­weile keine Zölle mehr und nur noch wenige Ein- und Aus­fuhrbeschränkungen. Auch Maßnahmen zum Ver­brauch­er­schutz werden EU-weit geregelt. So ist z. B. die EG-Öko-Verord­nung, die über das Bio-Siegel für Lebens­mit­tel entscheidet, für alle Mit­glied­staaten einheitlich. Für den Verbraucher in Deutschland bedeutet das nicht immer eine Verbesserung: Eine EU-Richtlinie hat etwa die deutschen Vorschriften für ein­heitliche Ver­pack­ungsgrößen gekippt.

In der EU mobil

Seit dem Schengener Abkommen von 1985 können sich EU-Bürger in Europa frei bewegen. Das Hochschul­sys­tem wird mit der Umstellung auf Bachelor- und Mas­ter­ab­schlüsse har­mon­isiert. Ar­beit­nehmer und Selbstständige können ihre Abschlüsse in anderen Ländern anerkennen lassen und dürfen grundsätzlich in allen Mit­glied­staaten arbeiten. Deshalb musste Deutschland auch den Meis­terzwang lockern; hier dürfen ausländische Handwerker nach EU-Recht ohne Meis­ter­ti­tel arbeiten. Allerdings ist der Markt noch nicht völlig lib­er­al­isiert, im Gesund­heits­bere­ich z. B. gelten noch starke Einschränkungen. Um Un­gerechtigkeiten zu vermeiden, herrscht bei den Di­en­stleis­tun­gen das Bes­tim­mungs­land­prinzip: Der Di­en­stleis­ter muss sich an die Vorschriften des Landes halten, in dem er arbeitet. So gilt für den polnischen Handwerker in Deutschland das deutsche Sozialrecht.

Geld in der EU

Auch der Kap­i­talverkehr in der EU ist weitgehend lib­er­al­isiert. Das bewegt viele westeuropäische Unternehmen dazu, ihre Produktion in EU-Länder mit extrem niedrigen Lohnkosten wie Rumänien oder Bulgarien zu verlagern. Doch dieser Schritt ist riskant: In den Niedriglohnländern sind die Löhne in den letzten Jahren ver­gle­ich­sweise stark angestiegen. Zugleich zeigen Statistiken, dass in Ländern mit relativ hohen Löhnen schon vor der Wirtschaft­skrise 2008 die Reallöhne leicht gesunken sind, in Belgien etwa um 1,1 % im Vergleich zu 2007. Der Zahlungsverkehr wird schrit­tweise har­mon­isiert; langfristig sollen Geld­trans­fers innerhalb der EU genauso schnell und günstig ablaufen wie Inlandsüberweisun­gen. Seit 2008 gibt es die kostengünstige EU-Standardüberweisung, die allerdings nur bis zu 50 000 € möglich ist. Be­stre­bun­gen, auch das Steuer­sys­tem der EU zu har­mon­isieren, waren bisher wenig erfolgreich, denn Steuern sind ein Stan­dort­merk­mal mit Einfluss auf den Wettbewerb. In einigen Bereichen schreibt die EU jedoch Mindest- oder Höchststeuersätze vor.

Die Unternehmen, der Ar­beits­markt und die EU

In den Bereichen Ar­beits­markt und Soziales hat die EU ihren Einfluss kon­tinuier­lich erweitert. In vielen Punkten können die Mit­glied­staaten aber noch selbst entscheiden, z. B. was Sozialver­sicherun­gen, Kündi­gungss­chutz, Ar­beit­sent­gelt oder Streikrecht betrifft. Für EU-Bürger, die in mehreren europäischen Ländern arbeiten, regelt eine Renten­verord­nung die Ansprüche auf Al­tersver­sorgung. Mittel aus diversen Fonds der EU unterstützen Ar­beit­nehmer bei Weit­er­bil­dung und Umschulung. Damit soll Ar­beit­slosigkeit vermieden werden. Kap­i­talge­sellschaften, die in einem anderen EU-Land tätig werden wollen, können sich in eine Europäische Ak­tienge­sellschaft umwandeln (Societas Europaea, kurz SE). Wie sich diese Gesellschaft organisiert, entscheidet die Geschäftsführung: Zur Wahl stehen das mitteleuropäische Modell mit Vorstand und Auf­sicht­srat oder das angelsächsische mit einem Board of Directors. Die angelsächsische Variante schränkt die Mitbes­tim­mung der Ar­beit­nehmer erheblich ein. Was die EU ebenfalls lib­er­al­isieren wollte, ist die Möglichkeit feindlicher Übernahmen; das Vorhaben scheiterte aber am Widerstand einiger Mitgliedsländer, weshalb die nationalen Regelungen vorerst in Kraft bleiben.

Wet­tbe­werb­spoli­tik

Die EU-Kom­mis­sion sorgt für unge­hin­derten Wettbewerb und kon­trol­liert Fusionen sowie die Vergabe von Sub­ven­tio­nen. Preis­ab­sprachen oder Kartelle werden mit hohen Bußgeldern geahndet. So genannte Bagatel­lka­rtelle können sich vom Kartel­lver­bot freistellen lassen, etwa wenn der gemeinsame Marktanteil unter 10 % bleibt. Weil Kartelle nicht leicht zu entlarven sind, hat die Kommission eine Kro­nzeu­gen­regelung eingeführt: Wer einem Kartell angehört, dies anzeigt und bei der Be­weis­sicherung hilft, kann straffrei bleiben. Allein in den Jahren 2005–2009 verhängte die EU-Kom­mis­sion Kartell­strafen von insgesamt 9,76 Milliarden Euro.

„Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht liegen die wesentlichen Vorteile des Bin­nen­mark­tes in höherem Wachstum und damit verbunden mehr Beschäftigung, aber auch in in­ten­siverem Wettbewerb und damit preisgünstigeren und vielfältigeren Waren für die Kunden.“

Spektakulär war der Rechtsstreit mit Microsoft: Das Unternehmen verdrängte mit seinem Internet Explorer andere Anbieter. Microsoft musste schließlich 1,7 Milliarden Euro Strafe zahlen. Nicht erlaubt sind staatliche Beihilfen für Branchen oder Unternehmen. Dazu zählen auch staatliche Garantien für Lan­des­banken und Sparkassen; allerdings gelten hier zahlreiche Ausnahmen. Staatliche Monopole gestattet die EU nur, wo sie zwingend scheinen. Deutschland hat das z. B. bei den Dereg­ulierun­gen im Schienen­verkehr und der Telekom­mu­nika­tion zu spüren bekommen.

Umwelt, Industrie und Forschung

Die EU-Länder betreiben eine gemeinsame Umwelt­poli­tik. Europäische Richtlinien regeln dabei die Rücknahme alter Fahrzeuge und die Grenzen für Fe­in­staube­mis­sion. Auch der vereinte Kampf gegen den Klimawandel gehört dazu. 2005 wurde der Handel mit Emis­sion­srechten eingeführt, der den Kohlen­diox­i­dausstoß begrenzen soll. Mit ihrer In­dus­triepoli­tik unterstützt die EU vor allem kleine und mittlere Unternehmen und stellt dafür Fördergelder bereit. Die Programme haben aktuell ein Volumen von rund 30 Milliarden Euro. Das aktuelle Rah­men­pro­gramm zur Forschungsförderung ist mit 53 Milliarden Euro dotiert. Das Geld kann jeder abrufen, der Forschung betreibt – nicht nur staatliche In­sti­tu­tio­nen, sondern auch Unternehmen.

Unterstützung wenig en­twick­el­ter Regionen

Die sozialen und wirtschaftlichen Un­ter­schiede zwischen den einzelnen EU-Staaten sind zum großen Teil enorm. Die Union versucht sie mit zahlreichen Hil­f­spro­gram­men für rückständige Regionen auszu­gle­ichen. Als rückständig gilt eine Region dabei, wenn das Brut­toin­land­spro­dukt pro Einwohner weniger als zwei Drittel des EU-Durch­schnitts beträgt. Dieses Kriterium trifft vor allem auf die osteuropäischen Staaten zu. Der Europäische Sozialfonds (ESF) fördert Maßnahmen wie Ausbildung und Umschulung. Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung hilft bei der struk­turellen Weit­er­en­twick­lung. Der Kohäsionsfonds ist für Verkehrspro­jekte und Umweltschutz zuständig. Agrar­sub­ven­tio­nen gehörten von Anfang an zu den zentralen Maßnahmen der Europäischen Union. Sie sind allerdings auch höchst umstritten – Kritiker werfen ein, sie würden notwendige Struk­tu­ran­pas­sun­gen verhindern.

Einfluss in Brüssel

Alles in allem hat die Europäische Union enormen Einfluss auf die deutsche Wirtschaft. Aus diesem Grund haben große Unternehmen und Verbände schon seit Langem ihre Vertreter in Brüssel, die dort Lobbyarbeit betreiben. Für kleinere Unternehmen ist das nicht möglich. Aber auch sie können über Verbände oder über das Internet Einfluss auf die Brüsseler Politik nehmen. Verbände allerdings vertreten nur den kleinsten gemeinsamen Nenner ihrer Mitglieder, nicht die Interessen eines einzelnen Un­ternehmens. Doch im In­ter­ne­tauftritt der Europäischen Union kann man seiner Meinung zu aktuellen Themen Ausdruck geben. Für Fragen gibt es eine Hotline. Außerdem besitzt die EU in allen Mitgliedsländern Vertre­tun­gen und In­for­ma­tion­szen­tren, an die man sich wenden kann.

Ausblick in die Zukunft

Wie wird sich die EU entwickeln? Sie wird ihre Kompetenzen weiter ausbauen. Es gibt Forderungen nach eigenen Steuern der EU, damit sie ihre finanzielle Ausstattung verbessern kann. Dann dürfte sie auch Schulden machen, was jetzt noch nicht erlaubt ist. Vermutlich werden die Themen Umweltschutz und Islamismus eine noch größere Rolle spielen.

„Der Austritt auch nur eines ersten kleineren Landes aus der EU könnte einem Dammbruch gle­ichkom­men.“

Wenn weitere Staaten der EU beitreten wollen, müssen sie drei Kriterien erfüllen: eine stabile demokratis­che Ordnung, eine gut funk­tion­ierende Mark­twirtschaft und die Bere­itschaft, die Regeln der Gemein­schaft zu übernehmen. In der Praxis wurden diese Grundsätze bisher nicht so streng gehandhabt. Nor­maler­weise bevorzugt die EU reiche oder bevölkerungsarme Länder, weil sie keine Unterstützung brauchen und die EU-internen Machtverhältnisse nicht verschieben. Island z. B. hat gute Chancen, bald aufgenommen zu werden. Ein Beitritt der Türkei dagegen ist seit Jahrzehnten umstritten. Auch Länder außerhalb Europas, z. B. Marokko, versuchten bislang vergeblich, Mitglied zu werden.

Wie stabil ist die EU?

In der Bevölkerung hat die EU seit jeher mit Akzep­tanzprob­le­men zu kämpfen. Zahlreiche Volksab­stim­mungen zur Union sind gescheitert, und in Umfragen liegt die Zustimmung zur EU meist nur knapp über 50 %. Die Brüsseler Behörden gelten allgemein als unnötige Bürokraten ohne Kontakt zu den Bürgern. Zudem sind die Un­ter­schiede zwischen den Mit­glied­staaten groß. Das kann rasch zu Zerreißproben führen, vor allem, wenn die wirtschaftlich schwächeren Staaten Hilfe beanspruchen.

„Ohne die EU wäre der materielle Wohlstand niedriger.“

Dieses Problem wird sich verschärfen, falls sich die EU, wie von einigen Politikern gefordert, auch für eine gemeinsame Kon­junk­tur­poli­tik entscheidet. Zugleich sind die Vorteile der Europäischen Union unübersehbar: Ohne Gren­zkon­trollen kann man ungehindert reisen, und einstige Luxusgüter werden bezahlbar. Überdies können sich die europäischen Länder gemeinsam besser gegen Wirtschaftsmächte wie die USA oder China behaupten.

Über die Autorin

Britta Kuhn ist Professorin für Volk­swirtschaft­slehre mit Schwerpunkt In­ter­na­tional Economics an der Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain. Sie promovierte über EU-Sozialpoli­tik.